Re: Anja Vellmer
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 05. Juli 2010 00:19
"Religiöse Kindererziehung und religiös begründete Konflikte in der Familie" so der Titel eines weiteren Buches (zugleich Juristische Dissertation an der Universität Göttingen) von Anja Vellmer.
Im öffentlichen Diskurs der letzten Jahre, haben da wohl insbesondere Meldungen über Schulverweigerungen aus religiöser Motivation Aufsehen erregt. Auch Konfliktlagen die da etwa mit islamistischen Religionsformen verbunden sind, dürften bekannt sein. Insofern braucht es nicht wunder zu nehmen, dass die mit den Zeugen Jehovas verbundenen Konfliktfelder, dieweil schon länger bestehend, für die nach "neuem" japsende Öffentlichkeit, nicht unbedingt auf der Tagespolitischen Aktualitätenliste auf vorderen Plätzen stehen.
Gleichwohl sind mit ihnen auch einige Konflikte verbunden.
So gesehen handelt es sich um ein Buch, wo die Zeugen Jehovas mit drin vorkommen. Gleichwohl werden noch andere Thematiken behandelt.

Unter anderem wie sich in den verschiedenen Geschichtsphasen von Deutschland, sich die Sachlage zu obigem Buchtitel darstellte.
Und man muss sich auch darüber im klaren sein. Eine juristische Dissertation pflegt in der Regel etwas von dem Schrifttum abzuweichen, das da der "Bildzeitungs-Leser" alltäglich konsumiert.

Zum Aspekt etwa der Schulverweigerungen verweist die Autorin unter Hinweis auf eine Gerichtsentscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. 8. 2005 darauf hin:

"Dabei rechtfertigten weder das Elternrecht ... noch die Religionsfreiheit ... auf die sich die Eltern berufen, eine Befreiung von der Schulpflicht bei gleichzeitiger Akzeptanz von Heimunterricht." (S. 3)

Weiter urteilte genanntes Gericht:

"Daneben bestehe jedoch ein Erziehungsauftrag des Staates, der aus Art. 7 I G(rund)G(esetz) resultiere. Dieser Erziehungsauftrag des Staates sei eigenständig und dem Erziehungsrecht der Eltern gleichgeordnet. Keinem von beiden komme gegenüber dem anderen ein absoluter Vorrang zu, daher könne der Staat grundsätzlich unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen." (S. 4)

Vorgenannten Fall bewertet dann die Autorin selbst als "beispielhaft" und unterstreicht dies auch dadurch, gleich in der Einleitung zu ihrem Buch, den Fall zu erwähnen.

Die Argumentation der Befürworter des Hoomschuling fasst die Autorin dann in den Sätzen zusammen:

"Durch den Heimunterricht wollen die Eltern erreichen, dass die Kinder von dem öffentlichen Schulwesen ferngehalten werden. Einflüsse der pluralistischen Realität, die dem eigenen religiösen Empfinden zuwiderlaufen, sollen unterbunden werden. Über eine möglichst umfassende und lückenlose Kontrolle der Kontakte zur Umwelt wird versucht, dem eigenen Weltbild zum Durchbruch zu verhelfen. Damit stellt die Heimschule für die Anhänger religiös fundamentalistischer Strömungen eine sog. "Fluchtburg vor der Gegenwart" dar." (S. 216)

Demgegenüber steht die Gegenargumentation:

"Schule ist Gesellschaft; in ihr begegnen sich alle Teile der Gesellschaft. Um auf das spätere Leben und die notwendige Toleranz mit der Gesellschaft vorbereitet zu sein, ist es notwendig, die Kinder ab einem gewissen Alter durch die Begegnungen mit anderen Kindern in der Schule in die Gesellschaft einzufügen. Kontakte mit eben dieser Gesellschaft im Rahmen eines regelmäßigen Schulbesuchs sind notwendig, um den Umgang auch mit und die Toleranz gegenüber Andersdenkenden einzuüben, sowie Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung zu stärken. ...
Ferner wird von der Rechtsprechung angeführt, dass die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse daran habe, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren."
(S. 224)

