Re: Zeitgeschichte vor 70 Jahren ("Goldenes Zeitalter" 15. 1. 1937)


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 30. Januar 2007 06:36:12:

Als Antwort auf: Re: Zeitgeschichte vor 70 Jahren ( geschrieben von Drahbeck am 25. Januar 2007 06:22:47:

Unfraglich war der Luzerner Kongress vom September 1936 der Zeugen Jehovas, mit der persönlichen Anwesenheit von Rutherford dort, ein „Meilenstein" in der Zeugen Jehovas-Geschichte. Namentlich und besonders auch im Hinblick auf Hitlerdeutschland; dieweil dort „Nägel mit Köpfen" gemacht wurden. Die Zeiten des relativen „Stillhaltens" seitens der WTG, waren nun endgültig vorbei.

Aber auch das wurde um jene Zeit schon deutlich. Auch an der Schweiz ging die Etablierung der Nazis in Deutschland, nunmehr nicht mehr „spurlos" vorüber. Rutherford selbst sollte das in Luzern erfahren, dieweil ein von ihm dort beabsichtigter öffentlicher Vortrag, mit Ach und Krach zwar noch durchgeführt werden konnte. Aber eben ohne die gewünschte Öffentlichkeit.
Man vergleiche dazu:
Schattenbilder vom Luzerner Kongress

Noch war die Schweiz ja keine direkte Diktatur, etwa nach faschistischem Beispiel. Noch konnte die Presse in der Schweiz, sehr wohl „die Finger in die Wunden legen". Einen solchen Pressebericht registrierte auch die WTG und stellte ihn in der Ausgabe des „Goldenen Zeitalters" vom 1. Januar 1937 unter der Überschrift „Zum Schutze von Ruhe und Ordnung" ihren Lesern vor. Zitiert wird da die Schweizer Zeitung: „Die Nation", vom 12. November 1936.

Die GZ-Leser erfahren aus deren Artikel unter anderem die nachfolgende Ausführung:

"Man hat sich im Lande herum gefragt: was ist geschehen, daß der Bundesrat plötzlich den Dreschflegel hervorzieht und mit der größten Glocke Fürio läuten läßt? Hat ein stürmischer Ostwind Moskauer Brandgeruch ins Land der Hirten getragen?
Die Kommunisten als Landesgefahr, du lieber Gott.
Man braucht nicht hinzusehen, wenn die Moskauer ihre Mannen zusammenkratzen, so klein ist das Häuflein. Seit 18 Jahren ist die kommunistische Partei der Schweiz keinen Schritt vorwärts gekommen; die Ablehnung in der Arbeiterschaft ist heute noch viel entschiedener als früher. "Eine politisch bedeutungslose Gruppe" ...

Wenn die politisch bedeutungslose Gruppe der Kommunisten von ihren Gegnern heute zum gefährlichen Staatsfeind aufgeblasen wird, so steckt eine bestimmte Absicht dahinter. Die ganze Mache soll dem Zweck einer politischen Offensive dienen, deren Führung bei den Katholisch-Konservativen liegt — und die sich gegen die neue Volksmehrheit richtet, die sich um die Richtlinien gruppieren könnte.

Der neueste Bundesbeschluß bricht mit diesem Prinzip: kommunistische, anarchistische, antimilitaristische und religionsfeindliche Schriften sind in Zukunft zu beschlagnahmen. Die Zollbehörden, die Post-, Telephon- und Telegraphenverwaltung werden in den Dienst der Bespitzelung der Bürger gestellt. Die Tragweite dieser Beschlüsse mag der Hinweis erhellen, daß sie, nach ihrem Wortlaut, gestatten, beispielsweise Schriften von Nietzsche und Voltaire zu konfiszieren. Und wie steht es mit dem "Mythos des 20. Jahrhunderts", den die katholische Kirche als religionsfeindlich auf den Index gestellt hat?

Was für eine muntere Interpretation man in Freiburg und in der Innerschweiz dem neuesten Erlaß geben wird, kann man sich ja vorstellen. In Luzern ist bereits, unter dem frenetischen Beifall der k.-k. Presse, eine Versammlung der Ernsten Bibelforscher "wegen religionsfeindlicher Betätigung" verboten worden. Die liberale Presse aber träumt versonnen in den Winter hinein."

Soweit das Votum der „Die Nation"
Da hatte die WTG eine „Steilvorlage" geliefert bekommen und prompt kommentiert sie denn auch Ihrerseits:

„Ja ja, die Bibelforscher! — Man wird sich noch manchmal auf sie besinnen, wenn die schwarze Flut höher und höher steigt."

Ihrer eigenen Verstimmung indes läßt sie auch freien Raum, wenn sie weiter beklagt:
„Aber sie zeigt (die Presse) sich dabei so wenig unterrichtet, daß sie Jehovas Zeugen noch immer mit der seit vielen Jahren abgelegten Bezeichnung "Ernste Bibelforscher" benennt.
Als in den ersten Septembertagen der Kongreß der Zeugen Jehovas in Luzern tagte, haben nur zwei Zeitungen in freundlicher Weise davon Notiz genommen, von denen eine dann, nach dem Verbot des öffentlichen Vertrages Richter Rutherfords, zu einer feindlichen Stellungnahme umschwenkte."

Aber man meint sich diesbezüglich keine ernsthaften Sorgen machen zu müssen, wenn man in der gleichen GZ-Ausgabe auch liest:
„Jehovas Zeugen sind keine Propheten. Aber wir haben ein unbedingtes Vertrauen zu der Prophezeiung der Bibel. Wir glauben, daß diese sich in unseren Tagen erfüllen müssen, denn wir haben hundertfältigen Beweis dafür, daß wir in den letzten Tagen oder "der Zeit des Endes" dieser seit der Sintflut bestehenden Weltordnung leben.
Auf Grund unserer Erkenntnis der Bibel haben wir seit Jahren darauf hingewiesen, daß in allen Ländern, die sich "christlich" nennen, Zustände eintreten werden, die eine Verfolgung der Zeugen Jehovas und eine Bedrückung der ganzen Menschheit mit sich bringen werden."

Man ordnet das ganze also in den Kontext vermeintlicher „Prophezeiungen" ein.
Und, auch in dieser Ausgabe lesbar:

„Trotz all der grausamen Verfolgungen, denen diese Zeugen ausgesetzt sind, und des Widerstandes, den man der Königreichsverkündigung in allen Ländern leistet, schreitet dieses Werk wunderbar voran; denn über 200 Millionen Exemplare von Richter Rutherfords Schriften fanden nun in den letzten 12 Jahren den Weg unter das Volk."

Tja, mit den 200 Millionen Rutherford-Schriften, konnten die Gegner der Zeugen, die es auch in der Schweiz gab, in der Tat nicht konkurrieren. Immerhin sei es registriert.
Das DDR-Blatt „Christliche Verantwortung" - heute noch eines der bestgehaßten für die WTG - brachte es zeit seines Bestehens nicht dazu, je in der offiziellen WTG-Literatur erwähnt zu werden. Das kam dann erst, als auch die „CV-Stunde" „abgelaufen" war. Aber zeitgenössisch lassen sich allenfalls einige indirekte Bezugnahmen - in der für die DDR-Zeugen Jehovas bestimmten Ausgabe des internen Blattes „Unser Königreichsdienst" nachweisen. Für die „große WTG-Literatur" hingegen war jenes Blatt in seiner Erscheinungszeit „Luft", wurde nicht kommentiert.

Hier nun schon ist der „Quantensprung" registrierbar. Auch in der Schweiz gab es damals so etwas wie eine „CV". Sie hat allerdings (auch) zwei wesentliche Makel.
Zum einen ist ihre faschistische Geburtshilfe nicht zu übersehen, auch wenn sie sich den „fromm katholisch" verkaufte. Zum anderen ist auch der Umstand zu registrieren. Es gibt heutzutage in keiner wissenschaftlichen Bibliothek irgendwo, nachgewiesene Bestände jener „Schweizerischen Presse-Korrespondenz". Ihre Existenz ist heutzutage lediglich mehr oder weniger nur durch jene Aussagen nachweisbar, die sich dazu im „Goldenen Zeitalter" (respektive „Trost") vorfinden.

Die CV-Verbreitung in den wissenschaftlichen Bibliotheken ist zwar auch nicht gerade „umwerfend" zu nennen. Zumindest aber die Deutsche Bücherei in Leipzig hat einen (fast vollständigen) Bestand davon. (Aber auch der Deutschen Bücherei fehlen die sogenannten CV-Sonderausgaben, die es von Zeit zu Zeit auch mal gab).
Bei dem Versuch indes heutzutage auch noch die „Schweizerische Presse-Korrespondenz" einsehen zu können, ist totale Fehlanzeige zu registrieren. Allenfalls kann man einige Ausgaben davon im WTG-Archiv in Thun vermuten. Das jedoch macht seine Bestände nicht „all und jedem" zugänglich.

Nun ist in der Ausgabe des „Goldenen Zeitalters" vom 15. Januar 1937 solch eine Bezugnahme auf die „Schweizerische Presse-Korrespondenz" zu registrieren, unter der Überschrift „Dicke Zeitungsenten" abgedruckt.
Das was das GZ da aus der SPK zitierte, sei einmal nachfolgend dokumentiert:

Zum "Offenen Brief" im "Goldenen Zeitalter" Nr. 339 teilt die Schweizerische Presse-Korrespondenz folgendes mit:
"Wir haben uns die Mühe genommen und in Rom selbst Informationen eingeholt und am 4. November 1936 von besonderer kirchlicher Seite folgende Mitteilung erhalten:
"Was die Angelegenheit "Rothschild" betrifft, es handelt sich um eine dicke Zeitungsente. Der Generalschatzmeister der Apostolischen Kammer ist der Erzbischof Cattaneo. An der Spitze der Verwaltung der päpstlichen Güter steht ein Kardinal, und alle Unterbeamten sind Römer. Die Spezialverwaltung der Entschädigungssumme aus dem Lateranvertrag, soweit sie nicht für Seminarbauten und Ausbau der Vatikanstadt schon verwendet worden ist, untersteht dem Commendatore Nogara, drei der weiteren Beamten sind Schweizer."

"Der Fall zeigt wieder einmal am Beispiel, daß die Redaktion der Zeitschrift "Das Goldene Zeltalter" keine Mittel scheut, in ihrem gemeinen Feldzuge gegen Kirche und Religion und daß diese Wühlarbeit der genannten Organisation die Aufmerksamkeit der Behörden verdient. Die Aufklärung über die letzten politischen Ziele dieser religiös getarnten Gesellschaft muß fortgesetzt werden und wir möchten bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, auf die äußerst wertvolle Arbeit des Ministerialrates Dr. Hans Jonak von Freyenwald, Wien "Zeugen Jehovas" aufmerksam zu machen.
St Gallen, den 5. November 1936.
Gesellschaft für Kirche und Papst.
Anmerkung der Redaktion: Wir ersuchen die Presse besonders um Veröffentlichung dieser Erklärung als Antwort auf die sehr intensive Tätigkeit der Bibelforscher besonders in der Zentralschweiz."

Soweit also das GZ-Zitat die SPK betreffend.
Es ist dabei von einem im GZ veröffentlichten „Offenen Brief" die Rede. Der muss in der Tat schon mal etwas näher benannt werden. In der Ausgabe vom 1. November 1936 ist auf Seite 14f. jener Artikel enthalten, welcher die Überschrift trägt:
„Offener Brief an Herrn Dr. Hans Jonak von Freyenwald".
In der Sache wird darin auf das 1936 im faschistischen Deutschland, im Berliner katholischen „Germania-Verlag" erschienene Buch Jonak's Bezug genommen. Darauf wird also verwiesen. Da, wie gesagt, ich den Volltext jener SPK nicht kenne, mutet das offerierte Antwortgeplänkel geradezu anachronistisch an.

Die Frage ob da ein Herr Rothschild der katholischen Kirche eine Spende zukommen ließ oder nicht. Diese Frage, umfänglich vom GZ „gekontert", hat doch für die eigentlich wesentlichen Tagesfragen (Hitlerverbot ect.. und das der Östereichische Katholik Jonak in Hitlerdeutschland eine Kampfschrift publizierte. D a s wären doch die eigentlich interessanten Fragen gewesen).
Also in diesem Kontext haben die SPK-Zitate und ihre GZ-Entgegnung allenfalls Gossen"wert".

Der einzigst anerkennenswerte Satz der GZ-Entgegnung, und dieser Satz ist zustimmbar, besteht in der Feststellung:
„Zu dieser Mitteilung, die mehr als erneuter Hilferuf der Vertreter der römisch-katholischen Hierarchie um staatlichen Schutz, als eine wirkliche Aufklärung zu betrachten ist, ist zu bemerken:
Die Gesellschaft für Kirche und Papst hat sich um Aufklärung zweifellos an die falsche Adresse in Rom gewendet. ..."

Nun, was die eben mit genannte Vokabel „Aufklärung" indes betrifft, ist aber auch festzustellen. Auch die WTG hat dabei wesentliche Defizite. In Vergangenheit und in der Gegenwart!

Zum Weiterlesen empfohlen:

Jonak

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