Der "Mut" der im sicheren Hort Sitzenden

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 26. Juli 2001 23:20:26:

Als Antwort auf: Re: Zinker am Werk geschrieben von Drahbeck am 18. Juli 2001 23:43:45:

Der "Mut" der im sicheren Hort Brooklyn Sitzenden
Im Jahre 1974 veröffentlichte die WTG in ihrem Jahrbuch für dieses Jahr, bekanntlich ihren Deutschland-Geschichtsbericht. Er fordert zu einigem Widerspruch heraus. Auch die "Christliche Verantwortung" nahm im Jahre 1974 kommentierend dieses Thema auf. So etwa auch in der Juni-Ausgabe 1974 (CV 60). Dort wurde insbesondere der Fakt der Schweizer Wehrdiensterklärung von 1943 kommentiert.

Das war schon ein bemerkenswerter Vorgang. Zu einer Zeit, wo deutsche Zeugen Jehovas, (auch als Ausdruck politischer Opposition gegen das Hitlerregime), massenweise ihren Kopf aufs Schafott legten. Zur gleichen Zeit tönte es in der Schweiz in ganz anderer Tonlage. Sicherlich hat man auch dort nicht gerade als "Lust" die sattsam bekannte "Erklärung" veröffentlicht. Wohl aber aus politischen Notwendigkeiten und Zwängen. In der Schweiz beugte man sich diesen Zwängen. Anderswo sollte es gemäß WTG so nicht sein. Ein fader Nachgeschmack bleibt in der Sache so oder so. Dies vor allem auch aus dem Grunde, weil auch in den nachfolgenden Jahren das Brooklyner Präsidium es sich anmaßt, wo man sich welchen Zwängen nicht zu beugen habe (Stichwort DDR). Bezeichnenderweise ist diese Opposition in religiöser Verklärung immer im Einklang mit der jeweiligen USA (Hegemonie) Politik.
Nachstehend der entsprechende Kommentar aus der CV:

