Rohkohl

Ausgehend von einer Detailkenntnis der zeitgenössischen kirchlichen Apologetik gegen die Bibelforscher, habe ich keine sonderlich "gute" Meinung über diese Apologeten. Übrigens auch nicht über ihre heutigen Nachfolger. Vieles ist mir zu seicht. Ich vermisse bei etlichen den wirklichen Durchblick in die Materie. Einer aus dem Kreise jener Apologeten erscheint mir dennoch heute noch zitierenswert. Das war ein Pfarrer namens Lic. theol. Rohkohl aus Bolkenhain in Schlesien. In drei durchaus nicht bloß oberflächlichen Zeitschriftenaufsätzen, ist er auf das Thema Bibelforscher eingegangen. Den einen gab er den Titel: "Krisis und Spannung im Lager der 'Ernsten Bibelforscher'". Er erschien in Heft 2/1926 der Zeitschrift "Der Geisteskampf der Gegenwart" und war davor bereits von einigen anderen Zeitschriften des Abdruckes für würdig befunden worden. Der Rohkohltext wurde also mehrfach veröffentlicht. Ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang, wenn man berücksichtigt, dass Zeitschriftenredaktionen in der Regel auf Originalbeiträge (und keine Nachdrucke) Wert legen. Was man da so von Rohkohl in mehrfacher Ausführung lesen konnte, sei nachstehend einmal anhand des "Geisteskampf der Gegenwart" wiedergegeben. Im Einzelnen schreibt Rohkohl:

"Die Bibelforscher haben es verstanden, alle, die nicht viel von Sektengeschichte wissen und die merkwürdige Verquickung der wörtlichen Inspiration der Schrift mit der angeblich göttlichen Offenbarung, die Russell zuteil wurde, nicht durchschauten, zu ängstigen. Diese Tatsache ist ohne Zweifel durch das selbstsichere Auftreten der Propagandaredner gestützt worden. Wer in der Abwehrbewegung steht, wird es immer wieder erfahren haben, wie hilflos man allenthalben dem Eindringen der Bibelforscher gegenüberstand.

Je weiter das Jahr 1924 fortschritt, desto mehr suchte man die früher gemachten Ausführungen über das Jahr 1925 abzuschwächen, und es war mir immer interessant zu verfolgen, wie dieses Bestreben in den Diskussionsversammlungen zur Geltung kam. Im Juli 1924 hieß es plötzlich, die chronologischen Aufstellungen spielten nur eine nebensächliche Rolle in Russells System. Das konnte nur aus völliger Unkenntnis der einschlägigen Literatur gesagt werden und musste je länger desto mehr zu einem Abrücken von dem Hauptinteresse des Gründers führen. Das heißt aber: Es musste eine Krisis kommen. …

Eine glänzende Rechtfertigung findet Loofs, dem man seitens der Bibelforscher wegen seiner Behauptung der vollständigen Abhängigkeit der deutschen Kreise von dem amerikanischen Zentrum unglaubliche Vorwürfe gemacht hat. Es ist uns eine besondere Genugtuung, dass gerade in Halle Bibelforscher zu dieser Erkenntnis gekommen sind. Man hat dort überhaupt die Sache beim richtigen Namen genannt: Personenkultus. Das ist ein Schlag, der nicht so leicht überwunden werden dürfte.

Die 'Wahrheitsfreunde' und einige andere wollen bei der reinen Lehre Russells bleiben. Das ist verständlich, bedeutet aber das Ende der Bewegung. Denn der Stifter war nun einmal auf Zahlenspekulationen eingestellt worden. Seine Rechnungen durch die Geschichte als falsch erwiesen, so fällt damit das ganze System. Auch einfache Leute werden mit der Zeit den Irrtum erkennen. Wir haben in der Geschichte des Sektenwesens genug Beispiele, um das zu begründen.

Meines Erachtens sind deshalb die andern auf dem rechten Wege. Nur, dass hier dann eine neue Schwierigkeit entsteht, der sie zum Opfer fallen werden. Russells Stärke bestand nicht in seiner Lehre an sich, die nichts wesentlich Neues brachte, sondern in der Ausweitung der eschatologischen Stellen, die er auf Grund seiner Berechnungen als jetzt erfüllt ansah. Fällt das fort, und das wirtschaftlich beruhigte Deutschland hat nicht mehr so stark das starke eschatologische Interesse, so wird auch die Wirksamkeit seiner Schriften erhebliche Einbuße erleiden.

Die Süddeutschen 'Wahrheitsfreunde' schreiben: 'Direkt lächerlich ist es, wenn diese Irrlehrer der Wachtturm-Gesellschaft die Geistlichen wegen ihrer Titel anklagen, da sie sich doch selbst die unbiblischen Titel beilegten: Direktor, Präsident, Erntewerksvorsteher, Pilgerbruder usw. … Wenn die Wachtturmgesellschaft die Geistlichkeit wegen ihrer prächtigen Gewänder anklage, so sei das Leben Rutherfords, wenn er in Deutschland sei, fürstlich. Obwohl Balzereit als einfacher Werftarbeiter so etwas nicht gewöhnt war, kleidete er sich in seidene Hemden, herrliche Strandanzüge, fährt zweiter Klasse, auch hat er sich ein Auto angeschafft, worauf man 'Kreuz und Krone' malte.'

Man macht zwar erstaunliche Erfahrungen bei den Bibelforscherkreisen über die Enge ihres Gesamtkreises, aber ich denke. Einmal muss es ihnen dämmern, dass die Grundlagen ihrer Lehren mancher Korrekturen bedürfen. Wir wollen uns hüten, aus diesen Tatsachen auf einen nahe bevorstehenden allgemeinen Zusammenbruch in absehbarer Zeit zu schließen. So schnell wird diese Spannung nicht zu einer akuten Krise werden. Aber starke Hemmungserscheinungen müssen sich geltend machen, und damit ist für uns schon viel gewonnen. Die Bibelforscher müssen jetzt denken und wirklich 'forschen'. Wie viele dazu wirklich in der Lage sind, lässt sich schwer sagen, aber so viel ist mir sicher, dass gerade in den ländlichen Kreisen viele hier versagen werden.

Noch mehr zeigt sich die Dürftigkeit, wenn man die prophetischen Weissagungen zu politischen Gegenwartserscheinungen in Beziehung setzt. In Nr. 4 des 'Goldenen Zeitalters' vom 15. 2. 25 findet sich ein solcher Versuch.

Unter der Überschrift: 'Die gelbe Gefahr in ihrer neuesten Form' heißt es: 'Die jüngsten Geschehnisse im fernen Osten lassen die alte Legende einer kommenden gelben Gefahr in einem ganz neuen Licht aufleuchten. Unwillkürlich wird man an das Prophetenwort erinnert (Joel 2: 1-11): 'Sie rennen wie die Helden, wie Kriegsleute, ersteigen sie die Mauer (also auch die chinesische Mauer) … sie laufen in der Stadt umher, rennen auf die Mauer, steigen in die Häuser, durch die Fenster dringen sie ein wie ein Dieb. Vor ihnen erbebt die Erde (gesellschaftliche Ordnung der Dinge), erzittert der Himmel (kirchliche und geistige Ordnung); Sonne und Mond (das Evangelium und das Gesetz) verfinstern sich, und die Sterne (die Kirchenlichter) verhalten ihren Glanz … Denn groß ist der Tag Jehovas und sehr furchtbar, und wer kann ihn ertragen?' O sacta simplicitas.

Wer in der Abwehrbewegung steht, weiß wie scharf alle Flugblätter und Zeitungsnotizen nach Schwächen untersucht werden. Darin liegt auch die Schwierigkeit des ganz allgemein so sehr gepriesenen Flugblattes, dass von der Essener Druckerei Gemeinwohl unter dem Titel 'Anklage gegen die Geistlichkeit' herausgegeben wurde und eine Widerlegung des gleichnamigen Bibelforscher-Flugblattes sein wollte. Die unglückselige Verwertung des Gerichtsurteils in Sachen Bibelforscher contra Dr. Fehrmann entwertet das Flugblatt. Gleich bei der ersten Diskussions-Versammlung nach Erscheinen bekam ich von den Bibelforschern das Flugblatt auf dem Präsentierteller gereicht, und sie verwerteten es nicht ungeschickt.

Man soll auch nicht meinen, mit Broschüren wie einer der im Gemeinschaftsverlage erschienenen wesentliche Erfolge zu erzielen. Sobald man sich darauf einlässt, mit anderen Schriftstellen ihre 'Lehre' widerlegen zu wollen, kommt man in Gefahr; und das deshalb, weil sie sofort mit anderen Stellen ihre Position wiederherstellen."

Rohkohl war offensichtlich ein "einsamer Rufer" innerhalb seiner Kirche. Aber vielleicht war er auch derjenige, der zeitgenössisch gesehen, am klarsten die Dinge in seinen Kreisen sah. Er ließ sich nicht von dem nationalistischen Zeitgeist als Hauptargument blenden. Eine gewisse Ausgewogenheit seines Urteiles kann man ihm durchaus bescheinigen.

In Heft 2/1925 der Zeitschrift der Apologetischen Zentrale, "Wort und Tat", hatte man bereits auch seinen zitierten Artikel mit veröffentlicht. In Heft 11/1927 von "Wort und Tat", meldete er sich erneut zu Wort. Diesmal wählte er als Überschrift: "Spiegelfechterei der Ernsten Bibelforscher". Wenn man an die gegenwärtige Strategie der Zeugen Jehovas denkt, sich bei gewissen unbedarften Außenstehenden sich positive Urteile zu erkaufen, dann ist man schon in gewisser Hinsicht "angeheitert", ähnliches schon für die 20-er Jahre zu registrieren. Zu diesem Aspekt führte Rohkohl aus:

"Die Bibelforscherbewegung hat in dem Ingenieur Curt Bran-Jena einen eifrigen Verteidiger gefunden, der mit großer Leidenschaft für die Wahrheit der Bibelforscherlehre einzutreten versucht. Es liegen von ihm, der behauptet, selbst nicht der IVEB anzugehören, zwei 'offene Briefe' vor, von denen einer an die Schriftleitung des 'Landboten für Schleswig-Holstein' in Kiel, der andere an die 'Blätter des Evangelischen Bundes' gerichtet ist. Einer der beiden Briefe ist inzwischen in der Halbmonatsschrift der Bibelforscher 'Goldenes Zeitalter' veröffentlicht.

Bran will beweisen, dass alle Angriffe gegen die Bibelforscher durch Hass, Dummheit und Unkenntnis gekennzeichnet seien, und das die Bibelforscher die wahren Vertreter des Urchristentums seien. Der Ton der beiden Briefe ähnelt aufs Haar dem Tenor der berüchtigten 'Anklage gegen die Geistlichkeit'. Das muss um so mehr wunder nehmen, da der Verfasser gerade über den Ton der von ihm inkriminierten Artikel lebhaft Klage führt. Man hätte also erwarten sollen, dass er sich ganz besonders der Sachlichkeit befleißigen würde. Nichts von alledem! Beide Briefe tragen von Anfang bis Ende den Charakter stärkster Animosität. Über den Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten; einige Proben dieses Geschmackes sollen den Lesern nicht vorenthalten werden.

Der für Wahrhaftigkeit und Objektivität kämpfende Mann, der für sich und seine Schutzbefohlenen, die arg verkannten und verleumdeten Bibelforscher, allein den Geist echten Christentums in Anspruch nimmt, schreibt u. a.:

'Die groben logischen und sprachlichen Fehler in dem Artikel lassen dagegen einen Bildungsgrad vermuten, der noch tiefer liegt, als der, den die inhaltlich-sachliche Beurteilung vermuten lies' … Oder 'der Teufel als Vater der Lüge selbst oder sonstige Wesen eines anormal tragfähigen Gewissens - mögen sie nun Judas Ischarioth, Bräunlich, Lienhard, Scheurlen oder sonstwie heißen' - oder 'den Helden kirchlicher Apologetik sind aus der Gnade des Evang. Preßverbandes für Deutschland Krücken geschnitzt worden' und 'dies künstliche Machwerk 'Gegnerschlagworte über Religion und Kirche' oder besser 'das geistige Armutszeugnis der gelernten Theologen.'

