Re: Religiöse Überzeugung stand gegen Recht


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 13. August 2005 06:35:40:

Als Antwort auf: Re: Kein echtes Jehovablut geschrieben von Drahbeck am 12. August 2005 01:51:12:

In kommentierter Form hatte bereits die „Christliche Verantwortung" vom März 1968 auf einen Bericht der Zeitung „Westfälische Rundschau" vom 11. 10. 1967 Bezug genommen. Der CV Bericht ist wie gesagt „kommentiert" und entspricht über weite Strecken nicht dem eigentlichen Zeitungstext, der hier nachstehend wiedergegeben sei. Unter der Überschrift „Religiöse Überzeugung stand gegen Recht" las man dort:

Eine Bluttransfusion lehnte der Vater ab.
Oberlandesgericht Hamm hob Siegener Urteil gegen Mitglieder der Zeugen Jehovas auf
von Karlheinz Behrendt

Vor dem Richterspruch fragte ein Journalist den angeklagten Adolf Zierath (33), wie er heute über den Fall denke und ob er genauso handeln würde wie damals im März vorigen Jahres. Zierath, ein schmächtiger Mann mit blassem Gesicht, ohne Zögern: „Genauso. Denn es ist Gottes Befehl, kein Blut zu sich zu nehmen. Wer es tut, der wird ausgerottet. Blut - das ist Totschlag."

Der Mann aus dem Dorfe Lindenberg bei Siegen ist Schreiner. Seine Vorbilder sind die Apostel. Auch Leute einfachen Standes wie er.
(Es fungierten) Dr. Herbert Falk, Staatsanwalt aus Stuttgart und als Verteidiger Dr. Günther Weigande. Bekannt geworden:
„Mein Mandant fühlt sich als Träger einer ihm von Gott offenbarten Entscheidung".

Adolf Zierath ist ein Zeuge Jehovas. Ein Prediger - wie er sagt. Stark im Glauben und ebenso stark, auf die Stimme seines Gewissens zu hören - selbst auf die Gefahr hin, damit gegen die bei uns gültige Rechtsordnung zu verstoßen.

Im Dezember hatte das Schöffengericht Siegen ihn wegen unterlassener Hilfeleistung zu 200 DM Geldstrafe oder 10 Tagen Gefängnis verurteilt. Das Landgericht Siegen verwarf die Berufung. Gestern saß man in Hamm über ihn zu Gericht.
Frau Hertha Zierath (27) hatte am 20. März 1966 ihrem vierten Kind das Leben geschenkt. Der kleine Thomas litt an Blutzerfall und drohte zwei Tage nach der Geburt zu sterben. Im Kinderkrankenhaus Siegen waren Chefarzt Dr. Kräuer und die behandelnde Ärztin davon überzeugt, daß nur noch eine Blutaustauschtransfusion die Chance biete, den Säugling zu retten. Die Eltern hatten unterschiedliche Rhesusfaktoren im Blut.

Vater Zierath sagte aus religiösen Gründen ein striktes Nein, schien bereit, notfalls den Tod seines Sohnes in Kauf zu nehmen und erklärte, um zu zeigen, wie ernst er die Weigerung nehme - bei einer Blutübertragung werde er Thomas nicht mehr als sein leibliches Kind anerkennen. Im übrigen gebe es ja auch andere Mittel gegen die Krankheit.

Die Ärzte konnten es sich an fünf Fingern abzählen, wann das winzige Leben erlöschen würde. Sie alarmierten Vormundschaftsrichter Dr. Schürmann. Als Zierath auch ihm gegenüber auf seiner sturen Ablehnung beharrte, entzog der Amtsgerichtsrat ihm und der Mutter das Sorgerecht. Es wurde vorübergehend dem Chefarzt übergeben, der sofort die Transfusion vornahm. Drei Wochen später hielten die Eltern ihren gesunden Sohn wieder in den Armen.

Staatsanwalt Walter: „Ich hoffe, daß das bei solchen Fällen noch mehr Schürmänner gibt."
Zu Adolf Zierath: „In unserem Rechtskreis - und der Angeklagte lebt in ihm - pflegt man zu verhindern, daß jemand stirbt."

