Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Rutherford: Schlagt die Kirchen, wo immer ihr könnt

Schon zu Russell's Zeiten war es ein Lieblingsthema der Bibelforscher, die Ablehnung der konventionellen Höllenlehre und damit verbunden auch des "Fegefeuers". In überlegener Pose meinte Russell den "Wasserstrahl" auf die "Hölle" gerichtet zu haben. Helle Aufregung bei den orthodoxen Dogmatikern, ob dieses "Frevels". Siehe dazu auch Freude der Ungläubigen.

Auch Russells Nachfolger, Rutherford, übernahm diese These. Aber einschränkend muss man schon sagen. Wenn zwei über dasselbe Thema referieren, so kommt durchaus nicht das gleiche Endergebnis heraus. Nicht, dass Rutherford hier grundsätzlich andere Akzente setzte. Sehr wohl aber die "Tonlage" ist durchaus anders. Sie macht es schon in etwa, etwas verständlicher, weshalb so mancher Bibelforscher, der schon zu Russells Zeiten mit dabei war, sich so garnicht mit dem neuen kämpferischen Stil von Rutherford anfreunden konnte.

Das Beispiel Höllenlehre bietet einen plastische Vergleichsmöglichkeit. Noch aus der Russell-Zeit stammend, publizierte die WTG zuletzt 1925, eine Broschüre ohne Verfasserangabe mit dem Titel: "Wo sind die Toten?" Der Untertitel zu dieser Broschüre lautet: "Sind sie im Grabe? Im Fegefeuer? In der Hölle? Die Antwort der Bibel".

Nur zwei Jahre später (1927) publizierte die WTG, diesmal unter dem Verfassernamen von Rutherford, erneut eine Broschüre mit dem Titel "Wo sind die Toten?" Der Untertitel reduziert sich diesmal lediglich auf die Zeile: "Die Antwort der Bibel".

Ein inhaltlicher Vergleich zeigt, dass es sich hierbei um zwei völlig verschiedene Schriften handelt; obwohl beide den gleichen Haupttitel tragen und im gleichem Verlag erschienen.

Pauschal zusammengefasst kann man sagen. Russell bemühte sich noch um Konzilianz bei der Ausbreitung seines Themas. Rutherford hingegen ist diese Wesenseigenschaft fremd. Wo immer möglich, kann er es sich nicht verkneifen gezielte Spitzen gegen die kirchliche Konkurrenz mit einzubauen. Das gab es so, bei Russell noch nicht. Russell begnügte sich damit nur seinen anders akzentuierte Auffassung zum Thema darzulegen. Für Rutherford hingegen heißt ganz offensichtlich die Devise: Schlagt die Kirchen, wo immer ihr es könnt.

Zur Veranschaulichung ein paar Zitate aus beiden Broschüren.

In der Russell-Broschüre liest man:

"Wir fangen damit an, unseren glaubenslosen Freunden, die sich ihrer unbeschränkten Freiheit des Denkens rühmen, die Frage vorzulegen. Was sagt ihr 'Freidenker' auf unsere Frage: 'Wo sind die Toten?' Sie antworten: 'Wir wissen es nicht.'

Wir danken unseren ungläubigen Freunden für die höfliche Antwort, haben aber das Gefühl, daß sie weder unseren Verstand noch unsere Herzen befriedigt; … rufen aus, daß es ein zukünftiges Leben geben muß oder geben sollte" (S. 3).

"Wir können unseren katholischen Freunden für eine so freundliche Darlegung dieser Sache nur danken. Wir wollen sie nicht fragen, wo ihr Fegefeuer ist, auch nicht, wie sie die Einzelheiten hierüber erfahren haben, weil sie sich durch solche Fragen beleidigt fühlen würden, und weil wir sie nicht zu beleidigen wünschen. Wir wünschen ja nur ihre reifsten, klarsten und gediegensten Gedanken über unsere Frage. Wir bedauern, sogar sagen zu müssen, daß die Antwort nicht das bietet, was wir an Klarheit, Vernünftigkeit und Schriftgemäßheit hoffen dürften" (S. 5).

Demgegenüber weht einem in der Rutherford-Broschüre ein anderer "Wind" entgegen. Es fängt schon damit an, dass man schon dort einleitend lesen kann:

"Zu Beginn des Krieges predigten viele Geistliche für den Krieg und ermunterten die jungen Männer, in die Armee einzutreten, indem sie von den Kanzeln herab sagten, daß die, welche in der Schlacht sterben, direkt in den Himmel kommen würden. Einige nehmen deshalb an, daß wenn die Geistlichkeit in ihrer Schlußfolgerung Recht hätte, es für alle angebracht wäre, auf dem Schlachtfelde zu sterben. Offenbar glaubten diese Geistlichen ihren eigenen Aussagen nicht, weil sie selbst sich meist von der Front fernhielten" (S. 4).

"Katholische Geistliche schrieben, daß, wenn ein guter Katholik, der seiner Kirche völlig treu, sterben würde, er bei seinem Tode direkt in den Himmel gehe, aber wenn jemand kein guter Katholik war und im Halten seiner Gelübde nur ein wenig zu kurz gekommen sei, so gehe er beim Tode in das Fegefeuer und müsse dort unbestimmte Zeit bleiben; aber von diesem Zustande des Leidens könne er befreit werden durch die Gebete der Priester oder Prediger. Aber, wenn jemand sterbe, der kein Katholik oder kein Glied irgendeiner Kirche und deshalb gottlos war, so gehe er beim Tode an einen Ort ewigen Leidens, ewiger Qual, einen Zustand, aus dem es keine Befreiung geben könnte, und diesen nannten die Prediger Hölle.

Die protestantischen Geistlichen wichen in ihren Ausführungen von denen der katholischen etwas ab. Die Zusammenfassung der Schlußfolgerung protestantischer Prediger war: Wenn jemand stirbt, der zur Zeit seines Todes ein Mitglied guten Rufes in irgendeiner Kirche ist, kommt er sofort in den Himmel und freut sich von der Zeit an endloser Segnungen; aber wenn der Betreffende bei seinem Tode kein Mitglied einer Kirche ist und deshalb zu denen gehört, die man allgemeinen als die Gottlosen bezeichnet, so geht er an einen Ort ewiger Qual, wo er fürchterliche Schmerzen leiden muß - ewig an Dauer - von denen es niemals eine Befreiung geben wird" (S. 5).

Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen verweist Rutherford dann auf das mittelalterliche Buch von Dante, wo schon diese Lehre in ihren drastischen Details aufbereitet worden war. Rutherford, als philosophisch kaum gebildet anzusehen, verschweigt aber (oder vielleicht ist ihm das aufgrund seiner mangelhaften Bildung auch nicht bewusst gewesen), dass der Stoff für die Ideenkette Dante - Fegefeuer; eine weiter zurückliegende Wurzel hat. Und zwar in dem bei der Zusammenstellung des biblischen Kanons "aussortierten" Buche "Offenbarung des Petrus". In ihr findet man schon all jene Elemente der Ideenkette Dante - Fegefeuer.

Neuerdings sind diese Quellenschriften auch relativ leicht erreichbar, etwa in der Edition von Alfred Pfabigan. Eine zusammenfassende Referierung der "Petrusapokalypse" auch in der "Geschichte der ZJ" S. 559, Anmerkung 114.

Aber um die Darlegung dieser Hintergründe geht es Rutherford auch gar nicht. Ihm geht es vorrangig darum, den Konkurrenzreligionen eins "auszuwischen" So auch in seinem Statement auf S. 47, mit dessen Zitierung diese Referierung beendet sei:

"Die Heilige Schrift zeigt, daß über solche Geistliche in kurzer Zeit große Schande kommen wird, weil sie das Volk falsch belehrt haben. Seit vielen, vielen Jahren haben sie das Fegefeuer und die ewige Qual gelehrt und damit ein schreckliches, geistliches System aufgebaut, das nun ein Teil der herrschenden Faktoren der Welt geworden ist. Sie predigen oft die jungen Männer in den Krieg, und sagen ihnen, daß sie wenn sie auf dem Schlachtfelde sterben, geradewegs in den Himmel kommen, und daß die, die sich weigern, in den Krieg zu gehen und ihre Mitmenschen zu töten, in die ewige Qual gehen. Manche dieser Geistlichen geben jetzt zu, daß so etwas wie einen Ort der ewigen Qual nicht gibt, und die Zeitungen veröffentlichen dies sogar. Wenn erst den Leuten die Augen aufgehen, werden die Geistlichen vor ihnen beschämt dastehen müssen. … Wenn die Menschen erfahren werden, wie sie irregeführt worden sind, werden Männer, die sich zu Werkzeugen hergaben, den Menschen eine solch gotteslästerliche Lehre zu lehren, ein Abscheu sein. Dann werden Geistliche nicht mehr wünschen, an der besonderen Art ihrer Gewänder, die sie jetzt tragen, erkannt zu werden."

Die Ära Rutherford

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