Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Andre Gursky

In der Nr. 7, der vom Landesbeauftragten Sachsen-Anhalt für die Stasi-Unterlagen herausgegebenen Reihe Reihe "Sachbeiträge" hatte sich Andre Gursky einmal mit den Fall des evangelischen Studentenpfarrers Johannes Hamel befasst. Sollten Jehovas Zeugen der irrtümlichen Meinung sein, dass "nur" sie vom DDR-Regime hart angefasst wurden, so können die Ausführungen über Hamel sie eines anderen belehren. Hamel wurde vom DDR-Regime im Jahre 1953 verhaftet. Sein Fall schlug auch andernorts hohe Wellen.

Immerhin hatte Hamel noch dergestalt "Glück im Unglück"; dass selbst der international als renommierter Theologe bekannte Karl Barth aus der Schweiz, sich für ihn verwandte.

Barth tat einen bemerkenswerten Schritt. Er wandte sich brieflich in dieser Sache an den damaligen DDR-Staatssicherheitsminister Zaisser.

In seinem diesbezüglichen Protest-Schreiben vom 2. 3. 1953 führte Barth unter anderem aus:

"Die Tatsache, daß die Kirche im Bereich der DDR bis jetzt die Freiheit hatte, innerhalb des sozialistischen Staatswesens ihr eigenes Leben zu leben … gehört bis heute zu den Punkten, auf die man in der westlichen Welt inmitten des allgemeinen Sturmes von Entrüstung über die ungewöhnlichen Maßnahmen und Verhaltensweisen der sozialistischen Regierungen der Ost-Staaten mit gutem Gewissen in positivem Sinne hinweisen konnte.

Es scheint sich dann etwas vom Schlimmsten, was die ausgesprochenen Gegner der östlichen Staats- und Regierungsform im ganzen Westen behauptet haben, zu bewahrheiten: es könne in dem Machtbereich der DDR (wie einst im Machtbereich des Hitlerstaates) nur eine der offiziellen Kulturdoktrin gleichgeschaltete, also unfreie, also notwendig unchristliche Kirche legitimen Bestand haben, es werde sich eine Kirche, die sich als christliche Kirche erhalten wolle, in irgendwelche 'Katakomben' zurückziehen müssen."

Schon einmal (einige Jahre vorher) war der gleiche Karl Barth um eine ähnliche Hilfeleistung gebeten worden. Damals von den Zeugen Jehovas, die sich durch das Hitlerregime bedrängt wussten. Zürcher druckt in seinem "Kreuzzug gegen das Christentum" das damalige Barth-Votum ab. In dürren Worten bescheinigt ihnen da Barth:

"Auf Ihrem Wunsch bestätige ich Ihnen gerne schriftlich:

Die 'Zeugen Jehovas' (Ernste Bibelforscher) sind mir bekannt. … Die Beschuldigung, dass die 'Zeugen Jehovas' mit den Kommunisten zusammenhängen, kann nur auf einem unfreiwilligen oder auch absichtlichen Missverständnis beruhen."

Er bescheinigt ihnen damals lediglich die Binsenweisheit.

Das sind keine Kommunisten. Ansonsten bescheinigt er ihnen gar nichts. Er sagt nicht: Ihre Interpretation des Staatsverständnisses gemäß Römer 13, die massgeblich für ihre Leiden mitverantwortlich sei, wäre die "rechte". Er sagt nicht, die sich auf dem Staatsverständnis der Zeugen Jehovas aufbauende Wut der Nazis auf selbige, sei ein unabwendbar, biblisch legitimiertes Schicksal. Keine diesbezügliche Silbe bei Barth.

Vergleicht man demgegenüber das Barth-Votum von 1953 kommt man nicht umhin festzustellen: Der gleiche Karl Barth konnte auch anders!

Es wurde eben Karl Barth zitiert. Da gilt es in der Tat noch etwas weiter auszuholen. Kein Geringerer als der Herr B., gehört auch zu den Barth-Gegnern. Man vergleiche sein "Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung" S.13.

Warum? Eindeutig aus politischen Gründen. Nach B. haben die DDR-Kirchen eine für die West-Pharisäer Made in B., unverzeihliche Kardinalsünde begangen. Sie ließen sich, so Zitat B. "Aus der geschlossenen Front der Evangelischen Kirche in Deutschland gegen das Unrechtsregime herausbrechen."

Als Hauptübeltäter meint B. die Thüringer Evangelische Kirche wahrzunehmen, die da als erste "schwach" wurde. Aber auch auf westlicher Seite registriert er einen "Wehrdienstverweigerer" im "heiligen Kreuzzug" gegen den Osten. Schlimm für Kreuzfahrer B. dass der noch dazu in der Schweiz saß und sich nicht etwa in ein Mauseloch verkroch. Das verzeihen die B.'s und Helmut Kohl natürlich noch heute nicht.

Hatte dieser Karl Barth doch tatsächlich im Jahre 1958 eine Schrift veröffentlicht mit dem Titel "Brief an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik". Was teilte Barth darin mit, was den Transatlantiker B. noch heute rot sehen lässt?

Nun dies. Er schrieb darin unter anderem:

Sie konnte mich für einen Augenblick an das Warum? Erinnern, das ich vor bald zwei Jahren, als die Ost-West-Wogen auch bei uns wieder einmal besonders hoch gingen, von einem vielgenannten amerikanischen Theologen in aller Öffentlichkeit zu hören bekam: 'Why is Karl Barth silent about Hungary?'

Dazu habe ich damals kein einziges Wort gesagt. Es war mit Händen zu greifen, daß das keine echte Frage war. Sie kam nicht aus der praktischen Bedrängnis eines Christen, der mit einem anderen Austausch und Gemeinschaft sucht, sondern aus der sicheren Burg eines hart gesotten westlichen Politikers, der, wie Politiker es zu tun pflegen, einen Gegner aufs Glatteis führen, mich entweder zu einem Bekenntnis zu seinem primitiven Antikommunismus zwingen oder mich als heimlichen Prokommunisten entlarven und mich so oder so auch als Theologen diskreditieren wollte.

Und Sie befürchten doch nach Ihrem eigenen Ausdruck 'nichts mehr als eine Befreiung im Sinne Adenauers, die uns zu den Fleischtöpfer Ägyptens zurückführen würde'. Sie würdigen den Sozialismus Ihres Staates als respektablen Versuch, ein Neues zu pflügen und wünschen ihm, ohne sich durch die düsteren Prognosen des Westdeutschen Rundfunks irre machen zu lassen, eine gesunde, freiheitliche Entwicklung. Sie führen dann freilich eine Reihe von harten Tatsachen an, die Ihnen als Christ und Pfarrer in der deutschen Ostzone schwerste Mühe machen.

Wie soll ich Ihnen schreiben, ohne merken zu lassen, daß ich zum Geist und zur Sprache, zu den Methoden und Praktiken des bei Ihnen herrschenden Systems so wenig Ja sagen kann wie zu den Mächten und Gewalten, die hier im Westen über uns sind? Daß ich, wenn das sichtbar wird, die kleine Gloria eines immerhin 'fortschrittlichen' Theologen, deren ich mich im Osten bisher manchen Ortes erfreuen durfte, leicht verlustig gehen könnte, möchte zu tragen sein. Wie soll ich es aber sichtbar machen, ohne ungewollt allerlei Scheiter in das hierseits ohnehin wüst genug lodernde und sicher bei Ihnen erst recht fort und fort glimmende Feuer des Antikommunismus zu werfen und dann von Leuten gelobt und benützt zu werden, die ich für die notorisch schlimmeren Feinde aller Wahrheit, aller Gerechtigkeit, alles Friedens halte?

Nicht nur der offene Totalitarismus bei Ihnen, sondern auch der schleichende bei uns, nicht nur das Schalten und Walten der allmächtigen Partei, Propaganda und Polizei dort, sondern auch das der ebenso allmächtigen Presse, Privatwirtschaft, Protzerei und Publikumsmeinung hier. Um dieses Zeugnisses willen gilt es hier wie dort 'fest im Glauben zu widerstehen'.

Gott über alle Dinge! Er auch über dem Atheismus und Materialismus, mit dem es Ihr Staat ja wirklich etwas toll zu treiben scheint.

Ich kenne doch das große Lehr- und Bilderbuch, das mit den Nebelflecken anfängt und mit den Portraits von Karl Marx, Lenin und (in meinem Exemplar) noch von Stalin endigt! Aber Gott auch darüber! Oder meinen Sie, daß man mit dem, was sich unter jenen Titeln breit macht, wirklich dem lebendigen Gott und wirklich auch nur einem einzigen Menschen - ob Kind oder Erwachsener, Gebildeter oder Ungebildeter - real und effektiv zu nahe treten kann? Mit ein bißchen oder auch sehr viel Materialismus (nach so viel üblem Idealismus, mit dem wir es ja lange genug auch ziemlich toll getrieben haben!) Schon gar nicht. Ruhig Blut: die Blase eines reinen und ebenso üblen Materialismus wird - die Meisterwerke des dortigen Hofdichters werden daran nichts ändern können - zu ihrer Stunde ebenso platzen, wie jene andere zu ihrer Stunde platzen mußte. Und wie ist es mit dem Atheismus? Meinen Sie nicht auch, daß das Allermeiste, was sich dafür ausgibt, nur insofern ernst zu nehmen ist, als es auf Mißverständnisse zurückgeht, an denen u. a. die Christenheit mit ihrer bisherigen Lehre, Haltung und Praxis nicht eben wenig, sondern sehr viel Schuld trägt?

'Totalitär', aufs Ganze gehend, jeden Menschen und jeden für sich in Anspruch nehmend, ist ja auch die freie, die wahrhaft göttliche und wahrhaft menschliche Gnade des Evangeliums, die Sie dort wie hier verkündigen dürfen.

Was haben wir da nicht alles für selbstverständlich notwendig gehalten! Die Existenz einer von der übrigen Gesellschaft und besonders vom Staat garantierten oder doch respektierten oder mindestens tolerierten, inmitten des sozialen Gefüges an ihrem Ort so oder so wohl aufgehobenen Kirche! … Der Einfluß der Kirche auf die öffentliche Erziehung und Unterrichtung und Bildung der Jugend - mit dem Maximalanspruch: die Schule müßte von rechtswegen christliche Schule sein, mit dem Minimalanspruch: es dürfte dort dem 'Christentum' doch nicht geradezu entgegengewirkt werden! Das Prestige oder doch die Würde ihrer öffentlichen Vertreter inmitten der Träger der übrigen Ordnungs- und Kulturmächte! Ihr direktes und indirektes, erwünschtes oder unerwünschtes, aber jedenfalls formal freies Mitreden in den allgemein menschlichen Angelegenheiten! War die Christenheit in dem alles wohl nie und nirgends ganz unangefochten (in den letzten Jahrhunderten schon gar nicht), so schien es uns doch das Natürlichste von der Welt, daß die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus ungefähr in diesen Bahnen verlaufen sollte.

Was bei Ihnen in der DDR und wohl auch in den anderen marxistisch orientierten Ländern kommt, das scheint ein dicker Strich durch diese ganze Rechnung zu sein. Er ist wohl auch bei uns im Westen im Kommen. Bei Ihnen ist es nicht mehr zu übersehen, daß er kommt.

Es war ja einer Ihrer namhaftesten und besten Männer, Generalsuperintendent Günther Jacob in Cottbus, der vor einiger Zeit das Wort vom eingetretenen 'Ende des konstantinischen Zeitalters' ausgegeben hat. Weil ich vor geschichtsphilosophischen Theorien aller Art eine gewisse Scheu habe zögere ich, mir dieses Wort zu eigen zu machen. Aber das ist sicher, daß sich so etwas wie das Kommen dieses Endes heute ein wenig überall und in Ihrem Bereich nun eben in ganz besonders scharfen Kanten abzuzeichnen beginnt.

Einer unserer theologischen Lehrer hat einmal behauptet, daß die 'Stillen im Lande' das Dritte Reich weggebetet haben. Wäre ein gleiches Gebet uns in der heutigen Situation erlaubt? Antwort: Jene Nachricht will mir darum nicht so recht gefallen, weil 1933 jedenfalls gewisse 'Stille im Lande' (ich las die Lebensbeschreibung des großen Gemeinschaftsmannes und Diakonissenvaters Krawielitzki) zunächst ungemein kräftig beim Kommen des Dritten Reiches mitgewirkt haben. Ob Sie bei einem heute allfällig zu unternehmenden 'Wegbeten' der DDR mittun dürfen oder wollen, hängt davon ab, ob Sie es ernstlich verantworten können, dem lieben Gott mit solcher Bitte zu kommen? Ob Sie nicht befürchten, daß er Sie in der Weise schrecklich erhören könnte, daß er Sie eines Morgens bei jenen 'Fleischtöpfen Ägyptens', als einen dem 'American way of life' Verpflichteten erwachen ließe? Ob Sie es nicht furchtbarer finden sollten, statt gegen für die DDR zu beten und im Übrigen um Licht und Kraft zu einem rechten christlichen Sein und Tun nun gerade in der DDR?

Nach dem früher Ausgeführten werden Sie, was ich dazu zu sagen habe, gewiß im voraus erraten können. Ich kann an eine der Kirche gebotene oder auch nur erlaubte 'Selbstverteidigung' so wenig glauben wie an einen ihr legitim zukommenden 'Öffentlichkeitsanspruch'. 'Raum für eine ungehinderte Verkündigung' zu bekommen, kann sie vom Staat und von der Gesellschaft wohl in guter Hoffnung erwarten, und wenn sie ihn bekommt, dankbar davon Gebrauch machen. Ein zu verkündigendes Recht darauf hat sie nicht und auf ein solches zu pochen, hat keinen Sinn.

Lassen Sie es, ohne mit Maßnahmen zur Verteidigung der alten Räume viel Zeit und Kraft zu verlieren, darauf ankommen, wessen Licht, wenn die Dinge auf unserer Seite in Ordnung gehen, länger brennen wird! - Die von Ihnen erwähnten 'Friedenspastoren', deren von Ihnen zitierte 'Mahnung' in meinen Ohren freilich etwas schwülstig klingt, kenne ich nicht.

Vielleicht daß Einige von ihnen es recht oder doch nicht schlecht meinen, vielleicht daß Andere unter ihnen nur eben Kollaborationisten sind. Mein Rat geht dahin: Sie möchten sich weder positiv noch negativ an ihnen orientieren, sondern Ihr Gesicht, wie ich es einst den Deutschen Christen gegenüber zu tun empfohlen habe, 'steif nach Jerusalem' wenden.

Karl Barth handelte sich für seine Ausführungen massive Schelte kirchlicherseits in Westdeutschland, aber auch in Ostdeutschland ein. Bei B. im genannten Buch auch umfänglich dokumentiert (die Kritik an Barth). Vorstehende Zitate aus der eigentlichen Barth-Schrift findet man bei B. nicht. Er gibt nur lang und breit dass wieder was die Barth-Kritiker dazu als Antwort sagten.

Offenbar hatte Barth da in ein Wespennest gestochen. Eine "bissige Wespe" namens Otto Dibelius ging schon 1959 zum Gegenangriff über. Nicht das da Barth direkt genannt wurde. Es ging Dibelius nicht um Personen, sondern um die Sache. Und das ganze spielte sich mittels seiner berühmt-berüchtigten Obrigkeitsschrift ab. Dibelius verstieg sich darin gar zu der sinngemäßen Behauptung. Er könne zwar Verkehrsvorschriften westlicher Länder akzeptieren (auch wenn er sie im Einzelfall als widersinnig) ansehe. Nicht jedoch die des östlichen Regimes, weil die ja nach Dibelius gar keine Obrigkeit gemäß Römer 13 seien.

Mit diesem griffigen Vergleich hatte Dibelius die Sache durchaus auf den Punkt gebracht. Nicht alle in seiner Kirche waren über solch konsequente Gegnerschaft "glücklich". Auch Dibelius erntete darauf Kritik. Beifall hingegen bekam Dibelius jedoch, wer hätte es gedacht, von den Zeugen Jehovas! Die bescheinigten ihm. Du hast recht, lieber Otto Dibelius. Nur hast du keinen Urheberanspruch. Den haben wir schon. Und was Deine Kritiker in Deiner Kirche anbelangt. Da sieht man mal wieder, das wir doch besser dran sind. Bei uns gibt es das nicht. Was Brooklyn angewiesen hat, ist unumstößliches Gesetz. Daran wird nicht mehr kritisiert oder gedeutelt. Dibelius. Du nennst einen Lahmen Haufen dein eigen. Wir sind besser!

Heil! Nathan H. Knorr! (Man vergleiche dazu auch: "Geschichte der ZJ" S. 355, 356).

Um noch mal auf Karl Barth zurückzukommen

Was hatte Barth zu Protokoll gegeben? Bejubelte er das östliche System? Wer das sagen möchte, muss wohl diesen Text mit der Brechstange bearbeiten. Aber sicher, er "schwächte" die Kampffront. Und nur Kämpfer, kalte Krieger, verdienen in den Augen der B.s Anerkennung. Sagte das Hitler-Regime 1932 (also bevor es an der Macht war: "Nie wieder Krieg - bedeutet nie wieder Sieg") so könnte dies auch die unausgesprochene Parole einiger anderer sein. Und in diesem Kriegskonzert spielte Karl Barth in der Tat nicht mit.

Das erklärt denn auch B.'s sonderbare Freundschaft zu den heutigen Zeugen Jehovas mit. Kalte Krieger schätzen und befördern sich eben untereinander nach Kräften!

Eines schon macht dieses Beispiel deutlich. Die geschichtlich zu registrierenden Leiden der Zeugen Jehovas können durchaus unterschiedlich bewertet werden. Die diesbezügliche WTG-Interpretation ist zur Genüge bekannt. Man wähnt sich als "verfolgte Unschuld vom Lande". Kritische Rückfragen bezüglich des eigenen Anteils an dieser Entwicklung? In der Regel auf WTG-Seite Fehlanzeige. Gerade das falsche, Konflikte heraufbeschwörende Staatsverständnis der zeitgenössischen Zeugen Jehovas wird etwa bei D. verbal zugegeben; zugleich jedoch bagatellisiert und nicht im notwendigen Maße gewürdigt.

Allerdings ist zu konstatieren, dass andernorts diese Schwachpunkte des Zeugen Jehovas-Verhaltens sehr wohl umfänglich thematisiert wurden. Etwa in jener Publizistik wie sie etwa auch seitens der DDR vorliegt.

Zu DDR-Zeiten hiess diesbezüglich die WTG-These "aussitzen", nicht näher auf sie eingehen. Einer dieser Aussitzer, Herr M. J., rühmt sich heute noch, diesbezügliche WTG-Anweisungen befolgt zu haben. Etwa wenn er dass auch ihm zugestellte Blatt "Christliche Verantwortung" glaubte, nicht zur Kenntnis nehmen zu brauchen.

Indes einen Unterschied gilt es doch noch zu nennen. Nach 1989 fühlten sie die vormaligen Aussitzer, kraft ihrer "Wassersuppe" plötzlich stark. Es gab durchaus zu registrierende Ansätze, noch im Nachhinein "Zeter und Mordio" zu schreien, dass es die DDR gewagt habe, den Zeugen Jehovas auch publizistisch Paroli zu bieten. Letzteres schmeckt den Herren und Damen H., B., D., Y. nicht so sonderlich. Tangiert es doch auch ihre eigenen Legendenbildungen. Und so bemühen sie sich denn nach kräften, die alte Aussitzerstrategie fortzusetzen. Allerdings befinden sie sich da irgendwie in einer Art Zwiespalt. Einerseits möchten sie die Legende der "verfolgten Unschuld vom Lande" nach kräften forcieren und dabei auch den Buhmann-Finger auf die DDR-Publizistik in Sachen ZJ richten. Andererseits sich wirklich mit ihr echt auseinanderzusetzen. Das ginge dann ja ans "Eingemachte". Das erfolgt von ihrer Seite aus auch weiterhin nicht.

Eine Verschwörung des Schweigens, bzw. der Legendenbildung, lässt sich in gewissem Umfang weiterhin festsstellen. Nur wie das manchmal so ist. Nicht alle Außenstehenden lassen sich von der WTG kaufen. Einige fragen weiter. Nicht unbedingt etwa der Herr Neubert von der Berliner Gauckzentrale. Dem würde ich ähnliche Oberflächlichkeit bescheinigen. Etwa wenn er in seinem seinerzeitigem Buch "Vergebung oder Weißwäscherei" glaubt den Zeugen Jehovas bescheinigen zu sollen:

"Daß diese ... ein urchristliches Mittel hatten an dem es in den großen Kirchen oft genug fehlte: die Bereitschaft zum Leiden." Ich fürchte für Herrn Neubert nur. Hätte sich ein Karl Barth mit dem gleichen Sachverhalt befasst, er hätte grundlegend andere Formulierungen dafür gewählt. Gleichwohl bleibt letztere These spekulativ, da Barth bekanntermaßen nicht mehr unter den Lebenden weilt.

Drei "rote Tücher" glauben wie WTG-Apologeten im besonderen wahrzunehmen bezüglich der DDR. Da wären einmal die beiden Bücher zum Thema und die Zeitschrift "Christliche Verantwortung". Argumentativ geht man seitens der WTG darauf bis heute nicht ein; andererseits aber doch in der Gestalt vermeintlich abwertender hingeworfener Brocken. Ein solches Lieblingsthema genannter Apologeten stellt die Verfasserfrage etwa des Uraniabuches dar. Oder auch dass es das Pape-Buch in unterschiedlichen Versionen sowohl in Ost wie West gab; und eben auch das Thema "Christliche Verantwortung".

Herr Neubert und seine Berliner Mannen sind in ihrer Selbstzufriedenheit erstarrt. Haben sie doch dem WTG-Rechtsanwalt D. die Auswertung ihrer Aktenbestände erlaubt. Wesentliches Plus für Herrn D.. Er ist gebürtiger Westdeutscher. Schon mal eine wichtige Voraussetzung um in ihrem Pharisäerverein Aktenzugang zu bekommen.

Da gibt es aber nicht nur die Berliner Zentrale dieser Behörde, sondern auch noch, gemäß der föderalen Struktur der BRD, Länderbeauftragte. Ein solcher, im Dienste des Landes Sachsen-Anhalt stehende, hat sich nun mal ein eigenes Bild zum Thema verschafft.

Die Ergebnisse dessen liegen jetzt (auch Online) vor. Titel der Broschüre:

„Zwischen Aufklärung und Zersetzung"
Zum Einfluß des MfS auf die Zeugen Jehovas in der DDR am Beispiel der Brüder Pape
". Sachbeiträge Nr. 27.

Um es gleich vorweg zu sagen. In meinen vorstehenden Ausführungen wurde eindeutige Kritik an einigen auch heute noch machtvollen Herrschaften ausgeübt. Deren Thesen versucht auch Gursky wiederzugeben; aber in der neutralen Form. Er "hütet" sich irgendwie sich mit genannten Herrschaften direkt anzulegen. Beispielsweise kommt er auch auf die Ausführungen zu sprechen, die Herr B.in Sachen sogenannt "theokratischer Kriegslist" der Zeugen Jehovas einmal machte. Seine im Prinzip B. nur wiederholende Ausführungen hinterlassen einen fahlen Beigeschmack, denn aus meiner Sicht hat sich B. diesbezüglich einer üblen Klitterei schuldig gemacht. Von dieser Kontroverse bekommt man wenn man nur Gursky liest, allerdings nichts mit. In dieser Sache hatte ich schon einmal an anderer Stelle ausgeführt, dass B. den eigentlichen Kern dieser "Kriegslist" bagatellisierte, etwa wenn ausgeführt wird:

B. äußert: „Als Problem bezeichnet Link die Praxis der Geheimhaltung interner Unterlagen mit dem 'Schleier des Geheimnisses', mit dem die ZJ ihr Wirken überzögen. Dahinter stehe die Methode der 'theokratischen Kriegslist.' Um deren Existenz und das auf den ersten Blick in der Tat merkwürdige Wahrheitsverständnis zu belegen, zitiert Link aus einer 40 Jahre alten Wachtturmveröffentlichung, ohne freilich den Kontext zu erwähnen. Aus diesem geht nämlich hervor, dass eine in Ostdeutschland beschattete Zeugin Jehovas, die eine rote Bluse trug, im Hausflur rasch ihre Kleidung wechselte. Als sie beim Heraustreten von dem Verfolger gefragt wurde, ob sie eine Frau mit roter Bluse gesehen habe, verneinte sie die Frage. Kommentar des 'Wachtturms': 'Sie war keine Lügnerin. Vielmehr wandte sie theokratische Kriegslist an, indem sie die Wahrheit um des Predigtdienstes willen durch Wort und Tat verbarg." (II S. 166, 167)

In seiner dazugehörigen Anmerkungsnummer verweist B. als Quelle auf den WT vom 1. 7. 1957 S. 413f. Was B. in seiner Replik allerdings bewusst vergisst hinzuzufügen ist, dass seine zitierte Replik im WT als „Erfahrungsbericht" ohne grundsätzlichen Charakter erschien. Jedoch findet sich darin auch der bedeutungsvolle - von B. nicht zitierte - Satz: „In bezug auf Einzelheiten siehe den Wachtturm vom 15. April 1956."

Schlägt man letzteren nach, gewinnt die Sache schon konkretere Gestalt. In jenem Artikel (15. 4. 1956) konnte man beispielsweise lesen: „Man denke daran, dass damals Krieg herrschte. Die Feinde verdienten es nicht, dass man ihnen, zum Schaden oder zur Gefährdung der Knechte Jehovas, die Wahrheit mitteilten. In Kriegszeiten ist es angebracht, den wölfischen Feind auf falsche Fährte zu lenken. Während die in falscher Richtung weggesandten Leute des Königs eine nutzlose Verfolgung aufnahmen, half Rahab den zwei Kundschaftern über die Stadtmauer zu entkommen. Gottes Wort lobt ihre Tat als praktischen Beweis ihres Glaubens." (S. 240, 241)

„Da die unchristlichen 'Wölfe' den 'Schafen' den Krieg erklären und 'tatsächlich wider Gott streiten' wollen, ist es angebracht, dass die harmlosen 'Schafe' im Interesse des Werkes Gottes gegenüber den 'Wölfen' Kriegslist anwenden. Niemand, gegen den diese Strategie angewandt wird, wird dadurch ungerechterweise verletzt, während die 'Schafe' geschützt, dass heißt die Interessen, die den Schutz verdienen, gewahrt werden. Gott verpflichtet uns nicht, die Dummheit der Schafe an den Tag zu legen und unserem kämpfenden Feind in die Hand zu arbeiten. Wir sollten der großen Schlange, der 'Vipernbrut', so vorsichtig wie Schlangen begegnen. Wenn wir eine Gefahr sehen, sollten wir uns in Deckung begeben vor den 'Wölfen', die der Herde Jehovas auflauern. …

Es ist angebracht, die Vorkehrungen, die wir für das uns von Gott aufgetragene Werk treffen, zu verdecken. Wenn die wölfischen Feinde falsche Schlussfolgerungen aus unseren Überlistungsmanövern ziehen, wird ihnen durch die harmlosen Schafe, die in ihrem Beweggründen so arglos wie Tauben sind, kein Leid angetan." (S. 246).

Es war also eine Doktrin, in der es um weit mehr ging als wie nur das "wechseln einer Bluse". Ein Beispiel dafür kann man auch bei D. nachlesen. Zum Beispiel auch über die Ausstattung von WTG-Kreisdienern mit gefälschten DDR-Ausweisen und anderes mehr. Fehlanzeige indes, wenn man einen diesbezüglichen Hinweis auch bei B. suchen sollte.

Bei Gursky indes äußerst vage Andeutungen, dass die B.-Interpretation wohl auch etwas anders gesehen werden kann. Aber immer so formuliert, dass der Außenstehende oberflächliche Leser den diesbezüglichen "Sprengstoff" mit Sicherheit nicht mitbekommt.

Immerhin es sei nicht nur kritisiert. So gibt auch Gursky in Reproduktion etwa jenen programmatischen "Erwachet!"-Artikel wieder, der da von "Gangstern in Amt und Würden" redet, womit das zeitgenössische Staatsverständnis der Zeugen zutreffend charakterisiert wird. Jener Artikel erschien übrigens etliche Zeit vor dem 1950er DDR-Verbot. Letztendlich ist er aber auch schon als eine seiner Wurzeln anzusehen.

Gemäß dem Titel seiner Veröffentlichung stellt Gursky dann im Detail erst mal einiges Biographisches zu den Pape's dar. Hier soll auch nicht so sehr der Günther Pape interessieren, über dessen Start und Fehlstarts unter Bundesrepublikanischen Verhältnissen man auch bei genannten Verfasser die wesentlichen Stationen nachlesen kann. "Interessanter" ist vielleicht der Dieter Pape. Vom DDR-Staat verhaftet, landet er als ZJ im Gefängnis. Hier allerdings begann dann wohl ansatzweise eine gewisse Mutation. Interessant ist aber wie Gursky die geschichtliche Bedeutung des Dieter Pape insgesamt einschätzt. Dazu äußert er:

"Dieter Pape kann für sich in Anspruch nehmen, als Inhaftierter, als noch geltender Staatsfeind ...Pionierleistungen erbracht zu haben. Pape ging es nicht darum, Jehovas Zeugen durch repressive Maßnahmen in der Gesellschaft zu isolieren. ... Auch diesen fehlgeleiteten Menschen solle eine Perspektive in dieser Welt ... gegeben werden. Die Staatsorgane hätten für den Glaubenshintergrund der Zeugen Jehovas und daraus resultierenden Konsequenzen kaum Verständnis, auch er wurde in der Haftanstalt Waldheim einst als scheinheiliger Agent abgetan. Nicht Repression sondern Integration - Dieter Pape brachte detaillierte Ausführungen zur erzieherischen Einflussnahme auf die Zeugen Jehovas zu Papier."

Gemäß seinem (auch aus anderen Gursky-Veröffentlichungen bekannten) Stil reichert der Verfasser dann seine Ausführungen mit einigen Interviews der Zeitzeugen an. Auch ein solches mit Dieter Pape.

Bemerkenswert darin vielleicht die Aussage Pape's bezüglich des WTG-Funktionär Paul Großmann mit dem er während der Haftzeit zeitweilig in einer Zelle saß. In der CV war mal zu lesen, Großmann hätte faktisch im internen Kreis die Beschuldigungen des DDR-Staates gegenüber den Zeugen als berechtigt anerkannt. Einen Quellenbeleg gab es in der CV dafür nicht. Hier in diesem Interview wird nun deutlich, dass Großmann gegenüber Pape diese Einlassung machte, sie aber gleichzeitig dahingehend abschwächte, er wolle der WTG nicht in den Rücken fallen und verzichte daher darauf das öffentlich zu machen.

Dieter Pape hatte nach seiner Haftentlassung, noch vor dem DDR-Mauerbau, auch wieder Kontakt zu seinem Bruder aufgenommen. Dabei wurden in der Tat Pläne geschmiedet ein gemeinsames Buch zu veröffentlichen. Es gab auch schon Vorstudien dazu. Jedoch letztendlich ist dieses Projekt nie Realität geworden. Gursky der sich dabei sowohl auf die Stasiakten als auch auf die Privatarchive der beiden Pape's stützen kann, sieht sich in diesem Zusammenhang gar zu dem Ausruf veranlasst:

"Es ist erstaunlich, dass in den bislang veröffentlichten Beschreibungen von Dokumentationen der Brüder Pape zu den Zeugen Jehovas das um 1960 endgültig gescheiterte Buchprojekt keine Rolle spielt."

In diesem Zusammenhang veröffentlicht Gursky auch einen Fakt über den Günther Pape, der so vorher in der Öffentlichkeit gleichfalls nicht bekannt war. Er schreibt:

"Günther Pape entkam in Ost-Berlin 1961 nur knapp einem Entführungs- und Erpressungsversuch des Staatssicherheitsdienstes. Wie schon mehrmals zuvor habe er sich in Ost-Berlin mit seinem Bruder und Vertretern des Staatssekretariates für Kultur treffen wollen, um über eine vorgesehene Veröffentlichung in der DDR verhandeln zu wollen. Im Hotel 'Adlon' wartete er allerdings diesmal vergeblich auf seine Gesprächspartner. Als es an der Tür klopfte und Günther Pape ... öffnete ergriffen ihn Unbekannte und verschleppten den gerade eingereisten Gast ... an einem unbekannten Ort. In einem Zimmer wurde Günther Pape verhört und als Agent des BND tituliert und schließlich unter Druck gesetzt für das MfS zu arbeiten. Günther Pape ließ sich kaum beeindrucken und erklärte den Geheimdienstlern Mielkes das in der Bundesrepublik maßgebliche Leute über seine Fahrt und den Aufenthalt in Ost-Berlin informiert seien. ... Unter Androhung der eigenen Liquidierung durch das MfS ... schickten die Entführer Günther Pape schließlich wieder zurück. Dort informierte der Gescholtene schließlich den Jesuiten-Pater Haensli, der von seiner Dienststelle, dem Berchmannskolleg der Jesuiten in Pullach aus, sofort Vertreter des BND im selben Ort aufsuchte."

Weiter über den besonders interessierenden Sachverhalt formuliert Gursky:

"Für die nächsten Jahre sollte es zwischen den Brüdern kaum noch zu direkten Gesprächen kommen. Dieter hatte das von seinem Bruder veröffentlichte Buch "Ich war Zeuge Jehovas" für eine DDR-Ausgabe völlig umgearbeitet und mit seinem Klarnamen herausgeben lassen. Letztlich führte auch diese Eigeninitiative Dieter Pape's zu Verstimmungen mit Günther, der eine solche Form der Auseinandersetzung mit der WTG, wie er sagte, schon immer abgelehnt hatte."

Die "Spiegel"-Veröffentlichung in Sachen Erich Frost wird dann genannt. Gursky nennt den Namen jenes "Spiegel"-Redakteurs der die Endfassung davon anfertigte. Er bestreitet, dass demjenigen eine aktive Stasi-Beziehung angelastet werden kann. Gleichwohl ist es wohl nicht fraglich, dass das Rohmaterial dafür aus verdeckten Stasiquellen dem "Spiegel" zugeleitet wurde. Auch den WTG-Funktionär Willi P. befragt Gursky bei einem Seltersbesuch. Sein Kommentar dazu spricht für sich. Gursky formuliert:

"P.s Annahme, das für den Fall der Verhaftung Frosts gerade ein solches Spektrum von unüberschaubaren Inhalten zuvor mit anderen Zeugen für den Fall ihrer Verhaftung abgesprochen sei, ist eher eine recht abenteuerliche Vermutung."

Von den weiteren Ausführungen sei vielleicht noch auf diejenigen bezüglich des Uraniabuches hingewiesen. Gursky zitiert dazu auch eine Wertung des Herrn H., mit der Anmerkung, dass er in der Sache dieser sich nicht anschließen könne. Abschließend wird auf die Kontroverse eingegangen, wie denn der Günther Pape letztendlich zu bewerten sei und das bekannte Vorurteil des Herrn B. dazu. Es ist immerhin eine 141 Seiten Schrift geworden. Man sollte sie einmal gelesen haben! Es ist im Internet möglich. Auf der Webseite des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt (im pdf-Format).

Andre Gursky Zwischen Aufklärung und Zersetzung

Eine Tagung in Halle/S. http://web.archive.org/web/20030522011337/http://www.infolink-forum.de/messages/3429/5418.html

Franz Zürchers's Kreuzzug gegen das Christentum

Gauckbehörde

Ostdeutschland

Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt

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