Markus Meyer

Bindungseffekte in 'gierigen Organisationen':
Inklusionsverhältnisse bei den Zeugen Jehovas
Diplomarbeit im Fachgebiet Organisationssoziologie
Gerhard-Mercator-Universität-GH-Duisburg; 135 Seiten
Duisburg, 1999

Die Themenstellung, der Meyer sich aus soziologischer Sicht widmet bringt er einleitend in der These zum Ausdruck: "Tatsächlich ist für alle sogenannten Sekten charakteristisch, dass es ihnen trotz zumeist hoher organisatorischer Anforderungen an die Mitglieder gelingt, diese fest an sich zu binden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass ungeachtet der Bestrebungen, die Mitglieder von der Umwelt zu separieren, diese zumeist weiterhin mit konkurrierenden Einflüssen aus der Umwelt, beispielsweise in Form von alternativen Weltanschauungen konfrontiert werden. Dies macht auf die Techniken und Mechanismen neugierig, die die 'Sektenorganisation' entwickeln muß, um längerfristige Mitgliedsbindungen sicherstellen zu können."

Der Autor differenziert in diesem Kontext zwischen "gierigen Organisationen" und "totalen Institutionen". Die Zeugen Jehovas bewertet er mit der ersteren Vokabel; während er den Begriff "totale Institutionen" auf "Gefängnisse, Arbeitslager, Psychiatrien und Waiserhäuser" angewendet wissen will.

Bei dem Versuch eine Antwort auf seine Fragestellung zu gewinnen, stützte er sich dabei auch auf einige Interviews mit aktiven, aber auch mit ehemaligen Zeugen Jehovas. Darüber hinausgehend referiert er im Abschnitt "Was macht eine 'Sekte' zur 'Sekte'?" auch einige prinzipiellere Feststellungen die er in sechs Punkten zusammenfasst. Nach Meyer sind dies.

1. Freiwillige Mitgliedschaft. Mit der Einschränkung: "Es besteht allerdings die Tendenz, dass Kinder unter Einfluss der Eltern durch Sozialisierungsprozesse in die Denkweisen der 'Sekte' eingeführt werden. Doch verhält es sich oft so, dass eine Sekte von ihrem Nachwuchs ein ebenso großes Maß von ausdrücklicher Einwilligung in ihre Grundsätze verlangt wie von den Eltern.
2. Elitäres Selbstverständnis. Die 'Sekte' geht davon aus, dass nur sie allein die Wahrheit besitzt, während alle anderen sich auf einem Irrweg befinden. Dies geht einher mit einer starken Vereinfachung der Welt, denn diese wird zweigeteilt in einen wahren und einen falschen Bereich bzw. in einen guten und einen bösen. Eine weitergehende Differenzierung der Welt findet nicht statt.
3. Würdigkeit. Nicht jeder kann der 'Sekte' beitreten, es gibt Aufnahmebedingungen. Die 'Sekte' will "ein Verein der religiös voll Qualifizierten" sein.
4. Exklusivität der Bindung. Die Anhänger dürfen keine anderweitige Bindung zu einer anderen religiösen, oft auch politischen Organisation eingehen.
5. Ausschluss der 'Unwürdigen'. Nicht-konforme Mitglieder werden als Unwürdige aus der 'Sekte' ausgestoßen.
6. Abschottung nach außen. Die Gruppe ist ein geschlossenes System mit starren Außengrenzen. Die Mitglieder kontrollieren und bestrafen sich gegenseitig.

In zwei Hauptthesen fasst er dass Ergebnis seiner Untersuchung zusammen. Als einen Bindungsmechanismus nennt er die soziale Anerkennung als Belohnung. Sie kann nur derjenige erhalten, der sich nachhaltig für die Zeugenorganisation aufopfert. Je höher der Grad dieser "sozialen Anerkennung" innerhalb der Organisation ist, um so weniger "Frei"zeit hat der Betreffende in der Regel noch. Er befindet sich in einer Tretmühle, die ein inne werden des eigenen Tun und Lassens kaum noch zulässt.

Die zweite These von Meyer ist, dass die Zeugen Jehovas-Organisation hochgradig mit offenen und unterschwelligen Angstmechanismen arbeitet und so ihren Bestand wahrt. Dazu äußert er:

"So genügt allein die Wahrnehmung des angeblich gefährlichen Gefühls, um diese Angst auszulösen und einen Verdrängungsmechanismus in Gang zu bringen und konformitätsförderndes Verhalten zu stimulieren. Nur der, der diese Angst bewältigen und psychisch verarbeiten kann, kann die Organisation unbeschädigt verlassen. D. h. derjenige, der die Organisation verlassen möchte, muss bildlich gesprochen durch ein von der Organisation gespeistes Meer von Angst schwimmen um ans andere Ufer zu gelangen, wobei nicht zu vergessen ist, dass die Organisation auch den direkten Zwang einsetzt um das Mitglied an die Organisation zu binden, denn die Organisation behält sich ja die Option vor, nicht konforme Mitglieder durch den sogenannten 'Gemeinschaftsentzug' aus der Organisation auszuschließen. Nochmals: die Angst wird erst durch die Organisationsstruktur im Wechselverhältnis mit den Glaubenslehren als Bindungsmechanismus erzeugt, d. h. sie ist in diesem Sinne nicht 'naturgegeben'."

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