Geschrieben von Jochen am 10. Februar 2007 14:36:55:
Als Antwort auf: Gefunden geschrieben von Jochen am 10. Februar
2007 11:25:07:
..erschien am 13. 1. 07 in der HN.
Die Gerichte haben uns am Ende immer Recht gegeben
Interview Zeugen Jehovas über ihr Verhältnis zum Staat, das Selbstverständnis, richtige
und falsche Behauptungen und eigene Fehler
Sie stehen mit den Zeitschriften Erwachet und Wachtturm an
einer Straßenecke oder klingeln zu zweit an der Haustür: Zeugen Jehovas. Wer sind sie?
Sektenbeauftragte der Bundesländer und Kirchen haben sie lange Jahre stark kritisiert.
Dabei wurde auch Falsches behauptet, wie Gerichte den Zeugen Jehovas bescheinigt haben.
Bundesrichter wie auch etliche Religions- und Politikwissenschaftler sehen im Umgang mit
so genannten Sondergruppen einen Prüfstein für die Religionsfreiheit in Deutschland. Die
Verleihung der Körperschaftsrechte im Juni hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung für
die deutsche Religionslandschaft. Im Gespräch mit Gernot Stegert hat Werner
R.,
Vorstandssprecher der Zeugen Jehovas in Deutschland, in der Zentrale im hessischen Selters
Rede und Antwort gestanden.
Im Sommer wurde Ihnen in Berlin die Urkunde zur Verleihung der Körperschaftsrechte
überreicht. Was bedeutet Ihnen das?
R.: Vordergründig haben wir erreicht, was wir in einem 15 Jahre andauernden Streit
angestrebt haben: Körperschaft des öffentlichen Rechts zu werden. Eigentlich wir ja, wir
wären bereits Körperschaft, aus dem Überleitungsgesetzt der DDR heraus. So hatte uns
das die DDR-Regierung bestätigt. Doch der Berliner Senat hat diese Auffassung nicht
geteilt. Nun aber sind wir froh, die Bestätigung zu haben, dass wir von unserer Größe,
der Gewähr der Dauer und der Rechtstreue von der Möglichkeit des Grundgesetzes Gebrauch
machen können.
Als Körperschaft haben sie etliche Rechte. Welche wollen Sie nutzen? Den
Religionsunterricht an öffentlichen Schulen?
R.: Den werden wir ziemlich sicher nicht geben wollen. Denn Kinder sollten ihr
religiöse Erziehung in erster Linie durch ihre Eltern erhalten.
Kirchensteuer?
R.: Auch davon werden wir keinen Gebrauch machen. Die ersten Christen haben die
Evangelisierungsarbeit Jesu und später der Apostel stets freiwillig unterstützt.
Befreiung von Steuern?
R.: Das werden wir prüfen. Die Körperschaft ist ja unsere geistlich-religiöse
Struktur zuständig. Unsere Druckprodukte werden von der Wachtturm-Gesellschaft
hergestellt. Sie ist ein gemeinnütziger Verein und daher nur teilweise steuerpflichtig,
was zum Beispiel die Mehrwertsteuer betrifft.
Müssen Sie gewerbliche Zweige organisatorisch ausgliedern?
R. der Apostel Paulus das im Brief an die Römer formuliert hat: Jede Seele sei dem
Staat untertan. Mit einer Klammer: Wenn etwas verlangt würde, was im Gegensatz zu Gottes
Gesetzen steht. Dann muss man Gott mehr gehorchen als den Menschen. Das ist aber in der
Bundesrepublik nicht der Fall. Das war jedoch untere Hitler und Stalin so.
Nehmen wir ein paar Beispiele. Zeugen Jehovas leisten keinen Wehrdienst. Das ist immer
noch so?
R.: Das ist nach wie vor auf der ganzen Erde so. Beim Zivildienst ist es jedem
einzelnen überlassen.
Dürfen Zeugen Jehovas Beamte sein?
R.: Ja, schon immer.
Zeugen gehen nicht zur Wahl und dürfen nicht Mitglied einer Partei sein. Warum nicht?
R.: Weil sie sich neutral verhalten möchten. Jesus hat seine Jünger gelehrt, sie
sollten kein Teil der Welt sein.
Auf der anderen Seite zahlen Zeugen Jehovas Steuern und nehmen die Schulpflicht wahr.
Richtig?
R.: Ja, da gibt es auch keine Ausnahmen.
Insgesamt sind Sie auf Distanz zum Staat. Müssen Sie neben den Rechten nicht mehr
Pflichten wahrnehmen?
R.: Wir sind nicht auf Distanz, wir wollen neutral bleiben. Wir engagieren uns auf
andere Weise für die Allgemeinheit indem wir von Haus zu Haus gehen und biblische
Lebensgrundsätze erklären.
Wie sehen Sie die Sektenbeauftragten der Bundesländer und Kirchen?
R.: Mit einigen kann man sich sehr sachlich unterhalten. Bei anderen merkt man, dass
sie mit sehr vielen Vorurteilen und gewissen Unkenntnissen beladen sind. Während unseres
Körperschaftsprozesses waren einige Sektenbeauftragte sehr aktiv. Doch die Gerichte haben
uns am Ende immer Recht gegeben.
Was sind denn die wichtigsten Punkte, die Ihrer Meinung nach gerade gerückt worden
sind?
