Annotationen zu den Zeugen Jehovas

„Gemischt ambivalent"

Notizen zu dem Buch von Ewald Kaven:

„Denn einmal kommt der Tag, dann sind wir frei ..."

In der von Hans Hesse verfassten Einleitung, wird die DDR-Geschichte der Zeugen Jehovas in verschiedene Phasen eingeteilt. 1945-1950. Dann die Phase 1950-1961/62 usw. Schon diese zweite Phase würde ich etwas anders terminieren und zwar bis 1965 verlängert, wo der letzte „Enthauptungsschlag" der Stasi, den auch Hesse marginal mit streift, stattfand. Gleichwohl ist diese Frage der Terminierung marginal und nicht das wesentliche.

Schon weitaus kritischer werte ich das Hesse'sche Bedauern darüber, dass seiner Meinung nach, in der Geschichtsschreibung über die DDR-Geschichte (bislang) die Zeugen Jehovas nicht sonderlich hervorgehoben vorkommen. Offenbar würde es sich das Quartett He., H., D., W., die alle in diesem Band namentlich genannt werden und sich denn gegenseitig nach Kräften fördern, wünschen, gelänge es bezüglich der DDR-Geschichte eine ähnlich „wirkungsvolle" Aktion in Szene zu setzen, wie das mit der „Standhaft"-Ausstellung nebst Folgeaktionen, die NS-Zeit betreffend gelang.

Es verwundert denn auch nicht, von Hesse habe ich auch nichts anderes erwartet, es sei aber trotzdem ausdrücklich nochmal festgehalten, dass z. B. in seinem Literaturverzeichnis nur solche Stimmen Niederschlag fanden, die auf WTG-Kurs schwimmen. Kritik an dem WTG-Kurs ist diesen Kreisen grundsätzlich ein „Gräuel". Auf solch parteiische Basis, auf der auch Hesse steht, kann man sich natürlich stellen. Dann gilt es aber auch das Ergebnis nochmal zu benennen: Ein Parteibuch!

Einer von vielen Zeugen Jehovas, welche die harte Hand des DDR-Regimes kennenlernten, war also auch der 1924 geborene Ewald Kaven. 1954 verhaftet, zu acht Jahren Haft verurteilt; nach seiner 1960er Haftentlassung führte ihn sein weiterer Weg nach Westberlin. Man erfährt; dort war er beruflich wieder als Schlosser tätig. Keine unspezifische Biographie für das ZJ-Milieu, und zugleich Versammlungsdiener der Versammlung Berlin-Neuköln. Erst im Jahre 1976 begann er seine Erfahrungen in der DDR-Haft einmal aufzuzeichnen. Und erst jetzt im Jahre 2004 kann man sie denn, so man mag, auch in Buchform zur Kenntnis nehmen. Weshalb so spät, wäre zu fragen? Andere politische Häftlinge der DDR, die ihr Weg anschließend in den Westen führte, pflegten in der Regel nicht solange zu warten.

Entweder hatten sie etwas mitzuteilen, dann geschah das relativ früh. Oder eben sie hatten nichts mitzuteilen. Nun kann man lediglich entschuldigend geltend machen, dass ein gelernter Schlosser, wohl nicht der geborene Memoirenschreiber ist. Das ist zu akzeptieren. Dennoch greift diese Entschuldigung meines Erachtens zu kurz. Es ist das gesamte Klima in der WTG-Organisation, dass eben diese Abstinenz begünstigte. Der Einzelne ist ein Nichts in dieser Organisation. Die Organisation ist alles. Das ist das Klima. Und die Ergebnisse sind eben, auch in diesem Fall, die jahrzentelange Abstinenz. Bestünde nicht seit Beginn der „Standhaft"-Aktion eine neue Ausgangsbasis, wäre mutmaßlich auch Herr Kaven heute noch einer dieser Abstinenten.

In der Sache teilt er auch keine sonderlich neuen Erkenntnisse mit. Das die DDR-Haft alles andere als ein „Sanatorium" war, dass die Vernehmungsprotokolle DDR-parteilich konzipiert und als nicht objektiv bewertet werden müssen. Das alles wusste man mehr oder weniger schon vordem.

Einleitend wird denn auch ein aus den Kreisen der inhaftierten Zeugen verfasstes Gedicht zitiert, dass auch maßgeblich die Titelwahl des Buches von Ewald Kaven „Denn einmal kommt der Tag, dann sind wir frei" ..." beeinflusste.

In dessen ersten Strophe liest man unter anderem:

„Drumm mein Bruder halt' aus und verlier' nicht den Mut,

Denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut,

Weil bald uns die Freiheit beschieden."</font>

Soweit es den darin genannten Willen zum Leben betrifft, gibt es da nichts zu diskutieren.

Anders schon sieht es mit der „baldigen Freiheit" aus. Ideologisch verblendet, erhoffte man die auch, das ist unbestritten. Die Wirklichkeit indes sah anders aus. Und diese keineswegs Hollywood-gestylte Hoffnungs-Illusionen reflektiert das genannte Quartett eben nicht im angemessen Maße. Auch das verwundert nicht, verdient es aber nochmals festgehalten zu werden.

Neu an diesem Zeitzeugenbericht erscheint mir lediglich der Umstand, worüber etwa auf Seite 33f. berichtet wird, dass die Stasi schon relativ früh ihre IM unter den Zeugen Jehovas hatte. Die dürften dann aber noch in der Regel der Stasirubrik „Ausgebrochene" zuzuordnen sein.

Einige Sätze, letzteren Aspekt betreffend, aus den diesbezüglichen Ausführungen in diesem Buch

„(Als) Günter (Becker, Kreisaufseher) nicht mehr selbst die Literatur aus Berlin holen brauchte. Denn es war ein Kurier, Hans Wolschke, aus Schwerin eingesetzt worden, der für alle Brüder in West-Mecklenburg Literatur holen würde.

Ich lernte bald Hans Wolschke kennen. Er hatte auch eine Arbeitsstelle in Wismar und fuhr ebenfalls jeden Tag mit dem Zug von Schwerin nach Wismar. Allerdings sprachen wir nur auf der Plattform, zwischen zwei Waggons. Er wollte, dass wir nur kurz miteinander sprachen, da uns sonst die Stasi beobachten würde, wie er sagte.

Im Juli 1951 sah ich Günter dann zum letzten Mal in Wismar. Er wollte in der folgenden Woche zu uns in die Versammlung kommen, aber er kam nicht. Ich fuhr nach Schwerin in seine Unterkunft, um nachzufragen, warum er nicht gekommen war. Schwester Urbanschick erzählte mir, Günter sei nach Berlin gefahren, aber nicht wieder zurückgekommen. In diesem Augenblick kam Hans Wolschke zur Tür herein und fragte auch nach Günter. Keiner konnte dazu etwas sagen.

Hans ging mit mir aus dem Haus. Auf der Straße sagte er: 'Ich fahre dich schnell zum Bahnhof'. Er hatte ein fast neues Motorrad. So eines hatte damals nur die Polizei. Ich fragte ihn: 'Woher hast du denn so ein Motorrad?'

'Vor einiger Zeit', erzählte Hans, 'ist ein Volkspolizist nach dem Westen abgehauen, aber zuvor hat er mir sein privates Motorrad verkauft.'

Schließlich erfuhr ich, woher das Motorrad stammte. Ich war zum Kongress in Berlin, dort sprach Bruder Wauer mit mir über das, was vorgefallen war. Gerhard Papke hatte mit Bruder Wauer gesprochen, der mit Hans Wolschke auf dem Kongress war. Gerhard, dessen Gewissen schwer belastet war, erzählte, dass die Stasi einen Tag vor dem Kongress bei ihm gewesen und ihn beauftragt hatte, nach Berlin zum Kongress zu fahren. Dort sollte er alle Namen aufschreiben, die er erfahren könne und diese Namen bei der Stasi abgeben. Er hatte sich geweigert, doch dann habe die Stasi Druck gemacht und gesagt, er hätte als Kurier noch acht Jahre Zuchthaus bekommen. Darauf erzählte er, wieso die Stasi ihn unter Druck setzten konnte.

Als Hans einmal nach Berlin fahren wollte, hatte er Gerhard Papke gebeten, ihm dabei behilflich zu sein. Auf der Rückfahrt hatte Hans dann zu ihm gesagt: 'Ich setze mich hier ins Abteil und du in den nächsten Waggon, dann fällt es nicht so auf.'

Kurz vor Neuruppin kam die Pass- und Gepäckkontrolle, die Polizei nahm sogleich Gerhards Tasche von der Ablage, öffnete sie und fand die Wachtturm-Ausgaben. Daraufhin forderten sie Gerhard auf mitzukommen ...

'Sie lesen doch nur eine Zeitschrift je Ausgabe, nicht gleich mehrere. Wohin bringen Sie die anderen?'

'Das sage ich nicht', weigerte er sich.

'Gut, das brauchen Sie auch nicht, wir wissen es auch so ...

Weil die Stasi alle Namen von der Versammlung kannte, zählten sie alle auf, und Gerhard brauchte nur noch mit dem Kopf zu nicken. Die Stasi gab ihm die Zeitschriften wieder zurück, damit es nicht auffiel. So durfte er uns die Zeitschriften mit Wissen der Stasi jeden Monat bringen.

Ebenso kopierte Hans die Monatsberichte jeden Monat erst bei der Stasi, ehe er sie nach Berlin brachte. ...

All das bedrückte Gerhard Papke. Er hatte ein sehr schlechtes Gewissen ... Bruder Wauer empfahl, dass er sogleich hier in Berlin bleiben könnte oder aber sofort zurückkehren müsse. Dann aber in Zukunft keine Brüder mehr besuchen, ja mit niemanden mehr sprechen dürfe. Beide mussten sofort das Kongressgelände verlassen. Sollten sie nochmals hier gesehen werden, würden sie als Spitzel von der Polizei verhaftet werden. Diese Mitteilung wurde auch auf dem Kongress bekannt gegeben.

Gerhard ist ... aber dann bald nach Westdeutschland gegangen. In den Versammlungen wurde bekannt gegeben, dass Hans Wolschke für die Stasi arbeitete. All das hatte Bruder Wauer mir nach dem Kongress in Berlin mitgeteilt

Dem schon mitgenannten Günter Becker, sollte Kaven dann später im Zuchthaus noch wiederbegegnen.

Auch dazu eine interessante, von ihm mitgeteilte Episode (S. 114f.)

„Eines Tages vertraute mir Günter Becker ein Geheimnis an, das er nicht allein für sich behalten wollte. Er sagte: 'wenn etwas schief laufen sollte, möchte ich, dass du die Wahrheit kennst. Ich darf mit keinem darüber sprechen, bitte behalte das für dich.' Die Stasi hatte Günter zur Besprechung zu sich ins Zimmer geholt. Sie fragte ihn, was getan werden könnte, um die Zeugen Jehovas wieder in der DDR zuzulassen. Günter sollte Vorschläge machen, wie es organisiert werden müsste, ohne dass die DDR ihr Gesicht dabei verlöre. Auch wie der Wachtturm in der DDR gedruckt und verbreitet werden könnte. Natürlich sollte alles 'echt' aussehen, aber dennoch getrennt vom 'treuen und verständigen Sklaven'. Diese Gespräche gingen über Wochen, da die Anstaltsleitung nicht dahinter kommen sollte, denn die Stasi arbeitete für sich allein. Sie ließ sich auch nicht von der Polizei der DDR in die Karten sehen.

'In der nächsten Woche', kündigte der Stasioffizier an, 'wird bei Ihnen auf der Zelle eine Durchsuchung vorgenommen. Dabei wird die Polizei etwas finden und Sie werden sofort von der Arbeit abgelöst und dann auf Absonderung gebracht. Dann haben wir freie Hand und können ohne Wissen der Polizei mit Ihnen Kontakt aufnehmen. Wir können ab dann jeder Zeit miteinander sprechen.' ...

Für einige Wochen war Günter allein auf Zelle, und die Stasi sprach ständig mit ihm. Dann sollte er einiges aufschreiben. Da ein Strafgefangener keinen Schreibstift auf der Zelle haben durfte, wurde von der Stasi angeordnet, dass Günter in der Bibliothek arbeiten konnte. Dort hatte er Gelegenheit zu schreiben und sollte so seine Meinung schriftlich darlegen.

Natürlich wurde aus allem, was die Stasi sagte, nichts, weil Günter keine Kompromisse einging, und die Stasi nicht beabsichtigte, unter den gegebenen Umständen Jehovas Zeugen wieder zuzulassen

Eine ähnliche Erfahrung lässt sich auch im Fall Woldemar Halse nachweisen. Zu letzterem kann man vergleichen:

Woldemar Halse

Als 1960 aufgrund einer verkündeten DDR-Amnestie, sich auch für Kaven die Option eröffnete, vorzeitig entlassen zu werden, sollte er übrigens auch noch einen ähnlichen Stasi-Anwerbungsversuch erfahren. Die Familie des Kaven, war schon während seiner Haftzeit zu seiner Schwiegermutter nach Westberlin verzogen. Er selbst gab auch diese Westberliner Anschrift als seine Entlassungsanschrift an. Im Vorfeld der anstehenden Entlassung wurde er nun von einem wie er schreibt „Beamten des Innenministeriums" kontaktiert. Der kam denn auch relativ schnell zur Sache. Faktisch war das ein Stasibeamter, ersichtlich auch daran, ausgerüstet mit diversen neueren WT und „Erwachet!"-Ausgaben, dieses Gespräch zu suchen. In einer formal „freundlich" gehaltenen Gesprächsatmosphäre.

Eines seiner Gesprächsargumente war der „Erwachet!"-Artikel „Berlin - eine geteilte Stadt".

Siehe dazu:

Parsimony.8156

Zitat (S. 133)

„Sicher kannte er jede Passage auswendig. Er sagte: 'Ich muss zugeben, der Artikel stimmt, wenn gesagt wird: Im Westen der Stadt gibt es sehr viel Lichtreklame und die Schaufenster sind voll mit Angeboten, doch kommt der Besucher nach dem Ostteil der Stadt, dann sieht er leere Schaufenster, dafür aber viele Parolen auf Transparenten. Alles ist soweit richtig, nur ist es nicht ganz objektiv. Im Artikel hätte auch stehen müssen, dass die Miete im Hansaviertel für eine zwei Zimmerwohnung 350 DM kostet, dagegen in der Stalinallee 75 Mark. Das wäre eine objektive Berichterstattung ... Wenn Sie nun nach West-Berlin entlassen werden, könnten Sie doch einmal mit den Glaubensbrüdern dort sprechen, dass solche Berichte auch objektiv verfasst werden. Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns von Zeit zu Zeit treffen und durch ein freimütiges Gespräch diese Dinge erörtern."

ZurIndexseite