Re: Frankreich (2)


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 11. März 2002 05:27:39:

Als Antwort auf: Frankreich geschrieben von Drahbeck am 11. März 2002 02:42:18:

Was ist zu Frankreich noch zu sagen? Dazu ein paar Zitate aus dem 1980-er ZJ-Jahrbuch mit dem dortigen Frankreich-Bericht. In ihm findet sich auch der Satz:

"Insgesamt gesehen, ist Frankreich ein katholisches Land."
Ergänzend wird hinzugefügt:
„Ein Phänomen, das in allen westlichen Ländern zu beobachten, aber in Frankreich besonders auffällig ist, ist die Abkehr der Masse des Volkes von den religiösen Gruppen."
Also der nach der orthodoxen Kirche (Beispiele: Georgien oder Griechenland) potenteste religiöse Gegner der Zeugen Jehovas - eben die katholische Kirche - wird für Frankreich als relativ dominierend geschildert. Und das von "religiösen Gruppen" abgekehrte (nicht zuletzt die gemäß weltlichen Maßstäben gebildeteren Kreise), keine sonderliche "Sympathie" für die Zeugen Jehovas haben, versteht sich eigentlich von selbst.

Auch geschichtlich gesehen hatte Frankreich für die WTG einen schweren Start. Dazu vermerkt das genannte Jahrbuch:
"1924 waren in Frankreich beim Gedächtnismahl insgesamt 557 Brüder anwesend, darunter 300 in Elsaß-Lothringen" Letzteres ist aber der deutschsprachige Teil in Frankreich.

Noch gravierender ist die Aussage:
"Im Juli 1925 wurde Bruder Binkele, der Leiter des „Zentraleuropäischen Büros", aus gesundheitlichen Gründen von Bruder Zaugg abgelöst. Im darauffolgenden Jahr wandte sich Binkele gegen die Gesellschaft und gründete eine eigene Sekte, die er „Die freien Bibelforscher" nannte. 1926 wurde Bruder Zaugg von Bruder Martin Harbeck abgelöst, den Bruder Rutherford aus Brooklyn schickte. Bruder Zaugg gab den Vollzeitdienst auf und verließ schließlich die Wahrheit."

Also führende für Frankreich zuständige Funktionäre (davor schon F. L. A. Freytag) gerieten früher oder später mit der WTG in Konflikt.

So wird den weiter vermerkt:
"Von den 1 138 Personen, die 1926 in Frankreich beim Gedächtnismahl anwesend waren, stammten 518 aus der polnischen Bevölkerung. Und von den 34 Versammlungen, die es in jenem Jahr in Frankreich gab, waren 12 deutschsprachig (in Elsaß-Lothringen), 12 polnischsprachig und 10 französischsprachig." Also auch diese Angabe verdeutlicht den relativ schweren WTG-Start bei den eigentlichen Franzosen.

Der nächste Schlag:
"Mitte Oktober 1939, etwa sechs Wochen nach Kriegsausbruch, wurde die Organisation der Zeugen Jehovas in Frankreich verboten."
Und so konnte die WTG im Oktober 1945 (als der zweite Weltkrieg zu Ende war), in Frankreich erst 2003 "Verkündiger" registrieren.
Der folgende Schlag:

"Ende Dezember 1952, erschien in der Presse die Mitteilung, daß die Zeitschrift Der Wachtturm verboten worden sei. Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe.
Auf Anraten des Leiters der Sicherheitspolizei verbot der Innenminister die Verbreitung und den Verkauf des Wachtturms in ganz Frankreich und in den französischen Territorien. Als Grund für das Verbot wurde angegeben, daß Der Wachtturm junge Männer aufhetze, den Militärdienst zu verweigern."
Erst 1975 wurde das Wachtturm-Verbot wieder aufgehoben. Also doch relativ spät.

Bezüglich der Wehrdienst-Problematik wird ergänzend noch angemerkt:
"Da es in Frankreich kein Gesetz gibt, das Predigern die Befreiung vom Militärdienst gewährt, waren einige junge Zeugen schon nahezu 10 Jahre im Gefängnis. General de Gaulle veranlaßte, daß diejenigen freigelassen wurden, die schon fünf und mehr Jahre im Gefängnis saßen. Später verkürzte seine Regierung die Gefängnisstrafen, die unsere Brüder erhielten, auf die doppelte Länge der regulären Wehrdienstzeit. Das bedeutete, daß, wenn junge Franzosen für 18 Monate zum Militärdienst einberufen wurden, unsere Brüder eine dreijährige Gefängnisstrafe erhielten. Das war weit besser als vorher, als unsere Brüder mit 20 Jahren ins Gefängnis kamen und keine Vorstellung davon hatten, wann sie wieder frei sein würden."

Politisch ist zu Frankreich noch hinzuzufügen. Deutschland verlor bereits als Folge des ersten Weltkrieges seine vormaligen Kolonien. Frankreich erlitt diesen quälenden Prozeß erst nach dem zweiten Weltkrieg. Stichwort: Algerienkrieg; Stichwort: Fremdenlegion mittels derer Frankreich noch versuchte das unaufhaltsame, doch aufzuhalten. Stichwort Vietnam, dessen Krieg dann die USA von Frankreich übernahmen und fortsetzten und anderes mehr.

Zieht man noch die Große Französische Revolution von 1789/94 in die Betrachtung mit ein, die durchaus gewaltige antireligiöse Impulse freisetzte. Später zwar wieder abgeschwächt, nichts desto trotz, dennoch eine frühzeitigere Säkularisierung bewirkend und damit die "Fleischtöpfe" für die Kirchen weit höher hängend, als anderswo in Europa, wird vielleicht die derzeitige Rigorosität die Frankreich im Falle der Zeugen Jehovas an den Tag legt, etwas verständlicher.

Etwas zu verstehen, bedeutet aber noch lange nicht, dass man die diesbezügliche Politik auch als richtig und sinnvoll einschätzt!


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