Auch wenn kein direkter Bezug zu den Zeugen Jehovas im Falle der Schulverweigerer gegeben ist, sagt man wohl nicht zuviel, stellt man fest:
Auch sie streifen den Rand jenes Kerns, der sich andernorts in Schulverweigerung/Hoomschuling-Tendenzen noch deutlicher manifestiert.
Man vergleiche etwa die juristische Dimensionen annehmende Reaktion aus Zeugen Jehovas-Kreisen, bezüglich der Behandlung des Romanes "Krabat" im Schulunterricht.

http://forum.mysnip.de/read.php?27094,46538,46553#msg-46553

Ein etwas ungewöhnlicher Fall wird auf den Seiten 132/133 unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Landgerichts Lübeck vom 2. 12. 1963 erwähnt.
Vielfach ist es doch so, dass namentlich Konvertierungen zu den Zeugen Jehovas, auch solch einen Grad erreichen können, dass sie in Fällen die in der juristischen Literatur dargestellt werden, mit Erwähnung finden.
Hier aber, in diesem Fall war es umgekehrt. Da hatte eine den Zeugen Jehovas zugehörige Mutter zu registrieren, ihre 15jährige Tochter wolle von den Zeugen Jehovas zur Evangelischen Kirche konvertieren. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob jene 15jährige bereits als Zeuge Jehovas getauft war oder nicht.
Offenbar hatte die 15jährige schon einen Freund, welcher der evangelischen Kirche angehörte.

"Nach Ansicht des Gerichts diene der Tochter der Übertritt zur evangelischen Kirche hauptsächlich der Festigung ihres Verhältnisses zu ihrem Freund. Wenn die Mutter dieser Verbindung entgegenzutreten wünsche und sich die Umsetzung dieses Wunsches mittelbar auch auf den religiösen Bereich auswirke, so sei darin kein Sorgerechtsmissbrauch zu erkennen."

Also genannter Mutter, die jenen Übertritt wohl verhindern wollte, wurde zwar gerichtlich bescheinigt, sie habe mit ihrem Widerstand ihr Sorgerecht nicht missbraucht.
Gleichwohl wertete jenes Gericht auch:

"Dieses Recht der religiösen Einflussnahme werde jedoch begrenzt durch die Reife des Kindes, eigene religiöse Entscheidungen zu treffen. Im vorliegenden Fall sei die Entscheidung der Tochter jedoch mit besonderer Sorgfalt zu würdigen ... So habe sie bei ihrer Anhörung angegeben, später einmal einen evangelischen Mann heiraten zu wollen, zudem empfinde sie das evangelische Bekenntnis als das "bequemere".

Also endete der Fall mit dem "Status quo". Die Tochter konnte durchsetzen was sie wollte, und die Mutter hatte dazu in ihrer Sicht "gute Miene zum sauren Spiel" zu machen.
Das bemerkenswerte daran ist eben der Umstand, dass jener Fall vor den Schranken eines Gerichtes landete.
Man hätte sich ja das gleiche Endergebnis auch ohne Einschaltung eines Gerichtes vorstellen können!
Zu dem Fall der vom Landgerichts Lübeck am 2. 12. 1963 verhandelt wurde, kann man thematisch auch vergleichen die Dissertation von Cornela Gericke "Elterliches Erziehungsrecht und die Religion des Kindes" (in Buchform im Jahre 2001 erschienen), welche den gleichen Fall ebenfalls (mit) referiert. (bei Gerecke S. 146, 147).
Entzündet hatte sich der Fall wohl besonders an dem Umstand, dass die Mutter ein Umgangsverbots mit dem evangelischen Freund der Tochter durchsetzen wollte.
Zitat bei Gerecke:

"Sie (die Mutter) habe der Tochter nur den Umgang mit dem 23 Jahre alten Freund untersagt. Gegen die Person des Freundes bestünden zwar keine Bedenken, aber es widerspreche wohl europäischen Sitten, wenn eine minderjährige Schülerin ein derartiges Verhältnis pflege, bei dem sie die Eltern des Freundes als Eltern tituliert, sich von ihm einkleiden läßt, ihn heiraten möchte und sich heimlich mit ihm trifft ..."

Vorstehenden Fall erwähnt wie gesagt, auch Frau Vellmer noch mehr eingebettet in ihren "allgemeinen Ausführungen". Als Außenstehender Beobachter kann mann dann ja dazu nur sagen. Die leibliche Mutter (Zeugin Jehovas) hatte dann ja das Gericht angerufen, dass der Fall, bei allen spezifischen Besonderheiten, wohl zugleich auch eine Bankrott-Erklärung der Zeugen Jehovas geprägten Erziehung darstellt, wenn sich das alles, so wie geschildert, entwickeln konnte.
Ab Seite 178f. Im Vellmer'schen Buch geht es dann spezifisch Zeugen Jehovas-bezogen weiter.
Und da wird man dann gleich in ein relevantes Konfliktpotential hineingestoßen mit den Sätzen (S. 180):

"Den Zeugen Jehovas wird oft vorgeworfen, ihre Kinder aus Erziehungszwecken zu züchtigen. Jüngst sind in der Zeitschrift "Religion; Staat; Gesellschaft" (2005) zwei Beiträge erschienen, die sich sehr kritisch zur obigen Beanstandung äußern. So führt Hessler an, dass insbesondere die Autoren Oelkers/Kraeft sich zur Untermauerung ihrer Aussage auf zum Teil veraltetes Material der Zeugen Jehovas gestützt haben, das noch aus einer Zeit stamme, in der körperliche Bestrafungen als Erziehungsmittel in der Gesellschaft allgemein anerkannt und durch das elterliche Züchtigungsrecht zudem gerechtfertigt waren. Er wirft Oelkers/Kraeft zudem vor, unwissenschaftlich zu arbeiten und unwahre Tatsachenbehauptungen aufzustellen, um ein vorurteilshafte Darstellung einer religiösen Minderheit zu verbreiten."

Was nun jenen Aufsatz von Harald Oelkers und Cindy Kraeft in der Zeitschrift "Familie und Recht" 1997 (S. 161 - 165) anbelangt, der sich auch im Internet nachweisen lies, ohne dass die Autorin der genannten Dissertation ihn verifiziert, sei ergänzend auf die von der Autorin selbst genannten Links verwiesen.

http://www.sekten-info-essen.de/texte/schule.htm

http://www.gimpelfang.de/jehovaszeugen/index.php?page=kindesmissbrauch.htm

Von der konventionellen Buchliteratur verweist sie auch auf das von Kaiser/Rausch (dort S. 30f.)
Zurückkehrend zu dem Aufsatz von Oelkers/Kraeft
In ihm findet man auch die Sätze:

"Das O(ber)L(andes)G(ericht) Frankfurt qualifizierte die Religionslehre der Zeugen Jehovas als fundamentalistisch und geeignet, langfristig psychische Schäden bei Kindern hervorzurufen. Sie würden durch die repressive, auf Angst einflößende Art der Erziehung langfristig in eine Außenseiterrolle gedrängt."

Wie also bereits vernommen, wird vorstehender Sachverhalt von bekannten WTG-Apologeten angefochten. An dem Umstand jener Anfechtung kann auch die Autorin nicht vorübergehen. Sie ist letztendlich genötigt, auch eine eigene Meinung dazu formulieren.
Wie fällt die nun aus?
Offenbar so:

"Den Ausführungen ... ist zunächst zuzugestehen, dass sich in den aktuellen Publikationen der Zeugen Jehovas tatsächlich die Aussage finden lässt, dass körperliche Misshandlungen von Kindern abgelehnt werden. Durchforstet man allerdings älteres Material der Glaubensgemeinschaft, so zeigt sich dort ein anderes Bild." (S. 181).

Als Beispiele für ihre These zitiert sie: "So heißt es im Wachtturm vom 15.12.1973:
"Wie sollten Kinder erzogen werden?
(Artikel dort S. 744 - 750)

Im Gegensatz zu der allgemein vorherrschenden Ansicht schätzen es die Kinder, wenn ihnen die Eltern vernünftige Richtlinien geben und vernünftige Einschränkungen auferlegen. Mitunter mögen sich Kinder zwar über die Züchtigung beklagen, aber solche Kinder lernen ihre Eltern lieben und achten, weil sie ein aufrichtiges Interesse am Wohl ihrer Kinder bekunden. Kinder, deren Eltern ihnen jedoch die nötige Zucht vorenthalten, entwickeln oft einen Groll gegen die Eltern.
Eine bekannte Zeitschrift berichtete vor einiger Zeit von einer Fünfzehnjährigen, die auf Abwege geraten war und sich selbst und ihre Familie dadurch in Verruf gebracht hatte. Über ihre Handlungsweise betrübt, sagte sie zu ihrem Vater: ,Papa, du hättest schon vor Jahren von mir verlangen müssen, dass ich mich anständig benehme, und wenn ich es nicht getan hätte, dann hättest du nicht bloß mit mir reden sollen, sondern hättest mir eine gehörige Tracht Prügel geben sollen."

Wenn man sich den Artikel selber ansieht, kann man etwa der Zwischenüberschrift

"DIE NOTWENDIGKEIT DER ZUCHT"  begegnen. Und da wiederum der vieldeutigen Floskel

"Zucht bedeutet aber noch mehr".

Und dieses "noch mehr" wird dann für Begriffsstutzige noch mit dem Detailsatz definiert:

"Wie die meisten Eltern wissen, läßt sich ein Kind oft nicht bloß durch Worte zurechtbringen. (Spr. 29:17, 19). Die richtige Erziehung erfordert daher manchmal auch eine Züchtigung oder Bestrafung, durch die das Kind zurechtgebracht wird. Schließt diese Art der Zucht aber auch Schläge ein? Entspricht das alte englische Sprichwort "Wer die Rute spart, verzieht sein Kind" der Wahrheit?"

Und seine selbst gestellte Frage beantwortet der WT dann noch mit den Sätzen:

"Weltliche Autoritäten auf dem Gebiet der Kindererziehung sagen immer wieder, das Kind dürfe nicht geschlagen werden; man dürfe seine Entwicklung nicht hemmen, indem man solche strengen Maßnahmen ergreife, um seine natürlichen Anlagen zu ändern."

Aber weis der WT weiter zu belehren:

"Gott ist der Schöpfer des Menschen. Es gibt keine höhere Autorität. Sein Wort läßt uns in dieser Hinsicht nicht im Zweifel. Es heißt darin: "Enthalte doch dem, der noch ein Knabe ist, die Zucht nicht vor. Falls du ihn mit der Rute schlägst, wird er nicht sterben. Mit der Rute solltest du selbst ihn schlagen, damit du seine eigene Seele vom Scheol [vom Grab] selbst befreiest." (Spr. 23:13, 14)"

Das dürfte dann wohl selbst für die Begriffstutzigsten verständlich gewesen sein, "wohin der Haase zu laufen habe."
Und in den dazugehörigen Studienfragen zur Vertiefung des Stoffes wird dann gefragt:

"19. (a) Neigen Kinder von Natur aus dazu, das zu tun, was recht ist? Begründe deine Antwort. (b) Was schließt die Anwendung von Zucht alles ein?
20. Wie betrachten weltliche Autoritäten im allgemeinen die körperliche Züchtigung in Verbindung mit der Erziehung?
21. (a) Was sagt Gottes Wort über das Zurechtbringen eines mißratenen Kindes durch körperliche Züchtigung? (b) Wieso wissen wir, daß Gott selbst diese Methode der Züchtigung anwendet?"

Weiter verweist die Autorin auch auf den Wachtturm vom 1. 8. 1978. Da gibt es auf der Seite 32 eine sogenannte "Leserfrage". Die wiederum lautet:

"Was bedeutet der Spruch: "Den Spötter solltest du schlagen, damit der Unerfahrene klug werde, und man sollte den Verständigen zurechtweisen, damit er Erkenntnis verstehe."?

Und aus der entsprechenden WT-Antwort zitiert sie dann:

"Damit ein Kind lernt, eine falsche Handlungsweise zu meiden, bedarf es mitunter einer strengen Züchtigung (zum Beispiel Schläge), die es entweder bei anderen beobachtet oder die ihm selbst zuteil wird. Obwohl eine solche Züchtigung zunächst sowohl für das Kind als auch für die Eltern unerfreulich sein mag, wird es sich schließlich zeigen, dass sie sich gelohnt hat."

Die Autorin rekapituliert weiter:

"Hessler zufolge sei der in den Publikationen erfolgte Sinneswandel hinsichtlich der elterlichen körperlichen Züchtigung einhergegangen mit der allgemeinen, sich in der Gesellschaft immer mehr verbreitenden Auffassung von elterlicher Gewalt als ungeeignetem oder schädlichem Erziehungsmittel. Diesen Gedanken weiterführend hieße das, dass bei den Zeugen Jehovas nicht mehr oder weniger Züchtigungen statt gefunden haben als in den übrigen Familien auch, ihnen also eine extreme Züchtigungspraxis nicht vorgeworfen werden kann." (S. 182, 183)

Damit steht in dieser Streitfrage erst mal Aussage gegen Aussage.
Wohin aber neigt sich die Waage der Autorin bei der Bewertung dieser Streitfrage?
Offenbar dahingehend, wenn sie auch berichtet

"Demgegenüber stehen die zahlreichen Berichte von Aussteigern, die von erheblichen Züchtigungen der Eltern aufgrund der von den Zeugen Jehovas propagierten Erziehungslehre berichten. Insgesamt lässt sich sagen, dass sicherlich nicht alle den Zeugen Jehovas angehörenden Eltern ihre Kinder in großem Umfang körperlich gezüchtigt haben. Dennoch sollte stets genau zwischen äußerer Selbstdarstellung und den internen Geschehnissen differenziert werden." (S. 183)

Oder auch ihre Aussage:

"Hessler führt ... an, dass sich die Kritiker der Zeugen Jehovas fast ausschließlich auf den Beitrag von Oelkers/Kraeft stützen würden, denen er unwissenschaftliches Arbeiten vorwirft.
Hesslers Ausführungen vermitteln allerdings den Eindruck, als hätte sich nur der Aufsatz von Oelkers/Kraeft kritisch mit der Lehre der Zeugen Jehovas auseinandergesetzt. Da man diesen aufgrund fehlender Wissenschaftlichkeit nicht heranziehen dürfe, gebe es letztlich für einen kritischen Ansatz keine Grundlage.
Nicht erwähnt wird dabei allerdings die Fülle von nichtjuristischer Literatur, die ebenfalls die Lehre der Zeugen Jehovas dokumentiert und größtenteils zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie Oelkers/Kraeft."
(S. 252)

In der dazugehörigen Fußnote wird auch auf die Schriften verwiesen von Kaiser/Rausch, Eimuth, Gassmann, Pape ("Ich klage an"), Franz, Gewissenskonflikt.
Und weiter:

"Zur Kritik von Hessler, die Entscheidung (der von Oelkers/Kraeft zitierte Fall) stütze sich auf Vorurteile, die in den Publikationen der Zeugen Jehovas keine Grundlage fänden ... gilt, dass aus Publikationen der Gemeinschaft nicht automatisch auf die intern tatsächlich praktizierten Methoden geschlossen werden kann."  (S. 254)

Zu dem weiteren Vorhalt der sozialen Isolation findet man bei der Autorin auch den Satz:

"Den Zeugen Jehovas ist die Gefahr einer sozialen Isolation nicht vollkommen unbekannt, sie gestehen in ihren Schriften sogar ein, dass Jugendliche, die Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft sind, manchmal aufgrund ihrer Lebensweise gehänselt und ausgelacht werden." (S. 184)

Oder auch den Satz:

"Auch fällt den Zeugen Jehovas die Verbindung zwischen höherer Bildung und abnehmender Bindung an grundlegende religiöse Lehren unangenehm auf. Den jungen Menschen wird verweigert, eine Bildung nach ihren eigenen Bedürfnissen anzustreben, sie haben sich einzig und allein den Bedürfnissen der Gemeinschaft unterzuordnen.
Weiter leben sie in ständiger Erwartung der erlösenden "Schlacht von Harmagedon", die alle Nichtgläubigen vernichten wird. Es wird ihnen deshalb vorgeworfen, ihren Kindern durch diese Endzeiterwartung existentielle Ängste einzuflößen."
(S. 185)

Was nun die WTG-Apologeten anbelangt, bescheinigt sie diesen an einem Beispiel veranschaulicht:

"Tatsächlich ist in den Publikationen kein Hinweis darauf zu finden, dass die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas den Kindern die Teilnahme an Klassensprecherwahlen oder ähnlichem verbietet. Sie erklären, dass diese Entscheidung dem Gewissen des einzelnen Kindes unterliege. Ob das biblische Gewissen dem Kind nicht doch zu einer bestimmten Entscheidung rät, erfährt der Leser aber nicht" (S. 186).

Es ist also dieses gezielte arbeiten mit getürkten Halbwahrheiten, dass den WTG-Apologeten besonders vorzuhalten ist.
Ich halte es Frau Anja Vellmer besonders zugute, dass sie diese Aspekte mit herausgestellt hat. Sie unterscheidet sich damit wohltuend etwa von Frau S. R. Pohl; auf deren Arbeit hier ja auch schon eingegangen wurde.

Es ist sicherlich nicht verwunderlich, dass auch das Thema Bluttransfusion mit zur Sprache kommt.
Dazu wird als einer der ersten Bundesrepublikanischen Justizbewertungen, auch auf das Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm vom 10.10.1967 verwiesen.
Der Fall Adolf Zierath, der hier auch schon dokumentiert wurde.
Siehe dazu unter anderem:
Parsimony.14288
Blutkult

Im weiteren Verlauf ihrer Referierung verweist Frau Vellmer auch darauf, wie auch diese Problemlage von den Zeugen angefochten wird.
Etwa indem in deren Argumentation dazu, eine zunehmende Akzentverschiebung zu beobachten ist.
Von einer ursprünglich nur dogmatisch begründeten These, zu einer These, die man meint mit tatsächlichen oder vorgeblichen wissenschaftlichen Argumenten stützen zu können.

