Re: 1. 12. 1955 (Vor fünfzig Jahren)


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 01. Dezember 2005 07:29:05:

Als Antwort auf: Re: 22. 11. 1955 (Vor fünfzig Jahren) geschrieben von gert am 22. November 2005 14:21:13:

Verpackt in die Rubrik sogenannter "Fragen von Lesern", verkündet der "Wachtturm" in seiner Ausgabe vom 1. 12. 1955 eine weitere Verschärfung seiner Exkommunikationspraxis.
Da lässt man laut WT anfragen:
"Was hat zu geschehen, wenn ein Verkündiger es ablehnt, den Umgang mit einer Person abzubrechen, der die Gemeinschaft entzogen worden ist? Ich meine damit nicht ein Glied derselben Familie, das im gleichen Haushalt wohnen muß, sondern jemand, der behauptet, er könne mit der Person, die hinausgetan wurde, weiteren Umgang haben, wobei er vielleicht vorbringt, der Gemeinschaftsentzug sei zu Unrecht erfolgt."

In seiner Antwort lässt der WT dann wissen:
"Wenn ein Verkündiger dies nicht tun will, und er das Verbot des Umgangs mit einer Person, der die Gemeinschaft entzogen wurde, außer acht läßt, so ist dieser Verkündiger widerspenstig gegen die Versammlung Jehovas, und Widerspenstigkeit ist wie die Sünde der Wahrsagerei und der Eigenwille wie Abgötterei..."

Und als Abschluss der Ausführungen kommt der zu erwartende Inquisitionsfeuer, angezündet von der WTG:
Man lässt wissen:
"Wenn nach genügender Warnung der Verkündiger darauf beharrt, sich mit der Person, der die Gemeinschaft entzogen wurde, zu verbinden, statt in den Reihen der Organisation Jehovas zu bleiben, sollte auch ihm die Gemeinschaft entzogen werden."

Soweit die Theorie. Die Praxis dazu, kann man als einem von vielen Beispielen auch an dem Fall der La Toya Jackson ablesen, die da aus ihrem Erleben berichtete:

"Da wir nur Freundschaft mit Glaubensbrüdern schließen durften, lernten Michael (Jackson) und ich (La Toya Jackson) in der Privatschule, die wir … besuchten, kaum Mitschüler kennen. Wir freundeten uns mit einem Mädchen an, dass auch bei den Zeugen Jehovas war. Dorles wurde meine erste und einzige Freundin außerhalb der Familie. Jeden Tag nach dem Mittagessen lasen wir zusammen die Bibel und wir gingen auch gemeinsam in den Königreichssaal.
Während einer Versammlung forderte Dorles mutig einen der sogenannten 'Altesten' heraus. 'Warum werde ich gerettet und meine Eltern nicht?' fragte sie unbefangen. 'Auch wenn sie keine Zeugen sind, sind sie doch sehr gute, liebe Menschen.' Die Antwort des Ältesten war typisch. Er zitierte die Schriftstelle, die seinen Standpunkt untermauerte, aber er ging im Grunde nicht auf Dorles Frage ein. …
Eines Tages fing mich Rebbies Ehemann Nathaniel ab, der auch zu den Ältesten gehörte. 'La Toya', sagte er, 'Du darfst nie wieder mit Dorles sprechen. Nie wieder.' 'Aber warum denn?' 'Sie ist ausgeschlossen worden.' Wer aus der Glaubensgemeinschaft hinausgeworfen wird, musste von Stund an gemieden werden."

Zum Thema kann man auch noch vergleichen:
Wachtturm vom 15. 1. 1953

Noch ein anderes Beispiel sei genannt, über das Günther Pape in seinem Buch „Ich klage an. Bilanz einer Tyrannei" berichtet. Letzterer schreibt (S. 186f.):
„In der Bundesrepublik wollte Erich Jüstel, der seit über 40 Jahren ein Zeuge Jehovas und Ältester einer Süddeutschen Versammlung war, seinen "Brüdern" in der Wachtturm-Führung ebenfalls mit seinen Forschungsergebnissen helfen. Er hatte sich mit dem Schöpfungsbericht der Bibel nach Genesis l, der nach der Wachtturm-Lehre 6 mal siebentausend Jahre Zubereitung der Erde vom Chaos bis zum Eden Paradies umfaßt, beschäftigt.
Da er enge Beziehungen zu Altertumsforschern hatte, wollte er nachprüfen, ob der jeweilige Wandel in der Entwicklung der Erde in der von der Wachtturm-Gesellschaft angenommenen Zeit vor sich gehen könne. In seiner Ortsversammlung sprach er darüber mit seinen Glaubensbrüdern und bekam prompt Schwierigkeiten.

Da er mit Herrn P. und dem Ehepaar Konrad Franke in Selters sehr gut bekannt war - sie waren oft seine Gäste und hatten sehr großzügige Sachspenden von Jüstel erhalten, rechnete er mit deren wohlwollender Aufmerksamkeit. Er fuhr nach Selters und erklärte P. sein Vorhaben und berichtete über seine bisherigen Erkenntnisse.

Zurückgekehrt in seine Heimatversammlung wurde er vor ein Rechtskomitee geladen und ausgeschlossen, „weil er nicht in der Lehre Christi geblieben sei". Gegen diesen Ausschluß erhob er Einspruch, der dann vor einem größeren Komitee verhandelt wurde. Dessen Leitspruch war: „Gott wirke nur durch die Leitende Körperschaft und die Ältestenschaften der Wachtturm Gesellschaft."

An der unmenschlichen Behandlung zerbrach er geistig und körperlich. Unter großem zeitlichen und materiellem Einsatz hatte er in Treue zu dieser "Organisation Gottes", wie sich die Zeugen selbst nennen, gedient. Jeden Zweifler hatte er zurückgewiesen und in manchem Rechtskomitee Zweifelnden wegen Uneinsichtigkeit die Gemeinschaft entzogen. Und nun war er selbst angeklagt und ausgeschlossen worden. Keiner seiner ehemaligen Mitbrüder sprach mehr mit ihm. Er wurde bei Begegnungen in der Öffentlichkeit nicht mehr gegrüßt. Trotz des Rückhaltes in seiner Familie, überwandt er die ungeheure und schmerzhafte Enttäuschung nicht. Ein erster Schlaganfall warf ihn nieder, einen zweiten wenige Monate später überlebte er nicht.

Ich sehe ihn noch vor mir im Sessel sitzen. Nachdem er sich von dem ersten Schlaganfall etwas erholt hatte, hatte er mich mit seiner Frau besucht. Er konnte einfach nicht begreifen, wie seine "Brüder und Schwestern" mit ihm umgegangen waren


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