Als unerläßlich zum WTG-Jahrbuch 1974, "Deutschlandbericht', müssen wir nachtragen, was 1940/43 in der militärisch neutralen Schweiz, in und mit der WT-Organisation geschah. Als Person steht auch hier wiederum stellvertretend für andere Brüder Präsident A. Gammenthaler, der Leiter des Werkes in der Schweiz, vor uns, und fordert Gerechtigkeit für sein Leben als Zeuge Jehovas. Aus einem Bericht von Franz Zürcher, heute 83 Jahre alt, erfahren wir im "Wachtturm" Nr. 5/1966: "Br. N. H. Knorr, der neue Präsident der Gesellschaft, hat mit schon vorher geschrieben, ich solle mein möglichstes tun, um das Werk in unserem Land (der Schweiz) aufrechtzuerhalten, damit noch Kriegsschluß die Verbindung mit unseren Brüdern auf dem Festland rasch wieder aufgenommen werden könne" (Seite 152).
Am 16. April 1943, vor 31 Jahren, fällte ein Schweizer Berufungsgericht in einem Prozeß gegen Franz Zürcher ein Urteil, wonach F. Zürcher zu einem Jahr Zuchthaus bedingt und 5 Jahre Aberkennung gewisser bürgerlicher Ehrenrechte verurteilt wurde. Im WT 5/66 gibt F. Zürcher diesem Geschehen folgende Wendung und Tendenz:
"Der Ausgang dieses Prozesses wirkt sich günstig aus, und uns gelingt es zu vermeiden, daß das Werk (in der Schweiz) verboten wird."
Franz Zürcher schrieb sehr richtig: "Es gelingt u n s", an w e n mag er da wohl gedacht haben? Mit Sicherheit an Bruder Präsident A. Gammenthaler, denn dieser war gehalten, tunlichst am 15. 9. 1943, f ü n f M o n a t e n a c h d e m P r o z e ß g e g e n F. Z ü r c h e r, in der WTG-Zeitschrift TROST Nr. 505 vom 1. 10. 1943, eine flankierende, positive "Erklärung zum Wehrdienst der Zeugen Jehovas", ohne Furcht und Tadel abzudrucken. Br. Präsident Gammenthaler stand mit seinem Namen und bevollmächtigt für diese "Erklärung", so der Titel in TROST Nr. 505, zum aktiven Wehrdienst der Zeugen in der Schweiz ein. In dieser "Erklärung" hieß es u. a.:
"Wir erblicken unsere Aufgabe darin, für Jehova Gott Zeugnis abzulegen … Hunderte unserer Mitglieder und Glaubensfreunde haben ihre militärischen Pflichten erfüllt und erfüllen sie weiterhin. Wir haben uns nie angemaßt und werden uns nie anmaßen, in dieser militärischen Pflichterfüllung eine Zuwiderhandlung gegen die Grundsätze und Bestrebungen der Vereinigung "Jehovas Zeugen", wie sie in ihren Statuten niedergelegt sind, zu erblicken . . ."
Diese "Erklärung" erst war das "m ö g 1 i c h s t e", welches ja Br. Zürcher tun sollte, um das drohende Verbot von der Organisation in der Schweiz abzuwenden. Um die Konfliktlage des Werkes in der Schweiz richtig beurteilen zu können, müssen wir uns folgende Lage der Brüder in der Schweiz vor Augen führen:
Im Juli 1940:
Militärische Hausdurchsuchung im Zweigbüro in Bern
Im August 1940:
Verhängung der militärischen Zensur über alle Schriften der WTG, Schweizer Zweig
Im August 1940:
Die Zeitschrift der "Wachtturm" soll ab sofort von einer Militär-Zensurstelle geprüft werden.
Hausdurchsuchungen:
Beschlagnahme von Literatur bei zahlreichen VD.
Polizeiliche Kontrolle:
Über die Versammlungstätigkeit der Zeugen, selbst beim Gedächtnismahl.
Postkontrolle:
Über das Zweigbüro in Bern
Vorbereitung und Durchführung von Anklagen vor Gericht, gegen leitende Brüder in der Schweiz, z. B. gegen F. Zürcher.
Das war die Skala der Sicherheitsmaßnahmen der Schweiz (unter Kriegsbedingungen als Nachbarstaat zu Nazideutschland), die gegen das Werk in der Schweiz unmittelbar wirksam wurden. Unter dieser Last und Verantwortung stand Br. A. Gammenthaler als regionaler Präsident des Schweizer Zweiges der WTG. Das war die rauhe Wirklichkeit. Aus diesen Bedingungen für das Werk reifte der Entschluß zu einer positiven "Erklärung" über den Wehrdienst der Zeugen in der Schweiz.
Br. Gammenthaler und natürlich auch Franz Zürcher wußten ganz genau, welche Erwartungen die Schweizer militärischen Sicherheitsbehörden von Jehovas Zeugen in der Schweiz eingelöst sehen wollten. Da waren die Weichen ganz eindeutig gestellt, es gab keine Ausflüchte, kein Hinhalten mehr. Jehovas Zeugen in der Schweiz sollten faktisch eine militärische Sicherheitsgarantie leisten, den aktiven Wehrdienst zur Verteidigung der Schweiz nicht durch Wort und Schrift zu beeinträchtigen. Das war die Forderung des Jahres 1943. Der Prozeßausgang gegen F. Zürcher konnte diese Garantie niemals geben, wohl aber die "Erklärung", wie sie in TROST Nr. 505 unter der Verantwortung von Br. Gammenthaler verabschiedet wurde. Damit war die äußerst kritische Situation für das Werk in der Schweiz bereinigt, und die Organisation wurde nicht verboten. Das "m ö g l i c h s t e", wie Präsident Knorr es "erwartet" und erhofft hatte, war getan worden.
Weder Br. Gammenthaler, noch der Organisation in der Schweiz, noch den Geschwistern kann die bewußte "Erklärung" als faules Kompromiß, als Mißbrauch eindeutiger Grundsätze der Bibel vorgehalten und angelastet werden. Diese "Chance" wüßte indessen nur ein perfekter Heuchler und Verräter wahrzunehmen, denn folgende Tatsachen sprechen gegen eine solche "Chance":
1) Nachdem die "Erklärung" zum Wehrdienst der Zeugen Jehovas in der Schweiz in TROST Nr. 505 abgedruckt erschien, hätte das Präsidium der WTG sofort in TROST 506 den Widerruf dieser "Erklärung" verlangen und auch durchsetzen können. Wenn dieser Widerruf geschehen wäre von Brooklyn aus, dann wäre die Organisation in der Schweiz verboten worden.
2) Als Präsident Knorr den Brief an F. Zürcher schrieb, er solle sein "möglichstes" tun, um ein Verbot abzuwenden,
gab es nicht nur diesen Brief von K n o r r an Z ü r c h e r. Es gab seit dem 1. 12. 1933 den

WT-Grundsatzartikel "Fürchtet euch nicht!", mit seiner Aufforderung zur Untergrundtätigkeit für Jehovas Zeugen, als angebliche Gegenerklärung zum Brief von Martin C. Harbeck an die Zeugen in Nazideutschland
Es ist vollkommen eindeutig, daß Präsident Knorr mit seinem Brief an F. Zürcher die Schweizer Zeugen n i c h t auf Untergrundtätigkeit im Sinne des WT-Artikels "Fürchtet euch nicht!" ausrichten wollte. Denn, die Anwendung von "Fürchtet euch nicht!" hätte von vornherein ausgeschlossen, daß F. Zürcher das "möglichste", die Abwendung des Verbots in der Schweiz, tun könnte.
3) Die Situation in Nazideutschland im Vergleich zur Lage der Zeugen in der Schweiz war grundsätzlich eine ganz andere, überhaupt nicht vergleichbare Lage. Bis zum Frühjahr 1940, praktisch von 1933 an, hatte Martin C. Harbeck von der Schweiz aus, begünstigt durch Schweizer staatliche Behörden, die Untergrundtätigkeit der Zeugen in Nazideutschland angeleitet und maßgeblich ausgerichtet. Erst der II. Weltkrieg ab September 1939 änderte einschneidend die Sicherheitslage des Schweizer Staates. Aus dieser veränderten Situation ergaben sich die Zwänge und Kontrollen über den Schweizer Zweig der WTG. Das sah und wußte natürlich auch ein Mann wie Präsident Knorr, bzw. das Präsidium der WTG. Wenn das Präsidium der WTG hieraus seine besonderen Schlußfolgerungen zog, die der Lage in der Schweiz gerecht wurden, so muß man diese Haltung mit Verständnis würdigen.
Wir haben also festzustellen, daß Präsident Knorr in seinem Brief an F. Zürcher keine Einschränkungen geltend gemacht hatte, etwa diese, daß kein Kompromiß hinsichtlich des aktiven Wehrdienstes der Schweizer Zeugen gemacht werden könne, denn diese Fessel der Handlungsfreiheit für die Brüder Gammenthaler-Zürcher hätte den Verbotsfall provoziert. Einschränkungen, Forderungen auf Widerruf der "Erklärung" in TROST Nr. 505 von 1943, meldete Präsident Knorr 4 Jahre später, im Jahre 1947, an.
Die Frage ist nun, warum damit bis zum Jahre 1947 gewartet wurde. Diese Forderung auf Widerruf stand doch, wenn überhaupt, angeblich biblisch gerechtfertigt, bereits 1945 auf der Tagesordnung, wenn wir einmal alle anderen Gesichtspunkte ausschließen wollen. 1945 wäre doch die beste Gelegenheit gewesen, als Präsident Knorr in Begleitung von Milton Henschel die Brüder im Bethel in Bern besuchte, den bewußten Widerruf von der Schweizer Organisation zu verlangen. Nichts dergleichen geschah, auch zum großen Pfingst-Kongreß 1945 in Zürich n o c h nicht!
Diesen Leckerbissen sparte sich Präsident Knorr bis' zum Jahre 1947 auf. Warum? War etwa das "neue Licht" des Widerrufs 1945 noch nicht aufgegangen? Die Antwort ist einfach. Im Jahre 1945 gab die psychologische Stimmung der Schweizer Organisation "das" nicht her. Der reife Augenblick war noch nicht gekommen. Der reife Augenblick war gekommen, als 1947 in der Schweiz ein Kongreß der Vereinigung "Jehovas Zeugen" durchgeführt wurde, 2 Jahre nach Beendigung des II. Weltkrieges, vor einem großen, nicht eingeweihten Zuhörerkreis. Der Kongreßbericht (1947 Schweiz) wußte diesem Verrat, der Preisgabe von Br. A. Gammenthaler, folgende blumige Krone aufzusetzen:
"Unter herzlichem Beifall legte nun Bruder Knorr als Präsident m u t i g dar, (ja, sicher, nach 4 Jahren, 2 Jahre nach Kriegsende!), daß diese Worte der "Erklärung" (zum aktiven Wehrdienst) abgelehnt werden, weil sie nicht die Stellung der Gesellschaft dartun und nicht in Harmonie sind mit den Grundsätzen, wie sie in der Bibel deutlich enthalten sind. Jetzt war die Zeit für die Schweizer Geschwister gekommen, vor Gott und seinem Christus ein Bekenntnis abzulegen…"
1947, eben in diesem Jahr, beruft sich Präsident Knorr auf "Grundsätze der B i b e l" vor "Gott und seinem Christus", als ob diese "Grundsätze" nicht bereits 1943 bestanden hätten. Sie waren bekannt und wurden praktiziert, eindeutig, bis zum Tode am Marterpfahl - in Nazideutschland seit dem Jahre 1933, "vor Gott und seinem Christus'. Mit dem Beispiel dieses Sterbens hunderter Zeugen Jehovas vor Augen, hätte Präsident Knorr den Widerruf der Wehrdienst-"Erklärung" von Präsident A. Gammenthaler telegrafisch anordnen müssen, wenn das Sterben der Zeugen in Nazideutschland die biblische Harmonie mit den Grundsätzen der Schrift, "vor Gott und seinem Christus", ebenbildlich darstellte. Kein Widerruf-Telegramm ging an Bruder Gammenthaler, auch kein Brief, und keine Gegen-"Erklärung" in der Zeitschrift TROST, nichts, absolut nichts geschah in dieser Richtung, um die angebliche biblische Harmonie wiederherzustellen, bis zum Jahre 1947!
Und wieviel Zeugen wurden in der Nazizeit in Deutschland hingerichtet wegen Wehrdienstverweigerung. Um diesen Tod der Zeugen nachträglich biblisch zu rechtfertigen, deshalb sollte 1947 widerrufen werden. Aber darin kann sich Präsident Knorr nicht auf "Gott und seinen Christus" berufen, denn diesen Gott gab es schon vorher, seit der Wehrdienst-"Erklärung", akut seit dem Jahre 1943, und gar nichts geschah. Aus irgendeinem Grund, nur keinem biblischen, den uns das WTG-Präsidium nicht offenbaren will, sollte 1943 kein Widerruf der "Gammenthaler-Erklärung" zum Wehrdienst der Zeugen in der Schweiz erfolgen, weil dann das Verbot der Organisation in der Schweiz unwiderruflich eingetreten wäre.
Mutig soll Präsident Knorr gewesen sein, als er 1947 den Schweizer Geschwistern das Bekenntnis zum Widerruf der "Erklärung" abverlangte. Mutig, wozu dieses Wort nicht alles herhalten muß, wenn es schutzlos ins perverse Gegenteil verdreht werden kann. Denn Präsident Knorr hatte die Vergebung von Christus Jesus und seinen christlichen Zeugen erflehen müssen, damals 1947 in der Schweiz, darin hätte er Mut wie Christus bewiesen. Er besaß jedoch nur den traurigen Mut, die heuchlerische Art davon, als er die Geschwister in der Schweiz zu einem Bekenntnis ihrer Schuld "vor Gott und seinem Christus" nötigte, einer Schuld, die sie gar nicht zu verantworten hatten. Denn Verantwortung und Schuld vor Gott trägt in diesem Fall das Präsidium der WTG, niemand sonst. Alle anderen, die Toten und die noch Lebenden, sind verratene, preisgegebene Opfer.

Wehrdienstverweigerer

Wehrdienstverweigerung

 
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