"Jehovas Jugend"

Eckhard Türk formulierte in seinem bezüglich der Zeugen Jehovas vorliegenden Buch auch den Satz: "Es gibt keine echte Kinder- und Jugendarbeit bei den Zeugen Jehovas. … Kinder und Jugendliche werden in die Versammlungen der Erwachsenen … mitgenommen, ohne dass in irgendeiner Weise pädagogisch auf sie Rücksicht genommen wird" (S. 212).
Um den Hintergrund dafür mal etwas näher zu erläutern:


Da gab es mal eine Zeitschrift, die nannte sich "Jehovas Jugend". Sie ist mehr oder weniger nur bei den Bibelforschern/Zeugen Jehovas in der Schweiz nachweisbar. Sie brachte es auf insgesamt 40 Ausgaben.
Im Impressum wurde vermerkt: "Alle Zuschriften und Anfragen an den Verband sind an die Zentral-Leitung Gottfried Honegger Technisches Büro Sihlporte, Löwenstrasse 1, Zürich 1 zu richten." Ab der Nummer 21 vom Mai 1935 fungierte Franz Zürcher als Schriftleiter.

Schon Ende 1936 musste sie auf Geheiß von Rutherford ihr Erscheinen wieder einstellen. Als Begründung dafür diente das ach so "nahe" "Harmagedon". Weil dieses so "nahe" sei, könne man sich den "Luxus" einer eigenen Organisationsform für Kinder und Jugendliche nicht mehr leisten. Vollendet wurde diese "Philosophie" dann noch einige Jahre später mit dem Rutherford-Buch "Kinder" und seiner These, angesichts des ach so nahen "Harmagedons", doch mit dem Heiraten bis "nach" Harmagedon zu warten.

Auch Rutherford's Nachfolger Knorr hielt sich vorerst an diese These. Allerdings sah er sich alsbald genötigt, sie klammheimlich aufzuweichen. Ein erster Schritt in dieser Richtung war der Verkauf der Rutherford'schen Fürstenvilla "Beth Sarim", vorher hochgelobt als Zeugnis für den Glauben "an die alsbaldige Auferstehung der alttestamemtlichen Überwinder". Nunmehr befand Knorr, einst selbst Beifallsklatscher dieser These, dass die Villa ihren "Zeugniszweck" erfüllt hätte. Daher könne man nunmehr diesen Stein des Anstoßes verkaufen.

Nachdem dieser Coup ohne nennenswerte Protestreaktionen der jede Änderung mitmachende blökenden Schafherde der Zeugen Jehovas, gelaufen war, konnte er auch die nächste Korrektur vornehmen. Mit dem Heiraten bis "nach Harmagedon" warten, dass galt nun nicht mehr. Knorr ging selbst mit gutem Beispiel voran und trat Anfang der 50-er Jahre in den Ehestand. Die Annalen vermerken, dass unter den damaligen höheren WTG-Funktionären ein wahrer "Heiratsboom" anschließend ausgebrochen sein soll.

Aber zurück zum Ursprungsthema. Zu Beginn der Zeitschrift "Jehovas Jugend" gab es eine (nicht datierte) sogenannte Probenummer. Deren Leitartikel machte gleich mit der Überschrift auf: "Handwerk und Beruf im Königreich Gottes". Auch in ihm wird davon ausgegangen, dass Harmagedon "ganz nahe sei". Verkündete man im Jahre 1969, kurz nach Beginn der 1975-These, den damaligen Jugendlichen, dass sie das Ende einer langwierigen akademischen Ausbildung nicht erleben würden. Dass sie statt dessen lieber Ausbildungen wählen sollten, die nicht soviel Zeit in Anspruch nähmen; so hielt es schon "Jehovas Jugend" ähnlich.

Belehrt wird, dass es für eine ganze Reihe gegenwärtiger Berufe vorgeblich keine Perspektive gäbe: "Wer also in diesen Berufen tätig ist, hat gar keine Zukunft", lautete die Belehrung an "Jehovas Jugend" Aufgezählt wird dann, dass dies namentlich für Berufe aus dem Bereich "Geldmacht und politische System" gelte, auch Juristische Berufe in ihren verschiedenen Ausprägungen werden genannt. Ferner kirchliche Berufe. Man meint auch zu wissen, dass berufliche Perspektivlosigkeit auch für die eintreten werde, die in Kranken- oder Irrenhäuser tätig sind.

Abgeschlossen wird dieser Artikel dann noch mit dem Ausruf:

"Kameraden und Kameradinnen! Welch eine Zukunft! Möchten wir jetzt schon unser ehrliches Handwerk, unsern ehrbaren Beruf von einer höhern Warte aus betrachten, als es diese Welt gewohnt ist. Wir möchten uns jetzt schon gegenüber der neuen Regierung verantwortlich fühlen und in ihrem Sinne und Geiste zu wirken suchen. Achten wir uns nicht nur der Gesinnung nach, sondern auch in Handwerk und Beruf als Pioniere einer neuen, bessern Weltordnung."

O, welch heilige Einfalt! möchte man dazu nur noch als Kommentar ausrufen. Zu registrieren ist aber, dass diese bis heute nicht widerrufenen Zeugen Jehovas-Grundsätze, auch in den nachfolgenden Jahrzehnten weiter wirkten, vielleicht sogar noch in der Gegenwart wirken, wenn auch vielleicht nicht mehr ganz so extrem wie Anno Dunnemals.

Das "Jehovas Jugend" "stramm" auf der Linie der Zeugen Jehovas lag, macht auch die Bemerkung in der Nummer 39/40 deutlich: "Soll der Tag der Geburt Jesu überhaupt gefeiert werden? Jesus selbst hat dies weder von seinen Jüngern noch von irgend jemand verlangt. Ein wahren Nachfolger des Herrn Jesus feiert also das angeblich 'christliche' Weihnachtsfest nicht."
Besonders die Nummer 39/40 ist auch in anderer Beziehung noch Zitierenswert. Dies soll hier nachstehend auch einmal etwas ausführlichen getan werden. In dieser Ausgabe konnte man unter anderem auch lesen:

"Mit dieser Nummer wird die Herausgabe der Zeitschrift 'Jehovas Jugend' eingestellt. Der Verband 'Jehovas Jugend' ist laut Beschluss der Delegiertenversammlung vom 26. Dezember 1936, in Zürich, aufgelöst worden.
Anlässlich des Besuches von Richter Rutherford wurde ihm beim Kongress in Luzern u. a. auch folgende Frage vorgelegt:
Ist es richtig oder ist es biblisch begründet, dass die Gesellschaft eine Abteilung Jugendwerk führt? Die Antwort lautete: Nein, das ist nicht der Auftrag des Herrn für seine Organisation auf Erden.
Aber eine unterschiedliche, separate Organisation ist nicht von dem Worte des Herrn autorisiert.
Wenn aber die Jugend unter sich als Gleichgesinnte zusammenkommen will, um zu spielen, zu turnen oder um miteinander wissenschaftliche Probleme zu behandeln, so könne sie dies selbstverständlich tun, und niemand hätte etwas dagegen einzuwenden. Die Zeit werde jedoch immer ernster und der Kampf nehme immer schärfere Formen an, und die Zeugen Jehovas würden kaum mehr Zeit finden, sich in obigem Sinne mit der Jugend zu beschäftigen. Tut dies jedoch ein Zeuge Jehovas aus freien Stücken, so ist das seine Sache. Bei einiger Überlegung wird die Jugend das verstehen und begreifen.

Freund Gertz betont im Besonderen, dass sich nun zeige, was an der Jugend echt sei. Diejenigen, die nur um der Geselligkeit willen gekommen seien, würden nun von selbst wegbleiben und der gute, gesunde Kern der Gruppen würde zurückbleiben.
Freund Honegger kann mit den Worten von Freund Gertz nicht ganz einiggehen. Es sei gesagt worden, es sei vor allem die Pflicht der Eltern, die Kinder in der Wahrheit einzuführen. Aber was nun, wenn die Eltern selbst schon so im Kampfe stehen, oder gar um der Wahrheit willen eingesperrt sind und diese keine Zeit mehr für die Jugend haben?
Die Jugend will pädagogisch erzogen werden. Die Jugend will, dass man sie verstehe, und gerade hier hapere es oft in den Versammlungen. Man vergisst oft gerne, dass man auch einmal jung gewesen ist. Freund Honegger glaubt, dass schon in einem halben Jahre nicht mehr die Hälfte der Jugendgruppenmitglieder in den Versammlungen sein würden, weggehen und im Taumel der heutigen Welt untergehen.

In der Jugendgruppe habe der junge Mensch Gelegenheit gehabt, die Wahrheit kennenzulernen, er habe mithelfen können, zur Ehre Jehovas ein Zeugnis zu geben; daneben sei er aber auch in der Jugendgruppe mit Gleichgesinnten jungen Menschen, Kameraden zusammengekommen, habe seine Fähigkeiten hier verwerten können durch Heimarbeit, kleine Vorträge, dann wieder durch Mitarbeit an unserer schönen Zeitschrift. Das alles hätte ihn immer wieder von neuem ermutigt.
Er wiederholt, dass die Jugend für sich und die Alten für sich erzogen sein wollen. Er weist ferner darauf hin, dass man vom Feinde lernen könne. Man solle einmal in die Welt hinaussehen, wie dort die enthusiastische Jugend zusammengeschlossen wird, und sei es auch für eine noch so schlechte Sache.
Mit der plötzlichen Auflösung würde die Jugend vor den Kopf gestoßen und viele würden dann den Übergang zur Versammlung nicht finden.
Er weist weiter darauf hin, dass die 5 Jahre Jugendgruppe in der Schweiz uns manche schöne Stunde gegeben hätten, aber wenn man frage, wo sind nun die mutigen Streiter, da müsste man zugeben, dass es von den 223 Mitgliedern nur wenige sind."

Hugh, der große Häuptling Rutherford hatte gesprochen. Also wurde getan, wie er befohlen. Die speziellen Jugendgruppen der Zeugen Jehovas wurden aufgelöst. Einige Jahre später verstieg sich derselbe Rutherford gar noch in seinem Buch "Kinder" zu der "Empfehlung", mit dem Heiraten doch bitte möglichst bis "nach" Harmagedon zu warten, dass er ganz "nahe" wähnte.
Bis heute haben es die Zeugen Jehovas nicht vermocht, sich von diesen Altlasten eindeutig abzunabeln. Zwar spricht man die diesbezüglichen Thesen nicht mehr so extrem doktrinär mehr aus, wie es Rutherford in "Kinder" und "Schau den Tatsachen ins Auge" noch getan hatte. Aber zu einer eigenständigen Jugendpädagogik haben sie es bis heute noch nicht wieder gebracht!

Man vergleiche auch "Keine Kinderliteratur" in: 1946er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

Zur Vorgeschichte gehört offenbar auch das noch

Der Schweizer Ausgabe des „Goldenen Zeitalters" vom 15. 2. 1931 war offenbar erstmals eine sogenannte „GZ-Beilage für die Jugendgruppe beigelegt. Diese als Nr. 1 (Februar 1931) betitelte Ausgabe erschien mit der Angabe: Erscheint vierteljährlich.

In ihr liest man auch die Sätze:

Vielen ist es schon aufgefallen, dass Kinder solcher Eltern, die die gegenwärtige Wahrheit kennen, sich oft im nachschulpflichtigen Alter dem Kreise der Familie entfremden und auch der Botschaft der Wahrheit immer weniger Interesse zollen und ihr schliesslich den Rücken kehren. Diese Tatsache, die sehr betrübend ist, ist aber recht häufig zu beobachten. Ihr gilt es jetzt nach Möglichkeit entgegenzuwirken, und in den Fällen, da es auch noch nicht so arg ist, gilt es der drohenden Gefahr auf zweckmässige Weise vorzubeugen. Ein guter Weg zu diesem Ziel ist offenbar der: In allen grösseren Orten des Landes mögen sich die jungen Leute im Alter von etwa 14 - 18 Jahren zu einer Vereinigung zusammenschliessen .."

Die Ausgabe vom Januar 1932 (betitelt als deren Nummer 3) brachte dann einen namentlich gezeichneten Beitrag über einen „Heimnachmittag der Berliner Jugendgruppe". Die Rede ist von etwa 60 Anwesenden bei dieser Veranstaltung, die in einen offiziellen und einen inoffiziellen Teil gegliedert war

Zum inoffiziellen Teil gehörte: „Dass eine Stunde vor Beginn des Vortrages freies Beisammensein ist".

Nach dem für Zeugen Jehovas obligaten Vortrag ging es im inoffiziellen Teil dann mit Dingen weiter, die für Zeugen Jehovas-Verhältnisse geradezu „revolutionär" anmuten. Da liest man Sätze wie den:

„Nach der Pause beginnt wieder die Musik und die Mitglieder unterhalten sich im Saal mit Gesellschaftsspielen aller Art. Hier 'Ping-Pong', dort 'Quadrett', 'Mensch arg're dich nicht' und so weiter."

Gemäß einer Auskunft von M. C. Harbeck an die Schweizerische Landesbibliothek vom 28. 11. 1933 wurde dann diese GZ-Beilage eingestellt und in eine selbstständige Zeitschrift, beginnend mit einer „Nullnummer" umgewandelt, von der weiter oben schon die Rede war.

Offenbar gab es auch in Deutschland ähnliche Tendenzen. Als herausragend ist da wohl insbesondere die;

"Für die Jugend, Jugendbeilage der Halbmonatszeitschrift 'Das Goldene Zeitalter'" betitelte Schrift zu werten; namentlich deren Ausgabe Nr. 4 vom April 1932. Aus selbiger mal, der durchaus als relevant einzuschätzende Bericht auf S  28.

Da kann man von einigen Blütenträumen lesen. Unter anderem den, vielleicht gar staatliche Förderung für die eigene Jugendarbeit in Anspruch nehmen zu können.

Nun macht allerdings, das Datum April 1932 schon deutlich. Einer Konsolidierung war diesen Bestrebungen nicht vergönnt. Nicht zuletzt machte ja das Naziregime dem einen dicken Strich durch die Rechnung. Aber unabhängig davon ist eben auch festzuhalten, dass diese Bestrebungen, auch in der Schweiz, von Rutherford höchstpersönlich gestoppt wurden. Mehr noch. Es gab auch nach 1945 keine Neuaufnahme in organisierter Form, bis zum heutigem Tage!

Exkurs:

Dann mal einige Kopfzeilen von Zeitschriften-Ausgaben an die da zu denken wäre.

Im Zuge seiner Politik (auch von der heutigen WTG fortgesetzt) Kindern ein Kindgemässes Leben, zwar nicht zu verhindern, aber doch deutlich einzuschränken.
Sie also schon in jungen Jahren zu halben Erwachsenen zu trimmen, mit der Zielstellung, dass ihnen das Treppenterrierdasein möglichst in Fleisch und Blut übergehen möge.
Im Zuge dieser Entwicklung wurden dann genannte Zeitschriften, auf Anordnung von Rutherford, wieder eingestellt.
Und auch nach 1945 gab es für sie keinerlei vergleichbare Nachfolgeorgane.

Was die da alternativ zu nennenden WTG-"Bilderbücher" anbelangt, kommentierte die mal Wunderlich in seinem Buch "Die Paradiesverkäufer" so:

"Zur Kindererziehung hatte uns die WTG ebenfalls ein biblisches Hilfsmittel zur Verfügung gestellt. Es war das unter uns Zeugen Jehovas sehr beliebte Buch "Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies". Das Buch war reich illustriert und "leicht verständlich" geschrieben. Wir sollten es regelmäßig mit unseren Kindern betrachten, selbst wenn sie noch nicht lesen konnten, denn die Bilder sind gut geeignet, Gottes Handeln daran zu erklären. Besonders meine Frau gab sich die größte Mühe, unsere Tochter von frühester Kindheit an mit der Bibel und den Wachtturmlehren vertraut zu machen.
Erst viel später begriffen wir, was wir unserem Kind zugemutet hatten, wenn wir ihm z.B. anhand dieses Buches den Verlauf des Krieges Gottes "Harmagedon" erklärten. So wird unter anderem auf den Seiten 208-209 in dem Kapitel "Wie diese Welt enden wird" das Bild eines furchtbaren und nach Rache dürstenden Gottes gezeichnet, das den Kindern in der Regel eine tiefe Furcht vor dem "lieben" Gott vermittelt.
Der Zweck dieser barbarischen Erziehung ist, den Kindern beizubringen, daß sie nur dann vor der Vernichtung durch diesen "lieben" Gott sicher seien, wenn sie gehorsam alles täten, was "Jehova" durch seine Organisation und durch ihre Eltern von ihnen verlangt."

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1936er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte