Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Franz Graf Stuhlhofer

Franz Graf-Stuhlhofer (früher nannte er sich nur Franz Stuhlhofer), ist bereits 1990 durch eine (inzwischen vergriffene und nicht mehr lieferbare) Buchpublikation mit dem Titel: "Charles T. Russell und die Zeugen Jehovas. Der unbelehrbare Prophet" in Erscheinung getreten. Historisch interessierten, insonderheit solche, die auch mal in speziellen historischen Zeitschriften mit großem Rezensionsteil blättern, können den Namen Stuhlhofer auch gelegentlich registrieren. So in der "Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" - seinerzeit d a s DDR-Publikationsorgan für Historiker, die (ein relatives Novum) die "Wende" überlebte und noch heute existiert, trotz der etablierten "alt-Bundesrepublikanischen" Konkurrenz. Im Impressum dieser Zeitschrift wird denn auch immer darauf verwiesen, man nehme nur Originalbeiträge an; jedoch keine auch andernorts angebotenen Beiträge. Wie gesagt, in dieser Zeitschrift tauchte Stuhlhofer schon gelegentlich mit auf. Die dortigen Beiträge haben naturgemäß keinen Zeugen Jehovas-Bezug.

Also der Historiker Stuhlhofer hat nun in einer anderen historischen Zeitschrift vor einiger Zeit einen Beitrag veröffentlicht, auch mit Zeugen Jehovas-Bezug.

in "Österreich in Geschichte und Literatur" 44. Jg. 2000 Heft 2 (305). Die Gesamtüberschrift dazu lautet "Täuferkirchen in der Ostmark" und die Zeugen werden darin nebst anderen mit erwähnt.

In der Sache bringt er zwar (ZJ-bezogen) nicht unbedingt wesentlich neues. Aber interessant erscheinen mir namentlich seine Wertungen.

Weshalb? Aus dem Grunde, weil in der "Nach-Garbe-Zeit" es eine Reihe von Publizisten gab (Schaefer-Stahl will deren Zahl gar auf 25 quantifizieren) die sich mehr oder weniger durch eine selektiv bis unkritisch zu nennende Darstellungsform der Zeit 33-45 kennzeichnen.

Nun mag man - vielleicht - Verständnis dafür haben, dass jemand, dem die ZJ-Beschäftigung, den Job eines Leiters einer KZ-Gedenkstätte einbrachte, dass der nicht sonderliches Interesse daran hat, kritische Akzente die Zeit 33 bis 45 betreffend, zu artikulieren.

Ich sage es klar. In diesem Punkt trennt mich einiges von Detlef G., was nicht ausschließt, gewisse Details seiner Forschungen auch interessant zu finden. Nicht "interessant" hingegen finde ich die zu registrierende Tendenz zur Glorifizierung der ZJ-Geschichte 33-45.

Dies ist meine grundsätzliche Kritik. Unter diesem Gesichtspunkt ist es für mich schon interessant zu sehen, wie denn nun Stuhlhofer die diesbezüglichen Aspekte angeht. Nachstehend dazu einige Zitate aus seinem Aufsatz, die sich meines Erachtens wohltuend von G. abheben:

Die vereinfachende Zweiteilung in Nationalsozialisten einerseits und Widerstandskämpfern andererseits vernachlässigt die dazwischenliegende überwiegende Mehrheit. Die Zweiteilung in Opfer und Täter übersieht die Komplexität menschlichen Daseins, das manche Täter gleichzeitig zu Opfern werden lässt - und umgekehrt. …

Die Wichtigkeit zwischen Leitung einerseits und Anhängern andererseits zu unterscheiden, lässt sich bei den Zeugen Jehovas zur NS-Zeit besonders gut veranschaulichen.

Die ursprüngliche Grundhaltung war bei den verschiedenen christlichen Gruppen durchaus vergleichbar. Wie die anderen christlichen Gemeinschaften bemühten sich auch die Zeugen Jehovas anfänglich um einen "modus vivendi" mit dem nationalsozialistischen Regime und waren zu Zugeständnissen bereit. Das zeigt sich vor allem an der berüchtigten, bei einem Kongress am 25. Juni 1933 von mehreren tausend Zeugen Jehovas beschlossenen "Erklärung", worin "die hohen Ideale, die sich die nationale Regierung zum Ziel gesetzt hat und die sie propagiert", seitens der Wachtturmgesellschaft … bejaht wurden. Erst als klar wurde, dass dieses Entgegenkommen keinen Erfolg brachte, stellte sich die WTG um. Nun wurde in Publikationen international und in Deutschland auf diese Unterdrückung der Bibelforscher hingewiesen. Vielleicht hoffte der WTG-Präsident Rutherford, durch weltweites Bekanntmachen dieser Leiden Druck auf Hitler ausüben zu können, sodass dieser die Tätigkeit der Zeugen Jehovas im eigenen Land wieder toleriere. Dass dieses Vorgehen insbesondere für die deutschen Bibelforscher mit hohem Risiko verbunden war, musste Rutherford klar sein. Wenn er dennoch erwartete, dass seine deutschen Anhänger Schriften verbreiteten, in denen die nationalsozialistische Regierung kritisiert wurde, so ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass Rutherford das Leiden der deutschen Gefolgsleute - gewissermaßen als "Bauernopfer" - bewusst in Kauf nahm, um in anderen Ländern umso wirksamer auf die eigene Bewegung hinweisen zu können. Es entsprach einer Strategie Rutherfords, nicht nur das Martyrium eigener Anhänger zur Propaganda einzusetzen, sondern solches Martyrium mitunter auch zu provozieren. Jedenfalls war es für den im sicheren New York sitzenden WTG-Präsidenten Rutherford leicht, kämpferische Schriften zu verfassen und zu konsequenter Wehrdienstverweigerung aufzufordern - er persönlich trug keinerlei Risiko. Ist eine solche - gegenüber der eigenen Anhängerschaft! - rücksichtslose Leitung als vorbildlich einzuschätzen? Oft wird ja gerade die radikale NS-Gegnerschaft der Zeugen Jehovas positiv hervorgehoben - gegenüber dem insgesamt eher vorsichtigen, mögliche Konsequenzen für den einzelnen Katholiken abwägenden Kurs der römisch-katholischen Hierarchie.

Ein Blick auf die Leitung gibt eine Parallele frei, dir angesichts der in KL. leidenden Zeugen Jehovas leicht übersehen wird, eine Parallele zwischen "dem Führer" und dem WTG-Präsidenten: Die ZJ-Anhängerschaft wurde zu blindem Gehorsam gegenüber den Anweisungen des WTG-Präsidenten erzogen, sodass ein Teil bereit war, das eigene Leben einzusetzen. In ihrem Führungsverständnis waren sich also Hitler und Rutherford durchaus ähnlich! Ein besonderes Druckmittel zum Gehorsam war die wiederholte Betonung des unmittelbar bevorstehenden endzeitlichen Krieges Gottes … in dem alle Menschen außerhalb der rettenden Organisation Gottes (= gehorsame Anhänger) vernichtet werden. Wenn sich das bisherige Leben ohnehin dem Ende näherte, mag es dem Zeugen Jehovas günstiger erschienen sein, die kurze noch verbleibende Zeit in Gefangenschaft durchzuleiden, anstatt diesem Leiden auszuweichen und der Vernichtung entgegenzugehen. Das eschatologische Verständnis der ZJ führte sie zu einer staatsdistanzierten Haltung, meinten sie doch, im bereits gegenwärtigen Anbruch des Gottesreiches sich zu diesem bekennen und demzufolge von allen politischen Mächten Abstand halten zu müssen. So wundert es nicht, dass die ZJ in vielen Ländern der Erde Konflikte mit der Staatsmacht hatten, auch in manchen demokratischen Ländern (insbesondere während der Präsidentschaft des kämpferischen Juristen Rutherford, 1917 - 1942). Der Konflikt mit Hitler war also nichts Einzigartiges und kann nicht auf eine spezifisch antinationalsozialistische Einstellung der ZJ zurückgeführt werden.

Der nächste (knappe) Absatz der Studie von Stuhlhofer thematisiert das Verhältnis Rutherford zur katholischen Kirche. Obwohl Stuhlhofer hier nicht sonderlich "ausführlich" ist, glaube ich jedoch pauschal feststellen zu können, dass ich hier einiges doch anders sehe. Stuhlhofer vermerkt in einer Fußnote bezüglich eines 1999 erschienenes Buches; es seinerseits, thematisiere zwar auch das Verhältnis ZJ - Schweiz; nicht jedoch zu Österreich. Vordergründig mag dies so sein. Im Detail hätte aber gerade die Auseinandersetzung mit dem Österreicher Hans Jonak v. Freyenwald in diesem Buch, Stoff genug geboten, um sowohl Österreich als auch die katholische Kirche, diesbezüglich namhaft machen zu können.

Aus einem weiteren Abschnitt von Stuhlhofer sei noch zitiert:

Nicht nur zwischen Leitung und Anhängerschaft ist zu differenzieren, sondern auch innerhalb der Anhängerschaft. Unter extremen Belastungen scheiden sich die "radikalen Anhänger" von "gemäßigteren" - diese bildeten bei den Bibelforschern die Mehrheit. … Die ein Konzentrationslager durchmachenden radikalen Zeugen Jehovas waren nicht "die Zeugen Jehovas", sondern ein kleiner, ungefähr ein Zehntel ausmachender Bruchteil davon. Die "gemäßigte" Mehrheit zog sich entweder sofort nach dem ersten Verhör zurück und leistete gegebenenfalls auch den Wehrdienst. Die Historiker der Konzentrationslager beschäftigen sich also lediglich mit der besonders hingegebenen, gehorsamen "Elite" der Zeugen Jehovas. G. schätzt, dass es am Beginn der NS-Zeit ca 25tausend deutsche ZJ gab; etwa die Hälfte von ihnen dürfte zumindest einmal verhaftet worden sein, von diesen kamen über 2000 in ein KL. In diesen in ihrer ungefähren Größenordnung nunmehr gesicherten Zahlen liegt vielleicht das wichtigste Ergebnis G.s.

Beachtlich auch seine in einer Fußnote verpackte Gesamteinschätzung:

Insofern könnten die Zeugen Jehovas als Illusionisten angesprochen werden; solche wirken zwar sympathischer als Opportunisten, aber nicht unbedingt ‚bewunderungswürdig'. Wichtig ist ja nicht bloß, dass jemand gemäß seiner Überzeugung handelt (das taten auch viele Nationalsozialisten!), sondern auch der Inhalt seiner Überzeugung

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