Daher nennt er die Theologen die Büttel der katholischen Kirche, die nur von dieser benutzt würden, um gegen die Verkünder biblischer Wahrheiten (gemeint sind die Ernsten Bibelforscher) aufzutreten. Das auch die 'Apologetische Centrale' einen Hieb bekommt, sei nur nebenher erwähnt.

Vielleicht tut man dem Schreiber der beiden Briefe zu viel Ehre an, wenn man überhaupt auf diese Dinge eingeht. Sie müssen aber erwähnt werden, auch wenn der Pfarrerstand sich hoch über diesem Niveau weiß. Denn solche Wühlarbeit verfolgt ja einen ganz bestimmten Zweck. Schon die Tatsache allein, dass wir solche Kampfesmethoden im Bibelforscherlager öfter antreffen, ist Beweis genug, dass sie von urchristlichem Geist noch weit entfernt sind. Wenn man den sachlichen Kern aus dieser Flut von Gehässigkeiten herausgeschält hat, bleibt nicht viel mehr übrig; man wundert sich über die Dürftigkeit dessen, was der Briefschreiber sachlich zu sagen hat.

Freilich sind die Bibelforscher erheblich gewandter in der Verteidigung als Bran, dessen Mentalität durch folgende Wortverdrehungskunst genügend gekennzeichnet wird. Er will den Vorwurf zurückweisen, die Bibelforscher benutzen die Bibel als Wahrsagebuch und argumentiert wie folgt:

Er meint, in der Bibel stehe doch die 'Wahrheit', und darum sei sie ein Buch, das wahre (= die Wahrheit) sage! In der deutschen Sprache besteht nun aber einmal ein Unterschied in der Bedeutung der beiden Worte: wahrsagen und die Wahrheit sagen. Das im übrigen dieses 'wahr' (= die Wahrheit) sagen der Bibelforscher und besonders Russells für sie ein Reinfall war, scheint Bran entgangen zu sein.

Allen anderen, und nicht nur den 'Geistlichen', ist es bekannt, dass die 'Wahrsagungen' auf das Ende der Nationen mehrfach korrigiert werden mussten und heute mehr und mehr zurückgetreten sind. Schon Russell selbst hat zugeben müssen, dass er sich geirrt habe.

Im 2. Band der 'Schriftstudien' lesen wir Seite 7: 'Der Autor gibt zu, dass er in diesem Buche den Gedanken nahelegt, dass des Herrn Heilige erwarten dürfen, am Ende der Nationen bei ihm zu sein in Herrlichkeit. Dies war ein Fehler, den zu machen es sehr natürlich war.'

In diesem Zusammenhang wird es immer interessant bleiben, dass man im 7. Band der 'Schriftstudien' liest, Russell sei göttlich inspiriert gewesen, und jedes seiner Worte sei ihm von Gott gekommen.

Ebenfalls nicht überzeugend sind die Ausführungen des Verfassers, die die Finanzierung der Bewegung angehen. Hier hätte er wesentlich mehr für sich geltend machen können. Rührselige Geschichten, wie die Anhänger würden jeden Groschen, den sie erübrigen, der Bewegung zugute kommen lassen, sind ja immer sehr schön, überzeugen aber nicht restlos. Meines Erachtens muss sich das 'Goldene Zeitalter' zum Beispiel ohne Zuschüsse selbst halten können, ja sogar noch Überschüsse erzielen. Es soll hier aber nicht näher auf diese Dinge eingegangen werden, weil sie im Abwehrkampf, den die Apologetik führt, keine Rolle zu spielen haben.

Auszuschalten bleibt meines Erachtens auch für die kirchliche Apologetik die Frage, ob die Bibelforscher Abgesandte des Kommunismus seien oder nicht.

Der Kampf gegen die IVEB ist zu führen mit der Bibel in der Hand, nur biblische Argumentationen können überzeugen, während diesem Gegner gegenüber alle anderen Waffen stumpf bleiben.

