Re: Zeitgeschichte vor 70 Jahren


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 25. Januar 2007 06:22:47:

Als Antwort auf: Lina Haag

geschrieben von Drahbeck am 20. Januar 2007 16:23:34:


In nur zwei Tagen (am 27. Januar, dem Tag, an dem das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde), und dieser Tag ist inzwischen in Deutschland zu einem Gedenktag deklariert, in der unter den Opfern auch der Zeugen Jehovas gedacht wird. An diesem Tage werden sicherlich vielerlei Reden der "Geschichtsschreibung von oben" gehalten. Eine gute und beliebte Darstellungschance auch für die WTG. So soll am 27. 1. beispielsweise eine neue Broschüre zu den Zeugen Jehovas in Köln während der NS-Zeit vorgstellt werden.
Siehe dazu: http://www.museenkoeln.de/ns-dok_neu/homepage/forum/f_termine.asp?set=nsdok&d=103&fid=479
Eine Stellungnahme zu selbiger kann selbstredend ohne ihre Kenntnis noch nicht erfolgen.
Indes gibt es auch eine "Geschichtsschreibung von unten", der sich allerdings ein Herr Dr. Detlef Garbe und ähnliche, nicht verpflichtet wissen.
Nun denn, so sei damit begonnen, diese "Geschichtsschreinung von unten" mit einer neuen Serie (in größeren Zeitabständen) (jeweils zum Monatsende) etwas detaillierter zu untermauern.

Im August 1936 nahte für die deutschen Zeugen Jehovas eine besonders dunkle Stunde. Es gelang der Gestapo, den damals ranghöchsten deutschen Zeugen Jehovas, Fritz Winkler, in ihre Klauen zu bekommen. Mit den ihr eigenen Methoden, die sicherlich nicht der Art „feine englische Art" einzuordnen sind, wurde die „Zitrone Winkler" von der Gestapo allerkräftigst ausgepresst. Und siehe da, es floss „einiger (symbolischer) Zitronensaft".

Etliche Namen und Details gehörten in der Folge auch zum gesicherten Wissen der Gestapo. Das Winkler - unter anderem - auch den Namen Konrad Franke mit nannte, war sicherlich solch ein „Highlight" aus Gestaposicht. Unter den Winkler'schen Angaben befand sich unter anderem auch die:

„Ruhnau hat die Treffs mit den einzelnen B(ezirks)D(ienst)L(eitern) nur einmal wahrgenommen. Dann erhielt er durch Harbeck den Auftrag, als Verbindungsmann zwischen mir und Harbeck tätig zu sein. Harbeck schrieb seine Wünsche an Rubau (falsche Schreibweise) in Danzig, da die polnische Post keiner Kontrolle unterliegt. Rubau kam in der Folgezeit dann zu den Treffs mit den BDL in Berlin. Hier erhielt ich von ihm die Informationen, die ich dann noch an die anderen BDL weitergeleitet habe."

In der Substanz besagte diese Aussage, dass der in Freien Stadt Danzig wohnende Wilhelm Ruhnau, faktisch als Kurier zum WTG-Büro Bern agierte.
War nun Winkler der „einzigste", der auch in Sachen Ruhnau befragt wurde. Sicherlich nicht. Dieser Name taucht auch noch in anderen Gestapo-Vernehmungsprotokollen mit auf. So unter anderem im Protokoll des Georg Bär vom 9. 9. 1936.

Auch dort liest man:
"Bär, der nach Vorhalt bereit ist, ein volles Geständnis abzulegen, erklärte weiterhin. ... Von Rubau (falsche Schreibweise, richtig:Ruhnau) ist mir bekannt, dass er zwischen Bruder Harbeck, Bern und Winkler die Verbindung aufrecht erhielt."

Auch der schon genannte Konrad Franke wurde gleichfalls von der Gestapo bezüglich Ruhnau mit befragt. Franke gab laut Protokoll ebenfalls am 9. 9. 1936 bekannt:

"Rubau (Ruhnau) habe ich bei einer Zusammenkunft der BDL in Berlin kennengelernt. Er ist etwa 1,65 m. groß, hagere Gestalt, schmales Gesicht, bartlos und trägt meines Wissens nach eine Brille. Er ist nach meiner Schätzung 35 Jahre alt."

Spätestens an diesem Punkt wird es problematisch. Problematisch auch deshalb, weil Ruhnau allen derzeitigen Erkenntnissen zufolge, dann auch noch in einem Nazi-KZ umgekommen ist. Fassen wir nochmal zusammen. In allen drei genannten Protokollen wurde der Name des Ruhnau mit genannt. Die Gestapo war also informiert, „was das für einer ist."

Protokoll Georg Bär. Dieses muss insbesondere auch noch dahingehend ergänzt werden, dass Bär später dann, im ersten großen Zeugen Jehovas-Schauprozess der DDR mit zu den spektakulär Verurteilten gehörte. Hat sich das DDR-Blatt „Christliche Verantwortung" je qualifiziert auch zum Fall Georg Bär geäußert? Diese Frage kann eindeutig verneint werden. Stattdessen wurde aber schon relativ früh, in der 3 CV-Ausgabe sehr wohl der Fall Franke aufgegriffen. Im Kontext zu ihm auch der Fall Ruhnau. Jedoch ist diesen CV-Ausführungen die „Seriosität" abzusprechen. Und weshalb das so ist, hatte ich schon mal wie folgt formuliert:

„Da fängt man in der Tat schon mal an zu 'schlucken'. 'Aufs Schafott brachte'. Kann man das wirklich in dieser Rigorosität so stehen lassen? Ich meine nein! Das bezieht sich offenkundig auf den WTG-Kurier Willy Ruhnau aus Danzig, der als frühes Todesopfer der Nazis bezeichnet werden muss. Nun, wie war denn die Ausgangsbasis? Auch in den Gestapo-Vernehmungsprotokoll des Franke finden sich Angaben zu Ruhnau. Ob das dort ausgesagte indes so 'hieb- und stichfest' ist, um daraus ein 'aufs Schaffot bringen' konstruieren zu können, geht schon in den Bereich der Abenteuerlichkeit.

Gesetzt den theoretischen Fall. Die Gestapo hätte nie Franke in ihre Mangel bekommen. Auch dann wäre sie bei ihren Ermittlungen früher oder später auf Ruhnau gestoßen. Auch dann wäre Ruhnau, aufgrund seiner exponierten Stellung in der WTG-Organisation, womöglich auch ein Todesopfer der Nazis geworden. Den Tragikausgang Ruhnau allein Franke anzulasten, geht zu weit. Entschieden zu weit!"

Kehren wir zur Zeitgeschichte zurück. Der Bürger der „Freien Stadt Danzig", die ganz offensichtlich schon bedeutend nazistisch verseucht war, wurde am 25. September 1936, auf offener Straße ergriffen und ist danach niemehr irgendwo aufgetaucht. Ganz offensichtlich lag hier ein „abgekartetes Spiel" vor. Zwar wurde Ruhnau von der Danziger Polizei ergriffen. Die jedoch agierte im Auftrag der deutschen Gestapo, und alles spricht dafür, dass sie selbiger auch ihr Opfer übergab.

Deutsche Zeugen Jehovas, die verhaftet wurden, bekamen ja in der Regel (zumindest anfänglich), noch ein sogenanntes Gerichtsverfahren verpasst. Danzig gehörte aber zum fraglichen Zeitpunkt - de jure - noch nicht zu Deutschland. Ergo ist daraus zu schlußfolgern, dass hier ein „klassisches Geheimdienst-Kidnapping" veranstaltet wurde. Jedoch das Opfer nie ein reguläres Gerichtsverfahren zu Gesicht bekam. Jedenfalls ist bis heute keinerlei Akte aus der Nazijustiz oder Gestapo bekannt, die etwas anderes belegen würde. Ruhnau blieb auf Dauer „verschwunden"

Das Ruhnau in der zeitgenössischen WTG-Gemengelage eine Schlüsselposition einnahm, ist offensichtlich. Und so lies denn auch die WTG diesen Fall keineswegs auf sich „ruhen", sondern sprach ihn im Zürcher-Buch „Kreuzzug gegen das Christentum" und davor schon im „Goldenen Zeitalter" vom 1. Januar 1937 an.
Diese GZ-Ausführungen wurden zudem noch zusätzlich als Separatdruck verbreitet.


Titelbild der GZ-Ausgabe vom 1. 1. 1937

Wie war nun die Situation für die Zeugen Jehovas zur fraglichen Zeit in Danzig? Nun alles andere als „rosig". Dafür steht auch folgende Angabe in genannter GZ-Ausgabe:

„Am 28. und 29. März (1935) erschienen 6 Beamte der Kriminalpolizei in unserem Lokal, Jakobsneugasse 7, und beschlagnahmten Flugblätter, Broschüren und Bücher, G.Z. und W.T-, sämtliches Aktenmaterial mit Korrespondenzen, Informationen, Statistiken und Berichte, Gerichtsakten und Dokumente, ausgearbeitete Serienfragen für Sprechplattenvorträge und Abhandlungen, Sprechplatten und Musikplatten, vier Kästen mit Lichtbildern unseres Photodramas, Photos und Verschiedenes von der Jugend Jehovas, sämtliche Karteien und Gebietskarten mit den dazugehörenden Schiebkästen. Überhaupt sämtliche Büroakten wurden sichergestellt, mit der unverkennbaren Absicht, unsere weitere Betätigung unmöglich zu machen."

Laut Zürcher „Kreuzzug" wurde zwar „Dank der energischen Intervention des amerikanischen Konsuls, Mr. Gallman, ein Teil des beschlagnahmten Eigentums der Watch Tower Bible and Tract Society zurückerstattet, aber jegliche Ausübung der Glaubenstätigkeit blieb weiterhin untersagt."

Und wesentlich auch, der Danziger WTG-Leiter Ewald Niehuß (laut Pass Reichsdeutscher) wurde außer Landes gewiesen. Und alle Versuche diesen Entscheid rückgängig machen zu können, blieben fruchtlos. Was aus Niehuß dann wurde, muss einstweilen unbeantwortet bleiben. Weder in den WTG-Veröffentlichungen, noch andernorts, habe ich bisher eine erläuternde Angabe dazu gefunden.

Jedenfalls lag nach diesem Entscheid die Last der Verantwortung, vermehrt auf Ruhnau.
Charakteristisch auch der Klagesatz:

„Viele GZ.-Leser wurden in N. und andern Orten unseres Freistaates öffentlich boykotiert; manche konnten den dauernden Schikanen nicht standhalten und bestellten darum das 'Goldene Zeitalter'" ab.

Vor seiner Ausweisung noch hatten das „Gespann" Niehuß - Ruhnau noch allerlei spektakuläre Schritte unternommen. Unter anderem auch eine notariell beglaubigte Erklärung abgegeben, die zu einigen für die Zeugen bedrohlichen Presseberichten Stellung nahm. In diesem notariellen Dokument hießt es unter anderem:

„In der Danziger Presse sind Ende Mai 1935 amtliche oder halbamtliche Verlautbarungen erschienen, wonach diese Vereinigung in Beziehungen zu kommunistischen geheimen Organisationen im Gebiet der Freien Stadt Danzig oder anderen kommunistischen Organisationen stände. Es ist u. a. auch behauptet worden, daß ein in Danzig festgenommener Bildhauer Rudolf Wegner, Danzig, Fuchswall 6 wohnhaft, Mitglied dieser Bibelforschervereinigung sei oder gewesen sei.

Wir erklären hiermit und sind bereit, dies jederzeit vor Gericht mit unserem Eide zu bekräftigen, daß die Danziger Bibelforschervereinigung aber, wie uns auch bekannt ist, auch die übrigen Bibelforscher-Vereinigungen der ganzen Welt, in keinerlei Beziehungen zu kommunistischen Organisationen, sondern sogar im Gegenteil im Gegensatz zum Kommunismus oder Bolschewismus oder ähnlichen politischen Bewegungen stehen. Insbesondere ist es unrichtig, daß etwa unsere Bibelforschervereinigung ein Deckname für eine Vereinigung von Kommunisten oder Bolschewisten oder ähnliche politische Organisationen ist, und weiterhin ist es auch unrichtig, daß Herr Rudolf Wegner aus Danzig, Fuchswall 6, jemals unserer Vereinigung angehört hat oder noch angehört.

Wir erklären, daß wir uns auf Grund unserer religiösen Aufassung im schärfsten Gegensatz zum Kommunismus oder ähnlichen politischen Bewegungen oder Überzeugungen befinden."

Der genannte Fall Wegner reduzierte sich denn auch auf dem Umstand, dass Familienangehörige letzteren, zu den Zeugen Jehovas gehörten. Solche Differenzierungen indes zu erwähnen, hielt die schon fast „gleicheschaltete" Danziger Presse schon nicht mehr für nötig.

Man vergleiche zu diesem Fall auch:
Die Frauen waren Zeugen Jehovas

Nachdem sich die Situation mit der Entführung Ruhnau's weiter zugespitzt hatte, setze die WTG zwar „Himmel und Hölle" in Bewegung. Unter anderem auch in Form einer Eingabe an den von ihr ansonsten doch wohl nicht sonderlich geschätzten Völkerbund. Indes alles dies blieb ergebnislos.

Die Frau des Ruhnau (Maria Ruhnau) wurde dann 1941 ins KZ verbracht (offenbar auch ohne Gerichtsverfahren). Ihr sollte dann noch das fragwürdige Privileg zuteil werden, wovon schon Eugen Kogon in seinem KZ-Buch „Der SS-Staat" berichtete, als Dienerin der Prinzessin Mafalda , die gleichfalls inhaftiert war, Verwendung zu finden.

Zu letzterer kann man vergleichen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mafalda_von_Savoyen

Immerhin darf man solch einen Job, im Vergleich zu den Jobs, die anderen KZ-Insassen zugedacht waren, doch zumindest dem Bereich der relativen Überlebensversicherung zuordnen. Und so vernimmt man denn auch die Kunde, sie habe nach 1945 nochmals geheiratet. Diesmal einen ebenfalls den Zeugen Jehovas zugehörigen, Autobus-Unternehmer.

Damit mag diese Referierung einiger wesentlicher Aussagen des „Goldenen Zeitalters" vom 1. 1. 1937 beendet werden, mit dem Hinweis, dass in - lockerer nicht termingebundener Art - noch einige weitere Ausgaben aus diesem sicherlich zeitgeschichtlich interessanten Zeitschriftenjahrgang, demnächst mit vorgestellt werden sollen.


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