Re: Nochmals: Die Blutfrage


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 24. Oktober 2006 13:07:42:

Als Antwort auf: Speise zur rechten Zeit – 4 x Bibeltexte – 4 x Blut – 4 x Ja! geschrieben von + am 23. Oktober 2006 21:59:23:

Wobei man aber vielleicht doch noch hinzufügen sollte. Zumindest im deutschsprachigem Raum, gelten die Zeugen Jehovas (unabhängig vom Thema Bluttransfusion) so als die ziemlichst einzigste Religionsgemeinschaft (die genannten Juden sind ja keine "christliche" Glaubensgemeinschaft).
Also die Zeugen dürften so ziemlich die einzigsten sein, welche "von Amts wegen" etwa auch das Essen von Blutwurst usw. ablehnen. Andernorts hat sich dieser Aspekt bis heute, wohl nicht durchgesetzt. Auch nicht bei den Siebenten-Tags-Adventisten, die vielleicht noch am ehesten für ähnliche Thesen "prädestiniert" waren oder sind.

Etwas vom Thema abschweifend. "Heilpraktiker"; in der Regel nicht von den offiziellen Gesundheitskassen bezahlt. Ihre Frequentierung setzt (vielleicht außer einigen Privatkassen) voraus, dass derjenige, der ihre Dienste in Anspruch nimmt, dies in der Regel aus eigener Tasche zu bezahlen hat.

Erwiesen ist aber auch. Das Heilpraktikertum feierte und feiert besonders auch (nicht nur aber eben auch) bei den Zeugen Jehovas als einer relevanten Klientel, besondere Triumphe.
Das lässt sich unter anderem besonders auch an diversen Artikeln im seinerzeitigen "Goldenen Zeitalter" nachweisen.

Ein solcher Artikel (dieweil auch eine Bezüglichkeit zur Blutfrage habend) sei einmal auszugsweise zitiert ("Goldene Zeitalter", Ausgabe Bern vom 15. Oktober 1923. Höchstwahrscheinlich lässt der sich (zeitversetzt) auch in der Ausgabe Barmen oder Magdeburg nachweisen. Der Aufwand, dass jetzt zu verifizieren, ist mir allerdings die Sache nicht wert).
Im genannten GZ verbreitete über mehrere Ausgaben gesplittet ein "Dr. Abrams" so seine "Weisheiten". Besagter Herr wusste laut GZ unter anderem mitzuteilen:

"Er ging in seiner Behauptung sogar noch viel weiter und erklärte, daß seine neuen Apparate ihm gestatten, den Schleier noch mehr zu lüften und daß er damit aus dem untersuchten Blutstropfen auch genau feststellen kann, ob es sich bei der erkannten Krankheit um Vererbung oder um andere Ursachen handelt.
Selbst Geschlecht und Völkerschlag verraten diese Blutproben. Ungläubigen, die bezweifeln, daß das Blut derartige Enthüllungen gestatte, erwidert Dr. Abrams ungefähr folgendes:

Ein Mineraloge braucht, um die Natur des Produktes festzustellen, nicht erst ein ganzes Bergwerk zu untersuchen. Eine kleine Probe des betreffenden Gesteins genügt ihm. Ebenso genügt ein Blutstropfen, um das Ganze zu beurteilen, denn dieser Blutstropfen mit seinen Billionen Elektronen stellt nur eine Verdichtung der unzähligen Vibrationen des Gesamtorganismus dar."

Wenn ein Tropfen Blut daher solche Dinge zu offenbaren vermag, so verstehen wir auch die erhabene Philosophie und ungeahnte tiefe Bedeutung des Wortes, das sich im dritten Buch Moses aufgezeichnet findet: "Das Leben ist im Blut".
Bei dieser Methode ist die Gegenwart des Patienten zur Feststellung der Krankheit also überflüssig. Er kann Tausende von Meilen von seinem Diagnostiker (Krankheitsbestimmer) entfernt sein; alles was er dabei zu tun hat, ist die Sendung einer Blutprobe in die Klinik. ..."

Dieser "Dr. Abrams" vom GZ groß herausgestellt, ist eine frühe Wurzel jenes Aberglaubens, wie er sich bei den Zeugen in der Blutfrage noch besonders entwickeln sollte.
Hingewiesen sei aber auch auf den GZ-Artikel "Blut rettet erlöschendes Leben".

19302Blut

Eine weitere Gruppe, welche neben den Siebenten-Tags-Adventisten noch am ehesten prädestiniert wäre, es den Zeugen in der Frage des ablehnens des Essens von Blutwurst und ähnliches gleichzutun, wären wohl die sogenannten "Landeskirchlichen Gemeinschaften". Aus deren Klientel setzten sich ja in deutschen Bibelforscher der Frühzeit im besonderen zusammen.
(Man vergleiche etwa die Jahrgangs-Dateien auf der Gebhard-Webseite dazu. Etwa besonders die Jahre vor 1914).

Eine Zeitschrift dieser "Landeskirchlichen Gemeinschaften" hat den Titel "Licht und Leben".
In deren Ausgabe vom 15. Januar 1928 kam in der Rubrik "Briefkasten" das Blutthema auch einmal zur Sprache.
Die dortigen Ausführungen seien einmal nachstehend dokumentiert:

"J. G. R. in B. (Bayern). Sie haben ein zartes Gewissen und darum schreiben Sie uns einen sehr ausführlichen Brief über die Frage, ob die Christen, das heißt in die, die an Jesum Christum gläubigen und die Gemeinde in ihren Worten und Forderung für ihr Gewissen anerkennenden Christen Tierblut genießen dürfen zum Beispiel durch Wurstwaren, denen Blut beigemischt ist, oder durch Blutwurst. Sie haben, soviel wir sehen, zwei Gründe dagegen, einen rein gesundheitlichen und einen rein religiösen. Sie sagen, manche Tiere haben unreines Blut, wenn man dann solche Blut oder Fleisch genieße, werde man vergiftet oder bekomme wenigsten selbst unreines Blut.

Darauf wäre zu sagen, dass das nach allgemeiner Erfahrung recht selten vorkommt.
Und wenn ein Tier unreines Blut hat, dann ist sicherlich auch das übrige Fleisch dieses Tieres gesundheitsschädlich, und man muss sich überhaupt vor dem Genuss solches Fleisches in acht nehmen. In dieser Hinsicht mag es jeder halten, wie er will.

Nun aber die weit wichtiger und ernstere religiöse Frage. Wir kennen Menschen und haben mit ihnen zum Teil sogar jahrelang zusammengelebt, die sich allen Blutgenusses enthalten haben. Das braucht einen garnicht zu stören. In dieser Hinsicht muss jeder seine Freiheit haben. Etwas ganz anderes ist es, ob man das Verbot des Blutgenusses als allgemein verbindlich erklärt und es für Sünde hält, das heißt für ein übertreten des klaren göttlichen Gebotes, wenn man Blut genießt.

In dieser Hinsicht machen sie aufmerksam auf Apostelgeschichte 15. In diesen wichtigen Kapitel, das genau im Mittelpunkt der hoch wichtigen Apostelgeschichte steht und sozusagen die Schlüsselstellung ist, für die weitere Ausbreitung des Glaubens an Christum, ist die Frage des Zusammenlebens von Juden und Heiden geregelt. Man untersuchte die Frage: Was ist nötig, dass wirklich eine Tischgemeinschaft möglich ist zwischen Juden und Heiden? Und da kam man auf die bekannten vier Punkte. Der Bericht des Lukas über das sogenannte Apostelkonzil in Jerusalem ist ja sehr kurz, und darum wissen wir nicht, welche einzelnen Punkte alle an die Reihe kamen, um erst als Forderung von jüdischer Seite aufgestellt, dann aber abgelehnt zu werden. Wahrscheinlich ist zum Beispiel das Sabbatgebot auch aufs Tapet gekommen, ist aber abgelehnt worden.

Ganz sicher ist, dass von jüdischer Seite die Beschneidung verlangt wurde. Aber gerade deswegen hatte ja Paulus, der Apostel zu den Heiden, den Heidenchristen Titus mit nach Jerusalem genommen, und legte den allergrößten Wert darauf, dass dieser sein Begleiter aus Antiochien auch wären unbeschnitten wieder von Jerusalem nach hause käme.
Das also wurde auch eingeräumt, und das war sehr viel von den Juden. Es war sehr viel mehr als die Frage, ob Blut genossen werden dürfe oder nicht.
Warum wurde nun eine, wie uns dünkt, so nebensächliche Sache zur gemein verbindlichen Lebensregel erklärt?

Aus keinem anderen Grunde als deswegen, weil ohne dieses Ausmachungen keine Tischgemeinschaft möglich gewesen wäre. Die Juden hat nun einmal einen von Jahrhunderten anerzogenen Abscheu gegen das Blutessen, und deswegen musste diese Ausmachung stattfinden. Dasselbe gilt vom Erstickten.
Es ist eine gewiss notwendige brüderliche Ausmachung gewesen, aber keine für alle Zeiten verbindendes göttliches Gebot. Denn wäre es so, dann hätte ja der HErr Jesus selbst das Gebot geben müssen, denn er sah doch voraus, dass wenn Er erhöht werde von der Erde, alle auch die Heiden in der Ferne, das Evangelium hören sollten.

Es gibt in jeden einzelnen Menschenleben Stufen der Entwicklung, eine spätere Stufe voraus zu nehmen, wenn man noch auf der früheren Stufe steht, ist unrecht. Jeder kann über diese Sache selbst nachdenken.

Einige Beispiele. Kinder von fünf Jahren Taschengeld zur vollständigen freien Verfügung in die Hand zu geben ist unrichtig. Richtig ist die Kinder nach und nach zum freien Gebrauch des Geldes zu erziehen. Dass Kinder während der Schulzeit als mögliche lesen, was nur für die Erwachsenen bestimmt ist, dass ist unrichtig, und Eltern die auf das Seele ihres Kindes achten, erden schon dafür sorgen, dass die Kinder nicht an solchen Lesestoff kommen, gegebenenfalls musste da auch ein Gebot nachhelfen.

In einem Krankenhaus gelten andere Verhaltensmaßregeln als in einer Familie, hier kommt man ohne bestimmte Gebote nicht aus, die anderwärts gar nicht nötig sind.

Wenn ein Jude eingeladen würde zumal ein rechtgläubiger Jude und an einen meinen Tische säße, dann würde ich sicherlich nicht nur ihm, sondern auch meinen anderen Familiengliedern nichts vorsetzen lassen, woran er sich ärgerte. Genauso war es auch damals.

Nun aber müssen wir ihnen sagen: Sie sind ja gar nicht folgerichtig, denn von Blutwurst steht in Apostelgeschichte 15 nichts sondern vom Blut. Nun ist aber das Blut auch in den Blutgefäßen eines nicht geschächteten Schlachttiers, also darf das Fleisch aus dem das Blut nicht ganz entfernt ist, ebenso wenig genossen werden wie das Blut selbst. Sie müssten also, wenn sie bei ihren Gewissensbedenken bleiben, sich alles Fleischgenusses enthalten.

Wir haben in der Kriegszeit, wo wir kein Fleisch hatten und in der Inflationszeit, wo wir kein Geld hatten, gelernt, uns ohne Fleischgenuss zu begnügen. Wollen Sie das aber nicht, dann müssen sie in den Laden eines jüdischen Metzgers gehen und koscheres, das heißt geschächtetes Fleisch kaufen. Wenn Sie meinen der Satz: Es gefällt dem heiligen Geist und uns, drücke eine für alle Zeiten bleibende Verbindlichkeit aus, so irren Sie. Paulus sagt: Ich achte, ich habe auch den Geist Gottes und sagt von allen diesen Dingen des Essens oder Nichtessens. Ich kann beides.

Aber wozu brauchen wir das Zeugnis eines Apostel wenn der HErr selbst sagt: Was zum Munde eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht?

Bezüglich einer weiteren Diskussion zum Thema Blutwurst die 1951 im "Deutschen Pfarrerblatt" stattfand
siehe:

Parsimony.14187

wo der diesbezügliche Text schon mal zitiert wurde

Noch eine (relativ) wichtige Quelle sei genannt. Das wäre die sogenannte "Pfingstbewegung".
"Die" Pfingstbewegung gibt es ja nicht. Das ist eine ziemlich plurale Strömung. Namentlich konnte sich ein Zentralismus etwa im Sinne der katholischen Kirche und der Zeugen Jehovas (als besonders herausragende Strömungen religiösen Zentralismus), dort bis heute nicht durchsetzen. Gleichwohl ergibt der Blick in die Details nicht selten die Erkenntnis:
Die Zeugen sind ja als "die Endzeitfantiker" verschrieen. Die das so formulieren, haben sich offenbar noch nicht mit der "Pfingstbewegung" auseinandergesetzt. Würden sie das nämlich tun, könnte ihnen sehr leicht das Urteil "über die Lippen flutschen". Dagegen sind ja die Zeugen fast "Waisenkinder" dagegen.

In diesem Kontext verwundert es auch nicht, dass außerhalb der Zeugen, besonders in der Pfingstbewegung, die Blutfrage in ähnlicher Diktion behandelt wird. Walter J. Hollenweger berichtet in seinem Buch "Enthusiastisches Christentum. Die Pfingstbewegung in Geschichte und Gegenwart" auch darüber. Nachstehend nochmals der diesbezügliche Passus:

http://www.manfred-gebhard.de/Holl.jpg

ZurIndexseite