Für die diesbezügliche Problemlage stehen auch die Sätze:

"Eine weitere Kernaussage von Hessler/Glockentin ist die, dass Ärzte, unterstützt von der Justiz, eher aus Konservatismus und Tradition denn aus medizinischem Fortschrittsdenken an der Bluttransfusion festhalten und sich darauf ausruhen. Denn Eltern, die eine Transfusion ablehnen, wird der Einfachheit halber religiöser Fanatismus unterstellt, als genauer zu überprüfen, ob die Weigerung nicht auf medizinische Bedenken zurückzuführen sein kann.
Dazu ist zu sagen, dass zunächst Juristen im Vergleich zu Medizinern nur ansatzweise die auf diesem Gebiet stattfindenden Entwicklungen und Fortschritte nach vollziehen können und dort auf entsprechende Fachliteratur angewiesen sind, die sie auch nur bedingt kritisch hinterfragen können. Soweit ersichtlich gibt es seitens der Medizin sowohl Befürworter als auch Kritiker von Bluttransfusionen."
(S. 209)

Credo der WTG indes ist, ihr Dogma unter allen Umständen durchzusetzen, egal welche "Strömung" da in der wissenschaftlichen Medizin gerade vorherrscht. Damit wird in WTG-Sicht letztendlich auch die Justiz zum Erfüllungsgehilfen ihrer Dogmatik deklariert. Und ihr Geschrei ist groß, sollte die Justiz im Einzelfall diese Willfährigkeit nicht erweisen.

Ein relevanter Satz der Studie von Frau Vellmer ist meines Erachtens auch der (und damit mag diese Betrachtung ihr Ende finden:

"Religiöse Konflikte können nicht nur bei den Zeugen Jehovas auftreten, sondern auch bei christlichen Freikirchen, wie der Fall der von den Baptisten oder anderen Christen vorgenommenen Schulverweigerung zeigt. Dies macht deutlich, dass hierbei unerheblich ist, ob es sich um eine Mehrheits- oder Minderheitenreligion handelt. Auch in diesem Punkt ist Hessler ... und Besier entgegen zu treten, die behaupten, die vorurteilsbelastete Diskriminierung der Zeugen Jehovas würde letztlich von den sich vor Konkurrenz fürchtenden Amtskirchen forciert." (S. 255)

Man vergleiche thematisch auch:
http://forum.mysnip.de/read.php?27094,44631,45204#msg-45204

Exkurs:
Ein Kommentar zum Thema WTG-Kindererziehung, entnommen dem Buch von Gerd Wunderlich: „Jehovas Zeugen Die Paradies-Verkäufer:

„Zur Kindererziehung hatte uns die WTG ebenfalls ein biblisches Hilfsmittel zur Verfügung gestellt. Es war das unter uns Zeugen Jehovas sehr beliebte Buch "Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies". Das Buch war reich illustriert und "leicht verständlich" geschrieben. Wir sollten es regelmäßig mit unseren Kindern betrachten, selbst wenn sie noch nicht lesen konnten, denn die Bilder sind gut geeignet, Gottes Handeln daran zu erklären. Besonders meine Frau gab sich die
größte Mühe, unsere Tochter von frühester Kindheit an mit der Bibel und den Wachtturmlehren vertraut zu machen.
Erst viel später begriffen wir, was wir unserem Kind zugemutet
hatten, wenn wir ihm z.B. anhand dieses Buches den Verlauf des Krieges Gottes "Harmagedon" erklärten. So wird unter anderem auf den Seiten 208-209 in dem Kapitel "Wie diese Welt enden wird" das Bild eines furchtbaren und nach Rache dürstenden Gottes gezeichnet, das den Kindern in der Regel eine tiefe Furcht vor dem "lieben" Gott vermittelt.
Der Zweck dieser barbarischen Erziehung ist, den Kindern beizubringen, daß sie nur dann vor der Vernichtung durch diesen "lieben" Gott sicher seien, wenn sie gehorsam alles täten, was "Jehova" durch seine Organisation und durch ihre Eltern von ihnen verlangt.
Glücklicherweise war ich schon immer im Sinne der WTG ein schlechter Erzieher, und so blieb unserer Tochter einiges in dieser Hinsicht erspart. Doch ganz ohne Schwierigkeiten ging es nicht für sie ab.

Es begann mit der Schulzeit. Bei einem Kind von Zeugen Jehovas wird darauf geachtet, daß der Umgang mit Kindern aus "der Welt" auf ein Minimum begrenzt bleibt.
Grundlage dafür ist die Bibelstelle aus l. Kor. 15,33: "Faßt euch nicht irreführen. Schlechte Gesellschaft verdirbt nützliche Gewohnheiten." (NW)
So wurde unsere Tochter sehr kontaktarm. Von Natur aus schon etwas schüchtern, konnte sie kaum erklären, warum sie an gewissen Festen, wie z. B. Weihnachten, Ostern, Geburtstagen oder Karneval, nicht teilnehmen durfte.
Mit diesem Problem stand sie allerdings nicht allein; alle Kinder von Zeugen Jehovas haben mehr oder weniger damit zu kämpfen.
Damit diese Kinder Auseinandersetzungen besser begegnen können, werden in den Versammlungen innerhalb der "Predigtdienst-Schule" Hilfen geboten. Durch Ausarbeiten und Vortragen kleiner Ansprachen wird ihre Redegewandtheit geschult. Man ist bemüht, diesen Ansprachen einen möglichst wirklichkeitsnahen Rahmen zu geben. Ich erinnere mich noch an eine Ansprache von zwei Mädchen zur Karnevalszeit, die damals 9 bzw. 12 Jahre alt waren.
Der Tenor dieser Ansprache war der dämonische Ursprung der Karnevalsbräuche. Von diesen heidnischen Bräuchen müsse man sich fernhalten, wenn man Jehova Gott gefallen und nicht von Dämonen belästigt werden wolle, gaben sie zu verstehen und beteuerten, daß sie nicht einmal einen bunten Klecks auf ihre Backen malen würden.
Auch andere Feste und Bräuche sind ein Tummelplatz für Dämonen. Da werden weder Weihnachtssterne gebastelt noch Ostereier gesucht. Besonders im Kindergarten und in den ersten Schuljahren stehen Kinder von Zeugen Jehovas oft abseits, wenn für solche Feiertage gebastelt wird.

Natürlich fällt es den Kindern nicht leicht, darauf zu verzichten, doch da ihnen von Eltern und Versammlung eingeschärft wird, daß Jehova so etwas verurteilt, fügen sie sich und hoffen
auf das "Neue System", in dem sie dann für alles reichlich entschädigt werden.
Doch für diese wunderbare Hoffnung muß man auch etwas tun. Umsonst gibt auch Jehova nichts, wird ihnen beigebracht; und das Beste, was wir für Jehova tun können, ist, "die gute
Botschaft zu verkünden". Je eher wir damit anfangen, desto besser.
Auch unsere Tochter sollte so früh wie möglich mit dieser Art des "Gottesdienstes" vertraut werden. Doch so sehr sich meine Frau auch bemühte, der rechte Erfolg wollte sich nicht einstellen. Unserer Tochter war das alles langweilig, nur die Vorstellung, im Paradies zu leben und mit wilden Tieren zu spielen, konnte ihr Interesse wecken.
Als Einzelkind hatte sie auch immer das Problem, einen Spielgefährten zu finden. Es verstand sich von selbst, daß nach Möglichkeit nur Kinder von "treuen" Zeugen Jehovas in Frage kamen. Deswegen machten wir trotz unserer knapp bemessenen Zeit Ausflüge mit Eltern von mehreren Kindern, besonders in den nahe gelegenen Taunus. Die Unterhaltung auf solchen Wanderungen wurde überwiegend von biblischen Themen beherrscht. Gehorsam wie wir waren, folgten wir hier einer Anregung der Gesellschaft und erhofften uns dadurch einen günstigen Einfluß auf unsere Tochter. Selbst die Gesellschaftsspiele waren biblisch orientiert, indem wir z. B. biblische Ratespiele machten. Dabei konnte es allerdings selbst für uns Zeugen Jehovas zu den merkwürdigsten Situationen kommen. ..."

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