Der vorangegangene Jahrgang   1918

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1919 Wahrheit war

Rutherford übernimmt das Ruder

Bekanntlich hieß der neue Mann, nach Russells Tod im Jahre 1916, Joseph F. Rutherford. Es war eine bewegte Zeit. Schon ein Jahr später (1917) waren auch die USA in den Ersten Weltkrieg mit eingetreten. Innerorganisatorische Opposition gegen den Emporkömmling Rutherford machte sich bemerkbar. Die Ereignisse überstürzten sich. Als ersten Akzent setze Rutherford es durch, dass ein siebenter Band der "Schriftstudien" veröffentlicht wurde, der aber nicht mehr selbst von Russell geschrieben wurde. Faktisch war es eine Art Anthologie, ein Zusammenklauben der unterschiedlichsten Materialien, formal in eine sogenannte "Bibelerklärung" der Bibelbücher "Hesekiel" und "Offenbarung des Johannes" (in der Hauptsache) hineingepresst. Schrieb jenen Band auch Rutherford selbst noch nicht, so bestimmte er doch die Richtlinien und setze die Akzente. Und er hatte es eilig mit seinem "siebenten Band" an die Öffentlichkeit zu treten. Den staunenden Bibelforschern offerierte er dazu den Satz: "Bruder Russells letzter Ausspruch die Ernte betreffend war, dass die Ernte im Frühling 1918 enden würde. Wir glaubten dies; und indem wir dies glaubten, fühlten wir, dass der Siebente Band vor dem Ende der Ernte herauskommen musste." ("Wachtturm" 1919 S. 78).

Die politische Lage in den USA hatte sich durchaus gravierend gewandelt. Über sie vermerkt der "Wachtturm" (1919 S. 115): "Im April 1917 traten die Vereinigten Staaten in den Großen Weltkrieg ein. Im Juni desselben Jahres wurde das sogenannte 'Spionagegesetz' aufgestellt, welches Bestrafungen vorsah für alle, die sich verschwören würden, um Auflehnung, Meuterei oder Ungehorsam im Heer und Flotte hervorzurufen. Unsere Brüder waren so sehr beschäftigt mit der Verbreitung der Botschaft vom messianischen Königreiche und mit der Fortsetzung des Werkes, welches unser teurer Pastor angefangen hatte, dass sie nicht einmal Notiz nahmen von der Aufstellung des 'Spionagegesetzes'". Aus diesem "in den Tag hineinleben ohne Beachtung der Gesetze des weltlichen Staates" wurde Rutherford und seine engsten Mitarbeiter in höchst unsanfter Weise herausgerissen. Er fand sich alsbald im Gefängnis wieder.

Der "Wachturm" notiert: "Durch falsche Berichte ist in der Öffentlichkeit viel böse Stimmung gegen unsere Brüder gemacht worden. So hatten zum Beispiel Feinde der Wahrheit fälschlicherweise berichtet, unsere Gesellschaft habe einen mächtigen drahtlosen Apparat im Bethelheim aufgestellt, mit dem es möglich gewesen sei, Nachrichten über den atlantischen Ozean zu senden, und durch welchen die Gesellschaft in Verbindung mit dem Feinde gestanden habe. Dieser verleumderische Bericht wurde in der ganzen Welt veröffentlicht. … Tatsache ist, dass es im Bethelheim zu keiner Zeit ein Instrument zur Aufgabe von Nachrichten gegeben hat. Als Bruder Russell noch lebte, hatte ihm ein Bruder einen Apparat zur Aufnahme von drahtlosen Nachrichten geschenkt, und zu der Zeit, als die Vereinigten Staaten in den Krieg eintraten, war er völlig unbrauchbar. Niemals war im Bethelheim eine drahtlose Nachricht aufgefangen oder aufgegeben worden. Das Instrument war praktisch genommen für niemandem von Wert und im Frühjahr 1917 wurde es abmontiert."

Also montiert war jene Anlage schon einmal! Sicherlich mit der Absicht sie auch zu nutzen! Dann überstürzten sich die Ereignisse. Und jetzt wollte man plötzlich "die Unschuld vom Lande" nur gewesen sein. Offenbar sahen andere, namentlich aus Justizkreisen, die sich zu jener Zeit mit den Bibelforschern befassten, die Sachlage etwas anders!

Bezeichnend auch der weitere Satz im "Wachtturm": "Ein weiteres Beispiel (der) … Darstellung war, dass Bethelheim das Hauptquartier der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher diene deutschen Agenten zur Unterkunft. Am 4. Mai 1918 wurde dahingehend vor einem Komitee des Senats Mitteilung gemacht, welche in den Kongressbericht aufgenommen wurde. … Die Wahrheit ist, dass niemals ein deutscher Vertreter oder irgend jemand, der vorgab die deutsche Regierung zu repräsentieren, die Grundstücke der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher oder das Bethelheim betreten hat."

Es ist durchaus glaubwürdig, dass deutsche Regierungsvertreter jene Immobilie nicht betreten haben. Müssen es aber unbedingt Regierungsvertreter gewesen sein? Könnte sich die Sache nicht auf einer niedrigeren Ebene, beispielsweise der Ebene von Wirtschaftsmanagern, Bankleuten etc. abgespielt haben?! Warum rühmte sich Rutherford in den zwanziger Jahren gegenüber deutschen Journalisten, seine damalige Verhaftung hänge mit seiner seinerzeitigen "Deutschfreundlichkeit" zusammen?! Man vergleiche: Run zu Rutherford.

Wie man weiß hat er diesen Ruhm dann sogar gegenüber der Hitlerregierung wiederholt. Hauptadressat des USA-Spionagegesetzes, dass man gemäß eigenem Bekunden nicht beachtet hatte, war eben Deutschland. Deutschland hatte mit seinem uneingeschränkten U-Boot-Krieg auch die USA in den Ersten Weltkrieg involviert. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass den USA-Behörden zu dieser Zeit nicht nur Gerüchte, sondern tatsächliche Fakten dazu, zu Ohren gekommen sind!

Rutherford äußerte zwar: "Niemals kam uns der Gedanke auf, der Regierung zu schaden und irgendein Gesetz zu verletzen." ("Wachturm" 1919 S. 78). Auch das ist glaubwürdig. Es ging nicht darum, dass hier mit vollem Bewusstsein inkriminierte Tatbestände geschaffen waren, wohl aber darum, dass das praktische Verhalten der Bibelforscher nicht in Übereinstimmung mit den USA-Kriegszielen war. Die Zeitspanne zwischen der Veröffentlichung des siebenten Bandes der "Schriftstudien", dem Kriegseintritt der USA und dem Kriegsende, war relativ kurz. Dieser Kürze ist es zuzuschreiben, dass der Bibelforscher/Zeugen Jehovas-Grundsatz des "Staat im Staate" sein, nicht noch weit größere Konfliktlagen heraufbeschworen hat. Sie sollten, zeitverzögert, noch in Erscheiunung treten - im Deutschland der dreißiger Jahre.

Nachdem Ende des Ersten Weltkrieges definierten die USA ihre Politik neu. Im Zuge dieser Neudefinierung schlucke der USA-Staat die "Kröte", seine vormaligen Anwürfe gegen die Bibelforscher wieder zu vergessen. Die "Deutschfreundlichkeit" passte nunmehr wieder ins politische Konzept. Ab März 1919 befand sich die Bibelforscherführung daher wieder auf freiem Fuß. Nicht weil Jehova es so wollte, sondern, weil jene Organisation sich vorzüglich für die politischen Interessen der USA in religiöser Verbrämung nutzen ließ und lässt!

Miesbacher Anzeiger

Was waren die Großkirchen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg? Ich kann zur Charakterisierung ihrer Rolle nur ein Wort verwenden: STOCKREAKTIONÄR!

Ihre heutigen Nachfolger auf Funktionärsebene, belieben sich mit dieser Sachlage nicht sonderlich gerne auseinanderzusetzen. Aber das kennt man ja auch von den Zeugen Jehovas zur Genüge, die auf ihre Art und Weise (wenn auch mit anderen Akzenten) auch nur ein gebrochenes Verhältnis zu ihrer Geschichte haben.

Ein zeitgenössisches Dokument, wie die stockreaktionären Kirchen auf die neu auftretende Herausforderung durch die Bibelforscher reagierten, ist auch in der Tageszeitung "Miesbacher Anzeiger" vom 19. 11. 1919 überliefert. Der entsprechende Artikel sei nachstehend einmal zitiert:

"Die Schrittmacher der Bolschewismus

Rosenheim, 17. Oktober.

