Re: Gruess Gott und Heil Hitler

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 05. Dezember 2004 07:56:46:

Als Antwort auf: Re: Gruess Gott und Heil Hitler geschrieben von Drahbeck am 11. September 2003 05:00:53:

Wenn der Prof. Dr. B. nicht gerade in anfechtbarer Weise mit Lobbyarbeit für Scientology oder Zeugen Jehovas beschäftigt ist, mag es ja sein, dass er durchaus auch mal interessante Thesen vorbringt. Ein solcher Fall scheint mir im nachfolgenden Pressebericht vorzuliegen:


Mit Beelzebub gegen den roten Teufel
Wie war das Verhältnis des Vatikans zu Hitler-Deutschland? Ein neues Buch zu einem alten Streit
von Ralf Georg Reuth / Heimo Schwilk
In der langen Geschichte der römisch-katholischen Kirche gibt es wenige Päpste, die so umstritten sind wie Pius XI. und sein Nachfolger Pius der XII. Besonders Letzterer ist durch seine ambivalente Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland zur Zielscheibe teilweise erbitterter Kritik geworden. So wurde der einmal als großer Papst geltende Eugenio Pacelli fünf Jahre nach seinem Tod Ende der 60er Jahre von dem jungen Bühnenautor Rolf Hochhuth in dessen Drama "Der Stellvertreter" bezichtigt, mit Hitler-Deutschland kollaboriert und zum Holocaust geschwiegen zu haben. Angelsächsische Historiker fügten der Kritik an Pius XII. eine weitere Variante hinzu: Dieser soll, ebenso wie sein Vorgänger Pius XI., ein Antisemit und Antibolschewist gewesen sein. Ja, mehr noch: Die Bibel und die Lehre der römisch-katholischen Kirche werden als eigentliche Ursache für zwei Jahrtausende Judenverfolgung und Massenmord verantwortlich gemacht.

Zu den lautesten Anklägern gehören John Cornwell ("Der Papst, der geschwiegen hat") und Daniel Jonah Goldhagen ("Die katholische Kirche und der Holocaust"). Während Cornwell meint, Pius XII. sei "Hitlers Papst" gewesen, will Goldhagen die ganze römisch-katholische Kirche einer reinigenden Runderneuerung unterziehen.

Um den zahlreichen Vorwürfen zu begegnen, setzte die römisch-katholische Kirche 1999 eine gemischt katholisch-jüdische Historikerkommission ein. Doch diese erhielt keinen ungehinderten Zugang zu den vatikanischen Geheimarchiven und stellte darum aus Protest im Juli 2001 ihre Arbeit ein. Im Frühjahr 2003 öffnete der unter erheblichem Druck stehende Vatikan seine Archive für die Zeit zwischen 1922 und 1939.

Schon nach einem Jahr publizierte daraufhin der aus Neuseeland stammende katholische Mittelalterhistoriker Peter Godman ein Buch über den "Vatikan und Hitler. Die geheimen Archive". Daß er, wie Insider schrieben, sogar schon vor der offiziellen Öffnung der Archive Zugang zu den neuen Quellen erhalten hatte, unterstrich seine Nähe zum Heiligen Stuhl. Das Ergebnis verwunderte kaum: Godmans Buch wurde zu einer Verteidigungsschrift Pius' XII. und seines Vorgängers.

Nun ist das Buch "Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären" von Gerhard B. und seiner Mitarbeiterin Francesca Piombo erschienen. Der protestantische Autor, seit Frühjahr 2003 Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der TU Dresden, hat vor zwei Jahren, während seiner Zeit als Professor für Kirchengeschichte an der Universität Heidelberg, bereits sein Buch "Die Kirchen und das Dritte Reich" vorgelegt. Der neue Band basiert ebenfalls auf den vatikanischen Geheimakten, aber auch auf ergänzenden Archivstudien.

B. stellt das deutsch-vatikanische Verhältnis konsequent in den europäischen Kontext. Denn die Politik des Papstes, so sein Argument, war europäisch konzipiert. So erfahren wir auch viel über die päpstliche Diplomatie gegenüber Sowjetrußland, Mussolinis Italien, Pilsudskis Polen, dem "austrofaschistischen" Staat Dollfuß', Salazars Portugal und Francos Spanien. Wir erfahren aber vor allem auch, wie Pius XI. angesichts der sich ausbreitenden gottlosen kommunistischen Weltbewegung Hoffnungen auf Hitler setzte. Der Oberhirte äußerte einmal, der deutsche Diktator sei der einzige Regierungschef, der seine eigene "Meinung über den Kommunismus nicht nur teile, sondern ihm mit großem Mut und unmißverständlich den Kampf ansage".

Im Sommer 1933 schloß der Vatikan mit Hitler-Deutschland unter federführender Beteiligung Pacellis das Reichskonkordat. Die Kirche verpflichtete sich dabei, auf jegliche Form der politischen Betätigung im Reich zu verzichten. Im Gegenzug gestand Hitler ihr die freie Religionsausübung sowie den Erhalt der Bekenntnisschule und der katholischen Vereine zu.

In aufwendiger und beeindruckender Beweisführung gelangt B. zu dem Ergebnis, daß der Vatikan in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die christlich-demokratischen wie die liberalen Strömungen innerhalb des politischen Katholizismus mit Entschiedenheit zurückdrängen wollte. Er betrieb eine Unterordnung der laienkatholischen Bewegungen unter die kirchliche Hierarchie und förderte außenpolitisch die Bildung autoritärer katholischer Ständestaaten. Die kirchlichen Gehorsamforderungen gegenüber den Autoritäten - dem Familienoberhaupt, der Staatsführung und dem Klerus - seien mit einem pluralen Gesellschaftskonzept nicht vereinbar gewesen. Darum habe es auch Vorbehalte gegenüber den westlichen Demokratien und ihren Freiheitsidealen gegeben.

B. betont den universalen Heilsanspruch der römisch-katholischen Kirche.
Mit jenem universalen Heilsanspruch war die Illusion verknüpft, mit Hilfe der faschistischen Staaten die europäische "Verfalls"-Geschichte von der Reformation über die Französische Revolution bis hin zur Epoche des Liberalismus noch einmal umkehren zu können. Ziel sei es gewesen, Europa zu rekatholisieren und über den Alten Kontinent die "Königsherrschaft Christi" wieder aufzurichten. Den Verlust des Kirchenstaates wollte man mit durchaus scharfen Waffen kompensieren: mit dem kanonischen Recht, dem Abschluß von Konkordaten und einer katholischen Laienbewegung.

Die anfänglichen Erwartungen, die der Vatikan mit dem Reichskonkordat verband, wurden jedoch bald getrübt, versuchten doch die Nationalsozialisten, die Vereinbarungen des Konkordats zu unterlaufen. Im Januar 1937 mußte Pius XI. resignierend eingestehen, Nationalsozialismus sei nach Ziel und Methode nichts anderes als Bolschewismus. "Wer die Rasse oder das Volk oder den Staat oder die Staatsform, die Träger der Staatsgewalt oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlenen Ordnung der Dinge", hieß es in der päpstlichen Enzyklika "Mit brennender Sorge", die der Papst im März 1937 in Deutschland von den Kanzeln verlesen ließ. Verfaßt worden war sie von Pacelli und dem deutschen Kardinal Michael von Faulhaber.

Trotz klarer Analyse der Wesenszüge des Nationalsozialismus, wie sie in der Enzyklika von 1937 zum Ausdruck kamen, hatte man sich doch immer wieder der Hoffnung hingegeben, mit dem "Dritten Reich" wie mit Italien ein Bündnis gegen den "atheistischen Bolschewismus" schmieden und "gemäßigte" Nationalsozialisten für die Ziele der Kirche gewinnen zu können. Das war ein Irrtum, den B. präzise herausarbeitet.
Mit Spannung darf man der Öffnung der vatikanischen Archive für die Zeit des Zweiten Weltkriegs entgegensehen. Pius XII. verurteilte in Predigten und öffentlichen Ansprachen in dessen Endphase zwar den Völkermord an den Juden, ohne die deutsche Verantwortung aber explizit anzusprechen. Der Papst soll vor einer flammenden Anklage gegen das Reich zurückgeschreckt sein, weil er sich davon keinerlei Wirkung versprach, sondern sogar eine Verschlechterung der Lage der Katholiken befürchtet haben soll. Zudem erblickte Pius XII. in solch einer Maßnahme eine Parteinahme für den Bolschewismus.

Seine Haltung spiegelt sich in einer Mitteilung wider, die ein enger Mitarbeiter, Domenico Tardini, dem englischen Geschäftsträger beim Heiligen Stuhl, für dessen Regierung weiterreichte. Darin hieß es: "Zwei Gefahren drohen der europäischen und christlichen Kultur. Der Nazismus und der Kommunismus. Nur wenn der europäische Krieg beide Gefahren beseitigt, kann Europa in der Union und Zusammenarbeit aller Länder Frieden finden."

Parsimony.3347

Parsimony.3365
www.wams.de/data/2004/12/05/370118.html


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