Re: "Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!"

 

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 22. Januar 2006 04:17:44:

Als Antwort auf: "Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!" geschrieben von C.M., Deutschland am 21. Januar 2006 21:44:44:

Diese Aussage ist nur in der Form einer indirekten - wenngleich notariell bestätigten - Aussage überliefert. Meines Wissens wurde sie von der WTG erstmals im "Wachtturm" vom 1. 10. 1955 (in ihrer Fortsetzungsserie über die "Neuzeitliche Geschichte der Zeugen Jehovas") und danach noch diverse male (unter anderem im 1974er Jahrbuchbericht) zitiert.
Im Rahmen der Serie "Vor fünfzig Jahren" hatte ich das beim genannten WT auch schon mit erwähnt (Siehe dazu auch Forumsarchiv A135 und

Parsimony.14721

Die Variante des WT vom 1. 10. 1955 ist da noch die umfangreichste, insofern, als sie auch die formalen Adressdaten mit nennt (letztere wurden bei den späteren Zitierungen dann nicht mehr mitgenannt).
Laut genannten "Wachtturm" soll sich das wie folgt abgespielt haben:

Nachstehend folgt der unverkürzte Text eines beeidigten Berichts, der am 12. November 1947 von Karl R. A. Wittig unterzeichnet wurde. Dieser arbeitete im Jahre 1934 für die damalige deutsche Regierung und war gerade anwesend, als Hitler von Dr. Frick von den Protesttelegrammen der Zeugen Jehovas unterrichtet wurde. Der Text des beeidigten
Berichts lautet wie folgt:

"ERKLÄRUNG - Am 7. Oktober 1934 suchte ich in meiner Eigenschaft als damaliger Bevollmächtigter General Ludendorffs nach vorausgegangener Aufforderung den damaligen Reichs- und Preußischen Minister des Innern, Dr. Wilhelm Frick, im seinerzeitigen Reichsministerium des Innern in Berlin, Am Königsplatz 6, auf, um von letzterem Mitteilungen entgegenzunehmen, die den Versuch enthielten, General Ludendorff zur Aufgabe eines ablehnenden Standpunktes dem nationalsozialistischen Regime gegenüber zu bewegen.

Während meiner Unterredung mit Dr. Frick erschien plötzlich Hitler und beteiligte sich an den Verhandlungen. Als unser Gespräch zwangsläufig auch das bisherige Vorgehen des nationalsozialistischen Regimes gegen die Internationale Bibelforscher-Vereinigung [Jehovas Zeugen] in Deutschland streifte, legte Dr. Frick Hitler eine Reihe aus dem Auslande eingelaufener Protestttelegramme gegen die Verfolgung der Bibelforscher im 'Dritten Reich' mit folgendem Bemerken vor: 'wenn sich die Bibelforscher nicht gleichschalten, dann werden wir sie mit den schärfsten Mitteln anfassen', worauf Hitler aufsprang, seine Hände zusammenballte, sie erhob und hysterisch schrie: 'Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!'

Vier Jahre nach dieser Unterredung habe ich mich während meiner sieben Jahre dauernden zweiten Schutzhaft, die bis zu meiner Befreiung durch die Alliierten anhielt, in der Hölle der nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen, Flössenburg und Mauthausen aus eigener Anschauung davon überzeugen können, daß es sich bei dem Wutausbruch Hitlers um keine leere Drohung gehandelt hat, denn keine Häftlingskategorie ist in den genannten Konzentrationslagern dem Sadismus der SS-Soldateska in einer solchen Weise ausgesetzt gewesen, wie die Bibelforscher; ein Sadismus, der durch eine derartige nicht abreißende Kette physischer und seelischer Quälereien gekennzeichnet war, die keine Sprache der Welt wiederzugeben imstande ist.

Frankfurt am Main, den 12. November 1947
Wehrheimer Straße 9 [gez.] Karl R. A. Wittig
Urkundenrolle Nummer 778 Jahr 1947
Die auf der Vorderseite befindliche Unterschrift des Schriftstellers
Karl Wittig, wohnhaft zu Frankfurt am Main, Wehrheimer Straße 9, wird
hiermit beglaubigt.
Frankfurt am Main, den 13. November 1947
[gez.] Ludwig, Notar
[Stempel] Otto Ludwig, Notar in Frankfurt am Main."

Der Kontext macht deutlich, dass diese Aussage in den Rahmen der aus dem Ausland massiv nach Deutschland gesandten Protesttelegramm-Aktion eingeordnet werden muss. Hitler war allgemein als hysterisch bekannt; als ein Mann der keinen Widerspruch duldete. Insofern war die Protesttelegramm-Aktion, welche die Verhandlungsbemühungen der Dollinger und Balzereit völlig konterkarierte, ein äußerer Anlass für einen dieser Wutausbrüche.

Wittig seinerseits war sicherlich auch geprägt, durch die wie er ja selbst mit angibt, auch eigenen Konzentrationslager-Erfahrungen. Wittig war ein politisch denkender und handelnder Mensch. Insofern stand er den Zeugen Jehovas sicherlich fern. Aber das "Schauspiel" dass der SS-Sadismus in den KZ beim Faktor "religiöse Gefangene" besonders bei den ZJ ein entsprechendes "Entladungsobjekt" fand, hat eben auch er registriert. Übrigens auch andere politisch denkende und Handelnde in den KZ.

Vergegenwärtigt man sich, dass in der dortigen Hochphase der Auseineinandersetzungen, sogenannte "Extreme" von den Zeugen Jehovas es gar ablehnten, angeordneten Verdunkelungsmaßnahmen Folge zu leisten (schließen der Fensterladen in den KZ-Baracken zur Nachtzeit); oder dass Teile der eben genannten es auch ablehnten bei den dortigen obligatorischen Zählappellen wie gefordert, still zu stehen. Oder es ablehnten etwa bei über Radio auch im KZ übertragenen Hitlerreden geordnet zuzuhören, und es dafür lieber in Kauf nahmen, per Wasserschlauchstrahl aus den Aufenthaltsräumen die Treppen "hinuntergespült" zu werden (die Beispiele ließen sich noch um einiges vermehren); dann kann man schon verstehen, dass solcherlei den tristen KZ-Alltag "auflockerndes" selbst für jene KZ-Mithäftlinge zum Gesprächsthema wurde und sich ihnen dauerhaft eingeprägt hat, die ansonsten von den Intentionen der Zeugen Jehovas "Lichtjahre" entfernt waren.

Es wurde bereits erwähnt, Wittig war Ludendorfferianer. Das war (bzw. ist noch) eine Gruppierung, die für die konventionellen Kirchen, nebst den Freidenkern, eine der bestgehaßtesten ist. Stellvertretend sei nur auf einen programmatischen Buchtitel der Mathilde Ludendorff hingewiesen mit dem Titel "Erlösung von Jesu Christo". Das solche Leute nichts mit den Zeugen am "Hut hatten", versteht sich selbstredend. Gleichwohl gab es auch politische Differenzen zu Hitler. Hitler der einst zusammen mit Ludendorff den missglückten sogenannten Hitlerputsch in München inszeniert hatte. Jener Hitler der sich einst nur in der Rolle des "Trommlers" für den "größeren" Ludendorff sah. Jener Hitler warf dem Ludendorff einmal in devot gewählten Worten vor (sinngemäß zitiert)

Exzellenz können es sich leisten ihren Gegnern (den Kirchen) schon im voraus zu sagen, dass sie sie aufhängen werde. Ich aber (Hitler) benötigte die Kirchen noch zur Machtergreifung. Was dann, danach kommt wäre ein ganz anderes Thema.

Hitler sah also seine eigene Kirchenpolitik durch Ludendorff konterkariert. Er schmiss auch noch andere diesbezügliche Radikalinski vor 1933 (etwa den Arthur Dinter) aus seiner Partei. Andere Radikalinski, die "geschmeidiger" waren, etwa Alfred Rosenberg, überlebten - sehr zum Verdruss der Kirchen - trotz ihrer kirchenpolitischen Radikalinski-Thesen, eben doch in der NSDAP, brachten es über die Stufen Chefredakteur des "Völkischen Beobachters" gar zum (wenn auch weitgehend machtlosen) Minister der Naziregierung.

Nach 1933 hatte Hitler es dann auch nicht mehr nötig sich "nur" als "Trommler" eines "Größeren" zu sehen. Die diesbezüglichen Konditionen waren inzwischen grundlegend revidiert. Gleichwohl lebte der sich nach wie vor als der "Größere" wähnende Ludendorff weiter in seiner Traumwelt. Das damit Konflikte vorprogrammiert waren, von denen eben auch Wittig ein Opfer wurde, liegt auf der Hand.


Siehe auch Mysnip.140777

 

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