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Geschrieben von Drahbeck am 20. Januar 2007 16:23:34: Wenn denn einer (in diesem Falle Eine) ihren 100. Geburtstag feiern kann, und die Tagespresse in drei verschiedenen Artikeln selbigen würdigt, dann mag man um etwas Nachsicht bitten, dass nicht schon auf den Tag genau (am 18. 1.) darauf auch hier eingegangen wurde. Die Rede ist von Frau Lina Haag, in München lebend, welche die fragliche Jubilärin ist. Eigentlich ist sie von Haus aus" Kommunistin, zumindest in der besonders zu
betrachtenden Zeit, und wohl auch darüber hinaus, über die sie in ihrem Buch Eine
Handvoll Staub" einmal Rechenschaft ablegte. Es mag jetzt darauf verzichtet werden, ihr Buch im Detail zu kommentieren. Wer sich für selbiges interessiert, mag es ohnehin selbst einmal lesen. Es sei also an dieser Stelle lediglich das zitiert, was darin bezüglich der Zeugen Jehovas ausgeführt wurde So berichtet sie, wie es ihr erging, als sie auch ins KZ Lichtenburg verbracht wurde. Dabei schildert sie auch die nachfolgende Episode: Am letzten Tag unseres Transports bin ich mit der jungen Bibelforscherin Marianne Korn allein in der Zelle des Eisenbahnwagens. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt, diesmal im wahren Sinne des Wortes über Gott und die Welt. Das sanfte Persönchen verficht seinen Glauben mit dem glühenden Fanatismus eines ausgewachsenen Eiferers. »Wovon bestreiten denn«, sagte sie, »eure Diener Christi ihr behagliches Spießer- und Genießertum? Doch nur von der bigotten Dummheit gläubiger Provinzler.« »Und vom Elend der Armen«, füge ich hinzu und muß dabei an den Pfarrer der Strafanstalt denken. »Aber«, sage ich, »alle Diener Christi leben von der Not und der Angst, von der Ratlosigkeit und der Dummheit der Menschen, ob sie nun bequeme Beamte sind oder Eiferer, Kirchendiener oder Bibelforscher, ob sie die Regimentsfahnen, die Maschinengewehre und die Flammenwerfer segnen oder ob sie den Krieg verfluchen.« »Wir sind weder Kirchendiener noch Eiferer«, erwidert sie, »wir leben ganz einfach
streng nach der Bibel.« Ich weiß, Marianne hört das nicht gern. Aber in mir ist eine empfindliche Saite angeschlagen. Ich kann nicht anders, ich muß mir einmal die ganze angestaute Bitterkeit vom Herzen reden. Ob sie, frage ich, einen Menschen kenne, der nach Christi Wort lebe? Nein. Also. »Ihr verweigert den Kriegsdienst«, sage ich, »gut. Aber ist damit das Elend aus der Welt geschafft? Nein. Wofür geht ihr in den KZs zugrunde, für die Menschheit oder für Jehova? Für Jehova natürlich. Nicht für die hungernden Kinder, sondern für die Bibel. Ihr seid genauso wie die ollen Märtyrer...« »Du opferst dich ja auch«, sagt sie. »Gewiß«, sage ich, »aber nicht für den lieben Gott und nicht für Jehova, sondern für die Menschen. Wir wollen sie davon überzeugen, daß es für alle reicht, nicht nur für die Oberschicht. Wir kämpfen für diese Überzeugung und gehen notfalls für sie kaputt. Nicht für den lieben Gott. Der kann sich selber helfen. Der könnte sogar uns helfen, wenn er wollte. Aber er will nicht. Er will uns nur läutern. Er scheint etwas umständlich zu sein, der liebe Gott.« »Du sollst nicht lästern«, erwidert Marianne ernst und mit entrücktem Blick,
»Jehova ist unser Heil.« »Heil, wenn ich das schon höre«, sage ich. »Was heißt hier siegen«, sage ich, »er wird gemütlich auf das nächste Gemetzel warten, das die Nazis todsicher anzetteln werden, und es wird wieder einmal ein heiliger Krieg sein, ein Krieg für die größere Ehre des Vaterlandes, und die größere Ehre des Vaterlandes wird wieder einmal die Mittel heiligen, und die Mittel werden wieder wie allemal die kleinen Leute sein, die Arbeiter, das Volk. Warum will das Jehova, dein Gott?« »Glaubst du an einen Krieg?« fragt sie beklommen. »Glauben?