Offener Brief

Das Jahr 1937 war auch durch eine Flugblattaktion in Deutschland, mit Protestcharakter gekennzeichnet. "Offener Brief an das bibelgläubige und Christus liebende Volk Deutschlands" nannte sich jene Schrift, als deren Ergebnis eine weitere Intensivierung der Gestapo-Bekämpfungsaktionen zu registrieren ist. In der Tat, wurden darin deutliche Worte über die Verhältnisse in Hitlerdeutschland zum Ausdruck gebracht. Von grausamen Verfolgungen, Misshandlungen und Verleumdungen ist die Rede. Es wird der Vergleich mit dem Pharao Ägyptens gezogen. "Die Schrift erklärt, dass Pharao der Vertreter des Teufels war und dass er samt seinen Helfershelfern von Gott bestraft und vernichtet wurde." Mit dieser Aussage spendierte man sich somit selbst eine Art "Trostbonbon".

Einen Hauptanklagepunkt gegen die Hitlerregierung kann man vielleicht auch in der Passage sehen: "Die gegenwärtige unchristliche und bibelfeindliche Regierung maßt sich ferner an zu erklären, dass nur die römisch-katholische Kirche und die Staatskirche eine Art Religionsfreiheit ausüben kann, dass aber allen anderen wahrhaft bibelgläubigen Christen keine Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährt wird."

In der Tat, wird man diesem Vorwurf dergestalt zustimmen können, dass der Konflikt nicht diese bedrückenden Dimensionen hätte anzunehmen brauchen, wenn es im Hitlerregime so etwas ähnliches wie Glaubens- und Gewissensfreiheit gegeben hätte. Fakt ist aber, dass dies leider nicht der Fall war, mit allen sich daraus ergebenden Weiterungen. Geradezu skandalös ist auch jener Revers, denn das Hitlerregime da den Zeugen Jehovas zur Unterzeichnung vorlegte. Man wird schon konstatieren können, dass die darin zum Ausdruck kommende "Der Herr im Hause sind wir"-Gesinnung, der Nazichargen, jegliches psychologisches Feingefühl entbehrt. Diese geforderte Erklärung überforderte die Zeugen Jehovas total. Sie basiert auf den Empfindungen der Nazifunktionäre und bietet nicht den geringsten Ansatz, sich auch einmal in die psychische Befindlichkeit der Zeugen Jehovas hinein zu versetzen. Entsprechend groß war der Misserfolg. Nur einige wenige haben je diese Erklärung unterzeichnet. Laut dem genannten Flugblatt lautete sie:

"Ich versichere hiermit an Eidesstatt, dass ich die staatsfeindlichen Machenschaften der jüdischen internationalen Bibelforschervereinigung erkannt habe und mich als treuer Deutscher von dieser Vereinigung, so weit ich ihr angehörte oder nahestand , losgesagt habe. … Ich werde die Gesetze und die Anweisungen der Partei und des Staates befolgen und vor allen Dingen auch in meiner Familie den Geist des Führers, besonders im Herzen meiner Kinder, aufrichten. Ich bedaure, dass ich früher einmal mich irreführen ließ und damit mich und meine Familie in Gefahr brachte. … Ich bin mir bewusst, dass jede weitere Betätigung für die Internationale Bibelforscherbewegung, ganz gleich in welcher Beziehung, schärfste Bestrafung nach sich zieht, da ich dann nicht mehr wert und würdig bin in der Gemeinschaft des deutschen Volkes zu leben und zu arbeiten. Falls in der kommenden Zeit staatsfeindliche Elemente an mich herantreten sollten mit Broschüren, Flugblättern, Büchern etc. werde ich die Täter sofort der zuständigen Partei- oder Polizeistelle melden und die Druckschrift abliefern. Heil Hitler! (Unterschrift)"

Der Terror des Naziregimes wird auch anhand einiger Namensnennungen, in diesem Flugblatt personalisiert:

"Bei der Misshandlung haben sich unter anderen besonders der Kriminal-Assistent Theiss aus Dortmund, Tenhoff und Heimann von der Geheimen Staatspolizei Gelsenkirchen und Bochum hervorgetan. Man hat sich nicht gescheut, Frauen mit Ochsenziemern und Gummiknüppeln zu misshandeln. Für sadistische Grausamkeit bei der Misshandlung von christlichen Frauen ist, wie erwähnt, besonders Kriminal-Assistent Theiss in Dortmund und ein Mann der Staatspolizei in Hamm bekannt. Wir besitzen auch nähere Angaben und Namen von ca. 18 Fällen, wo Jehovas Zeugen grausam getötet worden sind. Anfang Oktober 1936 wurde zum Beispiel der in der Neuhüllerstraße, Gelsenkirchen, Westfalen, wohnhaft gewesene Zeuge Jehovas, Peter Heinen, von Beamten der Geheimen Staatspolizei im Rathaus zu Gelsenkirchen erschlagen. … Die grausamen Misshandlungen und die gewaltsame Verschleppung von Willy Ruhnau, wohnhaft gewesen in (Danzig) Zoppot, Adolf Hitlerstraße 809, ist bereits dem Völkerbund unterbreitet und in der Weltpresse bekanntgemacht worden. Die Danziger Polizei weigert sich, irgendwelche Auskünfte über den Verbleib Ruhnaus mitzuteilen. Ruhnau ist ohne Zweifel von der Danziger Polizei verschleppt und nachher getötet worden."

Es ist, darüber besteht keine Frage, ein bedrückendes Dokument, dass mit diesem Flugblatt vorliegt. Es wurde inhaltlich noch erheblich erweitert und dann im Jahre 1938 von Franz Zürcher als Buch unter dem Titel "Kreuzzug gegen das Christentum" im Europa-Verlag, Zürich herausgegeben. Die deutliche Sprache gegen das Hitlerregime, war allerdings auch den Schweizer Behörden nicht geheuer. Und so ist der bemerkenswerte Fakt zu registrieren, dass schon Anfang der 40-er Jahre der weitere Vertrieb des Zürcher-Buches von den Schweizer Behörden untersagt wurde. Erst 1944, als sich die Niederlage des Hitlerregimes abzeichnete, wurde jenes Vertriebsverbot wieder aufgehoben.

Vielleicht sollte man auch aus dem vorgenannten Flugblatt noch jenen Passus wiedergeben, der markant das damalige Selbstverständnis der Zeugen Jehovas widerspiegelt und zugleich ihre Art der Weltsicht verdeutlicht, die sie in jenen kritischen Jahren praktizierten:

"Der Beweis ist endgültig erbracht, dass Satan Jehovas Widersacher und der größte Feind der Menschen ist, dass er stets Religion gebrauchte um die Menschen zu täuschen und sie Gott und Christus zu entfremden. Ferner, dass alle, die Religion lehren und sie ausüben, Feinde derer sind, die Gerechtigkeit suchen. Alle weltlichen Machthaber vertreten irgendeine Religion, und bewusst oder unbewusst nehmen sie eine Stellung gegen Gott und sein Königreich ein. Die Religion ausübenden Geistlichen bilden einen Teil der herrschenden Klasse und sind Freunde der Welt, und die Schrift erklärt, dass sie Feinde Gottes sind (Jakobus 4: 4). Jehova Gott befiehlt, dass jetzt die Menschen von seinem Vorhaben, Satan und alle ruchlosen Organisationen zu vernichten, was er in Harmagedon tun wird, Kenntnis erhalten sollen."
Siehe hierzu auch: Ziel erreicht ...

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1937er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte