Presseberichte 2005 zum Körperschaftsstreit der Zeugen Jehovas

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"Die Rechtsvertreter der Zeugen Jehovas freuten sich über «einen Sieg auf ganzer Linie, besser hätte es nicht kommen können.» Berlin will noch prüfen, ob weitere Rechtsmittel eingelegt werden. Weil das Gericht mit dem Urteil die Revision ausgeschlossen hat, bleibt dem Land nur noch die Nichtzulassungsbeschwerde, um doch noch eine weitere Überprüfung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu erreichen. Die Senatsverwaltung für Kultur erklärte, das Urteil werde dahingehend zu analysieren sein, welche Folgen sich daraus für den Umgang mit anderen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften ergäben."
http://de.news.yahoo.com/050324/12/4gx4n.html

Deutschlandfunk am 30.3.2005

Wort für Wort-Transkription von wtcleanup:

Beginn:

Jürgen Kipp: "Es ist richtig, dass die Zeugen Jehovas gegen Bluttransfusionen eintreten. Die entscheidende Frage für uns war, was passiert genau in einer solchen Situation. Also man macht es sich am Besten an einem Beispiel klar. Es liegt ein kleines Kind im Krankenhaus, die Mediziner sagen es muss eine Bluttransfusion durchgeführt werden, die Eltern dieses Kindes gehören den Zeugen Jehovas an und sagen "Nein die Einwilligung dafür geben wir nicht". Die Mediziner lassen das Kind, ich sage es ganz drastisch, nicht sterben."

Moderator: Nein, ethische Bedenken hat Jürgen Kipp, vorsitzender Richter beim Berliner Oberverwaltungsgericht, nicht. Bis heute seien keine Fälle bekannt, dass lebensrettende Massnahmen durch Zeugen Jehovas verhindert worden wären. Auch die sogenannten Aussteigerberichte ehemaliger Zeugen, die dem Gericht gleich kistenweise vorgelegt wurden, haben die Richter nicht beeindruckt. Den Aussagen über Repressionen innerhalb der Gruppe oder etwa die Verweigerung von Bildung für die Kinder von Zeugen, seien von einem hohen Mass an Subjektivität geprägt. Was dem Gericht fehlte, waren Gutachten von Aussenstehenden, die eine Nötigung oder gar Gefährdung von Gruppenmitgliedern oder Aussteigern bescheinigen würden, sagt Richter Kipp.

Jürgen Kipp: Es gibt auch solche objektiven Äusserungen oder Darstellungen nicht von anderen staatlichen Instanzen. Also beispielsweise von Ärztekammern. Oder in Berlin hat man rumgefragt in den Schulen, also über die Schulpsychologen oder über die Lehrerschaft, gibt es Berichte darüber, dass Kinder, Schüler, solchen Repressionen ausgesetzt sind, wo dann diese Grenze überschritten wird. Das ist nicht der Fall.

Moderator: Mit der erstmaligen Anerkennung als Körperschaft in Berlin ist damit zu rechnen, dass nun auch in den anderen Bundesländern für alle rund 170.000 Zeugen in Deutschland Körperschaftsklagen eingereicht werden. Denn mit dem Körperschaftsstatus erhalten Glaubensgemeinschaften eine Reihe von Vorteilen. So haben die Berliner Zeugen wie die Kirchen nun das Recht zur Erhebung von Steuern und das Recht auf eigene Beamte. Als Körperschaft anerkannte Religionsgemeinschaften sind zur Seelsorge beim Militär, in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Einrichtungen zugelassen. Das automatische Recht auf einen eigenen Religionsunterricht an staatlichen Schulen ergibt sich daraus jedoch nicht. Bei staatlichen Planungsverfahren müssen nun auch die Zeugen mit einbezogen werden. Und für eine Missionsreligion nicht uninteressant, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts darf die Melderegister einsehen. Zeugen Jehovas könnten jetzt gezielt konfessionslose Menschen besuchen und werben.

Andreas Finke, Fachreferent für christliche Sondergruppen bei der evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen kennt sogar noch weitere Vorteile:

Andreas Finke: Es hat vor allem natürlich einen Imagevorteil und auch den Vorteil, zum Beispiel, ist die Jugendarbeit einer Gemeinschaft, die Körperschaft öffentlichen Rechts ist, automatisch förderungsfähig, nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Also es bringt schon einige Vorteile auf die die Zeugen Jehovas natürlich rekurieren.

Moderator: Für den Weltanschuungsexperten kommt die Gerichtsentscheidung nicht überraschend. Obwohl es die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas erst 150 Jahre gibt, trete langsam so etwas wie eine Verbürgerlichung, ja Verkirchlichung ein. Von dem vor Jahrzehnten noch verkündeten Weltuntergangsdaten habe man sich längst verabschiedet. Und auch die früher traditionelle Abwehr gegen den Staat, der von den Zeugen als vom Teufel befallen dämonisiert worden war, sei einer milderen Beurteilung gewichen. Zwar verweigern Zeugen weiterhin grundsätzlich den Militärdienst und streben keine politischen Ämter an, aber seit kurzer Zeit dürfen Zeugen Jehovas an Wahlen teilnehmen.

Andreas Finke: Das Paradox dieses Verfahrens, dieses 15 Jahre langen Verfahrens, besteht ja auch darin, das die Gemeinschaft in gewisser Weise nicht mehr die ist, die sie 1989/90 war, als die Verfahren eröffnet wurden. Sie haben in manchen wichtigen Punkten, zum Beispiel in ihrem Verhältnis zum Staat oder zu den demokratischen Wahlen, eine gewissen Kurskorrektur vorgenommen. Und das muss man eben auch, in aller Problematik, aber das muss man eben auch würdigen und am Ende dann doch sagen, gut dann werden sie eben auch Körperschaft.

Geschrieben von Drahbeck am 24. März 2005 13:01:33:

Als Antwort auf: Re: Erfolg vor Gericht! geschrieben von D. am 24. März 2005 12:58:34:

Zu der in der Urteilsbegründung mit enthaltenen sinngemäßen Passage. Das mit der Bluttransfusions-Verweigerung sei ja alles "halb so schlimm"; und in Notfall würden auch "einige" darin einwilligen, noch die Anmerkung, dass sich das in den Verlautbarungen der Zeugen Jehovas etwas anders liest.

Letztere unterhalten auch diverse "Krankenhaus-Verbindungs-Komitees "(abgekürzt KVK). Im Jahre 1993 wurde mal eine Zahl von 46 in Deutschland diesbezüglich genannt.
In einem Rundschreiben der "Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland" datiert vom 1. Juli 1993, der vorstehende Zahl entnommen wurde, findet sich auch die Klage:
"Berichte zeigen, daß viele Brüder einfach in das nächstgelegene, vom Hausarzt empfohlene Krankenhaus gehen, ohne sich über die Versammlungsältesten beim Krankenhaus-Verbindungskomitee informiert zu haben, welche Ärzte zur Zusammenarbeit bereit sind. Das führt oftmals zu unnötigen Komplikationen für diese Brüder und zu einem vermeidbar hohen Zeitaufwand für die Ältesten des Krankenhaus-Verbindungskomitees."

Ein weiteres Rundschreiben genannter "Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland", datiert vom 1. August 1992 und überschrieben "An alle Ältestenschaften" präzisiert:
"Die Einrichtung der KVKs ist nur für getaufte und ungetaufte VERKÜNDIGER und deren Kinder gedacht. Ihr solltet Euch vergewissern, ob der Patient, mit dem Ihr es zu tun habt, als Verkündiger in gutem Ruf steht. Einige KVKs sind von Ältesten wegen Fällen angerufen worden, bei denen es um Verwandte ging, die keine Zeugen waren, um ausgeschlossene Verwandte, um Personen, die sich zurückgezogen hatten, oder um Freunde, Arbeitskollegen und um Interessierte, bei denen nur einige Rückbesuche durchgeführt worden waren. So etwas ist nicht angebracht. Solche Personen geben oft unter Druck nach und willigen in eine Bluttransfusion ein, wodurch bei dem medizinischen Personal der Eindruck entsteht, Jehovas Zeugen seien unter dem Druck zu Kompromissen bereit. Das schafft Probleme für Zeugen Jehovas, die später in dieses Krankenhaus eingeliefert oder von dem, betreffenden Arzt behandelt werden. Für medizinisches Personal ist es mitunter nicht leicht zwischen wirklichen Zeugen Jehovas und anderen Personen zu unterscheiden."

Meines Erachtens machen diese Ausführungen sehr wohl deutlich, dass genannte Organisation alles daran setzt, ihre "Parteilinie" in Sachen Bluttransfusionen durchzusetzen. Das die Behauptung, es gehe diesbezüglich relativ "liberal" zu, jeder Grundlage entbehrt.

Das "Zweite deutsche Fernsehen (Zdf) in seinem Bericht:
... Damit entschied das Gericht in dem jahrelangen Rechtsstreit gegen das Land Berlin, das diese Anerkennung verweigert hat. Bei Kirchen und Politik stieß das Urteil auf Kritik.
... Die evangelische Kirche kritisierte das Urteil. "Worauf soll man sich sonst stützen, wenn nicht auf die Berichte von Aussteigern", sagte Andreas Finke von der Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Die Vorwürfe gegen die Zeugen Jehovas seien nicht aus der Luft gegriffen. Den Zeugen Jehovas wird immer wieder vorgeworfen, dass sie ihre Mitglieder sozial stark isolieren und Austrittswillige psychisch unter Druck setzten.

Kritik an dem Urteil kam von Union und Bündnisgrünen. Der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der Union (EAK), Thomas Rachel, nannte die Privilegierung der "Zeugen Jehovas" "in keiner Weise vertretbar". Die "eigentliche Kernfrage" bleibe unbeantwortet, inwiefern eine Religionsgemeinschaft, die von Sektenexperten wegen ihrer totalitären Strukturen, der Verletzung der Grundrechte und der Missachtung der Menschenwürde kritisiert werde, zum Besten des Gemeinwohls mitwirken solle.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Oliver Schruoffeneger, meinte, das Urteil sei "ein weiteres Alarmsignal in der Diskussion um die Ausgestaltung des Werteunterrichts an den Berliner Schulen". Der Senat sei nun gefordert, umgehend sicher zu stellen "dass an Berlins Schulen kein Unterricht stattfindet, der nicht mit den Prinzipien von Toleranz und Menschenwürde für alle Menschen vereinbar ist".

Über den Link des ZdF kann man (weiter unten) einen Link für eine Videosequenz zum Thema aktivieren
http://www.zdf.de/ZDFheute/inhalt/5/0,3672,2280549,00.html

Im Bericht von "Fuldainfo" liest man unter anderem:
"Nach Vorlage der schriftlichen Begründung werde analysiert , ob Rechtsmittel eingelegt werden, sagte der Sprecher der Kulturverwaltung, Thorsten Wöhlert. Die Entscheidung entspreche nicht der Rechtsau´ffassung der Behörde. ... Die Verwaltung hat die Möglichkeit gegen die Nichtzulassung der Revision, Beschwerde einzulegen."
http://www.fuldainfo.de/page/index.php?templateid=news&id=3987

Ein anderer Pressebericht besagt unter anderem:
"Das Gericht schloss die Revision aus. Das Land kann dagegen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einlegen. Die Senatsverwaltung für Kultur will diesen Schritt prüfen. Zudem müssten die Folgen für den Umgang mit anderen Religionsgemeinschaften analysiert werden.

Nach Ansicht von Glockentin (Zeugen Jehovas) hat das Land kaum Chancen auf Erfolg. Nach einer Anerkennung als öffentliche Körperschaft in Berlin erwägen die Zeugen Jehovas, den Status in den anderen 15 Bundesländern zu beantragen. "Bisher war die Erstverleihung in einem Land entscheidend, dann setzt ein gewisser Automatismus ein", sagte Glockentin.
http://www.nw-news.de/nw/news/nachrichten/?sid=312cf5d2f5e7f64500deeba79bcffecd&cnt=420427

Ein Schweizer Kommentar bemerkt zum heutigen Urteil:

In der Schweiz ist eine entsprechende Entwicklung nicht zu erwarten. Der Entscheid über die öffentlich-rechtliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften sei hierzulande "rein politisch", sagte Markus Sahli, der Leiter der Abteilung Innenbeziehungen beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) auf Anfrage.
Es widerspräche der Tradition der Schweiz, wenn Gerichte einen solchen Entscheid fällen würden. Es brauche hierfür einen "gesellschaflichen Konsens", sagte Sahli. In der Schweiz sind die Zeugen Jehovas wie andere kleinere Glaubensgemeinschaften als Verein organisiert.
http://www.zisch.ch/navigation/top_main_nav/NEWS/International/detail.htm?client_request_contentOID=27420

Gelesen in "Spiegel Online"

Bischof Huber verurteilt Aufwertung der Zeugen Jehovas

Die evangelische Kirche hat das Grundsatzurteil zur rechtlichen Stellung der Zeugen Jehovas scharf kritisiert. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hatte die Religionsgemeinschaft heute als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt. Der Staat muss die Zeugen Jehovas fortan genauso behandeln wie die großen christlichen Kirchen.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, sagte, die Anerkennung sei nicht der richtige Schritt. Im RBB-Inforadio erklärte er, er bewerte das Urteil genauso wie die Sekten- und Weltanschauungsexperten seiner Kirche. Diese hätten drauf hingeweisen, dass die Aussagen der Austrittswilligen und Ausgetretenen über Repressalien sehr glaubwürdig seien.

Huber fügte hinzu: "Man muss ja auch fragen, wer sonst Auskunft geben soll, wenn nicht diejenigen Menschen, die tatsächlich unter Druck geraten." Insofern gebe es sehr ernsthafte Bedenken dagegen, die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzusehen.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,348330,00.html

Reduziert auf das, was in anderen Pressemeldungen nicht bereits mitgeteilt, liest man im Bericht der taz:
... "Seit Jahren bekommt das Gericht fast täglich nur die Schriftsätze von Abtrünnigen auf den Tisch", erklärte der Vorsitzende Richter Jürgen Kipp. Das reiche aber als Beweis nicht aus.
... Das Land Berlin hatte den Vergleich abgelehnt. Es wollte vorher klären, dass auch alle anderen Bundesländer mit der Einigung einverstanden sind. Daran ist sie wohl gescheitert. Nun steht auch der Anerkennung in anderen Bundesländern nichts im Weg
... Der Rechtsanwalt des Landes Berlin, Stephan Südhoff, hatte vor dem Urteil davon gesprochen, notfalls - wie schon 1999 - vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Jetzt bleibt ihm nur die Nichtzulassungsbeschwerde. Ob das Land weiter streiten will, soll davon abhängen, welche Konsequenzen sich aus dem Urteil für andere Gemeinschaften ergeben, zum Beispiel für fundamentalistisch-islamische
http://www.taz.de/pt/2005/03/26/a0134.nf/text.ges,1

Ein Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" meint:
„Der besondere Status, den die großen Volkskirchen unter der säkularen Ordnung des Grundgesetzes genießen, hat immer wieder Begehrlichkeiten anderer Religionsgemeinschaften geweckt. Mit der ihnen eigenen Hartnäckigkeit haben die Zeugen Jehovas nun in einem 15 Jahre dauernden Rechtsstreit durchgesetzt, daß auch sie von den Behörden als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt und entsprechend behandelt werden müssen. …
Wenn formale Rechtstreue zum Hauptkriterium für die (steuerliche) Privilegierung von Religionsgemeinschaften wird, dann allerdings wird es bald eine Fülle solcher religiöser Körperschaften jeglicher konfessioneller Provenienz geben. Nicht alle werden von diesem Status so verantwortungsvoll und zurückhaltend Gebrauch machen wie die Kirchen. Wie lange wird sich das bewährte Nebeneinander von Staat und Kirche in Deutschland unter diesen Umständen noch erhalten lassen?"

http://www.faz.net/s/
Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/
Doc~E13C64C4123FF4939A1289F116240FC69~ATpl~Ecommon~Scontent.html

In einem Kommentar der Zeitung „Südwestkurier" liest man: „Berlin tut gut daran, Beschwerde gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts einzulegen. Die Zeugen Jehovas mit den großen christlichen Religionen gleichzustellen, hieße, einer Gemeinschaft mit eindeutig sektiererischen Merkmalen einen Rang einzuräumen, der ihr in einer offenen Gesellschaft nicht gebührt."
http://www.suedkurier.de/nachrichten/kommentare/art4646,1468811.html?fCMS=29835ca463f642898abcb817729fc434

Eben genannte Zeitung meint das Votum der Evang. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, das bekanntermaßen nicht Zeugen Jehovas-freundlich ist, als Grundlage seiner Wertung zu nehmen. Auch wenn ich die eingangs genannte Empfehlung auch befürworten würde, so jedoch nicht aus dem Grunde, weil das die EZW sagt oder nicht sagt.

In der „taz" kommentiert Bettina Gaus:
„Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin, das den Zeugen Jehovas die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuspricht, löst Unbehagen aus. Ausgerechnet Leute, die den Staat für Teufelswerk halten und aus religiösen Gründen die Teilnahme an Wahlen ablehnen, sollen Steuerprivilegien und andere Vergünstigungen erhalten? … Es sieht so aus, als ob das Urteil angesichts des demokratischen Prinzips der Gleichheit aller vor dem Gesetz zwingend gewesen sei. Dieses Prinzip gilt nicht nur für Gruppen, deren Überzeugungen einem sympathisch sind. … Es genügt, wenn eine Religionsgemeinschaft rechtstreu ist - sie ist nicht zur besonderen Kooperation mit dem Staat verpflichtet. Das ist die vielleicht wichtigste Konsequenz des Urteils und zugleich die problematischste. Denn was einerseits erfreulich liberal und tolerant wirkt, zieht andererseits die Frage nach sich, weshalb Kirchen in einem säkularen Staat überhaupt privilegiert werden sollen.
Das ursprüngliche Argument dafür - nämlich die Kirchen nach dem Ende des Nationalsozialismus in den Aufbau des demokratischen Staates einbinden zu wollen - ist durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte obsolet geworden. Auch in anderen Ländern gibt es ein lebendiges Gemeindeleben, ohne dass die Kirchensteuer vom Finanzamt eingezogen wird. Das Urteil von Berlin könnte Anlass für den Gesetzgeber sein, das Verhältnis von Staat und Kirche neu zu regeln. Der Entzug steuerlicher Vergünstigungen wäre schließlich nicht gleichbedeutend mit Christenverfolgung"
http://www.taz.de/pt/2005/03/26/a0104.nf/text

Geschrieben von Drahbeck am 29. März 2005 07:44:20:

Als Antwort auf: Re: Abschließendes Votum steht noch aus geschrieben von Drahbeck am 26. März 2005 10:19:45:

Ein Kommentar von Patrick Bahners, in der nicht selten als "Großbürgerlich" klassifizierten "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", den ich mir so nicht anschließe, stellt insbesondere darauf ab, die Haltung der Kirchen zum KdöR-Urteil kritisch zu hinterfragen. Da wird man unwillkürlich an B. erinnert, lässt man sich diese Ausführungen auf der "Zunge zergehen". Inhaltlich könnte das auch von letztgenanntem Herrn stammen.

Aber die Diktion ist schon nachvollziehbar. Wie postulierte seinerzeit schon der auch "Großbürger" Bismarck: "Die Religion m ü s s e dem Volke" erhalten bleiben, so sein Verdikt. Warum müsse sie dass. Weil derjenige der seinen Sinn mit religiösen Phantasmen fülle, sollte er nicht gerade Islamist sein, Politikunfähig wird; was für die "Großbürger" wiederum den beabsichtigten Vorteil hat, dass sie - und nur sie - faktisch bestimmen, wohin denn die Reise geht.

Um welche Art von Religion es sich dabei handelt, ist dem "Großbürger" relativ egal. Eine engere, persönliche Bindung zur Religion hat er ohnehin nicht. Seine "Religion" heißt Dollar oder Euro, die ihm förmlich aus den Augen blitzen. Alles, was der Beförderung dieser Art von Religion dient, ist ihm recht. Dafür ist er denn auch bereit schon mal symbolische Opfer zu bringen. Siehe Rockefeller in den USA und andere, die große Stiftungen zum Nutzen der Religion ins Leben riefen. Und folgt man einer - bisher nicht bewiesenen - sowjetischen These. Die auch Rutherford's seinerzeit, die äußerst kostspieligen Radioverkündigungen, finanziell erst möglich machten.

Der ökonomisch denkende Großbürger, registriert aber auch, dass "Großkirchen-Pferd"
ist eines, dass zusehende Lahmerscheinungen aufweist. Verspricht in einem "Pferderennen" ein anderes "Pferd" eben bessere Wettergebnisse einzuspielen, dann wird eben mal auf ein anderes "Pferd" gesetzt. Genau das ist jetzt zu registrieren. Und genau diese Tendenz, bringt auch der Kommentar der FAZ "rüber".
Nachstehend sein Wortlaut:
Es folgt aus der Trennung von Staat und Kirche, daß die Gerichte bei der Festsetzung ihrer Verkündungstermine keine Rücksicht auf das Kirchenjahr nehmen. Könnte der Umstand, daß das Berliner Oberverwaltungsgericht sein Urteil im Fall der Zeugen Jehovas am Gründonnerstag gesprochen hat, den Kirchenvertretern, die in diesem Verfahren Partei ergriffen haben, nicht dennoch Anlaß zur Einkehr und vielleicht sogar zur Umkehr

In der Pressemitteilung, die Andreas Finke in die Welt geschickt hat, der zuständige Referent der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen", hat sich die evangelische Kardinaltugend der Nachdenklichkeit nicht niedergeschlagen. Die Richter haben festgestellt, daß es dem Land Berlin nicht gelungen ist, den Verdacht zu begründen, es mangele den Zeugen Jehovas an der von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verlangenden Rechtstreue.

Richterschelte
Was teilt Zentralstellenreferent Finke nach Abschluß des zwölfjährigen Verfahrens mit? Er wedelt zunächst mit dem Strohhalm des Winkeladvokaten: „Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig." Sodann stellt er „zwei Überlegungen" an. Erstens nimmt er Anstoß daran, daß das Gericht nicht nach dem Grundsatz semper aliquid haeret im Zweifel gegen die Grundrechte der Religionsgesellschaft entschieden hat: Die bloße Zahl der vorgelegten „Betroffenenberichte" hätte die Richter „stutzig" machen müssen.
Wir merken uns als Faustregel evangelisch wohlverstandener Rechtsstaatlichkeit: Wo viele Kläger, da erübrigt sich die Arbeit des Richters. Zweitens muß - möglicherweise unter impliziter Aufnahme neuester exegetischer Forschungen zum Auferstehungserlebnis der Jünger - das Erleben der Zentralstellenmitarbeiter als Zeugnis gegen die Zeugen Jehovas herhalten. Das Gericht sieht es nicht als erwiesen an, daß es eine Praxis des psychischen Drucks auf Abtrünnige gibt.

„Das erleben wir in Beratungsgesprächen anders." Der Ratsvorsitzende der EKD, der Berliner Bischof Huber, hat sich die Richterschelte seines Weltanschauungsexperten ausdrücklich zu eigen gemacht. „Man muß ja auch fragen, wer sonst Auskunft geben soll, wenn nicht die Menschen, die tatsächlich unter Druck geraten." Der Kirche dürfen die Auskünfte der Abgefallenen genügen, die sie zur froheren Botschaft bekehren will; vor Gericht müssen sich Anklagen objektiv erhärten lassen.

Das innere Erlebnis bietet nichts Verwertbares
Keine Beweiskraft maßen die Richter der Pamphletistik zu, die von den Gegnerforschern im Großkirchendienst tonnenweise produziert wird. Was hier über die Sitten der Konkurrenz zu lesen ist, muß als handelsübliche Übertreibung gelten, auf die der religiös neutrale Staat nichts geben kann. Wie früher das Heilige Offizium und die entsprechenden Behörden protestantischer Staaten Buch führten über die Sektierer, die dann die weltliche Obrigkeit als Ketzer verfolgte, so fahnden heute Sektenbeauftragte nach Verfassungsfeinden. Es ist der „Auftrag" der „Zentralstelle für Weltanschauungsfragen", Strömungen der Gegenwart „zu beobachten und zu beurteilen".

Aber für den säkularen Staat fällt nichts Gerichtsverwertbares ab, wo der Weltanschauungskrieg zum inneren Erlebnis wird. Schon im Kopftuchstreit gab Bischof Huber den Hilfspolizisten des Verfassungsschutzes. Wenn er nur solche Religionsgesellschaften toleriert sehen will, die ein über Gesetzestreue hinausgehendes Bekenntnis zur Verfassung ablegen, kann er sich nicht darüber beklagen, daß sich im Land Berlin die Ansicht durchsetzt, die Werteerziehung gehöre praktischerweise in die Hand des Staates.

http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/
Doc~E99D3D7BC99DC4EB6BB557C251BDE6C36~ATpl~
Ecommon~Scontent.html

Als Antwort auf: Re: kann er sich nicht darüber beklagen ..... geschrieben von Drahbeck am 29. März 2005 07:44:20:

Und nachfolgendes meint die FDP. Ja tatsächlich. Dass soll jene Partei mal g e w e s e n sein, die in den 1970er Jahren (lang ist her) in Teilen (Jungdemokraten) damit von sich reden machte, dass die Staat-Kirche-Verfilzung doch aufgehoben werden sollte.
Wie schon vor ihr die SPD (mittlerweile eine "halbe" Theologenpartei) knickte auch die FDP gegenüber der Kirchenlobby dann noch auf voller Linie ein.
BERLIN. Zur heutigen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG), dass die „Zeugen Jehovas" die Voraussetzung für die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erfüllen, und der Kritik hieran, erklärt der kirchenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Hans-Michael GOLDMANN:

Die Kritik von Politikern der CDU/CSU und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Richterspruch ist verfehlt. Wenn sich in dem Gerichtsverfahren keine Beweise für die Verletzung von Grundrechten Dritter durch die „Zeugen Jehovas" gefunden haben, ist das Urteil so zu akzeptieren, auch wenn es schwer fallen mag. Umso mehr sind Kirchen, Gesellschaft und Politik aufgerufen, sich mit dem Thema Sekten auseinander zu setzen. Ebenso wichtig ist die Vermittlung von Werten in den Familien und in den Schulen, um die Jugend gegen die Verführung durch Sekten zu immunisieren. Ein Gerichtsverfahren kann hierfür kein Ersatz sein.

http://www.fdp-fraktion.de/index.php?seite=http://www.fdp-fraktion.de/pressemitteilung.php?id=40091

Als Antwort auf: Re: Der verlängerte Arm der CDU meldet sich zu Wort geschrieben von Prometeus am 30. März 2005 14:05:25:

Ich wundere mich eigentlich. Aber halt. Die ersten Worte des beabsichtigten Satzes sind schon falsch. Es gibt da in der Tat nichts zu wundern.

Worauf ich jetzt mal zu sprechen kommen wollte, ist der Fall einer Partei namens PdS.
Selbst die rechtsextremen Berliner "Republkaner" haben inzwischen das KdöR-Urteil kommentiert. Bei Infolink nachlesbar. Ohne Not wird deren Text aber hier von mir nicht wörtlich zitiert. Aus prinzipiellen Gründen. Selbst vorgenannte "Republikaner" servierten einen abgewandelten CDU-Abklatsch. Sie sortieren auch Religionen in die Rubriken "Gute" und "Schlechte". Jene denen die CDU das Prädikat "gut" zubilligt, dass wäre auch in "Republikaner"-Sicht als "gut" zu bewertende. Die können und sollen wie gehabt, weiter voll privilegiert sein. Lediglich im Falle Islam, da will man die Vokabel "auch eine gute" Religion nicht gelten lassen. Tja, und weil schon im braunen Reich die Zeugen Jehovas nicht als "gut" angesehen wurden, hat es sogar eine gewisse "Folgerichtigkeit", dass nunmehr auch die Berliner "Republikaner" den Zeugen den Stempel verpassen keine gute Religion zu sein.

Eigentlich wollte ich aber nicht über jene die deutsche Wehrmacht verklärenden Herrschaften reflektieren. Eigentlich wollte ich eigentlich über die PdS reden.. Zugegeben "Jungle World" (hier auch dokumentiert), hat in (für mich akzeptabler Art und Weise), das KdöR-Urteil inzwischen kommentiert. Auch anders tendenzierte Organe, wie die FAZ haben das schon getan. Wer indes es bisher noch nicht kommentiert hat (neben der SPD, von der "Theologenpartei" erwarte ich ohnehin nichts), ist das PdS-Organ "Neues Deutschland". Jedenfalls ist mir kein dortiger Kommentar zum Thema, bisher bekannt geworden (wenn doch, dann möge man mich noch eines besseren belehren).

Auch das "wundert" mich nicht. Deren vorletzte Vorsitzende, eine gewisse Gaby Zimmer diente sich den Kirchen in geradezu penetranter Weise an. Den Artikel in einer Kirchenzeitung habe ich selber gelesen, wo sie sich dahingehend zitieren lässt, dass sie bei ihren immer mehr werdenden Kirchenbesuchen, lediglich bedaure, die Kirchenlieder nicht mitsingen zu können, weil sie die in ihrer SED-Zeit nicht gelernt. Ein solches ausgesprochenenes Bedauern sagt wohl alles aus.

Eines haben vorgenannte Parteien mit ihrem taktieren allerdings auch erreicht. Ich kenne in Deutschland derzeit keine Partei, von der ich sagen könnte; in etwa versucht sie in diesen Fragen eine Linie zu fahren, die sachbezogen angemessen ist.

Daraus ergibt sich für mich die Schlussfolgerung "am Wahltag der Zahltag sein kann", das auch entsprechend zu berücksichtigen.

Antisäkularer Sündenfall
Zeugen Jehovas gewinnen Rechtsstreit
von ivo bozic

Falls die Richter des Oberverwaltungsgerichts Berlin dachten, man könne und müsse die Zeugen Jehovas mit ihrer Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts von der Straße holen, haben sie sich geirrt. Die Damen und Herren mit dem Wachtturm an der Ecke sind keine Demonstranten, die für die Gleichbehandlung mit der katholischen und der evangelischen Kirche eintreten. Ihre Mission ist vielmehr die Mission.

Dennoch freut sich die Religionsgemeinschaft mächtig, dass sie im seit 15 Jahren andauernden Rechtsstreit auf ganzer Linie gewonnen hat. Nunmehr darf sie Kirchensteuern erheben und kirchliche Beamte beschäftigen. Beides will sie gar nicht. Aber andere Steuervorteile sind durchaus willkommen.

Und irgendwie geht es auch um Anerkennung. Schließlich wurden die »Bibelforscher«, wie sie sich früher nannten, im Nationalsozialismus verfolgt und rund 4 000 Gläubige kamen ins KZ. Doch bis heute sind sie als Opfergruppe kaum im gesellschaftlichen Bewusstsein vorhanden. In der DDR blieb die Gemeinde sogar verboten. Und gerade weil die Zeugen Jehovas im Gegensatz zu den großen Kirchen nicht kollektiv mit dem NS-System kollaborierten, mag man ihnen den kleinen Sieg über die anderen Kirchenmänner gönnen. Die nämlich ärgern sich schwarz und protestieren heftig. Ausgerechnet die repressive Ausrichtung der Religion werfen sie den Zeugen vor. Die haben es nötig!
Sicher, die Zeugen lehnen Bluttransfusionen ab, gängeln ihre Kinder, sind wissenschaftsfeindlich, erzkonservativ und leben sowieso völlig hinterm Mond. Aber solange Päpste und Bischöfe gegen Frauen, die abtreiben, und gegen Schwule hetzen und Verhütung untersagen, sind sie als Ankläger einer repressiven Religion denkbar ungeeignet.
Bei aller Schadenfreude im Hinblick auf die beiden großen Kirchen darf dennoch nicht übersehen werden, dass das Urteil ein weiterer Schritt ist, die verfassungsmäßig vorgeschriebene Trennung von Staat und Kirche aufzuheben. Schon der konfessionell gebundene Religionsunterricht an den Schulen, das Eintreiben der Kirchenbeiträge durch den Staat in Form von Steuern, Zuschüsse für Kirchenbauten, staatlich finanzierte Gehälter von Kirchenpersonal, die konfessionelle Ausbildung von Theologen an den Universitäten, die Militärseelsorge, all das und mehr steht dem schon immer entgegen.

Wenn also jetzt auch die Zeugen Jehovas eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sind, so mag das gerecht sein, für die Säkularität ist es ein Rückschritt. Tröstlich ist, dass es schlimmere Sekten als die etwa 210 000 Mitglieder zählenden Zeugen Jehovas gibt, obwohl diese die Existenz von Dinosauriern leugnen müssen, weil in der Bibel nicht erwähnt wird, dass sie auf der Arche eincheckten, und auch sonst ziemlich viel Irrsinn verbreiten. So ist etwa der mehrfach vorhergesagte Weltuntergang bis heute ausgeblieben. Aber Religionen sind per se nicht rational begründet. Das brauchen sie auch nicht zu sein. Und schließlich glauben Katholiken und Protestanten zum großen Teil den gleichen Quatsch. Man denke nur an die jungfräuliche Empfängnis.

Allerdings stellt sich die Frage, ob das Urteil, gegen welches das Land Berlin zwar Beschwerde einlegen will, was aber nicht als Erfolg versprechend gilt, künftig nicht auch auf andere Religionsgemeinschaften angewandt werden könnte und wohin das alles führen soll. Sicher ist nur: nicht vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe. Da war der Fall schon und wurde zurückverwiesen. Dabei wäre genau dort über die Sünden hinsichtlich des Trennungsgebots von Staat und Kirche zu verhandeln.

http://www.jungle-world.com/seiten/2005/13/5194.php

Ach ja, wenn es gilt vermeintliche "Morgenluft" zu wittern, dann kann man schon vielerlei Beobachtungen machen. Das der Pressedienst der Adventisten (APD) das Zeugen Jehovas-Urteil auch aufgegriffen hat, kann man ja noch nachvollziehen. Wähnt man doch damit den eigenen KdöR-Status, den man in Deutschland schon einige Zeit besitzt, zusätzlich bestätigt bekommen zu haben. Aber das ist wohl eher marginal für die Adventisten. Für etwas, was man schon hat, noch einen Preis zu zahlen, ist wohl auch in diesen Kreisen nicht üblich. Der "Marktwert" erschließt sich für die Adventisten, mehr auf einer anderen Ebene.

Da soll es ja immer noch welche geben, nicht sonderlich Informierte, wie man wähnt, denen auch im Falle Adventisten das Wort "Sekte" über die Lippen flutscht. Unerhört, befinden letztere, wo wie uns doch selbst als protestantische Freikirche bezeichnen, noch dazu mit KdöR-"Siegel".

Zu ihrem "Trost" mag angemerkt werden, dass gleiches Ungemach auch sogenannte Freikirchen wie Baptisten und Methodisten und ähnliches in den 1920er Jahren noch ereilte, dieweil die damals auch schon KdöR waren.
Es dauert halt seine Zeit, bis sich das mit der KdöR auch bis nach "Hintertupfingen" durchgesprochen hat.

Und was das "Morgenluft wittern" anbelangt. Wundert es einem, dass die "Islamische Gemeinschaft Milli Görus" auch das KdöR-Urteil aufgreift? Mich jedenfalls, wundert es nicht.

Steuern vom Antichrist
Die Folgen des Urteils ... sind noch nicht abzusehen

In Heft 5/2005 des "Materialdienstes" der EZW kommentiert jetzt Andreas Fincke (dortiger auch für das Thema Zeugen Jehovas mit zuständiger Referent) das Berliner KdöR-Urteil. In der Sicht von Fincke stellt sich das ganze wie folgt dar:

Das Berliner Oberverwaltungsgericht hat am 24. März 2005 sein Urteil in Sachen Land Berlin gegen die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas verkündet und festgestellt, dass diese die Voraussetzungen für die Verleihung des Titels einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts" erfüllt. Damit könnte ein inzwischen 15 Jahre währender Rechtsstreit zu Ende gehen, falls das Land Berlin nicht erneut in Revision gehen sollte.

Eine genauere Analyse der Berliner Urteils wird erst möglich sein, wenn dieses schriftlich vorliegt. Dennoch sind einige Eindrücke aus der mündlichen Urteilsverkündung festzuhalten: Der Vorsitzende Richter hat mehrfach festgestellt, dass dem Gericht eine Fülle von Betroffenenberichten zugegangen ist. Gleichzeitig hat er betont, dass diese Berichte „äußerst problematisch" sind und behutsam interpretiert werden müssten. Letzteres ist zweifellos richtig. Niemand erwartet, dass das Gericht sich die Meinung von Aussteigern ungeprüft zu eigen macht; eine gewisse „Übersetzungsleistung" wäre zweifellos eine notwendige Aufgabe der Kammer gewesen. Dass man Betroffenenberichte nun aber so weitgehend unberücksichtigt lässt, ist mehr als verwunderlich. Man zieht damit die Urteilsfähigkeit ehemaliger Zeugen Jehovas in Zweifel und unterstellt ihnen, keine begründeten Aussagen über diese Gemeinschaft treffen zu können.

Die Kammer hat bemängelt, dass es kaum einschlägige Erkenntnisse von Behörden, Gerichten, Jugendämtern usw. gibt, die kritische Berichte erhärten könnten. Das verwundert nicht: Denn natürlich wenden sich Betroffene an (kirchliche oder staatliche) „Sekten"-Beratungsstellen, wohl aber kaum an ein Jugendamt. Wie sollten sie auch, zumal Jugendämter bisher nicht durch weitreichende Kompetenz in Weltanschauungsfragen aufgefallen sind! Das Berliner Oberverwaltungsgericht argumentiert nach dem Motto: Konflikte gibt es nur, wenn sie in den Amtsstuben ankommen und aktenkundig werden.

