Annotationen zu de Zeugen Jehovas

Pech, Schwefel und Kolophonium

Zum Thema Höllenlehre sei noch eine Stellungnahme zitiert. Und zwar aus der entgegengesetzten Ecke. In ihrer Ausgabe vom 19. 1. 1913 schrieb unter obiger Überschrift die Zeitschrift; "Die Geistesfreiheit":

"Die internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher hat sich die Aufgabe gestellt, den Glauben an den höllischen Pech- und Schwefelsee auszurotten. Sie behauptet, dieser Glaube sei in der Schrift nicht begründet. Obwohl ich die Bibel wegen etlicher vortrefflicher Geschichten sehr hoch schätze, erspare ich mir doch, sie aus diesem Anlaß zu wälzen. Den meisten meiner Leser dürfte es auch wurst sein, ob ich ihnen Nahum, Habakuk oder Zephanja als Eideshelfer aufführe; sie glauben diesen alten Knaben ja doch nichts. Denn sie sind daran gewöhnt, die Dinge ohne theologische Brille rein aus der Fülle des eigenen Gemüts zu betrachten.

Da muß man denn zugeben: die Vorstellung vom Pech- und Schwefelsee hat auf den ersten Blick etwas recht Infernalisches. In diese brodelnde, übelriechende, eklige Sauce gestippt zu werden, kann kein Genuß sein. Aber wir wissen heute, daß der Mensch wie jedes lebende Wesen sich mit der Zeit an alles gewöhnt. Das große Gesetz der Anpassung, das die ganze Naturwissenschaft beherrscht, wird auch in der Hölle schwerlich außer Kraft gesetzt sein. So ist denn anzunehmen, daß die armen Seelen sich schließlich eine kolossale Epidermis anzüchten, die sie vor dem Verbrühen hinreichend schützt. Und dann wird es für sie ein Vergnügen sein, in den zischenden Wogen herumzuplätschern.

Der Begriff der Ewigkeit, der ein besonderes Schrecknis sein sollte, wird so eine Linderung. Laßt die Seelen gebraten und gesiedet, durch die Wurstmaschinme getrieben und verhackt. Stückt, gespickt und angebohrt, zerlegt oder mit rostigen Nägeln klistiert werden. Alles das tut vielleicht die ersten Millionen Male weh, hinterher aber gehört es zum Tagespensum, und man wartet, wie heut auf die Mahlzeit, darauf, zur festgesetzten Stunde ein bißchen gepiesackt zu werden.

Ewigkeit! Es wäre ein schrecklicher Gedanke, sie zu tragen, wenn man nicht eine einzige Unannehmlichkeit zu gewärtigen hätte. Das Erdendasein ist so gefüllt mit Widerwärtigkeiten, daß man sie sich nicht wegdenken kann; sie würden einem fehlen, wenn man sie nur eine Woche lang entbehren sollte. Und gar die Ewigkeit braucht entschieden noch stärkere Reize; sonst bekäme man vor öder Langeweile einen Buckel.

Aus diesem Grunde kann man denen, die die Höllenstrafen ausgebrütet haben, menschliches Empfinden nicht absprechen. Sie haben wenigstens für einige Überraschungen im Jenseits gesorgt. Die einzig Bedauernswerten sind die armen Teufel, die bis in die Puppen dieselbe stumpfsinnige Handlangerarbeit tun müssen. Und noch ein anderer Umstand spricht für das gute Herz der Höllenerfinder: daß sie die schwerlichsten Strafen, die ein Menschenhirn erträumen kann, aus diesem kurzen Dasein ins Jenseits verlegt haben.

Ich bin für meine Person ganz froh, daß mir während meines Erdenwallens jedenfalls das Gesottenwerden vielleicht erspart bleibt, und es beunruhigt mich niemals, daß ich vielleicht auch im Abgrund, wo der große Drache die Zähne bleckt, auf dem Rasiermesser reiten muß. Das alles ist mir viel lieber, als wenn man mich hie nieden malträtiert und dafür die Tröstungen des Himmels in Aussicht stellt.

Gewiß, es gab eine Zeit, wo man den hoffnungslosen Sünder bereits auf Erden röstete oder ihm die Glieder einzelnen zerbrach. Seien wir froh, daß sie vorbei ist. Selbst der wütendste Kaplan, der eifrigste Pastor muß einem jetzt drei Schritte vom Leibe bleiben. Die irdische Herrschaft der Gotteskinder befindet sich auf dem absteigendem Ast. Freilich, in manchen Gegenden unseres Vaterlandes haben sie heute noch einige Gewalt; sie können z. B. den Widerspenstigen auf die sanfteste Art wirtschaftlich ruinieren, können vielleicht auch ein ungeschorenes Schäflein mal von der Kanzel aus blamieren. Aber je gescheiter die Menschen werden, um so mehr schrumpft diese gefährliche Uebermacht zusammen. Und bald wird die Zeit kommen, wo der unzufriedene Seelsorger keinem mehr was können wird, als mit der Hölle zu drohen.

Dieses harmlose Vergnügen sollte man den notleidenden Hirten also wirklich lassen. Damit schaden sie nun der weniger Intelligenten. Es ist ja wahr, daß manches klappriges Männchen, manchem dürftigen Weiblein durch diese Art, die Schrecken des Jenseits auszumalen, die Sterbestunde verekelt wird. Aber - bei allem menschlichen Mitleid - das ist selbstverschuldetes Pech. Wir haben Schulen, wir haben Bücher und Zeitungen, wir haben … Organisationen, die der Aufklärung dienen. Die absolute, rettungslose, blindgläubige Dummheit hat heutzutage keiner mehr nötig; selbst dem Geringsten sind alle Mittel an die Hand gegeben, sich von ihm zu erlösen. Wer ein so gottverlassenes Heupferd ist, sich heute noch durch Pech- und Schwefelseen graulen zu lassen, der verdient als Strafe für lebenslängliche Verbohrtheit reichlich eine üble halbe Stunde vor dem Abkratzen. Er bekommt dann wenigstens zu spüren, daß die Dummheit, die ihn oft vor Aufregung und Zweifeln bewahrte, auch ihre Schattenseiten hat; und vielleicht dämmert ihm zwischen zwei Ausbrüchen kalten Schweißes eine blasse Ahnung, daß es für ihn heilsamer gewesen wäre, sich erst mal nach der tatsächlichen Existenz der unterirdischen Greueltaten zu erkundigen.

Ich bin bloß neugierig, wie es mal werden wird, wenn der Glaube an den feurigen Pfuhl gänzlich ausgelöscht worden ist. Denn einmal muß es doch kommen, wenigstens in Westeuropa, wo noch gerade jeder Mensch lesen kann. Ich fürchte, die Zentrumswahlen fallen dann ganz anders aus. Bis jetzt gibt's unter dessen Angehörigen ja immer noch reichlich Arme im Geiste, die vermeinen, der rote Wähler lade Beelzebub flugs auf die feurige Ofenschaufel oder verwandle ihn im eisernen Kochtopf zu Sülze. Aber immer kann das doch nicht so bleiben. Denn obwohl die Dummheit als solche zweifellos unsterblich ist; ihre einzelnen Formen sind vergänglich.

Und wenn die Höllenangst nicht mehr zieht, werden die schwarzen Herrschaften neue Methoden ersinnen müssen, um an Seelen Bauernfang zu treiben. Es ist ihnen ganz recht, daß sie sich mal die Köpfe strapazieren müssen; hoffentlich fällt ihnen was ein. Gern tun sie es nicht. Und ich habe sie manchmal im Verdacht, daß sie nur deshalb so eifrig unter Negern und Hottentotten missionieren, um bei den bequemen, einfachen Mitteln bleiben zu können.

Für Fetischisten ist der Höllenglaube immer noch ein Fortschritt. Und warum nicht? Haben sich die hellen Europäer viele Jahrhunderte lang plagen lassen, dann können ja auch mal andere an die Reihe kommen. Vielleicht hat für die Brüder, die ja seit langem mit Vorliebe auf Jahrmärkten als Feuerfresser auftreten, der Gedanke an jenseitiges Pech, Schwefel und Kolophonium einen besonderen Reiz. Wir wollen indessen irdische Austern, Gänsebraten und Bratwürste essen, damit wir wenigstens was im Magen haben, wenn uns - so Satan es will - später der Hals mit brennenden und höchst unschmackhaften Drogen gefüllt werden sollte.

1911er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

Parsimony.7191

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