Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Neue Justiz

Nach längerem publizistischem Schweigen, ist in der für Juristen bestimmten Ostdeutschen Zeitschrift „Neue Justiz" in deren Ausgabe vom 5. 3. 1958 ein Zeugen Jehovas bezüglicher Artikel zu registrieren.

Was war Ostdeutschland? Entgegen seiner offiziellen Selbstbezeichnung, eine Diktatur. Zum Wesen von Diktaturen gehört auch die Gängelung ihrer Bürger, was sie denn lesen, oder besser gesagt, was sie denn nicht lesen dürfen. Schwer zu schaffen machten dem Ostdeutschen Regime ohne Frage die westlichen Rundfunk- und Fernsehsender. Selbige zeitweise gar mit Störsendern überlagert (vor der Konferenz von Helsinki, an der auch Ostdeutschland teilnahm, und sich - theoretisch - zu etwas mehr Freizügigkeit bekannte). Da war nun die Zeit der Störsender einstweilen vorbei. Einer aber erlebte selbst noch im Jahre 1989 eine Renaissance. Angesetzt auf die Nachrichtensendungen des Westberliner Sensders 100,6.

Was nun Zeitschriftenmedien anbelangt, hatte jenes Regime schon sehr früh eine perfide Strategie entwickelt. Das Zauberwort dabei hiess „Postzeitungsvertrieb". Da mussten alle Presseerzeugnisse gelistet sein, so denn ihr Vertrieb gestattet sein sollte. Selbstredend erhielten die Zeitschriften der Zeugen Jehovas (auch vor 1950) nie ein solches Plebiszit. So, die Folge davon wurden alle nicht gelisteten Zeitschriften, pauschal als „Illegal" erklärt. Ein Detailauseinandersetzung etwa mit ihrem Inhalt? Das würde ja Mühe und Zeit kosten, gab es nicht. An primitiver Einfallslosigkeit, hat es Diktaturen wohl noch nie gemangelt.

Später gab es dann tatsächlich auch Zeitschriften in Ostdeutschland vertrieben, die nicht in besagter „Postzeitungsliste" enthalten waren. Ein herausragendes Beispiel etwa die CV.

Aber auch da hatte die Diktatur vorgesorgt. Unter dem hochtrabenden Titel des „Ministeriums für Kultur. Hauptabteilung Buchhandel und Verlagswesen", mussten die genehmigten Herausgeber solcher Blätter, selbige zur Vorzensur einreichen. Erst wenn diese bestanden war, gab es die „Einzeldruckgenemigung".

Angesichts der prinzipiellen Abhängigkeit der Zeugen Jehovas von ihren Zeitschriften, kann man sich unschwer ausmalen, dass da eben eigene Vertriebswege von letzteren aufgebaut wurden. Selbige bestehen bei den Zeugen auch in freiheitlichen Ländern, wie man weis. Im Falle Ostdeutschland, dann eben gezwungenermaßen unterirdisch.

Gelang es dem Ostzonalen Staat, solche darin involvierten Personen überführen zu können, wurde daraus in der Tat Gerichtsfälle inszeniert, wovon eben auch die genannte Ausgabe der „Neuen Justiz" kündet. Das diese Argumentation in keiner Weise westlichen Rechtsstaatlichen Grundsätzen standhält, bedarf wohl kaum der näheren Erläuterung. In solchen Fällen degradierte sich die Ostdeutsche Justiz geradezu zum gewissenlosen Büttel purster Diktatur.

Offenbar hatte da vor dem Bezirksgericht Leipzig, gleich ein Sammelverfahren gegen mehere solcher erwischter Zeugen Jehovas stattgefunden, und die „Neue Justiz" verkauft das alles nun als eine Art Präzendenzfall.

Zitat:

„Die Schriften wurden beim Transport entweder am Körper versteckt oder in Taschen und Koffern mit doppelten Böden transportiert."

Offenbar erwiesen sich diese Vorsichtsmaßnahmen dennoch als nicht vorsichtig genug; sonst wäre es nicht zu solchen Verfahren gekommen. An Vokabeln wie „Hetzschriften", ohne allerdings diesen Anwurf detailliert zu begründen, mangelt es denn in diesem Bericht nicht im geringsten. In der Folge liest man weiter in diesem Bericht:

„Der Senat schloß sich deshalb dem Antrag des Staatsanwalts an und erkannte für den Angeklagten H. auf drei Jahre und sechs Monate Zuchthaus und für den Angeklagten G. auf zwei Jahre Zuchthaus."

Nun war wohl der „Neuen Justiz" die Argumentation des erkennenden Gerichtes noch nicht scharf genug. Denn in einem redaktionellen Nachwort fügt sie dann noch die Urteilsschelte an:

„Das Bezirksgericht hat es jedoch unterlassen zu prüfen, ob nicht in den Besuchen, die die Angeklagten der Zentrale der „Zeugen" in Westberlin abgestattet haben, eine Verbindungsaufnahme zu einer verbrecherischen Organisation gem. § 16 StEG vorliegt. ..."

In ihrer Ausgabe vom 5. 4. 1958 nahm die „Neue Justiz" den Fall nochmals auf. Offenbar war ihr, dass was sie bereits an Scharfes dazu gesagt hatte, immer noch nicht scharf genug. Wieder wimmelt der Artikel von Vokabeln wie „Hetzmaterial" (ohne detaiilierte Begründung) dazu. Allenfalls bestünde „Hetze" in dieser Lesart, etwa in kritischen Äußerungen über die Politik in Ungarn und der Sowjetunion. Hier eben der Umstand, dass die WTG-Voten dazu eben nicht identisch mit der eigenen Lesart dazu sind.

Insofern muss man diese Juristerei auf den Faktor Gesinnungsjustiz reduzieren.

Auch an solchen Plattitüden mangelt es dann nicht wie:

„Die Gefährlichkeit dieser Handlungen erfordert ein hartes Strafmaß zum Schutze unserer Bürger und des Aufbaus des Sozialismus in unserem Staat sowie zur Erhaltung des Friedens ..."

Ostdeutsche Justiz. Gewogen und für zu leicht befunden, wäre das Gesamturteil also. An die Adresse der WTG indes muss auch gesagt werden. Sie will ja internationale Organisation sein. Sie will keinerlei nationale Eskapaden dulden. Indem sie etwa mit ihren Ungarn- und Sowjetunion-Urteilen in vollem Einklang mit dem westlichen Mainstream sich befindet, liefert sie damit die gesuchten Vorwände. Jedenfalls ist eine solche WTG-Politik keineswegs mit der Bibelaussage identisch: Ein stilles und ruhiges Leben führen zu wollen.

Einbruch

Ein makabres dem Jahre 1958 auch zuzuordnendes Ereignis, gilt es dann wohl auch noch zu registrieren. Ließen die Nazis in Danzig, auf offener Strasse einen WTG-Funktionär kidnappen, wollten die Ostdeutschen Nazinachfolger dem wohl nicht nachstehen. Kidnappen gehörte anfänglich durchaus mit zu ihrem „Geschäft". Ein „Geschäft" dass selbst die USA skrupellos noch nach 1989 auf deutschem Boden betrieben

http://thausherr.blogspot.com/2005/12/otto-schily-stiller-mitwisser-bei-cia.html

http://www.trend.infopartisan.net/trd1199/t161199.html

Insofern mag derjenige der den Finger gegen die Ostdeutschen Nazinachfolger erhebt, bitte schön auch die mit dem USA-Pass nicht vergessen!

Ob denn um 1958 noch die aktive Kidnapping-Politik bestand, mag mit einem Fragezeichen versehen sein. Eine Variante (eine Stufe tiefer) indes lässt sich sehr wohl nachweisen.

Eine spektakuläre Meldung verbreitete am 28. 12. 1958, unter anderem die Westberliner Zeitung „Der Tagesspiegel"

Politischer Einbruch bei den „Zeugen Jehovas

Kartei mit Namen und Adressen der Besucher aus der Zone gestohlen

Berlin (AP)

„In dem West-Berliner Sitz der religiösen Sekte 'Zeugen Jehovas' in Charlottenburg ist, vermutlich im Auftrage des sowjetzonalen Staatssicherheitsdienstes eingebrochen und die Besucherkartei mit etwa 1200 Namen und Adressen von Bürgern aus der Sowjetzone geraubt worden. Wie die Polizei erst am Sonnabend bekanntgab, ist der Einbruch bereits in der Nacht zum vergangenen Sonntag geschehen.

Die Sekte der 'Zeugen Jehovas' ist in der Sowjetzone verboten. Ihre Mitglieder werden verfolgt. Viele von ihnen wurden bereits zu hohen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt. Die Einbrecher sind nach Meinung der Kriminalpolizei mit der Lage der in einer renovierten Villa in der Bayernallee in Charlottenburg untergebrachten Büroräume der Sekte eng vertraut gewesen, denn sie gingen zielsicher durch mehrere Zimmer, bis sie in den Raum kamen, indem die Besucherkartei aufbewahrt wurde. Sie ließen alle Wertgegenstände, darunter mehrere neue Schreibmaschinen und einen größeren Geldbetrag, unberührt und nahmen nur die aus etwa 300 Karten bestehende Besucherkartei mit.

In dieser Kartei registrierte die Sekte die Namen von Besuchern aus der Sowjetzone. Auf jeder Karteikarte waren etwa vier bis fünf Namen und Ortsangaben verzeichnet. Ein Sprecher der Sekte wies nachdrücklich darauf hin, dass es sich bei diesen Namen nicht um Mitglieder der 'Zeugen Jehovas' handle. Die Mitgliederkartei werde in einem anderen, Tag und Nacht bewachten Raum aufbewahrt.

Wie die Polizei erklärte, sind die Einbrecher äußerst geschickt und leise vorgegangen. Sie wurden von den etwa 30 in der Villa lebenden 'Zeugen Jehovas' nicht gehört. Die Polizei fand auch keine Fingerabdrücke oder Zeichen dafür, dass die Verbrecher mit Handschuhen gearbeitet haben. Dafür lagen am Tatort das Einbruchwerkzeug, mehrere Zangen und Stemmeisen, dass vermutlich zum ersten male benutzt wurden. Außerdem fand die Polizei mehrere neue Staublappen, die sich die Einbrecher offenbar bei der Arbeit um die Hände gewickelt hatten, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Bei der West-Berliner Polizei herrscht kein Zweifel, dass die Besucherkartei der Sekte von den Einbrechern nach Ost-Berlin gebracht worden ist."

Auch andere, überregionale Tageszeitungen nahmen das Thema auf, so z. B. die „Stuttgarter Zeitung" vom 29. 12. 58. In Ergänzung des vorher zitierten Berichtes sei aus ihr noch der Passus zitiert:

„Der Einbruch in das Westberliner Büro in Charlottenburg verrät nach Ansicht der Polizei eine genaue Kenntnis der Räumlichkeiten. Die Einbrecher drangen mit der Hilfe einer Leiter in das erste Stockwerk des Hauses und ließen in den Büroräumen fast alles unberührt. Zielbewusst drangen sie in den Raum mit den Akten und Karteikarten der Religionsgemeinschaft vor. Gestohlen wurden nur der Karteikasten mit den Namen der Ost-Mitglieder der Religionsgemeinschaft."

Aus den Kreisen jener, die Stasidokumente zu jenem Fall auch in der Gauckbehörde eingesehen haben, wurde verlautbart:

„Vor 1958 wurden Personaldaten im Büro Berlin gesammelt, über alle Personen, die irgendwie mit den Gruppen in Verbindung standen. Dies entsprach nicht den einfachsten Sicherheitsregeln. Da waren Kuriere unterwegs, die immer wieder die Kartei zu vervollständigen hatten."

Einer jener, der diese Dokumente eingesehen hat, vermerkt weiter, dass er Stasipläne eingesehen habe, aus denen hervorging, „dass bereits einige Jahre vor 1958 die 'Entnahme' - (d. h. dieser Kartei) geplant war. IM Max war eifrig am Werk. Das solcher Art Einbruch Maßnahmen geplant wurden, war ja klar, warum aber hat sich die Wachtturmorganisation überhaupt mit so einer solchen Sammlung beschäftigt?"

Fazit: Offenbar beinhaltet der Passus „Besucherkartei", dass damit der Stasi insbesondere die Namen der ostdeutschen Kuriere ihrer Organisation in die Hände gefallen sind. Sie wird dieses Wissen dann in den späteren Jahren noch zielgerichtet verwertet haben. Nicht umsonst rühmt sich die Stasi in ihrem Operativvorgang „Sumpf", dass alle wichtigen Kurierverbindungen aufgeklärt worden seien. Offenbar, hat das Berliner Büro der Zeugen Jehovas, unfreiwillig, seinen Teil zu dieser Stasiaufklärung beigetragen. In einer späteren Veröffentlichung bagatellisiert Dirksen jenen Fall. Er nannte auch den Namen des mutmaßlichen Einbrechers im Stasiauftrag, aufgrund seiner Aktenkenntnis. Dennoch können auch diese Angaben von D. (in einer beiläufigen Anmerkung verpackt) keinesfalls befriedigen. Zur Aufklärung der Sachlage hätte es jener Fall verdient, durchaus detaillierter dargestellt zu werden und nicht nur in einer die Zeugen Jehovas verteidigenden apologetischen Wendung.

Zu den Bagatellisierungen von WTG-Seite, etwa in einer Schrift von Y..., gehört die Angabe:

Offensichtlich hatte er (der Einbrecher) nicht erkannt, daß ihm nur ein Teil der Arbeitskartei in die Hände gefallen war, und daß ein weiterer Teil der Karten zurückblieb. ...die befürchtete landesweite Verhaftungswelle blieb aus."

D. meint dazu:

„Da die Karteikarten noch vom Vortag in Arbeit waren, befanden sie sich nicht in den Karteikästen. Den verschlossenen Rollschrank, in dem sich weitere Unterlagen befanden, ließ er unbeachtet."

Immerhin nennt D.einen Namen, dessen Inhaftierung er sehr wohl in den Kontext dieser Stasi-Aktion setzt.

„Nach dem Einbruch kam es nicht zu der allgemein befürchteten Verfolgungs- und Verhaftungswelle unter den Zeugen Jehovas in der DDR, ein Anstieg der Verhaftungen war dennoch zu verzeichnen. Wurden 1958 noch 80 Zeugen Jehovas verhaftet, so waren es 1959 nach dem Einbruch 128 Verhaftungen. Im Jahre 1960 lassen sich wiederum 79 Verhaftungen verzeichnen. Nach diesen Zahlen zu urteilen, kam es zu ca. 50 zusätzlichen Verhaftungen, daneben auch zu einer Anzahl von Verhören, wobei eine direkte Verbindung mit dem Einbruch nicht nachgewiesen werden kann. ... (Opfer der) Aktion "Zentrum" ist der Zeuge Jehovas Herbert Buschbeck aus Jena. Buschbeck war bereits seit mehreren Jahren von der Staatssicherheit im Rahmen eines eigenständigen Operativen Vorgangs beobachtet worden. Er wurde offensichtlich als erster nach dem Einbruch am 22. Januar 1959 verhaftet. Am 16. April 1959 verurteilte ihn der 1. Strafsenat des Bezirksgerichts ... zu 7 Jahren Zuchthaus, die höchste Strafe für einen im Zusammenhang mit der Aktion "Zentrum" festgenommenen Zeugen Jehovas."

Auch in der sogenannten „Christlichen Verantwortung" (November 1966) begegnet man dem Namen dieses Buschbeck noch in der Form einer üblen Anmache, indem sie sich erdreistet (ohne nachvollziehbare Details hinzuzufügen), zu der Aussage:

"Es herrscht Empörung über den 'Hirten' Herbert Buschbeck, der nach seiner Entlassung nicht wieder zur Herde zurückkehrte, sondern nach Westdeutschland ging, um seinen Lohn von ca. 20 000 Westmark zu empfangen."

Die „Empörung" dürfte dann allerdings nur auf die Stasikreise beschränkt gewesen sein.

Wie auch immer. Wenn von WTG-Seite der Fall als nicht sonderlich erfolgreich eingestuft wurde, dann ist das wohl ebensolche Apologie, wie sie auch auf der Gegenseite nachweisbar ist.

Zu den Skurrilitäten gehört dann wohl auch noch, dass der Einbrecher, nunmehr von der Stasi mit neuem Namen versehen, als „Wolfgang Daum", dann gar noch Redakteur der CV zeitweilig wurde. Über seine Einbrecherkünste will ich mir denn kein Urteil erlauben, wohl aber über seine „Qualifikation" für vorgenanntes Amt. Da fällt mir dann allerdings nur eine Vokabel ein. Die mit „N" beginnt. „N" wie Niete. Aber sicherlich hatte die Stasi da wohl noch einen „Versorgungsauftrag". Das erklärt dann ja in der Tat einiges.

Und es ist meines Erachtens eine Fehlinterpretation noch für das Jahr 1958 zu unterstellen, dem DDR-Staat käme es ist erster Linie auf „Verhaftungen" an. So solche stattfanden, betrafen sie in erster Linie herausgehobene WTG-Funktionäre wie etwa den genannten Buschbeck, jedoch nicht (mehr) das „breite Mittelfeld". Da reichte es der Stasi einstweilen, nur zu wissen, wen sie denn auf Seiten der Zeugenorganisation, wie einschätzen müsse. Zudem fand just im Jahre 1958 ein Politikwechsel in der Zeugen Jehovas-Sache statt. Ersichtlich daran, dass die historischen Splittergruppen, etwa in Dresden, Leipzig und anderen Orten, die auch beim 1950er Zeugen Jehovas-Verbot mit tangiert waren, nunmehr „hofiert" wurden, und man (verspätet - zu spät) versuchte, sie für die Zeugen Jehovas-Sache zu instrumentalisieren. Die Balzereit-Zeitschrift „Nachdenkliches aus Leben und Christentum" erschien in jenem Jahre erstmals bis einschließlich 1965, um dann durch die „Christliche Verantwortung" (faktisch) ersetzt zu werden.

1958er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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