Der Zeuge Jehovas in einer Verhandlungspause:
„Natürlich bin ich froh, daß uns dieses Kind erhalten blieb, aber es ist kränklich. Wir müssen alle vier Wochen mit ihm zum Arzt. Es geht ihm nicht gut. Durch die Transfusion ist ihm eine Blutschuld auferlegt worden."

Sein Glaube ist nicht zu erschüttern. Der Prediger aus dem kleinen Lindenberg: „Meine Weigerung ist Gehorsam gegen Gott, und ich kann nicht dafür bestraft werden, weil ich ein göttliches Gebot achtete."

Dr. Herbert Falk: „Ich gehöre nicht der Sekte der Bibelforscher an, aber ich habe schon manchem ihrer Angehörigen - sie verweigern ja auch den Wehrdienst - vor Gericht vertreten", ergänzte:
„Die bundesdeutsche Justiz habe sich bisher meist an Entscheidungen vorbeigedrückt, wenn über Fragen des Gewissens zu urteilen war."

Der Verteidiger: „Wehe der Rechtsprechung, die den kleinen Mann dafür bestraft, was die berufenen Wahrer des Rechts zu tun versäumten."

Glaubensbrüder- und Schwestern des Angeklagten füllten die Zuhörerbänke im Sitzungssaal 243 des Oberlandesgerichts. Eine hellwache aber stille Gemeinde. Der Schreiner aus dem Siegerland mit dem Gesicht eines Asketen wirkte wie ein Märtyrer. Und es war ruhig wie in der Kirche als Senatspräsident Laube verkündete:

„Der Revision wird stattgegeben. Damit war das Urteil von Siegen aufgehoben. Der Prozeß geht zurück an eine andere Strafkammer des Landgerichts Siegen.

Dr. Falk zu Journalisten:
„Es hat schon krassere Fälle gegeben, in denen Zeugen Jehovas straffrei blieben. Zum Beispiel diesen:
Eine Frau drohte nach der Geburt ihres Kindes zu verbluten. Aus Glaubensgründen lehnte sie eine Bluttransfusion ab. Ihr Mann sah im OP-Saal, daß er seine Frau und die Mutter seiner Kinder verlieren würde; aber auch er folgte dem mosaischen Befehl.
Verteidiger Falk: „Die Frau starb. Gegen den Mann wurde nicht einmal Anklage erhoben."

Schreiner Zierath ist der erste Bibelforscher, der in der Bundesrepublik verurteilt worden war, weil er einen Blutaustausch verweigert hatte.

In derselben Ausgabe der „Westfälischen Rundschau" unter der Überschrift: „Tagesgespräch. Blutübertragung" noch:
In der Bundesrepublik leben etwa 84.000 aktive Zeugen Jehovas (Stand von 1967). Die Zahl der Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft wächst von Jahr zu Jahr. Aus religiösen Gründen lehnen sie eine Blutübertragung selbst dann ab, wenn ihr Leben auf des Messers Schneide steht und die Transfusion nach ärztlichem Ermessen noch die letzte Möglichkeit bieten könnte, den Tod zu bannen. Der Fall, der gestern vor dem Oberlandesgericht Hamm verhandelt wurde, bot hierfür ein spektakuläres Beispiel.

Die Bibelforscher - wie sie der Volksmund nennt - tragen für den Fall, daß sie bei einem Unfall schwer verletzt werden und bewußtlos sind, eine Erklärung in der Tasche, in der es heißt, ihnen dürfe nie das Blut eines anderen gegeben werden.

Was soll der Arzt tun? Wir sprachen gestern mit Medizinern und Juristen. Sie sagten:
Der Arzt, der dennoch eine Blutübertragung vornimmt, verstößt gegen das Gesetz. Wird er dafür zur Rechenschaft gezogen, kann er sein Handeln mit dem übergesetzlichen Notstand begründen. Das spricht ihn frei. Ein Arzt, der den Willen des mit dem Tode ringenden Patienten respektiert und deshalb keine Bluttransfusion anordnet, macht sich jedoch nicht der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Denn er hält sich an das Gesetz, das erst die Einwilligung des Kranken voraussetzt, bevor ein operativer Eingriff vorgenommen werden darf.
In jedem Fall stünde - so hieß es - der Arzt in einer schweren Konfliktsituation. Sein Eid fordert von ihm die Hilfe, die die religiöse Überzeugung des Patienten verbietet.

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