Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Die Opposition regt sich

Vor dem ersten Weltkrieg war in Deutschland - auch de jure - das Staatskirchentum angesagt. Jene mächtige Staatskirche wies aber durchaus deutlich wahrzunehmende Merkmale der Saturiertheit auf. Auch der Unfähigkeit auf sich anbahnende Zeitfragen eine angemessene Antwort zu finden. Kraft ihrer Staatskrücken, ersparte man sich eine detaillierte Antwort, auf kritische an den Kirchenmoloch herangetragene Fragen. Es war offenkundig, dass letztendlich die Bibelforscherbewegung auch Nutznießer aus dieser Erstarrtheit war.

Ein diesbezügliches Beispiel kann man auch aus der Nummer 8 des "Zions Wacht Turm" des Jahres 1908 entnehmen. Da ist ein mit Paul Helbig und Frau unterschriebener Brief abgedruckt, der die damit verbundenen Konflikte verdeutlicht.

Besagter Helbig schreibt:

Habe am 10. Juni meinen Austritt aus der evang.-luth. Kirche bewirkt, aber wie war ich erstaunt über die grobe Behandlung, die mir zuteil geworden ist von einem so hohen geistreichen Superintendenten, der auf Christi Stuhl sitzet, wo nur Liebe, Sanftmut und Milde zu walten hat; die Frage war, warum?

Meine Antwort: Weil verschiedene Irrtümer gelehrt werden, die nicht mit dem wahren Worte Gottes übereinstimmen.

Da ging aber das Schelten los: Sie hochmütiger, sie heiliger, sie dummer Mensch, da sind sie viel zu dumm, das verstehen sie gar nicht.

Meine Dummheit hat er mir 5-6mal vorgeworfen, mir zweimal die Türe gezeigt....

Dieser Bericht erinnert denn in bemerkenswerter Übereinstimmung auch an jene Charakterisierung, die da Gerhart Hauptmann in seinem Emanuel Quint auch zu Papier gebracht hat. Man vergleiche Emanuel Quint

Ein monolithischer Block war die deutsche Staatskirche sicherlich nicht. Da gab es schon unterschiedliche Strömungen. Und auch nicht zuletzt, machte sich das soziologische Gefälle im deutschen Volke, auch in dieser Staatskirche, in solchen Strömungen bemerkbar. Großbürgertum und Bürgertum auf der einen Seite, für die Religion zusehends zur "Kulturetikette" verkam. Die Christen waren, "weil man eben Christ sein muss" wolle man nicht als gesellschaftlicher "Paria" dastehen. Die aber schon damals zum theologischen Hausgezänk, nur noch eine "bescheidene" Beziehung hatten. Der "liebe Gott ist ein guter Mann." Und "das Christentum müsse dem V o l k e erhalten bleiben". Auf diese zwei Sätze reduzierte sich ihr "Christentum" nicht selten, in der Praxis.

Nicht all und jeder gab sich mit diesen beiden Axiomen zufrieden. Namentlich jene nicht; die soziologisch eben nicht zum Bürgertum gehörten. In jenen deklassierten Schichten konnte man durchaus noch jenen begegnen, die wie im Urchristentum eschatologischen Gedanken zufieberten. Ja in ihnen das eigentliche, das wesentliche des Christentums zu erblicken glaubten. Die Zerrissenheit der Staatskirche offenbarte sich auch in der Existenz der sogenannten "Landeskirchlichen Gemeinschaften". Großbürgerliche Kreise rümpften nicht selten über sie die Nase. Nein, für sich persönlich, hat der Großbürger keine Verwendung dafür. Da er sich aber immerhin auch zu dem Satze durchgerungen hatte, "dass die Religion dem V o l k e erhalten bleiben müsse", lag es in der Konsequenz, dass diese "Landeskirchlichen Gemeinschaften" etwas mehr auf das Volk zugeschnitten waren.

Es wäre ein Irrtum zu meinen, nur beispielsweise die Bibelforscher oder die Neuapostolen, Adventisten und vergleichbares, machten der Staatskirche zu schaffen. Nun davor schon gab es Bewegungen, auf die das auch zutraf. Heutzutage allgemein eher unter dem Sammelbegriff "Freikirchen" zusammengefasst. Deren Verhältnis zu Staatskirche war auch nicht ungetrübt. Herrscht heute mehr oder weniger Burgfrieden zwischen diesen Gruppen; so war das nicht immer so. Zu Zeiten wo heutige Freikirchen und damalige Staatskirche noch hart aneinander gerieten. Genau in dieser Phase der Kirchengeschichte, traten auch die "Landeskirchlichen Gemeinschaften" auf den Plan. Der Unterschied zwischen "Landeskirchlichen Gemeinschaften" und heutigen "Freikirchen" ist denn im wesentlichen nur ein organisatorischer; kaum aber ein inhaltlicher. Was "Landeskirchliche Gemeinschaften" und "Freikirchen" trennt ist eigentlich nur, das erstere die Nabelschnur zur bürgerlichen Staatskirche nicht vollends kappten. Während die "Freikirchen" in der Tat auch organisatorisch den Selbstständigkeitsstatus ergriffen.

Das Besondere ist nun; wenn die Staatskirche sich auch von den Bibelforschern attackiert wähnte, so traf es in Sonderheit die "Landeskirchlichen Gemeinschaften". D i e waren das eigentliche Revier, wo auch die Russellbewegung "wilderte". Die hatten die Austritte zu verkraften; weniger aber der bürgerliche Teil der Staatskirche. Es war offenkundig, dass die "Landeskirchlichen Gemeinschaften" mit als erste und mit am lautesten Alarm schlugen, über die neue Konkurrenz in Deutschland, in Form der Russellbewegung.

Einen Beleg dafür kann man auch aus dem Nachfolgenden Ausschnitt aus "Zions Wacht Turm" vom November 1908 entnehmen:

Quasi als eine Art "Hauptorgan" der "Landeskirchlichen Gemeinschaften" kann man auch die Zeitschrift "Licht und Leben" (deren Redaktion auch wie die des deutschen "Wachtturms" im Wuppertal ansässig war) bezeichnen. "Licht und Leben" hat denn auch diverse male "Alarm" geschlagen in Sachen Russellbewegung. Dabei ging es nicht immer "fein" zu. Eine erste größere Auseinandersetzung von "Licht und Leben" mit der Russellbewegung findet man schon im Jahrgang 1908

1908er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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