Was Bran sachlich über das Buch von Lic. Bräunlich: 'Die Ernsten Bibelforscher als Opfer bolschewistischer Religionsspötter' sagt, verdient gewisse Beachtung. Für mich sind seine Ausführungen über diesen Punkt die Antwort auf Vermutungen, die ich bei Erscheinen dieses Buches aussprach:

Die Bibelforscher werden aus ihrem umfangreichen Schrifttum eine Fülle von Beispielen bringen, die dartun, dass ihre Führer gegen den Kommunismus aufgetreten sind und vor ihm warnen. Bran hätte seine Beispiele sicher noch beliebig vermehren können. Denn es gibt in der Tat eine große Anzahl solcher Stellen. Damit wird die Frage dringend, ob man überhaupt von dieser Position die Bibelforscher ernstlich, d. h. mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg bekämpfen kann. … Betonen möchte ich noch, dass es sich nicht darum handelt, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob in den Behauptungen antisemitisch-völkischer Kreise ein Wahrheitsmoment liegt oder nicht, sondern zu überlegen, ob diese Beweisführungen Erfolg haben können oder nicht. Wir schaffen sonst keine Argumente für uns, sondern machen der IVEB den Kampf nur leicht.

Gerade die beiden 'Offenen Briefe' zeigen wieder, dass die kirchliche Apologetik bemüht bleiben muss, den Kampf ganz sachlich zu führen und sich nicht auf irgendwelche anfechtbare Behauptungen zu stützen. Im Bewusstsein des guten Rechtes, dass für uns streitet, im Besitze einer Fülle von Widerlegungsmöglichkeiten an Hand der Bibel, können wir auf jede Gehässigkeit verzichten und ruhig, rein sachlich arbeiten. Freilich werden wir uns darüber klar bleiben müssen, dass wir durch diese Einstellung auf die Bibelforscher keinen besonderen Eindruck machen werden. Aber einmal schulden wir das unserer Sache selbst, die ja nicht die unsere, sondern Gottes Sache ist, und zum andern kann die Wirkung auf urteilsfähige Menschen nicht ausbleiben. Beweise hierfür stehen beliebig zur Verfügung. Wir wollen uns freuen, dass es auch andere Bibelforscher und Bibelforscherfreunde gibt als die geistigen Väter der 'Anklage gegen die Geistlichkeit' und ähnlicher Pamphlete. Die IVEB bedeutet heute keine Gefahr mehr für die Kirche, denn sie hat vielerorts enttäuscht."

Noch einmal meldete sich Rohkohl zu Wort. In Heft 5/1928 von "Der Geisteskampf der Gegenwart" ließ er einen weiteren Artikel veröffentlichen. Seinen dortigen Ausführungen gab er die Überschrift: "Erfolglose Bibelforscherbekämpfung".

Er schreibt: "Man darf wohl behaupten, dass sich die breiteste Öffentlichkeit mit keiner religiösen Erscheinungsform der Nachkriegszeit mehr beschäftigt hat als mit der Bewegung die durch die Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher in Szene gesetzt worden ist. Das hat seinen Grund weniger in der Beweiskraft der Argumente, die die Massen ergriffen hätte, als in der großzügigen Art, mit der die Durchführung in die Wege geleitet worden ist.

Noch heute, nach ungefähr zehnjähriger intensiver Wirksamkeit steht die Zahl der Anhänger in keinem Verhältnis zu dem Lärm, der die Sache begleitet.

Ebensowenig ist aber natürlich die Tatsache ein Beweis für die Bibelforscher, dass … allein in Deutschland in den letzten Jahren über 12 Millionen Bücher der Bibelforscher verbreitet worden sind. …

Doch nicht nur Rutherford, sondern auch die andern Führenden reizen die Menschen durch ihre ganze Art, und darum brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn man sich von den verschiedensten Seiten her der Bibelforscherflut entgegenstemmt, oder besser gesagt, entgegengestemmt hat.

Man soll nie einen Menschen lächerlich machen oder überlegen lächelnd abtun wollen, zumal man ja nicht wissen kann, ob es sich bei dem Betreffenden nicht um eine feste Überzeugung handelt. Gerade hierin sehe ich auch die Erfolglosigkeit der sich in völkischer Richtung bewegenden Abwehr. Man vgl. hierzu unter anderem das bekannte Buch von Lic. Bräunlich: 'Die ernsten Bibelforscher als Opfer bolschewistischer Religionsspötter.'

Nehmen wir zunächst einmal die Wirkungen, die diese Methode bei den Bibelforschern selbst gehabt hat. In dem Bericht über die Berliner Tagung im Sportpalast schreibt das 'Goldene Zeitalter' (Nr. 18 vom 15. September 1927, S. 284):

'Vor der Tür des Sportpalastes wurden vom Evangelischen Preßverband herausgegebene Pamphlete verteilt, in welchen die bekannten Unwahrheiten P. Bräunlichs aufgewärmt wurden. Wir haben erfahren, dass es zwecklos ist, P. Bräunlich zu ersuchen, seine Unwahrheiten zu berichtigen, da er trotz unserer Berichtigung es nicht tut, sondern weiter verleumdet. Der Evangelische Preßverband mag stolz sein auf diesen Kampfgenossen. Weil aber immer aufs neue seine Unwahrheiten verbreitet werden, erklären wir bei dieser Gelegenheit erneut, dass seine Kombinationen, die Bibelforscherbewegung trage den gleichen Charakter wie der Taxilschwindel, oder Bibelforscher seien Religionsspötter oder Vorboten des Bolschewismus, oder, der Leiter der deutschen Bibelforscher habe an der Kieler Matrosenrevolution teilgenommen und ähnliche Behauptungen mehr aus der Luft gegriffen, Erfindungen (nur unser Anstand verbietet uns, das Wort 'Lügen' anzuwenden) des Herrn P. Bräunlich sind. Wenn man die Bibelforscher mit solchen persönlichen Verunglimpfungen und Schmähungen zu verleumden sucht, beweist man nur, dass man ihnen geistig nicht gewachsen ist. Was die Bibelforscher brauchen, ist die Bibel, ihre Gegner gebrauchen die Verleumdung.'

Die 'Haltet-den-Dieb'-Taktik sieht einfach Bräunlichs wichtige Behauptungen überhaupt nicht oder geht an ihnen vorbei. Das ist an sich nichts Neues, denn die Bibelforscher besitzen darin eine gewisse Virtuosität, nebenher zu reden und abzulenken.

Als ich seiner Zeit in einem Artikel die Behauptungen der 'Wahrheitsfreunde' besprach, erhielt ich als Antwort darauf von einem Bibelforscher eine Karte, in der er mit Bezug auf die seidenen Hemden usw. Balzereits schrieb:

'Gönnen Sie doch einem armen Mann, dass er auch seidene Hemden trägt.' Wie viele Bibelforscher gerade durch diese materialistisch-eschatologische Seite der Lehre der IVEB Anhänger geworden sind, entzieht sich natürlich öffentlicher Kenntnis.

Das maßvolle Urteil Loofs, dass Bräunlich unverständlich findet, muss für den objektiven Kritiker zunächst maßgebend bleiben, bis … der Gegenbeweis geliefert ist.

Es kommt hinzu, dass das Gros der Bibelforscher aus Leuten einfältigen Gemütes besteht, die selbst wenn die Behauptungen zurecht bestünden, nicht in der Lage wären, in die Tiefen dieses komplizierten Fragenkomplexes einzudringen.

Ein wesentliches Merkmal der Ausführungen Bräunlichs wird sich trotzdem auch jeder objektive Kritiker zu eigen machen können, dass nämlich die Bibelforscher Wegbereiter des Bolschewismus sind, soweit es sich um die Religionslosigkeit und Religionsfeindschaft der Massen handelt. Hier ist mit bewunderswerter Klarheit das Endergebnis der Bibelforscherarbeit herausgestellt worden: Die Massen werden zunächst der Kirche sowie jeder nur religiösen Gemeinschaft entfremdet und mit glühendem Haß gegen sie erfüllt.

Bricht dann eines Tages ihr religiöses Gebäude zusammen, so wird ein großer Prozentsatz, getrieben durch bittere Enttäuschung, sich vollends dem Atheismus verschreiben, zumal ihre bisherige religiöse Gedankenwelt nichts anderes ist, als religiös übertünchter Materialismus. Der Unterschied der Auffassung besteht lediglich darin, dass Bräunlich der Ansicht ist, glaubhaft nachweisen zu können, dass diese Entwicklung seitens der Führerschaft gewollt ist, während andere das als eine ungewollte Wirkung ansehen."

Siehe thematisch auch die Ausführungen über Paul Braeunlich

ZurIndexseite

1928er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte