„Westdeutschland war in zwölf
Bezirke aufgeteilt und ich erhielt den Bezirk 12, ehemals war das der Gau
Weser-Ems, als „Diener für die Brüder". Folgende Erklärung unterzeichnete
ich gern:
Magdeburg, den 20.9.1945
An die
Wachtturm-, Bibel- und Traktat-Gesellschaft
Brooklyn New York, USA
Deutsches Zweigbüro, Magdeburg.
Der Unterzeichnete erklärt hiermit: Aus reiner Liebe zu Jehova Gott und
seiner Theokratie habe ich den Wunsch, an dem Wirken der Gesellschaft zur
Ehre Jehovas und zum wahren Nutzen des Volkes teilzunehmen und betrachte
es als großes Vorrecht, dies tun zu dürfen, und meinen Dienst nicht als
der Gesellschaft geleistet, sondern als meinen wahren und schriftgemäßen
Gottesdienst.
Meine Mitarbeit ist eine völlig freiwillige und den Grundsätzen der
Gesellschaft entsprechend, eine unentgeltliche; auch dann, wenn meine
Arbeitskraft und Zeit weit über das in weltlichen Arbeitsabkommen
üblicherweise geforderte Maß hinaus beansprucht wird. ... Ich erkenne an,
keinerlei Ansprüche an die Gesellschaft zu haben und verzichte, auch für
die Zukunft, ausdrücklich darauf, irgendwelche Ansprüche aus meinem
Anstellungs bzw. Arbeitsverhältnis herzuleiten oder geltend zu machen."
Namentlich zum Verzicht auf jegliche Ansprüche, wäre noch hinzuzufügen.
Auch seine Biographie, sollte den im Jahre 1902 geborenen, dann noch einige
faschistische Gefängnis- respektive KZ-Aufenthalte bescheren.
Bezüglich seiner Ehefrau äußert er zwar:
„Lauterkeit mußten auch unsere
Frauen und unsere Kinder ... anlegen.
Oftmals war der Kampf für sie härter als für uns hinter dem Stacheldraht."
Diese Aussage soll dann ja nicht prinzipiell in Frage gestellt werden.
Indes ist in diesem Falle zu registrieren, seine Frau, auch Zeugin Jehovas,
blieb bis 1945 eine eigene Inhaftierung erspart.
Indes sind genügend Fälle bekannt, wo beide Eheleute von den Nazis in der
Zeugen Jehovas-Angelegenheit inhaftiert waren.
Er selbst hatte zwar auch schon frühzeitig Komplikationen mit dem Naziregime,
etwa seine 1934 erfolgte Entlassung aus dem Dienst der Reichsbahn. Diese
drohte dann noch weitaus gefährlichere Folgewirkungen zu zeitigen, nämlich den
Verlust seiner Dienstwohnung. Vielleicht hatte er aber dergestalt „Glück im
Unglück", als es ihm doch noch möglich wurde, eine andere Wohnung zu
ergattern. Das dieses als relativer Glücksumstand unter den obwaltenden
Bedingungen im Nazi-Deutschland gewertet werden muss, mag sein Bericht über
einen anderen seiner Glaubensgenossen verdeutlichen, über den er dann noch
berichtet:
„Da ihm jede Unterkunft im Dritten Reich verweigert wurde, baute er sich im Walde eine Höhle."
Seine eigene Haftzeit fing dann wohl im Jahre 1938 an (bis zum Ende des
Naziregimes). Die davor liegende Zeit, vermochte er sich, trotz einiger
Klippen, so halbwegs „durchzumogeln".
Immerhin war er dann etwa ab 1937 auch für die WTG Interessen als Kurier
tätig.
Weiter in seinem Bericht:
„Am 3. Juni 1938 hörte ich, dass
Fredi und Wilhelmshavener Brüder verhaftet worden waren. Da wusste ich,
dass auch unsere Tage der Freiheit gezählt waren. Später erzählte mir
Fredi, er wäre bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen worden. Da habe er
geredet. ...
Sie legten mir die Protokolle Fredis, der Westdeutschland mit leitete, der
Wilhelmshavener Brüder usw. vor. Ich war innerlich sehr beunruhigt. Was
darin stand, war wahr und für mich belastend."
Die Gestapo führt dann in seinem Fall eine Gegenüberstellung mit dem anderen Zeugen Jehovas durch, welcher bereits belastend über ihn ausgesagt hatte.
„Was ich hörte, machte mich traurig. Die Protokolle und die Unterschriften waren echt. „Ich gebe dir den Rat, mache Aussagen. Du kannst nichts mehr retten." (Monate später im Schubwagen bat er mich, sein Verhalten zuzudecken. Er war brutal behandelt worden und bis zur Bewusstlosigkeit zusammengeschlagen worden.)"
Verklärend redet er über sich selbst, auch er habe letztendlich, zu den von
der Gestapo geforderten Protokoll-Aussagen beigetragen.
Die Linie, auf die er sich dabei zurückzuziehen beliebt, lautet dann:
„War das Protokoll fehlerfrei? Ich hatte anschließend ja viel Zeit, darüber nachzudenken. Nein, fehlerfrei war es nicht. Aber es war aus der Situation entstanden - und an Kritikern mangelt es nie."
Da in der veröffentlichten Publizistik seine Gestapo-Protokolle nicht
nachweisbar sind, kann er ja den Fall aus seiner Sicht als „beendet"
betrachtet.
Aus der Sicht des WTG-Kritikers ergibt sich aber eher der Verdacht. Gäbe es
solche überlieferten Protokolle, dürfte ihr Inhalt verdächtig ähnlich
denjenigen sein, die beispielhaft, im
Falle Winkler,
Frost, Franke
(als erhalten gebliebene) Protokolle, nachweisbar sind.
Sicherlich wird man die jeweilige Zwangslage, bei der Entstehung solcher
Protokolle, durchaus zu beachten haben. Indes auch die Gestapo hatte bis zu
diesem Zeitpunkt einiges dazu gelernt. Bei dem einen half die Peitsche, bei
dem anderen dann eher das Zuckerbrot.
Über Herrn Erich Frost weis er dann innerhalb seiner eigenen KZ-Zeit auch
dieses zu berichten:
„Inzwischen war Bruder Frost als guter Konzertpianist und Konzertmeister von der SS entdeckt. Deswegen sollte er von schwerer körperlicher Arbeit etwas befreit werden."
Auch eine Form des „Zuckerbrotes" unter den obwaltenden Umständen, und zugleich eine indirekte Parallelbestätigung, einer ähnlichen Aussage wie sie etwa in Sachen Frost, auch von dem Zeugen Jehovas Horst Kühn als Multiplikator überliefert ist.
„Der Auffassung waren Brüder,
welche mit Frost zusammen im KZ waren.
Erich Frost hat noch ein viel größeres Sündenregister, was an
unbrüderlichem Verhalten nichts zu wünschen übrig läßt. Frost hatte im KZ
durch seine guten Beziehungen zur SS-Aufsicht, immer sehr viel zu essen,
daß sogar das Brot in seinem Schrank verschimmelte, wohingegen andere
Brüder dort verhungerten. Frost wohnte nicht in den Baracken unter den
anderen Brüdern, er wohnte im Hause der Wache, weit er dort bei allen
Gelegenheiten für die SS-Wache Musik spielen musste, als ehemaliger
Musiker.
Von einem Bruder, welcher auf Grund seines Berufes überall Zutritt hatte,
wurde Frost auf sein unbrüderliches Verhalten hingewiesen. Der Bruder bat
um Brot von seinem Überfluß, da andere Brüder hungerten Frost antwortete:
"Wenn ich dir von dem Brot geben würde, würde es womöglich mein Leben
kosten, und ich bin nicht gewillt, für meine Gutmütigkeit zu büßen!"
Zu seinen „Events" gehört dann auch seine Angabe über die Vorsitzende im
Ostdeutschen Zeugen Jehovas-Prozess des Jahres 1950, der Hilde Benjamin.
Danach soll einer der Hauptangeklagten (Friedrich Adler) in diesem Prozess
auch gesagt haben:
„Nach vielem Hin und Her bat Bruder Adler, dass Micha 7:8-10 vorgelesen würde. Die 'Rote Benjamin' ließ eine Bibel holen und las selbst vor. Zum Schluß wurde ihr übel, denn dort las sie: „Meine Feindin ... Nun wird sie zertreten werden wie Straßenkot." Entsprechend fiel auch seine Strafe aus."
Ob jene Episode sich tatsächlich so abgespielt hat, vermag ich nicht zu
sagen. Aber zumindest kann ich bestätigen, auch in diesem Fall handelt es sich
um eine doppelt bestätigte Aussage.
Ich habe sie in meiner eigenen Zeugenzeit (als Kind) aus dem Mund strammer
Zeugen Jehovas, ebenfalls gehört.
Unabhängig vom Substanzgehalt, kursierte somit jene Aussage in breiten Zeugen
Jehovas-Kreisen.
In ein schiefes Licht stellt der Autor Gerhard Oltmanns, von dem hier die Rede
ist, auch die Protagonisten der Berlin-Wilmersdorfer Veranstaltung vom Juni
1933
So etwa wenn er formuliert:
„Es war am 25. Juni 1933. Mit
etwa 5.000 versammelten wir uns damals zum letzten Mal - für etwa 13 Jahre
- in der Sporthalle in Berlin-Wilmersdorf. Vorher waren verantwortliche
Diener der Versammlung zu einer Besprechung in der Universität versammelt.
Der verantwortliche Diener bat uns dringlich, die anschließend
vorgetragene Resolution lebhaft zu unterstützen. Er hatte Furcht.
Jahre später erwies er sich als Judas und wurde von der SS in
Sachsenhausen in einer Lore mit Wasser untergetaucht: „Nun sollst du nicht
mehr B ..., sondern Beelzebub heißen!"
Da Oltmanns ein Namenskürzel verwendet, kann doch wohl unterstellt werden,
er meinte den Balzereit.
Da nun dieser zu den Unterzeichnern der ominösen Abschwörungserklärung
gehörte, meint Oltmanns über ihn triumphierend auch noch berichten zu können:
„Jene aber, die unterschrieben hatten und auf Entlassung gewartet hatten, mußten bleiben. Auf ihre Beschwerden hin wurde ihnen gesagt: „Die Anweisung lautet, dass nur die Bibelforscher entlassen werden. Doch das sind sie ja nicht mehr."
Das feierte dann Oltmanns als Sieg.
In anderer Sicht ist es wohl vor allem ein zusätzlicher Beleg der Niederlage
der Nazis. Denn wenn sie sich solcherart als Wortbrüchig erwiesen, stärkten
sie die WTG-Hardliner nur noch zusätzlich.
Oltmanns ist etwa um die Zeit um 1925 zu den Bibelforschern mit hinzugestoßen.
Damit hat er zugleich auch etwas von deren Ententeichdatum 1925 mitbekommen.
Letzteres hatte für ihn, zu damaliger Zeit als etwa 22jähriger kaum
„existenzielle" Bedeutung. Für andere schon etwas länger im WTG-Sog sich
befindliche indes durchaus.
Zu diesem Aspekt äußert er dann:
„Einige schauten sehr auf 1925.
„Warum noch Roggen säen?",
sagte Bruder Müller im Herbst des Jahres 1924. Einige Jahre
später zog er nach Kanada. Für mich war es eine Lektion."
Die irdischen Tage von Herrn Oltmanns sollten dann im Jahre 1988 abgelaufen
sein, ohne dass er zu jenen gehörte, die bis dahin wundersamer Weise nicht zu
sterben brauchten.
Oder wie er in seinem Buchtitel auch formuliert:
„Anno Mundi 5950-6000" (Übersetzt etwa seine Zeit von 1925 bis 1975 im Umriss
dargestellt). Namentlich beim Datum 1975 werden Sachkenner dann wohl
zusätzlich „die Nachtigall trapsen" hören.
Aber an diese Ententeichthese hat er dann ohnehin nicht geglaubt, wie unschwer
ersichtlich.
Nach 1945 schon hat er dann seine Erinnerungen, frühzeitig zu Papier gebracht.
Lange Jahre schmorten sie dann unpubliziert im WTG-Geschichtsarchiv. Im
„Wachtturm" vom 15. 1. 1969 gab es dann eine geschönte Kurzfassung des
Oltmann-Berichts. Wie für WTG-Verhältnisse nicht unerwartet, etliche
neuralgische Punkte unerwähnt lassend. Der Strohmann Besier lässt im Band I
der „Geschichte der Zeugen Jehovas in Europa", diese Variante aus dem
WTG-Geschichtsarchiv auch mit erwähnen.
Offenbar über die Linie von Angehörigen aus seiner Familienlinie, haben sie
nunmehr auch ihre Veröffentlichung in einem auf Kleinauflagen spezialisierten
Verlag gefunden.
Als seine Art von Vermächtnis sah er dann wohl auch den Satz an:
„So, wie ich auch das Ende dessen erlebte, dem wir am 7. Oktober 1934 Gottes Gericht ankündigten, so habe ich jetzt den Wunsch, Babylon die Große nebst ihren politischen und militärischen Liebhabern enden zu sehen."
Tja, und wenn er denn nicht schon verstorben wäre, so würde er wohl noch
heute darauf warten!
Siehe auch:
www.noz.de/lokales/73513759/erinnerungen-eines-zeugen-jehovas-aus-hesepe