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Geschrieben von Drahbeck am 22. Mai 2004 01:58:43: Als Antwort auf: Re: 8. 5. 1954 (Vor fünfzig Jahren) geschrieben von Drahbeck am 15. Mai 2004 04:49:16: Ein Inserat in der "Erwachet!"-Ausgabe vom 22. Mai 1954 hat den folgenden
Wortlaut: Wer bitte schon kauft, wenn er eine Zeitschrift oder ein Buch erwirbt, gleich 200
Stück davon? In der Regel doch wohl keiner. Man lässt es wohl eher mit einem Exemplar
bewenden. Wer noch eine bewusste Erinnerung an die 1950er Jahre haben sollte, und zudem im geographischen Ostteil Deutschlands gelebt hat, der kann sich vielleicht noch daran erinnern. Westliche Flugblattaktionen waren auf der Tagesordnung. Egal, ob sie wie im Falle von CIA-gesteuerten russischen Emigrantenorganisation per Ballons abgeworfen wurden und in Waldgebieten noch monatelang danach auffindbar waren. Oder ob sie Besuchern Westberlins, die erkennbar aus dem Ostteil kamen, in Westberlin in die Hand gedrückt wurden, und anderes mehr. Wer bitte schön, hat als relevante Kraft, nach 1945 Jehovas Zeugen noch bezichtigt,
sie seien Kommunisten? In Deutschland wohl kaum einer. Auch nicht ihre kirchlichen Gegner.
Dieser Vorwurf lässt sich lokalisieren. Lokalisieren in die Hauptsache auf die USA.
Ausgesprochen von den dortigen politischen Falken und auch ihren kirchlichen
Schleppenträgern. 200 Stück Mindestabnahme pro ZJ-Verkündiger oder "Interessierte" beinhaltet ganz offensichtlich. Als Flugblattaktion gezielt auch im Osten eingesetzt. Das war der tatsächliche Ablauf. Und so hat denn so mancher Bewohner Ostdeutschlands, den die Zeugen Jehovas bei ihrer Predigttätigkeit nicht persönlich antrafen, einen "Gruss" von letzteren, in der Form dieses Flugblattes, in seinem Briefkasten vorgefunden. "Intensiv" gelesen werden es wohl die allerwenigsten haben. Aber immerhin; vielleicht hat sich beim überfliegen doch der Satz eingeprägt. Schon seit 1879 seien die Zeugen Jehovas gegen den Kommunismus. Eingeprägt hat sich dieser Satz mit Sicherheit zumindest bei den Verfolgungsbehörden in der DDR. Die Zeugen Jehovas haben ihnen damit frei Haus eine aus Stasi-Sicht Bestätigung des Kampfes gegen diese "Antikommunistenorganisation" geliefert. Eine Meldung aus der gleichen "Erwachet!"-Ausgabe in deren Rubrik: "Wir
beobachten die Welt": Auch zu dieser Meldung wird man wohl sagen können. Formal verpackt als "neutral" wird hier die Sicht der amerikanischen Falken weitergegeben. Der Kalte Krieg, ließ nach 1945 nicht lange auf sich warten. Eines seiner besonderen Austragsfelder: Deutschland (bekanntlich damals nunmehr zweigeteilt). Westberlin ein schmerzhafter Pfeil im Fleisch des Ostens. Dessen übervolle Schaufenster, und dagegen die Tristes des Ostens, zeitigten ihre Wirkung. Der Westen ließ sich diese Schaufensterfunktion einiges kosten. Allerspätestens wurde dies nach der deutschen Wiedervereinigung deutlich, als die Subventionen für Westberlin drastisch zurückgefahren wurden. Und so kann man denn im heute wiedervereinigten Berlin, auch in vormals Westberliner Gegenden, sozialen Brennpunkten begegnen, wo man dem unbedarften Besucher von außerhalb lieber den Rat geben mag, sich dort nichts des Nachts und alleine zu bewegen. Er könnte sonst noch unangenehme Erfahrungen sammeln. Oder auch solche Besonderheiten Berlins. Zur Zeit seiner Teilung gab es in dessen
Nahverkehrssystem auch U-Bahn-Linien, die sowohl Gebiete in Ost wie Westberlin
durchfuhren. Diese U-Bahn-Linien wurden dem Westen zugestanden. Das heißt sie fuhren von
Westberlin nach Westberlin und die dazwischen liegenden Bahnhöfe in Ostberlin wurden ohne
Halt durchfahren. Indem die sozialen Spannungen, auch in dieser Stadt, größer werden, verschärfen sich die Probleme. Dagegen sind die an jeder Kaufhalle oder Bahnhof mit unversteuerten Zigaretten handelnden Vietnamesen, "fast" noch harmlos. Es sei denn sie bekriegen sich mal wieder untereinander mit Bandenkriegen, auch mal mit tödlichen Ausgängen. Summa Summarum. Auch das vormalige "Schaufenster Westberlin" ist inzwischen verkommen. Nicht unbedingt in den Villenvierteln des Politiker- und Banken-Absahner-Sumpfes. Aber doch in etlichen nachgewiesenen Problemgebieten. Zu Zeiten des kalten Krieges herrschte da noch eine andere Stimmung. Auch dabei kam es
auf die Wertung an. Der Osten beispielsweise, verklärte seine Bankrotterklärung
anläßlich des Mauerbaues vom 13. August 1961, zu einem "antifaschistischen
Schutzwall". Das der kalte Krieg herrschte ist unbestritten. Nun veröffentlicht auch
"Erwachet!" in derselben Ausgabe dazu einen Artikel unter der Überschrift:
"Berlin - eine geteilte Stadt". Jener "Erwachet!" Artikel über Berlin, sagt in der Substanz nicht direkt falsches aus. Er ist aber allem Wortgeklingel von "Neutralität" zum Trotz, westlich orientiert. Er hätte ebensogut, ohne jegliche "Bauchschmerzen", dem von den USA finanzierten Rundfunksender RIAS in Westberlin, als Manuskriptvorlage für eine Feature-Sendung dienen können. So schließt sich auch in dieser Richtung der Kreis. Nachstehend noch ein paar Zitate aus "Berlin - eine geteilte Stadt": Zunächst waren die Russen alleinige Beherrscher der Stadt, und die Bevölkerung denkt
nicht gern an die Tage zurück, wo diese Eroberer in ihrem Siegestaumel willkürlich das
taten, was ihnen gerade in den Sinn kam. Durch das Potsdamer Abkommen der vier
Großmächte wurde jedoch beschlossen, dass Berlin eine viergeteilte Stadt werden sollte,
d. h. sie wurde in vier Sektoren eingeteilt, die zunächst von vier Stadtkommandanten
verwaltet wurden. Das russische Militär mußte also den größten Teil der Stadt räumen.
Die Bevölkerung atmete auf. Berlin hatte es am Ende des Jahres 1947 wieder auf 3.250.000 Einwohner gebracht. In der Mitte des folgenden Jahres wurde es weiter gespalten, indem erst die Währungsreform im Westen und dann im Osten der Stadt zwei verschiedene Währungen brachte. Ende Juni 1948 verhängten die Russen die Blockade über die Westsektoren Berlins. Nun durften keine Fahrzeuge mehr von Westdeutschland nach Westberlin, um der dortigen Bevölkerung Nahrung, Kleidung und Brennstoff zu bringen. Sollten jetzt die 2.500.000 Westberliner sich flehend an den Osten um Nahrung wenden? Die Westalliierten machten den Russen einen Strich durch die Rechnung, indem sie die "Lufbrücke" einführten. Im Sommer 1949 hätte kein Kind mehr Ost- mit Westberlin verwechseln können. Der Kontrast war schon so groß, dass ein kurzer Blick aus dem Fenster eines fahrenden Zuges zeigte, ob man sich im Westen oder Osten befand. Die Geschäfte in den Westsektoren Berlins waren übervoll von Waren, und jeder konnte sich dort für sein Geld kaufen, wozu er Lust hatte, während es im Ostsektor kaum die Nahrungsmittel gab, die auf den Rationierungskarten zugeteilt wurden. Aus dem sowjetischen Sektor Berlins wurde Ende 1949 durch die Gründung der "Deutschen Demokratischen Republik" der "Demokratische Sektor". Von Demokratie war aber von Monat zu Monat immer weniger zu spüren. Im Jahre 1950 wurden auch Jehovas Zeugen in der DDR und somit auch im Ostsektor Berlins verboten und grausame Verfolgungen gegen sie eingeleitet. Die sogenannte Stufe II der Sowjetisierung Ostdeutschlands war die Einführung eines "sozialistischen Rechts" nach sowjetischem Vorbild; die Schaffung modernster Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft, stärkere Heranziehung von Frauen zur Männerarbeit, Ausdehnung der Brigadenarbeit und Förderung der Kolchosenwirtschaft wie in Rußland. Dies schloß auch "revolutionäre Wachsamkeit" in allen Bevölkerungsschichten ein, d. h. Bespitzelung, Denunziation, Verhaftung und Kontrollen über Kontrollen; Kontrollen bis zur Leibesvisitation auf Straßen. Kurz gesagt ein Zwangsstaat. Zugleich forderte diese Partei von der evangelischen und katholischen Geistlichkeit, ihre "Maske der Neutralität" abzulegen, "sich von den amerikanischen und englischen Agenturen" loszusagen. Diese beruhigten ihr schlechtes Gewissen mit dem verdrehten Gedanken, sie seien berufen, eine Mittlerrolle zwischen Ost und West zu spielen. Die ostdeutsche sowjethörige Regierung hat eine Grenze, die früher nur eine Demarkationslinie war, zwischen Ost- und Westdeutschland errichtet, indem sie einen Streifen Niemandsland zwischen den Besatzungszonen von der Ostsee bis an die Grenze der Tschechoslowakei durch Vertreibung von Bauern und Siedlern, Wegnahme von Feldern, Wiesen und Wäldern und durch Umpflügen von Getreidefeldern festlegte. Rings um den westlichen Teil Berlins wurden "Wachttürme", wie sie in Rußland bestehen, errichtet, um jeden Menschen zu hindern, von Ost nach West zu gelangen. Die Volkspolizei wurde zu einer Armee umgeformt, der Unterricht im Gebrauch von Waffen in Fabriken, Schulen usw. eingeführt, ein Arbeitsdienst nach dem Vorbild Hitlers eingerichtet. Wie eine Insel, umgeben von diesem "roten Meer" der kommunistischen Welt, liegt nun Westberlin da, dieser Teil der ehemaligen Hauptstadt Deutschlands mit der westlichen Welt durch Autostraßen, Eisenbahnlinien und Fluglinien verbunden. Diese Wege, die die Versorgung mit allen Gebrauchsgütern, Lebensmitteln, Kohle und Industriegütern der Westberliner zur Aufgabe haben, werden fortgesetzt durch alle möglichen Schikanen von den Russen und ihren deutschen Handlangern gestört. Scheinbar betreiben die Russen diese "Politik der Nadelstiche", um festzustellen, inwieweit die Erklärung der Westmächte, "ein Angriff auf Westberlin bedeute einen Angriff auf sie selbst", wirklich ernst zu nehmen ist. So vergeht in Berlin fast kein Tag, wo nicht irgendwo und irgendwie die Freiheit und Sicherheit seiner Bewohner bedroht oder angegriffen wird. 'Der Abend' vom 19. Juli 1952 berichtete, daß im Mai 1952 129 Personen verschleppt wurden. Furcht vor dem kommunistischen System erfüllt daher heute viele Einwohner Westberlins, weil sie wissen, daß ihr Widerstand gegen das System zur Zeit der Blockade, zur Zeit, da die Stadt noch nicht geteilt war, und in den Jahren nach 1949 ihnen den ganzen Haß der Sowjets eingetragen hat. Ihre politische Gesinnung und ihre Handlungsweise werden von in Westberlin lebenden Kommunisten und Tausenden von Spitzeln genau registriert und nach dem Osten berichtet. Rührige politische Führer haben nun die Ablehnung des Kommunismus durch die Berliner Bevölkerung zu einem "Freiheits-Kampf" organisiert und ihre Stadt zu einem "Symbol der Freiheit" gemacht. "Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde des einzelnen Menschen. Ich glaube, daß allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich schwöre, der Aggression und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo immer sie auf Erden auftreten werden!" Diese Worte ertönen seit dem 24. Oktober 1950 täglich über den Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) Berlins. Mit der Zunahme des politischen Druckes wuchs die Zahl der Flüchtlinge, die aus Ostdeutschland nach Westberlin kamen. Im Jahre 1951 flohen täglich ungefähr 300 Personen. Doch der Flüchtlingsstrom stieg im Jahre 1952 von 55 300 auf 124 300 Personen an. Im Juni erreichte er die Rekordziffer von 5000 an einem Tag! Diese Menschen verließen ihre Heime, ihre von Urvätern ererbten Bauernhöfe, um der Kollektivierung zu entgehen oder aus Furcht vor Verhaftung, weil sie ihr Abgabesoll nicht erfüllen konnten. Geschäftsleute, Ärzte, Männer, Frauen, Kinder, nur mit dem Nötigsten ausgerüstet, flohen aus dem "Paradies" des Kommunismus in die sogenannte "freie Welt". In die Uniform der Armee dieses Polizeistaates gepreßte Jungen kamen teilweise in Uniform und mit Waffen und versuchten, Asyl in Westberlin zu erlangen. In einem Monat, im September 1952, kamen von diesen Volkspolizisten 397 Mann, an einem Rekordtag des Jahres 1953 kamen 167 nach Westberlin. Was kann Berlin diesen Flüchtlingen bieten? Zunächst nur ein Obdach in einem der überfüllten 40 Flüchtlingslager. Eine alte, leerstehende Fabrik mit rohen, ungetünchten Wänden ist in allen Stockwerken mit zwei oder dreistöckigen Bettgestellen gefüllt, in deren schmalen Zwischengängen sich das Leben dieser Bedauernswerten abspielt, wenn das Wetter nicht gestattet, im Freien, auf dem Hofe oder den umliegenden Straßen zu sitzen oder zu stehen. Im unteren Stockwerk ist die Aufnahme, die Ausgabe der Mahlzeiten und ein Eßraum. Die Tagesverpflegung ist nicht schlecht; ja sie ist reichlich und gut im Vergleich zu allem, was die Einwohner der Ostzone für ihren täglichen Unterhalt haben. Am 16. Juni 1953 begannen sich Arbeiter zu einem Demonstrationszug zusammenzuschließen, der sich in Richtung des Sitzes der kommunistischen Regierung bewegte. Sie forderten in Sprechchören freie, geheime Wahlen, Abschaffung der Arbeitsnormen, Beseitigung der tyrannischen Regierung und Freilassung der politischen Gefangenen. Immer mehr Menschen schlössen sich dem Demonstrationszug an, der sich nun damit beschäftigte, die kommunistischen Transparente, die überall an den Häusern angebracht waren, zu entfernen und zu zerstören. Dies war der Funke, auf den die Arbeiter in der ganzen Ostzone Deutschlands gewartet hatten, und nun sprang er auch auf alle dortigen größeren Städte über. Die Meldungen häuften sich, wonach überall Tausende in den Ausstand getreten waren. Der erste Generalstreik gegen den Terror seit vielen Jahren war im Osten im Gange. Die Bevölkerung Ostberlins jubelte! Dieser Optimismus war aber
verfrüht. Es dauerte nicht lange, und schwere russische Panzer fuhren gegen die
Demonstranten an, worauf sich diese zerstreuten. Auch verhängte der sowjetische
Stadtkommandant den Ausnahmezustand über Ostberlin. Alle Demonstrationen und
Versammlungen, Kundgebungen und sonstigen Menschenansammlungen von mehr als drei Personen
wurden streng verboten. Bei Einbruch der Dunkelheit mußte jeder von der Straße
verschwunden sein. Wer zuwiderhandelte, wurde nach dem Kriegsrecht bestraft. Der Streik
war zusammengebrochen. Die Arbeiter, soweit man sie nicht verhaftet hat, seufzen weiter
und sehen keinen Ausweg. Sie sehen auch keine Lösung, wie ihr Berlin wieder einmal
vereinigt werden kann.
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