Erstaunlich bedenkenlos hat die Kammer festgestellt, es gebe keine überzeugenden Hinweise dafür, dass Personen, die die Zeugen Jehovas verlassen, psychische Sanktionen erleiden. Man hätte in den hauseigenen Publikationen der Zeugen Jehovas selbst zu dieser Frage genügend solcher Hinweise finden können. So schrieb beispielsweise der „Wachtturm" am 1.Juli 1994:

„Die Speise auf dem Tisch der Dämonen ist giftig. Man denke nur einmal an die Speise, die von ... den Abtrünnigen verbreitet wird. Sie ist weder nahrhaft noch erbauend; sie ist nicht förderlich. Das kann sie auch gar nicht sein, weil die Abtrünnigen aufgehört haben, sich am Tisch Jehovas zu ernähren…. Nicht der heilige Geist treibt sie an, sondern gehässige Bitterkeit. Sie sind von einem einzigen Ziel besessen: ihre früheren Mitsklaven zu schlagen... ja, Abtrünnige veröffentlichen Literatur voller Entstellungen, Halbwahrheiten und absoluter Unwahrheiten. Sie ... versuchen die Unvorsichtigen zu fangen. Es wäre gefährlich, sich aus Neugier dazu verleiten zu lassen, ihre Schriften zu lesen oder ihren Lästerreden zuzuhören." (11f)

Bei der Gewichtung solcher Aussagen muss man sich vor Augen führen, dass es sich beim „Wachtturm" nicht um irgendeine Zeitschrift handelt, sondern um das zentrale Verlautbarungsorgan der Gemeinschaft. Der „Wachtturm" wird als Sprachrohr Gottes betrachtet, als „Kanal, dessen sich der Herr ... bedient". Mit anderen Worten: Jehova selbst bezeichnet jene, die die Gemeinschaft verlassen, als Dämonen, die „gehässige Bitterkeit" treibt. Was werden solche Zeilen in einer Zeugen-Jehovas-Familie auslösen?

Kann eine Organisation, die so über ihre Dissidenten spricht, von einem Staat, der sich den Schutz der Würde des Menschen - und damit auch die Würde des abtrünnigen Zeugen Jehovas - in Artikel 1 seiner Verfassung geschrieben hat, zur K.d.ö.R. aufgewertet werden?

Man könnte einwenden, dass alle Religionsgemeinschaften Vorstellungen über den wahren Weg zu Gott und darüber haben, welche Gefahren dem drohen, der diesen Weg verlässt. Aber es handelt sich bei den aufgeführten Zitaten gerade nicht um theologische Aussagen, sondern um soziale Handlungsanweisungen: Wenn die Abtrünnigen als Dämonen bezeichnet werden, die Lügen und Gift verbreiten dann muss man sie um jeden Preis meiden. Und genau das ist die Wirklichkeit in vielen Zeugen-Jehovas-Familien: Der Abtrünnige wird mit der Strafe des sog. „Gemeinschaftsentzugs" belegt: er wird nicht gegrüßt, mit ihm wird nicht geredet, er wird nicht beachtet. Verheerend wird diese Strafe, wenn sie Kinder und Jugendliche trifft, wenn Kinder ihre Eltern nicht mehr kennen oder Ehepaare sich wie Fremde begegnen.

Sollte das Urteil Bestand haben, dann bedeutet dies einen gewaltigen Imagegewinn für die Zeugen Jehovas, zugleich würde aber auch einer Entwertung des Körperschaftstitels Vorschub leisten.

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Burkhard Schroeder kommentiert in seinem Forum:

Staatsknete für die Bibelforscher?
Von Burkhard Schröder

Die Zeugen Jehovas sind jetzt in Berlin eine Körperschaft. Das hat das Oberverwaltungsgericht entschieden. Damit sind die "Ernsten Bibelforscher", wie sie auch genannt wurden, juristisch den Katholen und Evangelen gleichgestellt, aber auch der Neuapostolischen Kirche. Sie dürfen selbst Religionsunterricht geben, müssen weniger Steuern zahlen und stehen unter staatlicher Aufsicht.

Das ist eine gute und schlechte Nachricht. Gut, weil der unsinnige Unterschied zwischen Kirche, Sekte oder Sondergemeinschaft nur die Verehrer höherer Wesen interessiert, die Konkurrenz wittern. Für vernünftige Menschen wie Heiden und andere freie Denker ist die theologische und gruppendynamische Differenz zwischen Opus Dei (Katholen), Baptisten (Protestanten) und Jehovas Zeugen wie die zwischen einem Apfelschimmel, einem hellen und einem schneeweißen Schimmel. Schlecht ist die Nachricht, weil sich wieder beweist, dass in Deutschland Staat und Kirche immer noch nicht getrennt sind. Der Staat subventioniert und alimentiert und bevorteilt nicht nur die etablierten Verehrungsformen höherer Wesen, sondern auch die abseitigen.

Das ZDF in Gestalt von heute.de referiert: "Bei Kirchen und Politik stieß das Urteil auf Kritik." Wer hätte das gedacht. Wer, wie die Süddeutsche, einen "Sektenbeauftragten" fragt, gar einen evangelischen, ob es Sekten gebe und welche das seien, darf sich nicht wundern, dass er die "passenden" Antworten gibt. Laut dem investigativsten aller Nachrichtenmagazine hatte das Land Berlin als Prozessgegner den Bibelforsachern vorgeworfen, "mit rigiden Erziehungspraktiken das Kindeswohl zu gefährden und durch psychische Sanktionen für Aussteiger den Bestand von Ehe und Familie zu gefährden." Interessant, wie das zu beweisen wäre. Diese Vorwürfe und ähnliche gelten sicher und zu Recht auch für andere sektenähnliche Religionsgemeinschaften.

Ist Fanatismus gut oder schlecht? Das gemeine Volk weiß, dass die Zeugen
Jehovas in der Nazi-Zeit verfolgt wurden, sich aber nicht unterkriegen ließen. Weniger bekannt ist, dass die "etablierten" Kirchen oft mit den Nazis gemeinsame Sache machten, wenn es gegen die "Sekten" ging. Kardinal Michael von Faulhaber schrieb am 5. Mai 1933 lobend:"Die Gottlosenbewegung ist eingedämmt, die Freidenker können nicht mehr offen gegen Christentum und Kirche toben, die Bibelforscher können nicht mehr ihre amerikanisch-kommunistische Tätigkeit entfalten." Vertreter der offiziellen Kirchen nahmen an den maßgeblichen Zusammenkünften von Ministerien und der Gestapo teil, in denen es um das Verbot der Bibelforscher ging.

Dr. Detlef G., Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme schreibt in "Die Standhaftigkeit der Zeugen Jehovas" (2004):"Mit Hintergrundberichten über die jeweiligen Glaubensgemeinschaften glichen die Kirchenbehörden den mangelnden sektenkundlichen Sachverstand auf staatlicher Seite aus, teilweise leisteten sie für die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und andere Verfolgungsinstanzen auch direkte Zuträgerdienste."

Die Bibelforscher hingegen versuchten sich anzubiedern. Die Watch Tower and Tract Society Magdeburg schrieb 1933 einen unterwürfigen Brief an Hitler, um ein drohendes Verbot zu verhindern - vergeblich.

Die Zeugen Jehovas bildeten in den Konzentrationslagern als einzige Weltanschauungsgemeinschaft eine eigene Kategorie und mussten einen lila Winkel tragen. Nach den Massenverhaftungen 1937 und vor Kriegsbeginn 1939 waren zwischen fünf und zehn Prozent der Häftlinge Zeugen Jehovas. Die SS wütete mit bestialischer Grausamkeit gegen die Bibelforscher. Diese wurden meistens isoliert und generell in Strafkompanien eingewiesen, weil sie sich im Gegensatz zu den politischen Häftlingen konsequent allem verweigerten, was ihnen ihr Glaube verbot, zum Beispiel den Hitlergruss zu zeigen oder an der Produktion von Waffen mitzuwirken. Im KZ Sachsenhausen starben im Winter 1939/49 130 Zeugen – sie wurden bis zum Eintritt des Todes mit einem Wasserschlauch auf die Brust gespritzt oder mussten durchnäßt im Frost im Freien stehen, bis sie erfroren. Solidarität zeigten die Zeugen jedoch nur innerhalb ihrer Gruppe, sie lehnten es ab, am Lagerwiderstand teilzunehmen. Auch eine Flucht kam für sie nicht in Frage, da das ihrer Ansicht nach eine Auflehnung gegen die göttliche Vorsehenung war. Heinrich Himmler, der "Reichsführer-SS" erteilte im Januar 1943 den Befehl, die Bibelforscher in den Konzentrationslagern an Punkten einzusetzen, an denen sie mit Krieg nichts zu tun hatten. "Jede Strafe ist für sie ein Verdienst im Jenseits. Deshalb wird sich jeder echte Bibelforscher ohne weiteres hinrichten lassen und ohne weiteres sterben." Eugen Kogon schreibt in seinem berhmten Buch "Der SS-Staat" dass die SS psychologisch mit dem Problem der Bibelforscher nicht ganz fertig wurde.

Während des zweiten Weltkrieges wurden ca. 250 Bibelforscher hingerichtet, die meisten durch die Guillotine in den Zuchthäusern Berlin-Plötzensee, Brandenburg-Gröden und Halle, weil die konsequent den Kriegsdienst mit der Waffe verweigerten. Sogar den Sanitätsdienst lehnten sie als "faulen Kompromiss" ab. Insgesamt wurden in Deutschland in der Zeit der Nazi-Herrschaft rund 10.000 Zeugen Jehovas verhaften, mehr als 3.000 kamen in ein Konzentrationslager, rund 1500 wurden ermordet.

In der DDR verschwieg man das Schicksal der Bibelforscher unter der Nazi-Herrschaft. Die Gemeinschaft wurde 1951 verboten. Hans-Hermann D. schreibt: "In einer Dokumentation des Ministeriums für Staatssicherheit aus dem Jahr 1979 heisst es, die Maßnahmen gegen die Bibelforscher sei keine Verfolgung um des Glaubens." Diese begängen vielmehr "staatsfeindliche Handlungen", "antidemokratische Hetze" sowie "feindliche Nachrichtentätigkeit". Mindestens 50 Zeugen Jehovas starben in den Haftanstalten der DDR.

Und was jetzt? Das Urteil von Berlin ist der Anfang vom Ende der christlichen Vorherrschaft in Deutschland. Und das ist auch gut so. Jetzt werden auch die Mormonen, Mennoniten und Muslime auf die Idee kommen zu klagen. Und dann wimmelt es in den Schulen von Religionslehrern der merkwürdigen Art, die alle die jeweilige Verehrungsform höherer und weniger höherer Wesen mit staatlichem Segen in die Köpfe der Schüler trichtern wollen. Bis endlich jemand auf die Idee kommt, das religiöse und abergläubische Pack ganz aus der Schule zu jagen, wie es in säkularen Ländern wie Frankreich schon seit der französischen Revolution ist.

Religion darf totaler Unsinn sein, der Staat hat sich nicht einzumischen. Der Religionssoziologe Günter Kehrer schrieb 1997 in einem brillianten und zynischen Artikel: "Es wird eingewendet, das Glaubenssystem der Scientology enthalte irrationale, ja unsinnige Sätze. Ich kann dies sofort unterschreiben, erlaube mir aber zu fragen, ob dies nicht für alle Religionen gilt. Wer unbefangen den zweiten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses liest, wird sich nicht zu dem Urteil hinreißen lassen, daß hier die Spitze möglicher Rationalität erreicht sei." Wenn die Bibelforscher sagen, alle, die ihre Ideen nicht übernähmen, würden in Harmagedon vernichtet, ist das ungefähr so rational wie die jungfräuliche Zeugung oder die Himmelfahrt Marias.

Hans Goldmann, der kirchenpolitische Sprecher der FPD, schießt jedoch den sektenpädagogischen Vogel zum Thema ab: "Ebenso wichtig ist die Vermittlung von Werten in den Familien und in den Schulen, um die Jugend gegen die Verführung durch Sekten zu immunisieren." Halleluja. Dieses wundervolle Rezept hilft bekanntlich auch Drogen, gegen Gewalt, gegen den berühmt-berüchtigen Rechtsextremismus, gegen Hooliganismus, gegen Kommunismus, Philo- und Antisemitismus, Homosexualität, allgemeinen Kulturpessimismus und den Weltuntergang.

Sektenexperte Fincke warnt: "Jedes soziale Gefüge birgt die Gefahr zu versekten." Hört, hört, liebe wohlwollenden Leserinnen und geneigte Leser, das gilt auch für dieses kleine familien- und frauenfreundliche Forum, in dem permanent und brachialpädagogisch Werte vermittelt werden, dass es nur so kracht.

Originaltext, mit den darin auch enthaltenen Linkverweisen

Parsimony.13289

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http://www.youtube.com/watch?v=3JoGpJLhoIw&feature=mfu_in_order&list=UL

"Erwachet!" 8. März 1974
Rubrik: "Wir beobachten die Welt" (S. 30)

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