Parapack
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 25. März 2013 05:08
Im „Goldenen Zeitalter" gelesen - Eine Zeitreise
In den Gestapo-Akten die Zeugen Jehovas bezüglich, befindet sich auch, mit Datum Stuttgart, den 20. November 1938, nachfolgendes Dokument:

Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS
Der SD-Führer des SS-Oberabschnittes Süd-West
Adressiert
An das Sicherheitshauptamt
Zentralabteilung II 1 in Berlin

Im Zusammenhang mit der Vernehmung des
Bezirksdieners Stikel ... wurde festgestellt, dass der Bibelforscher Heinrich Coordes, verh. Kaufmann, geb. 4. 1. 88 ... in seinem Hause angeblich durch seine Frau ein Parapack-Institut betreibt (Parapack-Packungen werden gegen Rheumatismus, Ischias usw. verabreicht).
Da sich der Verdacht nicht von der Hand weisen liess, dass auch andere Institute von Bibelforschern betrieben werden könnten, um dadurch eine einfache Verbindung untereinander aufrecht zu erhalten, wurden entsprechende Erhebungen im Oberabschnittsgebiet veranlasst. Es konnten bis jetzt - Württemberg hat seine Erhebungen bis jetzt noch nicht durchgeführt - im Oberabschnittsgebiet folgende Parapack-Institute festgestellt werden:

1.) Parapack-Institute in Haiger,
Leiterin Karolina Coordes, geb. Hentz, ... betätigte sich früher für die IBV
2.) Parapack-Institut in Kehl,
Leiterin Anna Ross, geb. Hühnerfauth ... betätigte sich früher für die IBV
3.) Parapack-Institut in Baden-Baden,
Leiterin Hermine König, geb. Müller ... betätigte sich früher für die IBV.
4.) Parapack-Institut Karlsruhe
Leiterin Marie Börgerding ... Betätigung für die IBV konnte nicht festgestellt werden.
5.) Parapack-Institut St. Georgen
Leiterinnen Christine Staiger ... Und Frida Staiger ... Betätigung für die IBV konnte nicht festgestellt werden.
6.) Parapack-Institut in Lahr,
Leiterin Else Anselm ... betätigte sich früher für die IBV.
7.) Schöttle und Kirschbaum, Parapack-Institut, Heidelberg ...
Inhaberinnen Luise Schöttle, dipl. Fusspflegerin ... und Kläre Kirschbaum, Krankenschwester ... Betätigung für die IBV konnte nicht festgestellt werden.
8.) Familie Ditschkowski, Pforzheim
Inhaber Artur Ditschkowski ... Heilpraktiker und dessen Ehefrau Emma Ditschkowski, geb. Gold ..., Bibelforscher, zur Zeit wegen Betätigung für die IBV in Haft.
9.) Parapack-Institut in Lahr
Inhaberin Berta Kölderitz ... Betätigung für die IBV nicht feststellbar
10.) Parapack-Institut in Konstanz
Inhaberin Alwine Busl ... Betätigung für die IBV konnte nicht festgestellt werden.
11.) Parapack-Institut Freiburg-Littenweiler
Inhaber Albert Lehr, Dipl. Ing. ... Betätigung für die IBV konnte nicht festgestellt werden.

Da sich unter den oben festgestellten 11 Parapack-Instituten 5 befinden, die von Bibelforschern betrieben werden, ist eine gewisse organisatorische Zusammengehörigkeit unter der Leitung von Bibelforschern möglich. Zur Gewinnung bestimmter Anhaltspunkte wird daher gebeten im gesamten Reich ähnliche Erhebungen zu veranlassen. ..."

Ein weiteres analoges Schreiben vom 8. 12. 1938 notiert:

„Im Anschluss an das Schreiben vom 22. 11. 1938 II 113 4 - 100 33 konnte nachträglich in Erfahrung gebracht werden, dass die frühere Leiterin des Parapack-Institutes in Baden-Baden
Hermine König, geb. Müller ...
am 6. 7. 1937 festgenommen und mit 10 Tagen Haft bestraft wurde, da sie sich geweigert hatte, an einem Luftschutzlehrgang teilzunehmen. Nach ihrer Entlassung aus der Haft wurde sie von der Geheimen Staatspolizei in Schutzhaft genommen und vom Sondergericht Mannheim am 21, 1. 38 wegen Vergehens nach $ 4 der Verordnung vom 28. 2. 33 zu einem Jahr und 2 Monaten Gefängnis verurteilt. Zur Sttafverbüssung befindet sie sich z. Zt. in der Strafanstalt Gotteszell.
Das Parapack-Institut wurde von ihrer Tochter Meta Koppel ... verheiratet mit einem Juden Albert Koppel ... einige Zeit weitergeführt. Nachdem ihr Gatte, der Jude Albert Koppel ... wegen Beihilfe zur Rassenschande in Schutzhaft genommen wurde, hat die Meta Koppel das Parapack-Institut aufgegeben ...
Die nochmals in Kehl angestellten Erhebungen ergaben, dass die in obigem Schreiben erwähnte
Anna Ross, geb. Hühnerfauth ... sich wegen illegaler Betätigung für die IBV im Konzentrationslager Mohringen befindet.
Das betreffende Parapack-Institut wurde daher vor einiger Zeit aufgelöst."

Soweit erstmal diese Zitate.
Die Motivation der Nazis dürfte offenkundig sein. Weniger die Existenz von „Parapack-Instituten" als solches interessierte sie. Was ihren Argwohn erweckte war eben der Umstand, dass dort eben das Bibelforscher-Milieu massiv mit vertreten war und sie befürchteten, damit sei eine weitere Organisationsschiene für die WTG-Tätigkeit gegeben. Und selbige „unschädlich" zu machen, darum ging es ihnen vor allem.

Noch etwas lehrt der Bericht. Gibt es irgendwo einen „neuen Schrei" in der Heilpraktikerszene. Man kann fast buchstäblich darauf warten, den auch im Bibelforschermilieu widergespiegelt zu finden.
Dann auch noch dieses. Man sehe sich doch mal die Biographien jener an, welche dem Bibelforscher/Zeugen Jehovas-Milieu zugehörig, in die Heilpraktikerszene aktiv eingestiegen sind. Man muss da keineswegs auf den Zeugen Jehovas Max Hollweg hinweisen (Vom Maurer über den Umweg KZ zum Heilpraktiker). Auch die Biographien der Protagonisten jener „Parapack-Institute" belegen es doch. Eine reguläre - konventionelle und anerkannte - Mediziner-Ausbildung hatte kaum einer von ihnen vorzuweisen. Höflich formuliert war es ihnen dennoch möglich, als „Quereinsteiger" wirtschaftlich nutzbare Medizinleistungen zu praktizieren. Und dabei auch noch die Gewissheit zu haben, eine zahlende Klientel dafür zu haben.

Zum Thema „Parapack" als solches soll hier nicht weiter Stellung genommen werden. Nur auf den Umstand hingewiesen werden, welcher offenbar ihn auch im Bibelforscher-Milieu begünstigte. Als Ausgangspunkt dafür kann meines Erachtens ein einschlägiger Artikel in der deutschen Ausgabe des „Goldenen Zeitalters" vom 15. 3. 1928 angesehen werden. Er sei im nachfolgenden, noch kommentarlos vorgestellt. Das GZ schrieb:

„Eine neue Entdeckung auf dem Gebiete der Wäremetherapie
Von H. Stricker, Dr. des Pittsburgh College of Naturropathy in Pittsburgh
Daß die Wissenschaft nicht stillsteht, sondern stets bemüht ist, auf allen Gebieten neue und bessere Metoden zu finden, ist nur zu begrüßen, und so verdanken wir auch der freien Forschung die Paraffinbehandlung, die dazu berufen scheint, besonders in der Behandlung der Fettleibigkeit und anderer Stoffwechselleiden, wie Rheuma, Gicht, Ischias, Hexenschuß usw. eine große Umwälzung herbeizuführen. Die Wärme als Behandlungsmittel leistete auch schon bisher gute Dienste bei den verschiedenen Krankheiten, nur wurde die Wärmebehandlung dadurch stark begrenzt, daß man hohe Temperaturen infolge Empfindlichkeit des Hautgebildes nicht anwenden konnte, auch wurde die Herzkraft schließlich angegriffen, und so erzielte man bei den oben genannten Leiden oft nicht den gewünschten Erfolg, da, wie schon eben gesagt, in vielen Fällen Rücksicht auf die vielfach geschwächte Herzkraft des Patienten genommen werden mußte. Deshalb ist es außerordentlich wertvoll, daß jetzt eine Behandlungsart gefunden ist, die bei diesen Leiden das Herz absolut nicht angreift und man mittels dieser Methode Temperaturen bis über 100 Grad Celsus an den menschlichen Körper bringen kann, ohne zu schaden oder unangenehm zu wirken. 70 Grad Paraffinwärme werden vom Körper nur wie lauwarmes Wasser empfunden, während erst ab 80 Grad der Begriff Hitze festzustellen ist. Bedenkt man, daß in einem Schwitzbad die Schweißabsonderung nur 200 bis 500 Gramm beträgt, durch eine Paraffinbehandlung aber die Möglichkeit besteht, die Schweißabsonderung auf ca. 5000 Gramm zu steigern, so kann man sich die Wirkung dieser Methode ausmalen. Das Paraffin, welchem medizinische Zusätze beigegeben sind, wird auf die zu behandelnde Stelle des Körpers durch besondere Apparatur schmerzlos aufgespritzt, ca. 5 Millimeter dick, und mit einem pergamentartigen Papier umwickelt. Darauf wird der Patient gut eingepackt und muß in dieser Packung ca. eine Stunde liegen. Nach dem Abnehmen der Packung erfolgt eine Einreibung mit einer Speziallösung. Der Patient wird so aus der Behandlung entlassen, daß er sich nicht angestrengt, sondern gestärkt fühlt. Letzteres ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil der Paraffinbehandlung. Hieraus ersieht man leicht, welchen großen Wert die Paraffinbehandlung hat, ganz abgesehen davon, daß eine Erkältung kaum vorkommen kann, wie das so leicht nach anderen Schwitzbädern möglich ist. Natürlich kann eine Behandlung nicht genügen, es ist je nach Lage des Falles eine kürzere oder längere Kur notwendig, obgleich die Möglichkeit besteht, daß zum Beispiel Fettleibigkeit durch jede Behandlung ein bis vier Pfund und auch mehr an Gewicht gemindert werden kann; dieses ist aber individuell sehr verschieden. In einzelnen Fällen habe ich sogar bis zu 8 Pfund Gewichtsabnahme durch eine Paraffin-Ganzpackung feststellen können. Das Paraffinbehandlungsverfahren stammt aus Frankreich von dem französiscchen Arzt Dr. Barte de Sandfort, dort ist es auch offiziell bei Heer und Marine eingeführt. Neuerdings wird es auch in Amerika schon geübt.

Weiter folgt die schon zu erwartende Salvatorische Klausel.
http://de.wikipedia.org/wiki/Salvatorische_Klausel

Diese neue Art der Heilbehandlung kann aber nur dann zweckdienlich sein, wenn für sie die Anzeichen gegeben sind. Man wird beispielsweise einem Tuberkulosen, dringendes Verlangen) verordnen, wie man einem schweren Herzfehlerkranken ebensowenig eine gewalder mit Mühe und Not einige Pfund abgenommen hatte oder zufällig über sein normales Körpergewicht hinausging, keine Paraffinbehandlung (auch nicht auf tsame Paraffinkur verschreiben dürfte.

[Redaktionelle Einfügung (nicht vom GZ). Man beachte die Einschränkungen. Nicht für Tuberkulose-Kranke. Nicht für Herzfehlerkranke. Böse Zungen können das auch anders formulieren. Wieder einmal ein Verfahren, das bereits Gesunden, Gesundheit verspricht. Weiter im Text des GZ]

Leidet aber jemand unter einer allgemeinen, von keinem anderen schweren Leiden herrührenden Fettsucht oder einem anderen Stoffwechselleiden, wie Rheuma, Gicht, Ischias usw., so ist das Paraffinverfahren sicherlich angebracht. Eine genaue Kontrolle der körperlichen Funktionen ist dabei immer unerläßlich. Wer sich darum solch einem Verfahren unterziehen möchte, sollte sich stets einer gründlichen Untersuchung bei einem tüchtigen Arzt oder einem Heilkundigen - der möglichst mit dieser neuen Behandlungsart vertraut ist - unterwerfen, und auch die Nachuntersuchung und Beratung in seinem Interesse vornehmen lassen.

Möge daher diese neue, segensreiche Methode in weiteren Kreisen bekannt werden und die ihr gebührende Beachtung finden, zum Wohle der kranken, leidenden Menschheit.

Zwei weitere Kurzmeldungen seien noch aus der Ausgabe Magdeburg des „Goldenen Zeitalters" vom 15. 3. 1928 zitiert. Sie wurden zwar schon an anderer Stelle dokumentiert. Da hier aber das Prinzip verfolgt wird, Kommentare zum GZ der jeweiligen Ausgabe selbigen zuzuordnen, nochmals ihre kommentarlose Zitierung.
Auf der Seite 92 (Ausgabe Bern S. 91) liest man in der Rubrik „Aus unserem Fragekasten":

„Frage: Was kann ich tun, um mein Kind ungeimpft zu lassen, da ich große Impfschäden kennen gelernt habe und deshalb in Sorge um die Gesundheit meines Kindes bin?

Antwort: Wir empfehlen Ihnen, sich an den Verband der Impfgegner e. V. Leipzig-O. 28, Paulinenstr. 21 zu wenden, der mannigfache Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt hat. Der Verband wird ihn gerne Auskunft erteilen."

Die zweite Meldung hingegen, druckte nur die Magdeburger Ausgabe des GZ (S. 86) ab. Nicht jedoch die Berner. Sie besagte:

„Berichtigung
Es ist nicht richtig, dass Aluminium und seine Verbindungen die Ursache für zahlreiche Erkrankungen des Magens und der Därme ist. Weiter ist nicht richtig, dass insbesondere die Krebskrankheit durch das Aluminium oder seiner Salze hervorgerufen oder verbreitet wird.
Vielmehr ist richtig, dass das Aluminium und seine Verbindungen vollkommen ungiftig sind und vom gesundheitlichen Standpunkt aus keinerlei Bedenken gegen eine Verwendung als Geschirr in Haushaltungen, Hotels und Krankenhäusern zu erheben sind. Das ist auch der Standpunkt des Reichsgesundheitsamtes in seinem Gesundheitsbüchlein wünschen S. 105.
Reichsverband der deutschen Aluminiumwaren Industrie
gezeichnet Dr. Görnandt
Redaktionelle Notiz
Wir bringen nebenstehend eine gemäß § 11 des Pressegesetzes uns übermittelte Eingabe das Reichsverbandes der deutschen Aluminium-Industrie zum Abdruck.
Wir bemerken dazu, um Missverständnisse bei unseren Lesern vorzubeugen, dass wir keineswegs den Standpunkt des Verbandes ohne weiteres teilen. Es würde aber über den Zweck und Rahmen unserer Zeitschrift hinausgehen, wenn wir die Frage, ob die Benutzung von Aluminiumgeschirr im Haushalt gesundheitsschädliche Wirkungen haben kann wissenschaftlich erörtern wollten .
Die Schriftleitung.

Über eine Fortsetzung zum Thema Aluminiumstreit, wird dann noch im Bericht über die "Goldenes Zeitalter"-Ausgabe vom 1. 6. 1928, weiteres zu berichten sein.

Beispiel wie sich der „neueste Schrei Parapack", auch im Anzeigenteil der „Freiburger Zeitung" wiederfand.
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=04&day=14a1&year=1932&month=09&project=3&anzahl=4

Kritisch wäre anzumerken. Wenn ausgebildete Fachmediziner im Einzelfall die Verwendung dieser Methode als
sinnvoll ansehen .. Nun gut.
Es ist jedoch der Status erreicht, so wie für Joghurt und anderes, als vermeintlches „Wundermittel" per Zeitungsinserate geworben wurde. So auch im Falle Parapack.
Der Medizinlaie, als welcher der gewöhnliche Zeitungsleser anzusprechen ist, ob der wirklich beurteilen kann, was da angepriesen wird, ist eher zweifelhaft. Das alles gleicht eher dem Bereich irreführender Werbung aus materieller Interessenlage gespeist.

Übrigens war das „Goldene Zeitalter" im Jahre 1924 auch auf den Yoghurt-Reklamezug mit aufgesprungen, als vermeintliches „Wundermittel".
Siehe dazu auch:

GZZeitrreise 24
Dort der Eintrag vom: 19. Juni 2009 05:06

ZurIndexseite