Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint
Der Theologieprofessor Friedrich Loofs, hat meines Erachtens die erste ernstzunehmende Studie zur Bibelforscherbewegung auf deutschem Boden veröffentlicht. Davor war zum Thema vielfach "Müll" und oftmals auch noch danach, veröffentlicht worden. Die Arbeit von Loofs ist auch auf dieser Webseite dokumentiert.
Das psychiatrische
Gutachten hatte die Ansicht vertreten, daß der pp. Quint zu den Sonderlingstypen gehöre,
im übrigen aber als gesund und höchstens mit Zeichen leichten Schwachsinns behaftet
anzusprechen wäre: doch könne man ihm die volle Verantwortung für seine Handlungen
schwerlich aufbürden, weshalb er am besten in die Hut des elterlichen Hauses zu stellen
und ganz besonderer Aufsicht zu empfehlen sei.
So wurde denn Quint nach einigen Tagen aufs neue einem Gendarmen anvertraut, nachdem er
eine strenge Verwarnung empfangen hatte, und dieser trat mit ihm den Weg nach Emanuels
Geburtsort an, wo Mutter und Stiefvater miteinander und einigen Kindern noch immer in
einem verfallenen Häuschen ihr Dasein fristeten.
Die nun folgende öde und lange Wanderung durch gewohnte Gegenden war das größte
Martyrium, das Quint, der Narr in Christo, je hatte durchmachen müssen. Er wußte, was
ihm bevorstand, sobald man ihm Weg und Ziel eröffnet hatte, und es gab keinen anderen
Weg, den er nicht lieber gegangen, kein anderes Ziel, dem er nicht lieber zugestrebt
hätte. ..
Die Versammelten nannten sich auf den Vorschlag des Müllers hin die Talbrüder. Sie
hatten die Gütergemeinschaft eingeführt - der allerdings die Weibergemeinschaft in
bedenkliche Nähe tritt! - und lebten aus einer gemeinsamen Kasse, die Martin Scharf
übergeben war.
Sie hatten sich gegenseitig im Rausch der Einfalt, im Rausch der Beschränktheit, im
Rausch der Nöte, Ängste und Kümmernisse, im Rausch der Sündenbefleckung und Reinigung,
im Rausch des Kampfes, der ungewöhnlichen Tat, des Aufbegehrens aus Niedrigkeit, im
Rausche des Suchens, des Wartens, der Heiligung, im Rausche des Blutopfers Jesu, vor allem
aber im Liebesrausch davon überzeugt, daß der Heiland erschienen und das Neue Jerusalem
vor der Türe wäre. Sie waren die Kunden! Sie waren die Wissenden! Und das brachte den
neuen Rausch der Heimlichkeit.
Diese Leute alle für Narren zu erklären und zu beweisen, daß sie es wirklich gewesen
sind, ist von einem gewissen überlegenen Standpunkt aus gewiß nicht schwer: ebensowenig,
als es schwer ist, zu behaupten und nachzuweisen, daß sie beschränkt und ohne Bildung
gewesen sind. Aber hier soll nicht verurteilt, sondern so weit wie möglich begriffen und
ganz verziehen werden.
Diese Menschen fanden in ihrem gegenseitigem Anblick allerdings nichts Merkwürdiges. Ein
Beobachter von reifem und überlegenem Geiste und Blicke jedoch würde in ihnen eine
Versammlung von wahrhaft Enterbten dieser Erde erkannt haben, und er hätte in ihnen jenes
gefährliche Fieber bemerkt, das mit wechselnden, bald abgründischen, bald himmlischen
Phantasien entweder Genesung oder Tod erzwingt.
Das bewußte Geistesleben dieser Leute wurde beherrscht von Lebensgier und einem
jahrzehntelangen Harren und Hoffen in einer unsäglichen Alltagsmonotonie. Auf eine
endliche Erfüllung aller zurückgestellten, leidenschaftlichen Wünsche, Neigungen und
Bedürfnisse zu warten, deren man mangelte.
Im Volke wurde Emanuel nie anders als »Der Miltzscher Narr« genannt. Das war ihm selbst
nicht verborgen geblieben. Und jene große Partei, die im Streit der Meinungen ihm
entgegenstand, hatte reichlich Gelegenheit, sich auf die Vox populi zu berufen, die ja die
Stimme Gottes ist.
Man weiß in Schlesien ebensowohl als in gewissen anderen Provinzen Ostelbiens, daß hie
und da ein adliger Gutsbesitzer überaus kirchengläubig und doch zugleich von einer
reizbaren Härte ist, die nichts von der Milde des Heilands atmet. Wenn solche Leute,
deren es in der Miltzscher Gegend einige gab, gelegentlich zu hören bekamen, wie Quint in
dieser und jener Gesellschaft, etwa beim Apotheker von Krug oder beim Rittergutsbesitzer
Salo Glaser, zu sehen gewesen sei, so konnten sie sich kaum genügend entrüsten.
Besonders ein Herr von Kellwinkel, dessen Eigentum an die Herrschaft Miltzsch grenzte,
wurde, sooft er dergleichen vernahm, ja schon durch den Namen Quints in Wut versetzt.
Er war bereits über die Sechzig hinaus. Sein bebrilltes Gesicht, das unter der Nase ein
weißer, gewaltiger Schnurrbart zierte und das sich im Zorn martialisch mit weißen,
buschigen Brauen zusammenzog, sprach vornehmlich von Härte, Intelligenz und
rücksichtsloser Unduldsamkeit. Er hatte sich durch eine Reichstagsrede vorübergehend in
das Bewußtsein der Nation gebracht, in der er die Prügelstrafe verteidigte. Gelegentlich
selbst im Bereich seines Gutsbezirks mit Prügeln zur Hand, suchte er mit seinem scharfen
geistigen Auge nach gewissen suspekten Zeichen der Zeit umher, von denen er fürchtete,
sie könnten das Bereich seines herrschenden Arms einschränken.
Soziale Fürsorge liebte er nicht. Not wollte er niemals anerkennen. Dazu gezwungen,
führte er sie ausschließlich auf die Schuld des Betroffenen zurück und nannte sie eine
verdiente Strafe. Die ewige Mahnung zum Mitleid und zur Barmherzigkeit hätte er nicht nur
am liebsten aus allen, auch frommen Schriften, sondern auch von den Kanzeln verbannt.
Schilderungen gewisser arger und schlimmer Mißstände, Darstellungen von Beispielen
himmelschreiender Dürftigkeit, wie sie mitunter in Büchern oder Journalen vorkommen,
machten den Autor, dem sie entstammten, in seinen Augen zuchthausreif.
»Schloß und Riegel« - in Sätzen wie: »Der Kerl gehört hinter Schloß und Riegel!« -
war sein Lieblingswort. Er sagte: »Wenn Schiller heut gelebt hätte ... e, und dann
brachte der Nachsatz: "Schloß und Riegel." Kurz, Herr von Kellwinkel hätte,
wenn es nach ihm gegangen wäre, die ganze deutsche Herzens und Geisteskultur hinter
Schloß und Riegel gesetzt.
Ohne daß er ihn jemals gesehen hätte, nährte er einen wütenden Haß gegen Quint. Er
war nicht nur durch den Schlächtermeister und Viehhändler geschürt worden, an den
Kellwinkel sein Mastvieh persönlich verhandelte und der, ansässig in Quintens
Heimatdorf, den nächtlichen Überfall auf den Toren in Jesu mitgemacht hatte. Ebensowenig
hatte diesen Haß allein der kirchenfeindliche Sektierergeist in Brand gesetzt,
schließlich war es auch nicht der Kastenhochmut allein, der sich in Wut umsetzte, weil,
nach Meinung von Kellwinkels, etwas von Sklavenaufstand in Quintens Verhalten zu wittern
war: vielmehr lag in der bitteren Feindschaft des Edelmanns die Erbschaft des alten
Räubers gebunden, der sich durch Quintens bloße Existenz in seinem Gewaltmenschentum
beleidigt fand.
Aller Augenblicke nahm er an etwas, das man ihm aus der Nähe Quintens zutrug, Ärgernis.
Vor allem war es die leider von Emanuel eigensinnig festgehaltene Wunderlichkeit, weder
Geld zu nehmen noch auszugeben, die ihn immer wieder erheblich aufreizte. Es würde von
Emanuel klüger gewesen sein, wenn er nicht durch eine solche verrückte Gepflogenheit
immer wieder, auch im niederen Volk, den Ruf seiner Narrheit erneuert hätte: es zeigte
sich aber, daß über diesen Punkt auf keine Weise mit ihm zu markten war.