« sage ich, »ich sehe ihn, ich höre ihn, ich spüre ihn in allen Knochen. Nicht erst jetzt, schon lange. Deshalb habe ich gekämpft, und deshalb gehe ich jetzt ins KZ. Vorläufig toben sie sich noch im Innern aus, in den Gestapokellern und Konzentrationslagern und gegen die eigenen Volksgenossen, aber wenn ihr Größenwahn, ihr entfesselter Haß, ihr Blutrausch einmal ausbricht - das wird an dem "Tag sein, an welchem sie mit der Rüstung soweit sind -, wird kein Auge trocken bleiben. Nur die biederen Bürger draußen sehen das nicht, sie sehen nicht einmal die Entsetzlichkeiten, die sich unter ihren Augen abspielen, sie sehen nur sich. Aber eines Tages werden ihnen die Augen aufgehen, Marianne, wenn sich das alles rächt, und es wird sich rächen, verlaß dich drauf, es wird sich furchtbar rächen, mit oder ohne Jehova, das ist ganz wurscht in diesem Augenblick!« Mein Zorn ist verständlich. Auch Marianne ist mir nicht böse. Sie sagt nur: »Schade, du bist nicht im Glauben.« »Nein«, sage ich, »ich bin nicht im Glauben, ich will auch gar nicht im Glauben sein. Mir ist es wichtiger. mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen und für ein erträgliches Leben zu kämpfen. Wenn das jeder täte, sähe die Welt anders aus.« »Du denkst immer nur an diese Welt«, sagt Marianne. »Ich habe allen Grund dazu«, erwidere ich, »und auch du hättest allen Grund, dich um näherliegende Dinge zu kümmern. Die Geistesakrobatik hilft uns nicht weiter. Wir müssen jetzt wissen, was wir wollen - leben oder sterben. Es stirbt sich sehr rasch im Lager, wenn man das übersieht!« Marianne hat inzwischen ihren Mantelsaum aufgerissen und ein kleines verbotenes Traktätchen herausgezogen. »Da, lies!« sagt sie und gibt mir die Schrift, »dann wirst du anders denken.« Mir wird ganz flau beim Durchblättern. »Marianne«, sage ich ernst, »da kann drinnen stehen, was will, meinetwegen die
Wahrheit, aber wirf das Ding weg, ich bitte dich! Es ist nicht wert, daß du schon gleich
beim Einzug in die Dunkelzelle fliegst.« Die SS erwartet uns in Torgau mit Kommandogebrüll und scharfgeladenen Revolvern ..." Bezüglich einer auch von anderen Autoren geschilderten Szene in der Lichtenburg berichtet sie: ...Doris darf sich eine Zeitung halten. Wir reißen sie uns förmlich aus der
Hand. Wir lesen nicht, was drinnen steht. sondern was nicht drinnen steht. Der Jubel in
Österreich über den Anschluß ist noch nicht verklungen, schon will auch das Sudetenland
heim ins Reich. Es ist schon dunkel, als wir, von einer unerklärlichen Unruhe befallen, in den Hof
stürzen. Die Hunde der grauen Wölfinnen umkreisen uns. Wir warten und zittern vor Kälte
und dem drohenden Etwas. Die Stille hernach ist doppelt beängstigend. Schreie ersticken es. Die Angst bricht durch. Damit fallen die letzten Hemmungen. Die zusammengetriebene Menge bäumt sich wie ein grauenhafte? Ungeheuer in verzweifelter Ohnmacht auf und schreit ihren ganzen angestauten Haß hinaus. Jetzt geht es los. Wehende graue Capes fahren wütend dazwischen, hetzen die rasenden Hunde auf und schlagen mit Peitschen und Gummiknüppeln wahllos auf die Menschen ein. Ich sehe Frauen, die wie Wahnsinnige nach den jaulenden und zuschnappenden Hunden treten. Das ist offene Meuterei. Die Bibelforscherinnen sind niedergekniet und beten. Ihr erregender Chor geht in Lärm und Geschrei unter. Plötzlich sind SS-Männer unter uns, bahnen sich mit brutalen Hieben Gassen durch die Menschenhaufen, rollen Feuerwehrschläuche aus und schwemmen die Verzweifelten mit armdicken Wasserstrahlen kurzerhand zusammen. Wie gefällte Bäume werden sie von den großen Steintreppen heruntergespült, stürzen, erheben sich wieder, taumeln schreiend hin und her und krallen sich in ihrer Todesangst aneinander fest. Die grauen Wölfinnen schlagen wie vom Teufel besessen auf sie, die Hunde haben Blut geleckt, springen immer wieder an und lassen sich nicht mehr abschütteln. Es ist entsetzlich. Trudi Geßmann ist bei mir, wir halten uns aneinander
fest und kämpfen verzweifelt dagegen, auseinandergerissen oder zu Boden gestoßen und
niedergetrampelt zu werden. Ich werde diese Nacht nie vergessen. |