Seit dem Ausbruch der Revolution blüht hier der Weizen der sog. Ernsten Bibelforscher die das Volk mit ihren Sprüchen vollends konfus zu machen versuchen. In den Tagen der Rosenheimer Rätepublik erfreute sich diese kleine Gesellschaft der besonderen Gunst der Spartakisten, die den Hauptteil der Versammlungsbesucher stellten und an dem Herunterreißen von Staat und Kirche helle Freude hatten. Diese Bibelforscherversammlungen wurden zu regelrechten Verbrüderungskundgebungen zwischen den Adventisten und Bolschewisten. Neuerdings entfalten diese 'ernsten' Bibelforscher ein geradezu gemeingefährliches Treiben. Beide Lokalblätter, Wendelstein und Rosenheimer Anzeiger, lehnten fernerhin die Aufnahme der Versammlungsanzeigen dieser Gruppe ab. In der letzten Versammlung beim Gillitzer wurde an Unterwühlung und Verhetzung das Menschenmögliche geleistet.

Unvermeidlicher Staatsbankrott, rettungsloser Zusammenbruch mit baldigem Weltuntergang - das ist das Ergebnis des Studiums der Hl. Schrift durch die 'ernsten' Bibelforscher. Auf denkfaule und urteilslose Zuhörer machen diese albernen Sprüche immerhin einigen Eindruck und es wäre wirklich an der Zeit, wenn dieser neuen Art kommunistischer Propaganda bald das Handwerk gelegt würde. Die 'ernsten' Bibelforscher sind - bewusst oder unbewusst - die Schrittmacher des Bolschewismus!"

Auch die zeitgenössische Publikation herausgegeben vom Verein zur  Abwehr des Antisemitsmus (2. Auflage 1924 "Abwehr ABC" S. 8)  notierte:

Das zu der antisemitisch-Deutschvölkischen Verhetzung nach dem Weltkrieg  mehrere Hetzorgane beitrugen. Namentlich genannt wird dabei auch der  der "Miesbacher Anzeiger"

http://de.wikipedia.org/wiki/Miesbacher_Anzeiger

Bemerkenswert auch die Detailangabe von Kurt Gossweiler in dessen   Buch "Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919 -1924".

Gossweiler bezeichnet den Miesbacher Anzeiger darin als "direkten Vorläufer des   berüchtigten Schmutzblattes 'Der Stürmer' Bezüglich eines mit jenem Blatt verbundenen Bernhard Stempfle  meint er weiter, er sei einer der Helfer gewesen bei der Abfassung von Hitlers  "Mein Kampf" Dieser Umstand bewahrte ihn allerdings nicht davor, mit zu  Hitlers Opfern während des sogenannten Röhmputscher" im Jahre 1934 zu gehören

Nachwirkungen des Jahres 1918

Nachdem Russell sein Endzeitjahr 1914 zur Farce geworden war, hieß der neue Notnagel 1918. Auch in jenem Jahr wieder das alte Trauerspiel, dass religiöse Naivität erneut ihre Ernüchterung erfuhr. Einige jener vormals Trunkenen, waren nun nicht mehr bereit im alten Trott weiter zu machen. Der "Wachtturm" notiert (1919 S. 164):

"Während des vergangenen Jahres haben die Stürme der Verfolgungen das Volk des Herrn bedrückt und zwischen den Stürmen gab es feurige Prüfungen für die Kirche im allgemeinen sowohl als auch einzelne Glieder desselben. Das Resultat ist, dass einige Anstoß genommen und sich abgewandt haben; andere nach sich ziehend, organisieren sie sich nun unter verschiedenen Namen. Wie uns mitgeteilt wurde, gibt es ungefähr zwölf oder mehr verschiedene Gruppen von Bibelforschern unter den verschiedensten Namen, und manchmal finden wir einige, die sich über andere, welche behaupten, auf dem schmalen Wege zu folgen, nicht immer in der zartesten Weise ausdrücken. Die Führer dieser verschiedenen Organisationen sind davon überzeugt und beeinflussen auch andere, zu glauben, dass der Herr die Gesellschaft und diejenigen, welche mit der Leitung derselben betraut sind, verworfen habe."

Einer der in jenem Milieu hin und her schwankte war Samuel Lauper. In den Gründungsjahren der Schweizer Bibelforscherkonkurrenz-Zeitschrift "Die Aussicht" findet man ihn dort. Dann aber hat es ihn wohl wieder eher zur Wachtturmgesellschaft zurück verschlagen. Jedenfalls konnte der "Wachtturm" (1919 S. 66) den Triumph vermelden:

"Zur gefälligen Beachtung für Geschwister und Leser des Wachtturms in der Schweiz. Wir teilen allen Geschwistern und Lesern des Wachtturms in der Schweiz mit, dass Bruder Samuel Lauper sein Lager an Bücher und Schriften aus dem Verlage der Wachtturm Bibel und Traktatgesellschaft sowie den von ihm seit Jahren selbstständig betriebenen Versand in entgegenkommender Weise an Bruder C. C. Binkele, dem Hauptbevollmächtigten der Gesellschaft abgetreten hat."

Das war im Falle Lauper allerdings keineswegs das "Ende der Fahnenstange". Denn schon einige Jahre später begann er, in Kooperation mit USA-Bibelforscherkreisen, die damals neue Zeitschrift "Der Herold des Königreiches Christi" herauszugeben, die sich rund ein Jahrzehnt, bis Mitte der dreißiger Jahre halten konnte. Beispielsweise offeriert jene Zeitschrift noch in ihrer Ausgabe vom 15. 4. 1934 das damals bedeutendste Bibelforscher-Oppositionsbuch der Gebrüder Sadlack "Die Verwüstungen des Heiligtums".

Wenn man vom Jahre 1919 spricht, dann muss man Last not least, auch noch den Fall des F. L. Alexandre Freytag mit erwähnen, nachheriger Gründer der "Kirche des Reiches Gottes".

1919 notierte der "Wachtturm" (1919 S. 64) aber noch:

"Da genannter Freytag untreu gegen die Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft wurde und verfehlt hat und noch verfehlt, genannte Wachtturm Bibel und Traktatgesellschaft in ihrem Werke getreu zu repräsentieren, deshalb benutzt die Wachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft jetzt ihr gesetzliches Recht und ihre Vollmacht, um mit Gegenwärtigem die Ernennung des genannten Freytag zu widerrufen und aufzuheben … Br. Freytags Stellung war lediglich die eines Angestellten der Gesellschaft und eines Dieners des Herrn. Er war zur Herausgabe einer französischen Übersetzung des englischen Wachtturms bevollmächtigt, ferner besaß er Vollmacht zur Veröffentlichung der von Pastor Russell veröffentlichten Schriftstudien. Niemals jedoch war er zur Herausgabe einer Schrift, eines Traktates usw. berechtigt, deren Autor nicht Pastor Russell war. Seine herausgegebenen Schriften, wie Journal Pour Tous und andere, sind keineswegs autorisiert."

Willi Müller

Der "Wachtturm" veröffentlichte im Jahre 1919 (S. 196) auch einen mit Willi Müller gezeichneten Leserbrief. Es spricht einiges dafür, dass es sich dabei um jenen Müller handelt, der dereinst noch mal zu DDR-Zeiten aus Herausgeber der Zeitschrift "Christliche Verantwortung" in Erscheinung trat. Jedenfalls steht es fest, dass jener DDR-Müller sich in seinem Selbstverständnis als "tief religiös" betrachtete. Jener DDR-Müller nahm daher auch bereitwillig die ihm offerierte These an, dass DDR-Verbot der Zeugen Jehovas könne aufgehoben werden, wenn letztere nicht mehr "antikommunistisch" wirken würden. Politische Hintergründe zu durchschauen, dazu war dieser DDR-Müller nicht in ausreichendem Maße fähig. Seine Tragik bestand darin, dass er wie auch andere, als Werkzeug gebraucht und missbraucht wurde. Aber seine eigentliche Intention brachte er durchaus deutlich genug in jenem Leserbrief aus dem Jahre 1919 zum Ausdruck, wo er schrieb:

"Innigst geliebte, teure Geschwister in Christo!

Mit Psalm 103, 1-2 aus meinem Herzen sprechend, komme ich zu Euch, nachdem der getreue Herr so viele Wohltaten über mich ausgegossen. Möchte ich nur alle meine Gelübde bezahlen und in den verschiedensten Verhältnissen die Gelegenheiten auskaufen, um Ihm, der mich so geliebt, meine Treue zu beweisen. - Nachdem ihr Lieben nun wiederum meine Antworten auf die V.D.M Fragen geprüft habt, komme ich zu Euch um meinen herzlichen Dank für Eure Liebesmüh zu sagen. Wie freue ich mich, dass nunmehr die Antworten die erforderlichen 85 % enthalten. Aber möchte es mich mehr und mehr anspornen, noch tiefer einzudringen in die Breite und Länge und Höhe des glorreichen Planes unseres großen Gottes. Dazu gebe mir und allen, die die Erscheinung unseres Erlösers lieb haben, der gütige Vater in den Himmeln viel Kraft zur Hinausführung des letzten Werkes hier auf Erden und zur völligen Charakterentwicklung, damit bald ein liebliches 'Wohlgetan' das Ohr treffen möge. Dem aber, der über alles hinaus zu tun vermag, über die Maßen mehr, als was wir erbitten oder erdenken, nach der Kraft die in uns wirkt. Ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christo Jesu, auf alle Geschlechter des Zeitalters hin - Amen (Eph. 3, 20.21). Indem auch Ich Euer täglich vor dem großen Thron der Gnade gedenke, grüße ich Euch in der Liebe des Christus als Euer geringster Bruder in Christo Jesu. Willi Müller."

Es waren eigentlich nicht so sonderlich viel Leserbriefe, die in der Frühzeit im "Wachtturm" so ausführlich wiedergegeben wurden. In jener Frühzeit machte man die Besetzung der Ältestenposten in den örtlichen Versammlungen von der Beantwortung der sogenannten VDM-Fragen im WTG-Sinne abhängig. Auch Müller entsprach dieser Auflage. Damit wird deutlich, dass er in seinen Jugendtagen in Konformität mit der WTG war und letztere ihn als einen aus der Masse der übrigen Bibelforscher herausgehobenen betrachteten.

Übrigens. Von jenem Willi Müller läßt sich noch ein zweiter Leserbrief im "Wachtturm" nachweisen. Und zwar schon in der September-Ausgabe 1915. Zu damaliger Zeit hatten die Bibelforscher keine Skrupel, Militärdienst zu absolvieren. Bekanntlich auch in den USA nicht. Prominentes Beispiel: Dwight Eisenhower, einer Bibelforscherfamilie entsprossen, später die Militärkarriere hochgeklettert, bis zum Kommandierenden General im Zweiten Weltkrieg. Auch Müller absolvierte im Ersten Weltkrieg den Militärdienst. Sein Sohn, der Zeugen Jehovas-Lehre nicht zugetan, schlug bemerkenswerterweise auch eine militärische Laufbahn ein. Aber kehren wir zu Müller im Jahre 1915 zurück. Sein Leserbrief den der "Wachtturm" veröffentlichte war überschrieben: "Aus dem Felde, den 11. Juli 1915". Weiter schrieb er:


"Meine Lieben in Jesu! Gott grüße Euch! Euer liebes Rundschreiben an uns Brüder im Felde habe ich mit viel Freude erhalten. Sehe ich doch wieder aufs neue, daß Ihr unser in großer Liebe gedenkt! Nehmt, liebe Geschwister, innigsten Dank, möge unser geliebter Herr Euch reichlich vergelten für all diese Liebe. Auch herzlichen Dank für die wohlgemeinten Erfahrungen, auszuharren bis ans Ende!
Ja, meine Lieben, wir wollen es wiederum aufs neue geloben, getreulich unserm geliebten Heiland nachzufolgen und unsere ganze Kraft zusammennehmen. Ihm immer ähnlicher zu werden; mögen uns auch noch schwere Prüfungen auferlegt werden, wir wollen mit des Herrn Hilfe stark sein und alles überwinden. Wenn ich mich der Worte des Apostels Paulus erinnere in Röm. 8:18: 'Denn ich halte dafür, daß die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit!', so erscheint es mir als ein 'leichter' Wettlauf und doch, wenn ich am Abend auf den vergangenen Tag zurückblicke, so ist es mir, daß ich viel zu wenig für des Herrn Sache getan habe, und dann soll es der nächste Tag wieder nachholen. So haben wir ständig einen Kampf gegen unser altes Fleisch, doch auch dieses will ich und muß ich durch des Herrn Gnade besiegen. Ja, Geliebte, welches Vorrecht haben wir doch, die herrliche Wahrheit schmecken zu dürfen und so den Liebesplan unseres geliebten himmlischen Vaters erkennen zu können!


Laßt uns unsere ganze Kraft zusammennehmen, daß wir für diese Liebe das darbringen können, was unser schwaches Fleisch darzubringen vermag. Ja, als lebendige Schlachtopfer! Doch wenn auch die allgemeine Menschheit etwas von dieser Wahrheit wüßte, wie könnte sie aufjauchzen und frohlocken ob der nahen Zukunft. Aber auch sie wird ja die Wahrheit erkennen, um einzugehen in das Leben. Ja, wahrlich, Gott ist die Liebe! Lob, Preis und Dank sei unserm Vater in alle Ewigkeit! Nun Euch dem Herrn anbefehlend, Geliebte, grüßt Euch alle Euer geringster Bruder
Willi Müller."

Der nächste Jahrgang   1920

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