Von Kellwinkel nahm aber auch an dem Zulauf, den der Miltzscher Schäfer durch Quint
erhielt, Ärgernis. Das Gurauer Fräulein bekam mehrere heftig gefaßte Briefe von ihm,
worin er auch allerlei Bassermannsche Gestalten erwähnte, die sich im Umkreis von
Miltzsch bemerklich machten und vielfach auch seine Grenzen beunruhigten. Arbeiten wollten
diese Leute nicht. Von ihm oder seinem Inspektor gestellt, hatten sie ordnungsmäßig ihre
Papiere vorgewiesen, hatten auch im Wirtshause, ohne zu betteln, ihre bescheidene Zeche
bezahlt, aber über den Grund ihres verdächtigen Umherstreichens bekam man, wie Herr von
Kellwinkel ausdrücklich hervorhob, nicht das geringste aus ihnen heraus.
Ein gewisser Tagelöhner, mit dem Quint zuweilen bei Gelegenheit seiner Feldgänge einige
Augenblicke philosophiert hatte, benutzt jetzt die Gelegenheit, um sich bei Kellwinkel
einzuschmeicheln. Indem er hervortrat, behauptete er, Quint halte die Leute vom Arbeiten
ab. Er mache sie unlustig, mache sie aufsässig, indem er Weiber und Kinder gewöhnlich
frage, ob denn das Zuckerrübenhacken oder das Heil ihrer Seele wichtiger sei?
Nachdem Emanuel Quint auch noch die Kirchen und "sogenannten Gotteshäuser",
sowohl protestantische als katholische, insgesamt als das wahre Golgatha Jesu Christi
bezeichnet hatte, wofür ja auch das nachgemachte Kreuz und die Ausstellung seiner Martern
den Beweis liefere, stieß er gleichsam dem Faß der Langmut seiner Zuhörer durch diesen
Abschluß den Boden aus.
Am allermeisten bildete aber der Verkehr Emanuels mit einer wachsenden Anzahl gebildeter
Menschen für die Seinen ein Ärgernis. Sie sahen erstens, nach Art ihrer Sektengenossen,
Teufelswerk in aller Bildung und Wissenschaft und besaßen außerdem jenen Haß gegen
bessere Kleider, edleres Aussehen und überlegene Lebensform, der dem Paria der
Gesellschaft eigen ist.
http://archive.org/details/dernarrinchristo00haup
Exkurs:
Ein früher deutscher WTG-Funktionär,
Samuel Lauper, später
wie etliche andere vor- und nach ihm, im Schisma zur WTG befindlich, lies es
sich angelegen sein, auch eine deutsche Ausgabe davon in den zwanziger Jahren
zu veranstalten, die bis etwa Mitte der dreißiger Jahre erschien (in der
Schweiz).
Ihr Quellenwert wird aber schon daran deutlich, dass fast keine
Bestandsnachweise in wissenschaftlichen Bibliotheken vorhanden sind (lediglich
die letzten Jahrgänge davon aus den dreißiger Jahren, haben auch ihren Weg in
die Deutsche Bücherei Leipzig, als (relatives) Gesamtarchiv deutschen
Schrifttums gefunden.
Relativ deshalb, weil entgegen den Sammlungsrichtlinien, es auch einiges gibt,
worüber die Deutsche Bücherei eben nicht verfügt. Letzteres ist allerdings
primär nicht ihr anzulasten, sondern eben widrigen äußeren Umständen, welche
partiell bis in die Gegenwart fortbestehen. Staaten die viel Geld etwa in
sogenannte "Verteidigungsetate" investieren, behandeln nicht selten ihre
Kulturetate mehr als stiefmütterlich, bis in die Gegenwart.
Immerhin findet man in der Deutschen Bücherei doch noch einiges, was andere
als vermeintlich "graue Literatur" (nicht Sammelwürdig), prinzipiell außen vor
lassen. Jedenfalls ist die Situation so, dass von den Jahrgängen aus den
zwanziger Jahren des "Herold des Königreiches Christi" so gut wie keine
Bibliotheksnachweise existent sind. Lediglich im Privatbestand einschlägiger
Sammler, ließen sich (sehr lückenhaft) auch einzelne Ausgaben aus den
zwanziger Jahren eruieren.
Ein inhaltlicher Blick in sie macht die Unterschiede deutlich. Während
Rutherford seine "Bibelforscher" zunehmend zur Kampforganisation formierte,
liegt der Schwerpunkt dieser Schismatischen Kreise in (vermeintlicher)
Erbauuungstheologie. Wer indes die "Schulung" der "Kampforganisation Zeugen
Jehovas" hinter sich hat, kann allerdings (nicht selten) dieser
"Erbauungstheologie" (Marke: Kein Hund hinterm Ofen damit vorlockbar) kaum
etwas sonderlich "abgewinnen".
Das wusste schon Rutherford. Und deshalb setzte er je länger, je mehr auf den
Aspekt "Kampforganisation". Hätte er es nicht getan, wäre eben die
Russell-Organisation zu einer relativ unbedeutenden "Erbauungsorganisation"
innerhalb des weitgespannten religiösen Pluralismus der USA verkümmert. Getreu
dem Motto: "Was, die gibt es auch? Was sind die denn?".
Namentlich die internationale Expansion wäre dann mehr als fraglich gewesen.
Nun hatte diese Organisation aber im von Inflation und sonstigen
Nachfolgewirkungen des ersten Weltkrieges geschüttelten Deutschland
(respektive dem deutschsprachigem Raum), schon ein "Standbein" zu Russells
Zeiten, das kontinuierlich und zielgerichtet weiter ausgebaut wurde.
Ich sagte es schon früher.
"Der" wesentliche Aspekt dieser Expansion, bildete dabei die Zeitschrift
"Das Goldene
Zeitalter" mit ihrer Mixtur von Bibelforscherideologie, kombiniert
mit Gesundheitsratschlägen und nicht zu vergessen, auch (faktischen)
Politikelementen.
[Siehe die Jahrgangsdateien, dort unter dem Begriff GZ-Zeitreise einige Referierungen dieses Blattes]
Auch wenn die Konsumierer selbiger (nicht selten der Sorte "heilige
Einfalt" zugehörig), diese Politikelemente als solches, nicht bewusst
wahrnahmen. Jedenfalls wäre hierzulande, ohne das "Goldene Zeitalter", die
jetzige Organisation der Zeugen Jehovas, nie das geworden, was sie tatsächlich
ist.
Wer an der sicherlich nicht als Lob auffassbaren Vokabel "heilige Einfalt"
Anstoß nimmt, dem sei stellvertretend eine Betrachtung von Gerhart
Hauptmanns "Der Narr in Christo Emanuel Quint" anempfohlen.
Ich kann einfach nicht erkennen, dass der "Quint-Typus" inzwischen
"ausgestorben" wäre. Das wäre zu schön, um wahr zu sein.
Allerdings, ist das dann wohl nur die "halbe Beschreibung".
Die "andere Hälfte" kann man dann wohl einem Bericht in dem Buch "Der Heilige
Geist in Amerika" von Ernst Benz entnehmen.
Benz lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er Sympathisant, etwa der
Pfingstbewegung ist. Und da gibt er auch eine Episode "zum besten", welche
sich offenbar in diesem Milieu, in den USA zugetragen hat.
Mag das Beispiel von Benz auch "zugespitzt" sein, und was seine
Verallgemeinerung andernorts betrifft, mit einigen Abstrichen zu versehen
sein.
So verdeutlicht seine Episode doch, dass keineswegs nur "rationale" Aspekte,
die dominierenden sind.
Indes das darf auch gesagt werden. Emotionale Rauschzustände - gut und schön.
Indes früher oder später kommt auch dort die "Katerstimmung" noch zur Geltung,
dieweil der Mensch zwar Emotionen schätzen mag, für sein Privatleben.
Indes das eigentliche "Weltgeschehen" wird keineswegs von Emotionen
beherrscht. Und wer da wähnt die Ratio prinzipiell außen vor lassen zu können,
wird da auch noch sein "Waterloo" erleben.
Und einen solcher "Ernüchterungsumstände" benennt Benz dann ja noch selbst,
indem er den dezenten Satz prägt, der da von "einer engen Beziehung der
Pfingstbewegung zum Geld" redet.
Nun weis man, das solcherlei "enge Beziehungen" durchaus in verschiedenartiger
Form daher kommen können. Es muss also keineswegs der prall gefüllte
Spendenkorb immer sein.
Auch Zeit kann vielfach Geld sein. Besonders auch die Fälle nicht weniger Art
nicht zu vergessen, wo externe Zeitanforderungen gar zu Lasten eines
ausgewogenen Familienlebens gehen.
Und da kann man an eine ganz bestimmte Religionsform im besonderen denken,
welche vielfach Halbtagsbeschäftigungen favorisiert, auf das jene Religion von
den Betörten, um so gieriger abgreifen kann, und sei es nur über den
indirekten Weg de Zeiteinsatzes, für diese Religionsfirma.
Jedenfalls gab Benz in genanntem Buch auch die nachfolgende Episode mit zum
besten.
Er berichtet über einen Kirchenbesuch in den USA. Und dann geht seine
Schilderung wie folgt weiter:
"Ich hoffte unbemerkt eintreten zu können,
doch dies ist in einer amerikanischen Kirche unmöglich. Zwar war das
Begrüßungskomitee der Gemeinde, das am Sonntag vormittag vor jeder
Kirchentür zu stehen pflegt, um bekannte und vor allem unbekannte Besucher
zu bewillkommenen, nicht vorhanden, aber der Prediger, der vorn auf der
Empore stand, hatte mich mit scharfem Blick sogleich als Fremden erspäht
und rief mir vom Pult herab mit gemütvoll dröhnender Stimme zu:
"... Willkommen Bruder, laß Dir den Heiligen Geist grad ins Herz flammen!"
So voll, so direkt, so substantiell war ich noch in keiner Kirche bzw.
überhaupt noch nie in meinem Leben begrüßt worden. Ich war überwältig,
fühlte mich aber gleichzeitig gewarnt, mich nach diesem Anfang im
Fortissimo nicht weiteren unbekannten Blitzen oder Überflutungen
auszusetzen, und setzte mich daher auf die hinterste Bank, auf der sonst
niemand saß, in der Nähe der Tür."
Zurückkehrend zu den Zeugen Jehovas.
Nach dem frühen WTG-Schisma, mit dem Resultat, die Rutherford-Opposition flog
"achtkantig" aus den Führungsetagen der WTG heraus, benötigte Rutherford
durchaus eine gewisse Konsolidierungsphase.
Seine "Millionen jetzt Lebender werden niemals sterben" mit dem 1925-Datum,
war ja faktisch nur eine Umterminierung, nachdem es mit den auf 1918
verschobenen Erwartungen der Einfaltspinsel, die da auf den WTG-Leim
gekrochen, (wieder) mal nicht geklappt hatte. Jene Einfaltspinsel ließen sich
ja schon bezüglich ihrer 1914-Erwartungen auf 1918 hinhalten. Warum also
sollte selbiges nicht noch einmal mit dem Datum 1925 möglich sein. Wesentlich
für die Einfaltspinsel, eben auch die (vermeintlichen) Anzeichenbeweise, die
für ihre Motivation unfraglich höher einzuschätzen sind, als wie die
eigentliche windige 1925-Berechnung, die wieder mal "in die Binsen" ging. Das
aber störte wesentliche Teile der Einfaltspinsel nicht, dieweil sie sich ja
weiterhin an ihren Strohhalm "Anzeichenbeweise" zu klammern pflegten und
pflegen.
Rutherford war es so möglich, seine Organisation, trotz des 1925-Desasters,
weiter "am laufen zu halten".
In seine Konsolidierungsphase fiel dann das Buch "Die Harfe Gottes". Selbiges
noch weitgehend im Russell'schen Mainstream segelnd. Die erste relevante Zäsur
(auch nach WTG-Einschätzungen) bildete dann das Buch "Befreiung".
Dicke Bücher indes (relativ gehört auch "Befreiung" dazu) sind nicht unbedingt
das, wonach die "Einfaltspinsel" suchen. Selbige brauchen eines vor allem.
Eine (relative) "Bild"-Zeitung, mit dicken Balkenüberschriften, und magerem
Textanteil. Übersteigt der Textanteil die Balkenüberschrift, läuft er schon
Gefahr, von den Einfaltspinseln nicht mehr aufgenommen werden zu können;
dieweil ihr "Fassungsvermögen" eben mal sehr begrenzt ist.
Diesem Schicksal fiel dann auch wohl das Rutherford-Buch "Befreiung" zum
Opfer. Aufgrund vorskizzierten begrenztem "Fassungsvermögen", haben nur wenige
seinen Inhalt - zeitgenössisch - auch "erfasst", von denjenigen, die es der
WTG abkauften (und das waren nicht wenige).
Aber es war für Rutherford offenbar klar, der selbst wohl nie an sein
Ententeichdatum 1925 geglaubt, dass nunmehr die Zeit reif sei, für eine
grundlegende Neuorientierung (nach 1925). Sein Buch "Befreiung" ist unfraglich
diesem Kontext zuzuordnen. Und damit auch diejenigen, die nur über das
Konsumtionsvermögen einer "Bild"-Zeitung verfügen, auf die neue Linie
"eingeschworen" werden, dazu hatten sie ja das "Goldene Zeitalter".
Zugeschnitten auf diejenigen, die da nur das "Fassungsvermögen" für "Bild"-Zeitungs-Artikel
haben, findet man in der Schweizer Ausgabe des "Goldenen Zeitalters" vom 1. 8.
1926 (Ausgabe Magdeburg schon 15. 7. 1926) solch einen Artikel, der genannter
Klientel, vorgenannte Neuorientierung näher brachte.
"Richter Rutherfords bemerkenswerter Vortrag in London" so sein Titel. Formal
liest sich der Artikel so, als würde da von einer relativ "neutralen" Position
aus berichtet. Nichts weniger als das!
Einleitend wird schon auf die Tränendrüsen gedrückt, indem behauptet wird,
dass der
"amerikanische Richter Rutherford, der in Amerika während des Krieges wegen seiner Arbeit für Erhaltung des Friedens, und besonders in Verbindung mit seiner Weigerung, sich an der Kriegspropaganda gegen Deutschland zu beteiligen, viel zu leiden hatte (er wurde seinerzeit dieserhalb zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt), hat auch, nachdem er nach Friedensschluß durch erzwungene Wiederaufnahme des Verfahrens in Freiheit gesetzt wurde..."
Details zu vorstehender summarischer Darstellung, liefert wie zu erwarten das GZ nicht. Man ist ja bereits geübt im verkünden von Glaubensthesen. Und nichts weiter als wie Glauben ist erforderlich, will man dem GZ im Sinne seiner Diktion folgen. Wissen und Details stören da eher.
"Leider wird dieser edle Menschenfreund selten verstanden, wobei es allerdings naheliegend erscheint, daß manche ihn auch gar nicht verstehen wollen."
A ja, auch so ein typischer Glaubenssatz!
Weiter das GZ:
"Rutherford sieht das größte Unheil der Welt in einer - um mit seinen eigenen Worten zu sprechen - ,,unheiligen Dreieinigkeit", als welche er bezeichnet die verbündeten Einflüsse von Kirchentum, Politik und Finanz."
An solcher These hätten eigentlich zeitgenössisch, auch die sogenannten
Bolschewisten, ihre helle Freude gehabt. Eigentlich ... Denen störte nur eines
und das ist in der Tat wesentlich. Die Fixierung auf den "großen Zampano", der
da alles richten soll. In der Praxis hingegen - spätestens seit Auschwitz
sogar für Schulkinder erfassbar - nichts bis null komma nichts "richtet".
Aber trotz dieses wesentlichen Dissenses ist die Zielrichtung klar, wohin
Rutherford zielt. Jene Kreise zu erreichen (im Sinne der Konkurrenz bis aufs
Messer), welche auch die "Bolschewisten" so als ihre eigentlich angestammte
Klientel ansahen.
Im Phrasendreschen, so auch in diesem Artikel, kann auch Rutherford durchaus
mit den "Bolschewisten" mithalten, etwa wenn man da den flotten Satz liest:
"Religion oder Kirchentum darf sich nicht an die Einheit und das Wohl der Menschheit bedrohenden Fragen fördernd beteiligen; denn sie soll das ausgleichende verbindende Moment der Erde sein. Es gibt nur eine wahre Kultur der ganzen Welt, und das ist die durch "die Lehren der Bibel" zu gründende, zu nährende und zu erhaltende Kultur."
Das GZ meint weiter zu wissen:
"Es ist ersichtlich, daß Richter Rutherford mit seinen Darlegungen nicht Menschen, sondern falsche Prinzipien und ungesunde Geistesströmungen meint. Daß er aber überhaupt mit seinen Ausführungen nicht die einzelnen Auswüchse dieses falschen Prinzips, wie es sich in den einzelnen Ländern der Erde zeigt, sondern vielmehr das die Welt beherrschende und versklavende Große, Weltumfassende, anklagt..."
Nach dieser fulminanten Einleitung erfährt man weiter. Rutherford habe in
London einen Vortrag gehalten, und wie trefflich, die dortige Zeitung, "Daily
News" vom 31. Mai 1926 habe ihn wörtlich ganz wiedergegeben. Dabei mit zu
erwähnen, weil er als kommerzielles Inserat bezahlt wurde, stört natürlich den
weihevollen Gesamteindruck. Und folgerichtig erachtet das GZ es auch nicht als
nötig, das mitzuteilen.
Und damit auch deutschsprachige Leser in den "Genuss" kommen können, besagten
Artikel aus der "Daily News" zu lesen, lässt es sich die Schweizer Ausgabe des
"Goldenen Zeitalters" in ihrer Ausgabe vom 1. 10. 1926 angelegen sein,
selbigen (optisch betont) auch ihren Lesern im Wortlaut zu präsentieren. Darin
kann man dann solche Sätze lesen wie die:
"..Die Bemühungen der Herrscher, eine
wünschenswerte Regierung oder Weltmacht aufzurichten, haben
fehlgeschlagen, und nun tun wir ihnen kund, dass allein nur die Auswirkung
des Planes Gottes mit der Menschheit der Welt helfen und den Menschen
ewigen Frieden, Wohlstand und Glück bringen wird, und dass die Zeit
gekommen ist, wo alle über die Menschen herrschenden Mächte diese große
Wahrheit erkennen und anerkennen müssen. ...
Viertens. Jetzt erfüllt sich die göttliche Prophezeiung, und in der
Reihenfolge der Erfüllung liegen Beweise für die Tatsache, dass Satans
Macht genommen wird, dass die alte Welt zu Ende geht, und die Zeit herbei
gekommen ist, wo Christus Jesus, den bösen absetzen und seine gerechte
Herrschaft beginnen wird, unter der Gottes Wille auf der ganzen Erde
geschehen wird. Seit dem Jahre 1914 ließ der Verlauf der Erfüllung der
göttlichen Prophezeiung erkennen, dass das Ende der bösen Welt begonnen
hat und zwar mit dem Weltkrieg, mit Hungersnöten, Seuchen, Erdbeben,
Revolutionen, der Rückkehr der Juden nach Palästina und später folgender
allgemeiner Bedrängnis und Ratlosigkeit aller Nationen in der Welt."
Zurückkehrend zur eingangs zitierten GZ-Referierung jener Veranstaltung.
Weiter liest man, Rutherford habe da in der großen Albert Hall vor etwa 12 000
versammelten Zuhörern gesprochen. Das dabei das Schreckgespenst Satan, jeden
zweiten Satz (fast) füllte versteht sich für Rutherford von selbst.
Ein relatives Highlight seiner dortigen Ausführungen bilden auch die Sätze:
"Auch den Völkerbund sieht der Redner in diesem Lichte, und anlehnend an jene
bedeutsame Prophezeiung in Offenbarung 17 : 10, 11 sagte der Richter u. a.
nach 'Daily News' wörtlich:
"Die herrschenden Faktoren der jetzigen Weltmächte behaupten, ein göttliches Recht und Autorität zu haben, über die Menschen zu herrschen. ... Ich möchte beweisen, daß die Schwierigkeiten in der Welt eine Folge davon sind, daß das Gesetz Jehovas, Gottes, mißachtet und übersehen worden ist, und daß, während sich die Weltmächte während der Zeitalter organisiert haben, und eins das andere ablöste und sie nun im britischen Weltreich ihren Höhepunkt erreicht haben"
Und weiter Rutherford:
Und
"in all diesen Weltreichen im Namen der Religion und im Namen des Allmächtigen offener Betrug verübt worden ist, und daß das Kirchentum die hauptsächlichste Stütze war, dessen Hilfe man sich bei diesem Betrug bediente."
Tja das war dann wohl wieder so ein Passus, wo selbst die "Bolschewisten"
Beifall klatschen würden. Oder wie der katholische Konfessionskundler Konrad
Algermissen gar als bewiesen (zumindest in Rosenheim/Bayern des Jahres 1919)
als bewiesen glaubt konstatieren zu können, dass "Bolschewisten" und
Bibelforscher sich da förmlich verbrüderten, worüber (man kann es verstehen),
Herr Algermissen alles andere als "erfreut" war.
Rutherford weis aber auch über sein als Kulisse dienendes relatives Gastland,
in diesem Vortrag erstaunliches zu berichten. Und zwar dies:
"Zweifellos ist das britische Reich die größte
Weltmacht, die je bestanden hat. Es rühmt sich wahrheitsgemäß, daß die
Sonne innerhalb seiner Grenzen nie untergehe. Britannien steht in
finanzieller Beziehung obenan. An militärischer Stärke ist es allen
Ländern überlegen. Bei der Ausübung politischer Diplomatie findet es nicht
seinesgleichen. Seine Geistlichen sind anerkanntermaßen die Führer der
geistlichen Welt.
Weil Britannien das größte aller Weltreiche ist, weil es sich gemeinsam
mit seinen Verbündeten "Christentum" nennt und behauptet, durch göttliches
Recht zu regieren. ...
Weil die britische Weltmacht der Mittelpunkt und das Bollwerk heutiger
Zivilisation ist, derer, die Gott als ein Tier symbolisiert, und weil
London der Sitz der Regierung ist, und diese herrschenden Faktoren
behaupten, durch göttliches Recht zu regieren, ist hier der wirkliche
"Sitz des Tieres". Der Sturz des britischen Reiches bedeutet den
Zusammenbruch der Weltzivilisation. Seine berufsmäßigen Herrscher müssen
sehen, daß ihre Säulen jetzt dem Sturz zuwanken. Und nun beschuldige ich
diese britische Weltmacht als das Haupt des sogenannten Christentums,
obwohl es behauptet, durch göttliches Recht und in göttlicher Autorität zu
herrschen, den großen Gott Jehova verunehrt ..."
Und nun geht Rutherford zu seiner bekannten destruktiven Völkerbundhetze über, wenn er weiter proklamiert:
"Trotzdem Gott den deutlichen Beweis gegeben hat, daß die alte Welt zu Ende gegangen und die Zeit der zweiten Gegenwart Christi gekommen ist, und durch führende Geistliche der Welt die Aufmerksamkeit darauf lenkte, hat das "Federal Council of Churches" (der staatliche Kirchenrat) den Völkerbund als eine Stellvertretung des Königreiches Gottes gutgeheißen. Diese hohe Körperschaft von Geistlichen veröffentlichte im Januar 1919 folgende gotteslästerliche Ausführung;
"Die Zeit ist gekommen, wo die Welt für die Wahrheit, Recht, Gerechtigkeit und Menschlichkeit organisiert werden muß. Darum dringen wir bei der kommenden Friedenskonferenz als Christen auf die Errichtung eines Bundes der freien Völker. Solch ein Bund ist nicht nur ein Friedensbringer, es ist mehr noch der politische Ausdruck des Königreiches Gottes auf Erden. Der Völkerbund wurzelt in dem Evangelium. Wie das Evangelium ist sein Zweck Friede auf Erden und an den Menschen ein Wohlgefallen. Sein Appell ist, wie der des Evangeliums, weltweit. Die toten Helden würden umsonst gestorben sein, wenn nicht aus dem Kriege ein neuer Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt, hervorgeht ..."
Man mag zu vorstehender kirchlichen Proklamation so seine Vorbehalte haben.
Man mag sie als den Versuch des aufspringens auf den fahrenden Zug deuten, der
den Kirchen - ohne sie - wegzufahren droht. Dennoch ist es ausgesprochen
diabolisch, die Endzeitillusionen der Rutherford-Organisation als ein
"Entweder - Oder" im Gegensatz dazu zu stellen.
Diese Diabolik wurde von Rutherford eingeleitet. Russell war sie so noch nicht
geläufig. In seinen eigenen Metaphern erweist sich somit Herr Rutherford
aufgrund der von ihm eingeleiteten Politik, als der Teufel höchstpersönlich!
Weiter hetzt Rutherford mit den markigen Sprüchen:
"Niemand wird leugnen wollen, daß die britische Weltmacht die irdische Kraft ist, die für das Schließen des Völkerbundes verantwortlich ist. Britannien ist das Bollwerk desselben. Wenn sich Britannien zurückzöge, würde es keinen Völkerbund mehr geben. Doch wer ist für den Völkerbund verantwortlich? Verdankt er seine Schließung und sein Bestehen göttlichem Rechte und göttlicher Autorität? Ich (Rutherford) antworte; Nein! Der Teufel ist der Vater, das britische Reich ist die Mutter und die anderen Völker, die ihn unterstützen, sind seine Ammen."
Mit dem Maß, mit dem Rutherford, der Endzeits-Illusionsverkäufer (was ihm
zumindest auch ein staatliches Anwesen namens "Beth Sarim", nebst zugehörigen
Dienstwagen der Nobelklasse einbrachte). Mit dem Maße mit dem dieser
Obergaukler aller fiesen Gaukler misst, wird auch ihm gemessen werden.
Möge denn in der "Hölle" so es sie den gäbe, dass für ihn bestimmte
Schmorfeuer besonders angeheizt werden!
Der Ruherford'schen Völkerbundshetze, kann man bekanntlich, als einem
Anbiederungselement, auch in der Berlin-Wilmersdorfer "Erklärung" vom Juni
1933 begegnen. Es ist nicht uninteressant zu registrieren, wie sich auch die
frühe Nazibewegung zum Völkerbund stellte, aus dem sie dann auch (nach ihrer
Machtusurpation) folgerichtig ausgetreten ist. "Die Sonntags-Zeitung"
beispielsweise, spießte in ihrer Ausgabe vom 20. 9. 1925 solch ein Dokument
der frühen Nazibewegung in Sachen Völkerbund auf.