Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Sie wittem Morgenluft

Entnommen aus: MIZ Nr. 2/96 S. 57-60

In den zwanziger Jahren wurde der Satz geprägt: "Zerfällt die Zwangskirche ganz, bleibt als Bodensatz eine um so buntere Schar fanatischer Heiligenklubs übrig." [1] Derselbe Autor meinte im gleichen Zusammenhang auch, der Unterschied zwischen den Großkirchen und den Sekten bestehe darin, daß letztere "ehrlicher" seien. Er begründet seine These mit dem Satz: "Während die Kirchen zwangsmäßig durch oft terroristisch angewandte eigene Machtmittel oder die des Staates, Christen um jeden Preis machen, tun es die Sekten durch die Suggestion. Eben wegen der großen Zahl der Mußchristen in ihr ist die Kirche immer auch verpflichtet, der Vernunft und dem gesunden Menschenverstand gewisse Konzessionen zu machen". In den Sekten hingegen könnten solche Verweltlichungstendenzen nicht diese Bedeutung erlangen.[2]

In den dreißiger Jahren folgte die politische Machtergreifung des Nationalsozialismus. Sekten und Kirchen sahen sich der gleichen Bedrohung ausgesetzt, die ein Nazi-Chefideologe in die Worte kleidete: "Wir erkennen heute, daß die zentralen Höchstwerte der römischen und protestantischen Kirche als negatives Christentum unserer Seele nicht entsprechen, daß sie ... Platz zu machen haben."[3]

Mit dem Untergang des Nationalsozialismus war dieser Streit vorerst einmal entschieden. Die Kirchen hatten überlebt. Die Nationalismus-Religion des Nationalsozialismus war verpönt. Das Wohlwollen der westlichen Siegermächte gehörte den Kirchen und Sekten, die sich wieder direkter oder indirekter Förderung erfreuen konnten. Ja man kann sagen, daß dies partiell auch für die sowjetisch besetzte Zone zutraf, wo eine Kirchenpolitik betrieben wurde, die sich von der rigiden Kirchenpolitik in der Sowjetunion in etlichen Punkten absetzte. Sie war jedenfalls relativ "liberaler" als im führenden Bundesstaat.

Inzwischen sind neue Generationen herangewachsen, und es zeigte sich, daß die Bindekraft der Religion auch in der alten Bundesrepublik Deutschland nachgelassen hat. Die Situation der Großkirchen ist allgemein bekannt. Neben ihnen gibt es die sogenannten "Sekten". Eine der wichtigsten ist die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Ihre Geschichte ist von Konflikten geprägt, speziell in totalitären Staaten. So verwundert es eigentlich nicht sonderlich, daß sie sich Ende der 40er Jahre auch in der DDR Verbotsmaßnahmen gegenüber sah.

Bezogen auf das NS-Regime kam Michael H. Kater zu der Einschätzung: "Der tiefere Grund für diese Todfeindschaft zwischen Nationalsozialismus und Bibelforschertum lag in der strukturellen Ähnlichkeit der beiden Ideologien. Wie die Weltanschauung des Nationalsozialismus, so war auch die Doktrin der Zeugen Jehovas nicht demokratisch, sondern autoritär geprägt. Beide Systeme waren totalitär insofern, als sie Volksgenossen wie Glaubensbrüder streng in die jeweilige Herrschaftshierarchie eingliederten und sie in jeder Situation aufforderten, sich für die Zwecke des Systems von ihrer Eigenpersönlichkeit zu lösen. Während Nationalsozialisten sich zum 'Führerstaat' bekannten, beriefen Ernste Bibelforscher sich auf die 'Theokratie', in der nicht der Führer, sondern Jehova Gott diktatorisch regiere. Da beide Richtungen also den Anspruch auf Ausschließlichkeit vertraten, mußte es unweigerlich zum Konflikt kommen." [4]

Spiegelbildlich wiederholte dies sich in der DDR. Mit dem politischen Ende des ostzonalen Staates kam die Situation der Zeugen Jehovas wieder auf die Tagesordnung der DDR-Kirchenpolitik. Sie waren zwar schon früher verboten. Aber in den 80er Jahren vermochten die Stasi-Hardliner sie noch abzublocken - 1990 konnten sie es nicht mehr. So bekamen die Zeugen Jehovas von der Modrow-Regierung am 14. März 1990 schriftlich mitgeteilt: "Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas ... ist staatlich anerkannt. Mit der staatlichen Anerkennung ist die Religionsgemeinschaft rechtsfähig ..." [5]

Die Tage der Modrow-Regierung waren gezählt. Die kulturpolitische Erbschaft in diesem speziellen Punkt ging auf das Land Berlin über, vertreten durch seine Landesregierung, den Senat. Schon bald zeigte sich, daß die Gesetzgebung der DDR und die der Bundesrepublik auch in der Kirchenpolitik nicht übereinstimmte.

So kannte die DDR-Kirchenpolitik z.B. nicht den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts. In der alten Bundesrepublik beinhaltete dieser Status z.B. die Möglichkeit zur staatlichen Einziehung der Kirchensteuer, diverse Steuererleichterungen, Einflußnahme auf öffentlich-rechtliche Medien, staatlich bezahlten Religionsunterricht usw. Vieles davon war den DDR-Kirchen fremd.

Im Einigungvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR fand sich auch ein Passus, daß Kirchen etc. die in der alten Bundesrepublik den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bereits besitzen, analog ihren "Schwesterkirchen" im Beitrittsgebiet die gleichen Rechte zu gewähren seien. Diese Voraussetzung war im Falle der Zeugen Jehovas jedoch nicht erfüllt. Im Gegenteil, ihre langjährige Rechtsvertretung in der BRD, die Wachtturmgesellschaft, hatte diesen Status zu keinem Zeitpunkt formal beantragt. Anläßlich einer finanzgerichtlichen Auseinandersetzung in den 60er Jahren hatte sie sogar die Meinung vertreten: "ihre Glaubensauffassung lasse es nicht zu, daß sie bei einer weltlichen Instanz um die Verleihung eines Status nachsucht"[6].

Nun hatten die Zeugenstrategen also das Papier der Modrow-Regierung in der Hand und schlußfolgerten: Die beabsichtigte Ostexpansion kostet viel Geld, auch im Immobilienbereich. Und da auch die Zeugen Geld "niemals genug" haben können, schlußfolgerten sie weiter, die Kosten könnten etwas gedrückt werden, z.B. durch Befreiung von der Grunderwerbssteuer. Sie stellten fest, daß dies nach bundesrepublikanischer Gesetzgebung möglich wäre, wenn sie den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) besäßen. Daher kam die Entscheidung, ebenfalls KdöR zu werden. Frühere Positionen wurden ad acta gelegt.

Da jedoch der Berliner Senat als Rechtsnachfolger für Entscheidungen der Modrow-Regierung, keinerlei Anstalten machte, sie als KdöR zu akzeptieren, sahen sie sich gezwungen, vor Gericht zu ziehen. Das Berliner Verwaltungsgericht entschied, daß die Zeugen Jehovas nach DDR-Recht keine KdöR seien. Es erlegte allerdings dem Berliner Senat auf, sie als solche anzuerkennen, ausgehend von dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller und dem Prinzip, inhaltliche Bewertungen der Antragsteller nicht vorzunehmen.

Dem Berliner Senat wurde klar, daß hier ein Präzedenzfall geschaffen war. Würden die Zeugen Jehovas auf KdöR-Basis Subventionen und Steuervergünstigungen kassieren, könne man sie auch anderen nicht vorenthalten, seien es nun islamische Gruppen oder auch der Humanistische Verband. Es würden mit Sicherheit noch weitere "Trittbrettfahrer" folgen. In dieser Situation zog der Senat die Notbremse und rief das Berliner Oberverwaltungsgericht an, das in der Sache jedoch ähnlich entschied.[7] Damit befindet sich der Berliner Senat nun in der Zwickmühle. Letzten Meldungen zufolge soll dieser Streit nun vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe weiter ausgetragen werden.

Der Berliner Senat trug in der Auseinandersetzung auch vor, daß die Binnenstruktur der Zeugen Jehovas durchaus auch totalitäre Tendenzen enthalte, zudem bemängelte er auch, die "systematische Mißachtung der Fundamente des Staates", was sich z.B. beim Zeugen Jehovas-Grundsatz der politischen Abstinenz offenbart. Jedoch hatte er mit dieser Argumentation in den Ohren der Richter keine besonders "guten Karten".

Zu frisch noch sind die Erinnerungen an die politisch-totalitären Regime der DDR und des Nationalsozialismus, wo auf gleicher Argumentationsbasis "Tabula rasa" mit den Zeugen Jehovas gemacht wurde. Indes gibt es totalitäre Strukturelemente nicht nur im politischen Bereich. Die Memoiren etlicher ehemaliger Zeugen Jehovas werfen auch dieser Organisation diese Tendenz vor. Synonym für Totalitarismus ist z.B. George Orwells Roman 1984. Eingedenk dessen ist ein Buchtitel wie z.B. The Orwellian World Of Jehovah's Witnesses eigentlich eine deutliche Aussage.[8] Liest man Orwells Roman, so fallen einem Begriffe wie "Wahrheitsministerium" auf, die in der Tendenz mit dem Stasi-Mielke-Imperium identisch sein können. Oder auch Begriffe wie "Gedankenpolizei" oder "Gedankenverbrecher" deuten in diese Richtung. Ein Satz wie "im Prinzip hatte ein Parteimitglied keine Freizeit und war außer im Bett niemals allein"[9], könnte ebensogut aus dem Tagebuch eines Zeugen Jehovas stammen.[10]

In der Literatur wurde auch auf die durch Jehovas Zeugen verursachten Probleme (außerhalb des streng politischen Bereiches) hingewiesen. Am bekanntesten - und auch umstrittensten - ist die Weigerung der Zeugen Jehovas, in Notsituationen Bluttransfusionen zu akzeptieren. Aber das ist bei weitem nicht das "einzigste" Problem. So beschäftigten sich z.B. juristische Zeitschriften mit den Ehescheidungsursachen, die ihre tiefere Ursache in der militanten Ideologie der Zeugen Jehovas haben und die den Partner, sofern er Nicht-Zeuge Jehovas bleibt, mitunter vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellen.[11] Es sind Fälle bekannt, wo Zeugen Jehovas ihre berufliche Stellung in unzulässiger Weise ausnutzten, um solche Untergebenen zu diskriminieren, die ihren Ideologiewerbeversuchen ablehnend gegenüberstehen.[12]

Auch die taz nahm sich dieses Themas an, indem sie z.B. titelte: Erzwungener Kirchgang [13]. Auch ihre Artikelüberschrift Leistungsfrohe Endzeit-Stalinisten [14] wird man wohl kaum als "Kompliment" bewerten können. Der Spiegel griff dieses Faktum auf, als er einem Artikel über die Zeugen Jehovas [15] den Titel gab Gott züchtigt seine Söhne. Zitat daraus:

"Das Amtsgericht Passau entschied (...) eine Mutter habe 'grob gegen die Erziehungspflicht verstoßen', weil sie ihren ( ... ) Sohn eingedenk der Sektenmaximen ('Gott züchtigt seine Söhne') 'wiederholt schwer mißhandelt' und durch Zwangsunterricht mit Zeugen-Ideologie malträtiert habe. Dem Jungen, befanden die Richter, drohe 'lebenslanger Dauerschaden' wenn er unter der Fuchtel seiner Mutter bleibe."

Der Berliner Senat sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung auch für die Zeugen Jehovas finanzielle Folgen haben kann, die er aufgrund seiner angespannten Haushaltslage fürchten muß, zumal Weiterungen nicht ausschließbar sind.

Es bewahrheitet sich hier, um einen Bibelspruch zu bemühen, daß die Väter saure Trauben aßen - und die Söhne stumpfe Zähne bekamen.[16] Das System der Privilegierung von Religionsgemeinschaften, läßt sich eben nicht immer gliedern in solche, die "genehm", und solche, die weniger genehm sind.

Letztendlich zeigt hier wieder einmal die nichtvollzogene Trennung von Staat und Kirche ihr wahres Gesicht.

Diese Liaison zwingt den demokratischen Staat Bundesrepublik Deutschland, auch solche Gemeinschaften zu subventionieren, die zwar Nutznießer der Demokratie, ideologisch aber ihre Totengräber sind.

Theokratie - Gottesherrschaft - haben die Zeugen Jehovas auf ihre Fahnen geschrieben. Lediglich ihre numerische Unterrepräsentanz gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen verhindert, offenbar zu machen, was dieser Grundsatz letztlich bedeutet: Gottes- bzw. Priester- oder Funktionärsherrschaft ohne demokratische Legitimation. Die Kommentare, die sie ihren Abtrünnigen zuteil werden lassen, und nicht nur Kommentare, sprechen eine beredte Sprache!

Sollte sich das Bundesverfassungsgericht weiterhin auf der Basis, daß keine inhaltliche Bewertungen einer Religion vorgenommen werden, mit den Zeugen Jehovas befassen, so ist wohl davon auszugehen, daß kaum andere Ergebnisse als bei den Erstinstanzen zu erwarten sind. In den kirchlichen Kommentaren zu diesem Vorgang wird jedoch peinlichst vermieden, das System der nicht vollzogenen Trennung von Staat und Kirche in Frage zu stellen - getreu dem Grundsatz: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!"

Anmerkungen:

1 Vgl. Hugo Efferoth: Die Ketzerbibel S. 275.

2 Ebenda.

3 Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. München 1934, S. 215.

4 Vgl. Michael H. Kater: Ernste Bibelforscher in Dritten Reich in Vierteljahreshefte für Zeitgeschchte 17. Jg. 1969, S. 187f.

5 Bundesarchiv Sammlungen Potsdam D04 - 1546.

6 Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen, Band 19 (1966), S. 129f.

7 Vgl. Berliner Morgenpost, 15. 12. 1995 und 16. 2. 1996.

8 Vgl. Heather & Gary Botting: The Orwellian World of Jehovah's Witnesses. Toronto 1984. Ein Exemplar befindet sich im Bestand der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin.

9 Vgl. George Orwell: 1984. Darmstadt 1968, S. 88.

10 Orwell's Roman fand übrigens auch schon seine Ausdeutung auf eine andere umstrittene Organisation, die sogenannte "Scientology-Kirche". Vgl. dazu: Joachim Riecker. Die ganze Welt 'befreien'... in Berliner Morgenpost, 28. 1. 1996.

11 Vgl. Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. 1. Jg. 1954, S. 145f. und 2. Jg. 1955, S. 256f. Plastische Beispiele dafür finden sich auch in anderen Blättern z. B. in Rheinischer Merkur 17.2.1989.

12 Vgl. Ehe und Familie im privaten und offentlichen Recht. 4. Jg. 1957, S. 98f.

13 taz 23. 8. 1989.

14 taz 5. 8. 1989.

15 Der Spiegel 7. 11. 1994, S. 79 f.

16 Die Bibel, Hesekiel 18,2.

Jehovas Zeugen und die Schule

Der Herr wird(s) schon richten

Kaiser Rausch

MIZ Materialien und Informationen zu Zeit

Exkurs: MIZ

MIZ 1/!989 S. 18

Sehr geehrte Herren!

Aus dem Adreßbuch Deutschsprachige Zeitschriften [...] entnehme ich Ihre obige Anschrift. [...] Ich habe mir mal jetzt Ihre Zeitschrift [...] angesehen (jedenfalls einen Teil davon, 1975-82). [...] Zu dem Artikel in Heft 1/78 Ihrer Zeitschrift „Mit festem Tritt ins vierte Reich?"möchte ich noch bemerken, daß die darin angesprochene Problemlage (rechtsnationalistischer Tendenzen abgestuft bei den Ludendorferianern, den Freireligiösen und in dieser Reihenfolge abgeschwächt partiell auch bei Freidenkern) auch mir schon verschiedentlich zum Bewußtsein gekommen ist. Ob das Titelbild dieses Heftes (mit dem SED-Organ „Neues Deutschland") allerdings „sachgemäß" war, möchte ich doch stark in Zweifel ziehen. [...]

Ich verfolge die diesbezügliche Entwicklung [Diskussion in der DDR über die Gründung eines DDR-Freidenker-Verbandes -MIZ-Red.] sehr wohl aufmerksam, identifiziere mich aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit dieser Sachlage. Nach meiner privaten Einschätzung ist diese Entwicklung nicht zuletzt ein Hebel gewißer Kreise, um auf die DDR-Kirchen (bzw. Teile davon) Druck auszuüben. Ob das im weltpolitischen Kontext eine „weise" Entscheidung ist? - Ich bezweifle es. Wenn man sich die Liste der Gründungsmitglieder desweiteren ansieht, kann man bald den Eindruckgewinnen, da bildet sich eine Arbeitsgemeinschaft innerhalb der SED bzw. interessierter Professorenkreise.

[...] Ich fühle mich aufgrund meiner Erfahrungen der Religionskritik verpflichtet, aber nicht unbedingt mehr als „Werkzeug" zur Durchsetzung einer bestimmten Interessenslage. Zudem habe ich mich auch schon ein bißchen näher mit der Geschichte des Freidenkertums befaßt. Die dabei gewonnenen Resultate lassen mich einiges nüchterner sehen.

Die Zeitschrift der sogenannten „bürgerlichen Freidenker" (ein Etikett, daß deren Redakteur Bruno Wille entschieden zurückwies), deren Zeitschrift „Der Freidenker", schon im vorigen Jahrhundert begründet, konnte sich über den ersten Weltkrieg nur dadurch über Wasser halten, daß man sich mit den „Freireligiösen" zusammenschloß. Dennoch ging ihr Ende 1921, in der Inflationszeit, endgültig der Atem aus.

Die proletarischen Freidenker mit „Der Atheist" polemisierten beispielsweise 1923 einmal, daß sie den Fehler gemacht hätten, den Raum Großberlin in einer Vereinbarung mit der Freireligiösen Gemeinde von Anfang 1922 als alleinige Domäne der Freireligiösen zu respektieren, daß man (sinngemäß Originalton „Der Atheist") 2000 in Agonie lebenden Freireligiösen in Berlin dieses Feld nicht streitig machen würde Sie beklagten weiter, daß sie den Fehler gemacht hätten, ihre Feuerbestattungskasse mit dergleichen von Berlin zu vereinigen, die dadurch zum wirtschaftlich stärksten Zweig dieses „Gewerbes" wurde Als „Dank" bzw. genauer Undank dafür hätte sich die Berliner Feuerbestattungskasse das Mäntelchen des Freidenkertums umgehängt mit dem peinlichen Ergebnis, daß die so entstandenen (von den proletarischen Freidenkern unabhängigen) Freidenker den Eindruck erweckten, als sei Feuerbestattung die alleinige und dringlichste Aufgabe aller Freidenker. Die Beispiele dieser Art lie ßen sich noch vermehren. In den nachfolgenden Jahren kamen noch zusätzlich die Kontroversen zwischen SPD und KPD hinzu, die auch im Freidenkertum ihren Niederschlag fanden.

Ich möchte zu Ihrer Situation hier nicht weiter Stellung nehmen (Westdeutsche Freidenker, die auch zu früheren Zeitpunkten mit dem Westberliner Verein gleichen Namens nicht unter einen Hut kamen, Bund für wissenschaftliche Weltanschauung, Ihre Organisation, Europäische Kirchenfreie Rundschau in Wien usw. usf.). Mir geht es nur darum, die Entwicklung auf diesem Felde gegebenenfalls beobachten zu können. [...]

N.N., DDR

Leserbriefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder und erscheinen in der Verantwortung der Autoren.

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Leserbriefe MIZ 2/1993

Zum Artikel „Waldorfschulen Kr Arier" (MIZ 1/93)

Die Diktion des Artikels legt ja nun den Gedanken nahe, es bei Steiner mit einer Art „zweitem Faschismusaufguß" zu tun zu haben (Rassentheoretische Argumente, auch die Weltverschwörungstheorie usw.). Ich weiß nicht, ob man die These so halten kann, ob man nicht auch noch andere Aspekte mit berücksichtigen müßte.

Der Nazipublizist Gregor Schwarz-Bostunitsch widmete Steiner mal eine Schrift mit dem Titel Dr. Steiner - ein Schwindler wie keiner. Damit wird schon deutlich, daß die Nazis mit den Anthroposophen nicht allzuviel „am Hut hatten". Sie haben sie dann auch 1935 nach bekanntem Muster „außer Kurs" gesetzt.

Der Hauptvorwurf nazistischerseits gipfelt wohl darin, daß von Steiner beeinflußte Militärs im Ersten Weltkrieg nicht konsequent genug am Ziel des „Siegfriedens" festgehalten hätten (sogenannte Moltke/Hentsch-Affäre).

Die nazistischen Antipathien kommen auch klar in der vom faschistischen Reichssicherheitshauptamt 1941 verfaßten Schrift Die Anthroposophie und ihre Zweckverbände zum Ausdruck.

Zitat: Obwohl die Anthroposophie immer wieder ihre völkische Verbundenheit und ihr Eintreten für das Deutschtum zu betonen suchen, muß jedoch eindeutig festgestellt werden, daß eine Verbindung von anthroposophischen Gedankengängen und germanisch-völkischer Weltanschauung unmöglich ist und die Anthroposophie letzten Endes zur Zerstörung der nationalsozialistischen Weltanschauung führen muß.

Den Steinerschen Fimmel vom „Erkennen höherer Welten" aufnehmend, wäre es sicher einmal reizvoll den Details nachzugehen, die beispielsweise sozialistischerseits Wilhelm Liebknecht dazu bewogen, Steiner aus seiner Arbeiterbildungsschule als Dozent wieder rauszuschmeißen.

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