R.: Vor allem, dass uns bescheinigt wurde, dass wir rechtstreu sind. Uns hat es auch
gefreut, dass eine Diskussion darüber ausgelöst worden ist, ob Mitglieder einer
Religionsgemeinschaft staatsloyal sein müssen. Dies kann laut Bundesverfassungsgericht
nicht erwartet werden. Auch ist gerichtlich geklärt, dass Eltern von Zeugen Jehovas ihren
Kindern die beste medizinische Behandlung ermöglichen. Wir nutzen alle
Behandlungsmethoden aus, die ohne Bluttransfusion machbar sind, und haben weltweit ein
Netz von Medizinern aufgebaut, die in der Anwendung von medizinischen Alternativen zur
Bluttransfusion erfahren sind. Im gegenwärtigen gesetzlichen Rahmen wird kein Kind von
Zeugen Jehovas sterben, weil dessen Eltern eine Bluttransfusion ablehnen.
Kann man denn Operationen ohne Transfusionen durchführen?
R.: Ja, ziemlich alle.
Gibt es sonst etwas Medizinisches, das Zeugen Jehovas nicht machen?
R.: Nein, auch Transplantationen und Spenden von Organen unterliegen der persönlichen
Entscheidung eines jeden Einzelnen.
Welche Vorstellungen von Mann und Frau leiten Sie?
R.: Wie es die Bibel vorgibt: Der Mann ist das Haupt. Auch im Flugzeug oder auf dem
Schiff ist ja nur einer Kapitän. Beide sind von Gott geschaffen und gleichwertig.
Zeugen Jehovas feiern weder Geburtstag noch Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Warum
nicht?
R.: Von diesen Festen steht nichts in der Bibel. Tannenbaum, Ostereier usw. sind
später eingeführte heidnische Bräuche. Auch Geburtstagsfeste kannten die ersten
Christen nicht.
Warum kommen Leute zu Ihnen?
R.: Die einen suchen Halt und Hoffnung. Das Verbindliche im zwischenmenschlichen
Bereich und die klaren Aussagen kommen gerade bei jungen Menschen sehr gut an. Andere
kommen aus den eigenen Reihen der Familien, die Kinder.
In der Öffentlichkeit herrscht das Bild, dass eher untere soziale Schichten dabei
sind. Tragen dazu nicht die Menschen in Fußgängerzonen bei?
R.: Zeugen Jehovas sind in allen gesellschaftlichen Schichten vertreten. Wir schämen
uns für keinen unserer Brüder. Aber wir haben unseren Brüdern und Schwestern empfohlen,
nicht nur die Zeitschriften stumm hochzuhalten sondern Gespräche zu suchen.
Wie freiwillig ist dieser Dienst?
R.: Völlig freiwillig. Auch der Predigtdienst an den Haustüren ist absolut
freiwillig. In Glaubensfragen kann man niemanden zwingen.
Da wird auch keine Statistik geführt?
R.: Es gibt keine Kontrollen.
Sie leben hier in Selters als Orden und autonom. Warum?
R.: Das ist nur teilweise so. Was wir in Eigenregie machen, ist wirtschaftlicher.
Unser Fuhrpark etwa ist günstiger als eine Spedition. Hier in unserem Zweigbüro sind
1000 Leute. Davon ist keiner Angestellter, jeder bekommt 130 Euro Taschengeld, vom
Servierer im Speisesaal bis zum Vorstandsmitglied. Dafür ist für Wohnen, Essen und alles
Weitere gesorgt.
Wie sieht die Altersversorgung aus?
R.: Wenn ich hier bleibe, bin ich versorgt. Wir haben eine Pflegestation. Wenn jemand
den Orden verlässt, dann zahlen wir alles in die staatliche Rentenversorgung nach.
Wie finanzieren Sie sich?
R.: Ausschließlich über Spenden und Nachlässe.
Wie ist die Mitgliederentwicklung?
R.: In Deutschland zur Zeit gleich bleibend.
Sie schließen Mitglieder aus. Wann und warum?
R.: Wenn jemand willentlich biblische Gesetze übertritt und diese Tat nicht bereut.
Die Übertretung selbst führt noch nicht zum Gemeinschaftsentzug.
Welche Verfehlungen sind das?
R.: Beispiele sind Töten, Stehlen, Verleumden, Alkoholismus und grobe sittliche
Verfehlungen.
Gibt es Kontaktverbote zu Ausgeschlossenen oder Ausgetretenen?
R.: Das kann man so generell nicht ausdrücken. Wenn es Ehepartner, Kinder oder Eltern
sind, dann wird der Kontakt bestehen bleiben. Wenn keine Beziehungen da sind, respektieren
wir seine Einstellung und meiden den Kontakt. Aber da gibt es keinen Zank und kein Verbot.
Pflegen Sie Kontakte zu christlichen Kirchen, zu Juden oder Muslimen?
R.: Über die Eins-zu-eins-Beziehung an der Haustür.
Was sind die Kernaussagen des Glaubens der Zeugen Jehovas?
R.: Gott hat einen Namen, das ist persönlicher. Und Jehova ist die älteste Form.
Eine andere wichtige Lehre ist, dass wir an das ewige Leben auf der Erde glauben. Wir
glauben, dass wir seit 1914 in der Zeit des Endes leben.
Sie haben mehrfach Daten genannt zuletzt 1975. Doch es kam immer anders. Wie
gehen Sie damit um`
R.: Das war der Eifer unserer Erwartung. Jehova rechnet offenbar anders. Dazu stehen
wir auch.
Nur 144 000 Menschen werden in Himmel mit Christus herrscht? Das sind
weniger als es Zeugen Jehovas gibt. Was ist mit den anderen?
R.: Die 144 000 regieren mit Jesus Christus in seinem himmlischen Königreich. Die
Übrigen, die Gottes Willen tun, leben dann paradiesähnlich auf der Erde.
Parsimony.21049
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