Schattenbilder vom Luzerner Kongress

Der Luzerner Kongress 1936 der Bibelforscher/Zeugen Jehovas, war bekanntlich jene Veranstaltung, die in die Geschichte - besonders der deutschen Zeugen Jehovas - Geschichtsträchtig in die Annalen eingegangen ist. Hatte man dort doch jene "Resolution" verabschiedet, die da auch "dem Herrn Hitler und dem Papst" zugestellt wurde. In ihr wurde die Tragödien in Deutschland beklagt und die beiden genannten Herren als die eigentlich verantwortlichen dafür, bezeichnet.

Über jene geschichtsträchtige Dimension hinausgehend, wird oftmals übersehen, dass jene Veranstaltung noch in anderer Beziehung denkwürdig war. Bekanntlich gehört die Demokratie schon seit eh und je zu den tragenden Säulen der Schweiz. Aber auch dort gab es Minderheiten, die meinten ohne Demokratie "besser" zu recht kommen zu können. Eine Minderheit in der Minderheit träumte gar davon, die Verhältnisse von Hitlerdeutschland, möglichst auch auf die Schweiz umkopieren zu können.

Da war nun jener Luzerner Kongress. Und schon vorher war jene Minderheit in der Minderheit, durchaus sehr aktiv. Auch und nicht zuletzt im Jahre 1936. Man setzte alle Beeinflussungshebel in Bewegung, um dem ersehnten Ziel näher zu kommen. Da bot es sich an, hinter den Kulissen, auch gegen jenen Luzerner Zeugen Jehovas-Prozess mobil zu machen. Auch darüber liegen einige zeitgenössische Presseberichte vor. Aus ihnen sei der nachfolgende ausgewählt ("Freie Innerschweiz" 8. 9. 1936):

"Verbot der öffentlichen Versammlung der Bibelforscher.

Die Werbebroschüre konfisziert.

Massenhafte Verhaftungen.

(Es) erlässt die luzernische Regierung wieder ein Versammlungsverbot. Weil der konfessionelle Friede gefährdet sei, verbot sie den auf gestern Abend angekündigten öffentlichen Vortrag des nordamerikanischen Richters Rutherford, der als Schlusskundgebung des Kongresses der Bibelforscher gedacht war. Im Laufe des gestrigen Vormittags hatten die Kongressteilnehmer oder luzernischen Bibelforscher mit Autos und Camions die Innerschweiz durchfahren und ihre Broschüre 'Entscheidung. Reichtum oder Ruin? Was wählst Du?' massenhaft verteilt. Diese stark amerikanisch anmutende Werbemethode und der Inhalt der Broschüre sollen große Aufregung verursacht haben. Offenbar erinnerte man sich auf den Dörfern der Differenzen, die die katholische Kirche mit den Bibelforschern hat und es soll dann und da und dort eine Abwehrbewegung gegen diese Agitation eingesetzt haben. Da wurde ein starker Druck auf die Polizei ausgeübt und es wurden etwa 40 Werber und ihre Druckschriften konfisziert. Auf Weisung des Polizeidepartments wurden die Verhafteten dann aber noch gleichen Tages frei gelassen. Im Zuge dieser Sperrmaßnahmen wurde dann auch die Versammlung vom Abend im Kunsthaus verboten.

Die Regierung erklärte, die Kongressleitung hätte gemachte Versprechungen nicht gehalten und eine Antwort über den Inhalt der Broschüre hinausgezögert bis eine andere Abwehrmaßnahme als die Konfiskation nicht mehr möglich war.

Dieses Eine aber möchten wir doch sagen: In Luzern selber war nichts von einer Erregung unter der Bevölkerung bemerkbar und das Empfinden, dass der konfessionelle Frieden gestört sei, scheint uns ordentlich gemacht zu sein.

Wie wir nachträglich erfahren, hat die Kongressleitung den Vortrag des Herrn Rutherford dann doch abhalten lassen, jedoch nicht in der verbotenen öffentlichen Form, sondern als Vortrag in geschlossener Versammlung der Kongressteilnehmer. Vor dem Kunsthaus standen friedlich etwa 1000 Menschen. Zusammenstöße ereigneten sich nicht; der religiöse Friede blieb also im Gleichgewicht. Man bekommt das Gefühl, dass man allzu nach dem Grundsatze handle: Heute die Bibelforscher und morgen andere Vereinigungen, die nicht katholisch oder gegen die katholische Kirche sind. Eine solche Einstellung würde gegen die in der Verfassung verankerte Glaubens- und Gewissensfreiheit verstoßen. Von Seite der Regierung wird uns aber versichert, dass die Situation so war, dass sie eingreifen musste.

Wir gestehen, dass die Warnungen, die wir selber leitenden Personen des Kongresses gegenüber in privaten Gesprächen anbrachten, leider übersehen wurden. Die amerikanischen Agitationsmethoden - so originell sie sind - stoßen ab. Die Werbebroschüre steht auf einem Niveau der Argumentation, dass alle Nichtbibelforscher ablehnen werden. Sie enthält Stellen, die einen bei aller Achtung vor dem Bekennermut und Zeugendrang der 'Bibelforscher' aufregen, wenn nicht empören müssen.

Die Begründung der Regierung (Protokoll-Auszüge):

Anlässlich ihres in Luzern stattfindenden Kongresses hat die Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher für Montag den 7. September 1936 eine öffentliche Versammlung mit einem Referat von Richter Rutherford angekündigt.

Am Montagmorgen fand nun im ganzen Kanton von Haus zu Haus im großen Maßstab die Verteilung von Drucksachen statt, welche die schwersten Invektiven gegen die christlichen Konfessionen enthalten und ohne Zweifel als eine gefährliche Störung des interkonfessionellen Friedens betrachtet werden müssen.

Nachdem der Referent der öffentlichen Montagsversammlung sich zu einer Erklärung über seine Einstellung zum Begehren, dass beleidigende Äußerungen gegenüber den christlichen Konfessionen zu unterbleiben haben, nicht herbeiließ, ist angesichts der am Montagmorgen inszenierten und den von der Kongressleitung abgegebenen widersprechenden Propaganda zu erwarten, dass der angekündigte Vortrag dieser Propaganda entsprechen werde. Damit ist die Gefahr einer schweren Störung des Interkonfessionellen Friedens geschaffen. Im Weiteren besteht die Gefahr, dass man sich in den Kreisen der hiesigen Bevölkerung derartige, dass religiöse Empfinden in gröblichster Weise verletzende Invektiven nicht gefallen lasse und daher Störungen der öffentlichen Ruhe nicht zu vermeiden sein werden."

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1936er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte