"Faschismus oder Freiheit"

Im "Jahrbuch 1940 der Zeugen Jehovas" (S. 258-260) findet sich auch die Meldung über das Verbot einer Zeugen Jehovas-Schrift durch schweizerische Behörden:

"So müssen wir heute … die für ein demokratisches Land beschämende Tatsache erwähnen, dass die Schweizerische Bundesanwaltschaft dem Druck der Hierarchie nachgegeben hat und zum Verbot der Broschüre 'Faschismus oder Freiheit' geschritten ist. Das beweist, dass die Schweiz an einem Scheideweg angelangt ist. Offiziell stützt sich diese Polizeimaßnahme auf einen kürzlichen Bundesratsbeschluß, der alle Angriffe auf fremde Staatsoberhäupter verbietet. Ferner wurde erklärt, die Broschüre übe 'maßlose Kritik an der katholischen Kirche.' Die Broschüre spreche ferner von einer Verschwörung zwischen Faschismus und römisch-katholischer Hierarchie. Damit würden einfach Tatsachen festgestellt. Gerade dieser neuerliche Versuch, die Behörden der Schweiz zur Unterdrückung einer zeitgemäßen biblischen Botschaft mobil zu machen, sei ein weiterer Beweis für diese Verschwörung. Die Nazis und die katholische Hierarchie gingen bei der Verfolgung unserer Geschwister Hand in Hand. Über 100 Zeitungen der Schweiz brachten nun aus Anlass dieses ersten Großangriffes auf unser Werk in den Tagen vom 7. bis 12. August eine Notiz über das Verbot der Broschüre 'Faschismus oder Freiheit'. Der Tatbestand wurde aber besonders von den katholischen Zeitungen sehr verzerrt dargestellt."

Angesichts dieser Information, mag es nun angezeigt sein, sich für die eigentliche Broschüre „Faschismus oder Freiheit" etwas näher zu interessieren. Analysiert man diese Rutherford'sche Schrift, so stellt man fest, dass ein wesentlicher Kern in den Klagen der Zeugen Jehovas bestehen, katholische Kreise hätten es in den USA erreicht, dass ihnen beispielsweise Versammlungsstätten kurzfristig wieder gekündigt wurden oder das Druck auf Radiostationen ausgeübt wurde. Rutherford kommentiert:

"Die Hierarchie hat die öffentliche Presse und die Eigentümer vieler Radiosender eingeschüchtert, ins Bockshorn gejagt und sie durch Drohungen in Furcht versetzt, damit das Volk nicht die Wahrheit höre" (S. 23).

Als Beispiel nennt er: "Am 11. September des vergangenen Jahres hielt ich in London einen Vortrag, der durch Radio nach vielen Ländern übertragen wurde. Mehr als 100 Radiosender in Amerika vermittelten diese Ansprache betitelt 'Schau den Tatsachen ins Auge.' Um die Leute zu hindern, eine Darlegung der Tatsachen anzuhören, ließ die katholische Aktion vielen Radiostationen eine Flut von Drohbriefen zukommen, und aus Furcht gaben einige Sender ihrem Verlangen nach" (S. 19).

Aber auch Rutherford versuchte in gleicher Weise mobil zu machen. Wenn auch, mit weniger Erfolg: "Angesichts dieser Tatsachen und zur Ermutigung der Radiosenderleiter, die diese Rede im Interesse der Allgemeinheit ausstrahlen, dringe ich in alle Zuhörer, Jehovas Zeugen und alle andern die Freiheit und Gerechtigkeit lieben, an die Radiostation, der sie lauschen, sofort brieflich ihren herzlichen Beifall für die Sendung dieser Rede auszudrücken" (S. 30).

Es war offensichtlich, dass ein gewichtiger Abschnitt dieser Rutherford-Rede auch den Verhältnissen in Deutschland gewidmet war. Verständlich, dass er auch dabei eine deutliche Sprache bevorzugte. So wiederholte er etwa wieder sein Lieblingszitat aus der Wochenzeitung "Der Deutsche Weg" vom 29. 5. 1938, ohne hinzuzufügen, dass es sich dabei um die in Lodz (Polen) seinerzeit erschienene Ausgabe handelte. Dieser Hinweis wäre auch aus dem Grunde wichtig gewesen, weil es noch eine andere Zeitschrift gleichen Namens gab, die inhaltlich eine deutsche Exilzeitschrift darstellte und mit der Ausgabe aus Lodz in keiner Weise vergleichbar ist.

Vielleicht mit am deutlichsten ist das folgende Rutherford'sche weltpolitische Resümee:

"Seitdem dieses scheußliche Ungeheuer, die totalitäre Herrschaft erschienen ist, sind die Freiheiten des Volkes jäh geschwunden. Stets wachsendes Elend ist über die Nationen gekommen. Zu diesen Nöten und Verbrechen gehören folgende:

Der Raub Abessiniens; das leichtfertige Morden Unschuldiger in Spanien; die grausame Verfolgung von Juden und Christen in Deutschland und Italien, und nun der ungerechtfertigte Angriff auf die Tschechoslowakei; ferner der heimtückische Versuch, die Bewohner Englands und Amerikas ihrer Freiheiten zu berauben. Wenn der Wahnsinn ausgetobt hat und die Drangsal vorüber ist, wird die wahre Geschichte der Welt unter gesunden Verhältnissen geschrieben. Es wird sich dann völlig herausstellen, dass die Strafbareren, also die, welche an diesen Verbrechen und Nöten die Hauptschuld tragen, jene sind, die die römisch-katholische Hierarchie bilden, unter dem Vorsitz des (inzwischen verstorbenen) Papstes, der die katholische Aktion einführte.

Das Haupt der Hierarchie schien es gut zu verstehen, sich mit seinen politischen Bundesgenossen in eine Linie zu stellen. Eine Stunde nachdem das Schicksal der Tschechoslowakei mit Zustimmung der päpstlichen Bundesgenossen festgesetzt worden war, rief der Papst, zur Betonung der Wichtigkeit des religiösen Elementes in dem Bunde, die treuen Katholiken zum Gebet für den Frieden auf.

Als Italien die Abessinier hinmordete, als Franco, der Rebell, und andere Faschisten Tausende von Unschuldigen in Spanien umbrachte und weiterhin umbringt, und auch als sein Freund Hitler von Österreich Besitz ergriff und wehrlose Juden und Christen vertrieb, da hat es dem Papst nicht für ratsam erschienen, für den Frieden zu beten.

Nun aber betet er um Frieden, und Hitler kann ungestört die Tschechoslowakei einsacken (was inzwischen auch geschehen ist).

Den Christen ist es völlig klar, dass wir in den letzten Tagen und daher in der Zeit großer Gefahr leben" (S. 27, 28).

 

Im Zusammenhang mit dem Verbot der obigen Broschüre, veröffentlichten die Zeugen Jehovas in der Schweiz im Jahre 1939 auch eine „Verteidigungsschrift zur Abwehr der unerhörten Presse-Angriffe gegen Jehovas Zeugen." In ihr, wurde relativ umfänglich, zu dem Verbot der „Faschismus oder Freiheit"-Broschüre, aus der Sicht der Zeugen Jehovas Stellung genommen. Man konnte darin lesen:

„Man hat also die Bundesanwaltschaft solange bestürmt, bis das Verbot einer Broschüre der Zeugen Jehovas … zustande kam, nachdem die Verbreitung der gesamten Auflage von 12 Millionen - davon 150 000 in der Schweiz - beendet war, ohne dass eine Erschütterung des Friedens und der öffentlichen Sicherheit hervorgerufen worden wäre. Tausende von faschistischen Propagandaschriften kursieren im Schweizerland. Sie zielen ab auf die Beseitigung dessen, was es in der Schweiz zu verteidigen gilt. Aber um das Verbot dieser antidemokratischen Literatur bemühen sich diejenigen, die gegen Jehovas Zeugen wühlen, nicht.

Tausende von Zeugen Jehovas, die auch heute noch in Deutschland - fast als einzige unter 80 Millionen - dem Wüten des abgöttischen Nazi-Faschismus mutig widerstehen, sind Beweise für das eben Gesagte. Ihre Standhaftigkeit entspringt klarer biblischer Erkenntnis von der Art wie sie in der verbotenen Broschüre 'Faschismus oder Freiheit' vermittelt wird.

Schweizerbürger, du bist am Scheideweg!

Wenn heute in einer Demokratie ausgerechnet das unterdrückt wird, was die wirklich christlichen Bürger des Landes gegen die Seuche des Faschismus immun machen könnte, so ist das dem gemeinsamen Druck der Nazis und der römisch-katholischen Hierarchie zuzuschreiben.

Schweizerbürger, nimm zur Kenntnis, dass die Schweiz die einzige Demokratie ist, wo diese Broschüre nunmehr als verboten gilt!

Wie wird nun so etwas begründet?

Zunächst sollen Ausführungen über Hitler als fremdes Staatsoberhaupt der Verbot der Broschüre veranlasst haben… Aus schweizerischen Kantonen, vorab aus dem Kanton Freiburg, beklagt man sich darüber, dass ein paar offene Wahrheiten über Hitler gesagt werden? Sind wir schon so weit? Sitzen schon in allen Teilen der Schweiz, Schweizer, die nach einer Bestrafung derjenigen schreien, die es wagen, über Hitler die Wahrheit zu schreiben und zu sagen? Wer sind die Beschwerdeführer?

Nicht etwa bloß Nazijünger von der Art der Frontisten, sondern auch aktive Mitglieder der Katholischen Aktion!

Natürlich stört an dieser Broschüre nicht am meisten das, was über Diktatoren gesagt, sondern das, was über das Zusammengehen der römisch-katholischen Hierarchie mit den Diktatoren enthüllt wird. … Immerhin nehme man zur Kenntnis, dass sich Leute der Katholischen Aktion mit ihren Protesten an die Bundesanwaltschaft zu Verteidigern des Ansehens Hitlers im Ausland machen! … Obwohl sich in der … Broschüre … Nur ein paar Zeilen mit Hitler befassen - und auch das sind keine persönlichen Angriffe, sondern er wird als Vertreter einer abgöttischen Staatsidee erwähnt -, haken seine katholischen Verteidiger auf diese paar Worte ein …

Der scheinbar am stärksten inkriminierte Satz auf Seite 11 der Broschüre besagt, wie ein Mensch in einem Nachbarland zur Macht erhoben wurde, der in gänzlicher Missachtung der Freiheiten des Volkes vorging. Solche Dinge durften vor kurzem noch gesagt werden ohne polizeiliche Maßnahmen zu gewärtigen, und daher kann man uns nicht mutwillige Bosheit vorwerfen, zumal da dieselben Dinge seit Jahren immer wieder in unserer Literatur gesagt worden sind und auch gesagt werden durften.

Obwohl gerade Jehovas Zeugen in katholischen Presseorganen maßlos beschimpft werden - als 'Sendboten Moskaus' etc. -, erfährt man aus Zeitungen, dass 'maßlose Angriffe auf die katholische Kirche' der weitere Grund für das Verbot dieser Broschüre sein sollen.

In einem Fastenhirtenbrief vom Jahre 1937 erlaubte sich der Bischof von Chur den verleumderischen und beleidigenden Ausspruch: 'Für den Kommunismus arbeiten auch eine ganze Reihe verschiedener Sekten, unter denen ich heute ganz besonders auf die 'Ernsten Bibelforscher' oder 'Zeugen Jehovas' hinweisen möchte.' …

Ergänzt wird diese Stellungnahme noch durch den auszugsweisen Abdruck einer Eingabe an die Schweizer Bundesanwaltschaft vom 21. 7. 1939. Im Prinzip werden die vorgenannten Argumentationselemente wiederholt. Geäußert wird darin auch:

„Die Grenzen einer maßlosen und berechtigten Kritik werden in dieser Broschüre gewiss nicht überschritten. Bei der Übertragung des englischen Originals ins Deutsche ist die besondere Lage der Schweiz durchaus nicht außer acht gelassen worden. Kräftige Ausdrücke, die in Amerika bei der freien Einstellung der Amerikaner kein besonderes Aufsehen erregen, wurden in der deutschen Übersetzung abgeschwächt, eben, weil auch wir durchaus nicht verkennen, dass der Schweiz, einem kleinen Lande in gefährdeter Position, die schwere Aufgabe zufällt, seine Selbstständigkeit zu wahren. …

Die Broschüre enthält allerdings Ausführungen, wobei Hitlers Name genannt ist. Doch warum sollte sie deswegen verboten werden? Wenn z. B. von Hitler gesagt wird, er sei fanatisch, so könnte er das selbst nicht als Schmähung auffassen, weil für ihn Fanatismus ein Ideal ist und nach seinen eigenen Aussagen nur fanatische Menschen etwas Rechtes leisten und alle echten Nazis Fanatiker sein müssten.

Doch selbst, wenn die Beschwerden, die der Bundesanwaltschaft aus verschiedenen Kantonen zugegangen sein sollen, diesen Punkt - fremdes Staatsoberhaupt - nennen sollten, so steht es außer Zweifel, dass dies für die Beschwerdeführer nur als Vorwand dient.

Die Broschüre spricht ferner von einem Bündnis zwischen Faschismus und der katholischen Hierarchie. Damit werden einfach Tatsachen festgestellt. Gerade dieser neuerliche Versuch, die Behörden der Schweiz zur Unterdrückung einer zeitgemäßen biblischen Botschaft mobil zu machen, ist ein weiterer Beweis für diese Verschwörung. Die Nazis und die katholische Hierarchie gehen auch bei diesen Anfeindungen Hand in Hand. …

Das Verbot der obengenannten Broschüre muss den Eindruck erwecken, dass der Bock zum Gärtner gemacht wird, weil es sich zugunsten jener Elemente auswirkt, die nicht im geringsten erkennen lassen, dass ihnen etwas daran liegt, im eidgenössischen Garten die Freiheit, den Frieden und die Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten, deren wir uns bisher mit Dankbarkeit erfreuen konnten."

Hinweis: Die Textunterstreichungen wurden von zeitgenössischen Zeugen Jehovas vorgenommen

Die Ära Rutherford

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1940er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte