Religionsfreiheit der Zeugen Jehovas werde dadurch nicht behindert
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 11. Februar 2013 06:30
Im Zeitspiegel
Namentlich die 1960er Jahre waren in der Bundesrepublikanischen Publizistik mit Fällen angefüllt, das Ersatzdienst-verweigernde Zeugen Jehovas gerichtlich belangt wurden
Siehe unter anderem
Zivildienst
Auch wenn die technische Qualität der Aufzeichnung eines Radio-Essays aus dem Jahre 1967 schlecht ist, vermag jener Beitrag zumindest einen Einblick in das damals herrschende Klima zu vermitteln.
Ersatzdienst.1967.mp3
Es ist bemerkenswert, dass ein Kommentar, in der damals in Düsseldorf erscheinenden „Deutsche Volkszeitung" vom 18. 1. 1963 zu beobachten war. Jenes Blatt wird von der Wikipedia als DKP und DDR-nah charakterisiert. Desweiteren als von der DDR weitgehend finanziell ausgehalten. Folgerichtig überlebte auch dieses Blatt das Ende der DDR nicht sonderlich lange.
Jener damalige Kommentar titelte „Die Zeugen Jehovas und der kalte Krieg".
Das nun nicht, weil man in deren Redaktion vielleicht ein „Fan" der Zeugen Jehovas war. Das war man mit Sicherheit nicht, sondern, weil man prinzipiell die damalige Politik der Bundesrepublik Deutschland, eben auch die beim Thema Wehr- und Wehrersatzdienste, kritisierte.
Da erschien - unter Ausblendung des Verhaltens der DDR bei diesem Thema, zur gleichen Zeit -, die gerichtliche Belangung von Zeugen Jehovas, egal wo, Munition für die eigenen Tendenzthesen.
Formal hatte sich jenes Blatt ein anderes Sujet ausgesucht. Nicht unbedingt das Thema des Wehrersatzdienstes, wenn es kommentierte:

„Alle zivilisierten Länder haben Ärger mit den Sekten.
„In der deutschsprachigen Moskauer Zeitung „Neues Leben" lasen wir bereits vor einem Jahr einen Bericht mit Fotos über konkrete Fälle, bei denen Zeugen Jehovas ihre Kinder mißhandelten und blutig schlugen, weil sie in der Schule der Kinderorganisation angehörten und zu Hause sich nicht den Riten der Sekte unterwarfen.
Daß in solchen Fällen die Behörde eingreift und die Eltern zur Verantwortung zieht, ist nicht nur gerechtfertigt, das wird überall auf der Welt von den erbosten Bürgern geradezu gefordert. Nur dann wollen die kalten Federkrieger der „Bild"-Zeitung das nicht wahrhaben, wenn aus der Angelegenheit für sie antikommunistisches Kapital herauszuschlagen ist."

Etwas weniger tendenziös, eben nur in der Form einer Sachstandsbeschreibung, versuchte es um diese Zeit, die in Köln erscheinende „Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung" in ihrer Ausgabe vom 11. 2. 1963.
Sie berichtete, unter Bezugnahme auf einen Gerichtsbericht, verhandelt vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart.
Als Titel für jenen Bericht wählte jenes Blatt:

„Schranken der Gewissensfreiheit
Kriegsdienstverweigerer müssen Ersatzdienst leisten."

Berichtet wurde über eine Revisionsverhandlung zweier Angehöriger der Zeugen Jehovas.

„Das Urteil des Oberlandesgerichts stellt fest, daß die staatsbürgerlichen Pflichten einer Gewissensentscheidung übergeordnet sind."

Das wiederum wollten die Zeugen Jehovas anders sehen, und suchten - Gerichtlich erfolglos - ihre Sicht der Dinge durchzuboxen.

„Wollte man, so meint das Urteil, die Gewissensfreiheit für ein höheres Rechtsgut ansehen als den Gleichheitsgrundsatz, so rüttle man an den Fundamenten des Staates."

Zwar befänden sich (zu der Zeit) unter den in der Bundesrepublik Deutschland anerkannten Wehrdienstverweigern, auch etwa 1000 Zeugen Jehovas.
Das wiederum erspart ihnen nicht, fallweise zum Zivildienst alternativ einberufen zu werden.
Das wiederum hatte zur Folge das auch etwa 300 Zeugen Jehovas zum zivilen Ersatzdienst einberufen wurden (um jene Zeit).

„Doch haben nur 70 der Einberufung Folge geleistet."

230 - also die Mehrheit - nicht.
Weiter berichtet jener Artikel:

„80 ... Zeugen Jehovas sind wegen Verweigerung des zivilen Ersatzdienstes zu Gefängnisstrafen verurteilt worden.

Und weiter:

„Sie verlangen die Gleichstellung mit den katholischen und evangelischen Geistlichen, die vom Wehr- und Ersatzdienst befreit sind.
Dazu entschied ... das Bundesverwaltungsgericht ...
„Das Verhältnis von Hirt und Herde, wie es bei den christlichen Kirchen gegeben ist, existiert nicht bei der Struktur der Zeugen Jehovas."
Die Religionsfreiheit der Zeugen Jehovas werde dadurch nicht behindert."

Auch das Fachblatt „Neue Juristische Wochenschrift" ging in seiner Ausgabe Nr. 17/1963 darauf ein. Bezugnehmend auf das Urteil des O(ber)L(andes)G(ericht) Stuttgart vom 8. 2. 1963 wurde vermerkt, einer der Kläger sei vordem wegen „Dienstflucht" bereits zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt worden, und sei nachfolgend, eben in für ihn erfolglose Berufung in der Sache gegangen.

„Der Angekl. habe ... sich darauf berufen, daß die Pflicht, den zivilen Ersatzdienst zu leisten mit seiner religiösen Überzeugung als Angehöriger der „Zeugen Jehovas" nicht zu vereinbaren sei; als Prediger in dieser Gemeinschaft ständen ihm überdies die gleichen Rechte zu wie den Geistlichen der beiden großen Konfessionen, die vom Wehrdienst und damit auch vom Ersatzdienst befreit seien."

Das Gericht indes befand:

Das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 kann aber jedenfalls nicht bedeuten, daß die Staatsbürger die Befolgung jeder Norm von einer nicht nachprüfbaren Gewissensentscheidung abhängig machen dürfen. Es würde sich dann jede Ordnung auflösen."

In der Nummer 25/1963 der NJW wurde dann erneut, kommentierend, auf diese Fälle eingegangen.

„Die Bedenken der Revision, er werde „im Ausmaß seines Bekenntnisses" behindert, wenn er sich zeitweilig nicht als Sonderpionier betätigen könne, betreffen nicht die Freiheit des Bekenntnisses und die Ausübung der Religion.
Der Kläger ist nicht wegen seines Bekenntnisses von der Dienstpflicht nicht befreit, sondern deshalb, weil das Gesetz nur einen mit besonderer Würde und mit den geistlichen Aufgaben allein betrauten Stand schützen will."

Und weiter:

„Ihre Ausbreitung zu sichern, wozu der Sonderpionierverkündiger der Zeugen Jehovas ... durch missionarische Tätigkeit berufen ist, ist keine Aufgabe des Staates; darauf hätte der Gesetzgeber deshalb nicht Bedacht zu nehmen.
Der Staat muß auch nicht hinnehmen, daß der Kläger - wie übrigens jeder andere Zeuge Jehovas - wegen der Heiligkeit seiner religiösen Sendung vom Wehrdienst und damit vom Ersatzdienst befreit sei."

Ein Bericht der „Stuttgarter Zeitung" vom 3. 8. 1963 ging auch auf diese Problematik ein, und befand, damit befasste Richter hätten sicherlich keine leichte Aufgabe.

„Gleichwohl wird niemand erwarten wollen, daß die Gerichte der Bundesrepublik einen bestimmten Personenkreis von den staatsbürgerlichen Pflichten entbinden, wo kämen wir hin, so würde jedermann mit Recht fragen.
Unter diesem Aspekt wird man auch das ... gefällte Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstehen müssen, das grundsätzlich entschieden hat:
Die Glaubensfreiheit und der Gleichheitsgrundsatz werden durch die Einberufung zum Wehrersatzdienst nicht verletzt. Die Richter werden also in Zukunft keine rechtlichen Bedenken mehr bei ihren Urteílen haben müssen."

Die Nummer 42/1963 der NJW berichtet dann über einen Fall aus Bremen, wo man schon mal allgemein attestieren kann. Jetzt „weht ein schärferer Wind."
Auch hier wiederum, der Nichtantritt eines geforderten zivilen Ersatzdienstes in einem Krankenhaus. Daraufhin Gerichtsverfahren, welche in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Bremen dann noch kulminieren, welche der besondere Berichtsgegenstand ist.
Schon der vorangegangene Amtsgericht sprach eine Gefängnisstrafe von vier Monaten unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung aus.
Gegen dieses Urteil nun, legte sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch der Beklagte Berufung ein (versteht sich aus unterschiedlicher Motivation).
Das Verfahren daraufhin vor dem Landgericht endete damit, dass selbiges sagte, die Strafe wird jetzt auf sechs Monate erhöht, und auch die vordem gewährt Aussetzung zur Bewährung entfällt.
Das Landgericht bewertete den Angeklagten als „völlig unbelehrbar" was wiederum zu der genannten Strafverschärfung führte.
Und zur Begründung gibt es neben der bereits genannten Unbelehrbarkeit und Hartnäckigkeit noch die Angabe, der Angeklagte sei nicht als hauptberuflicher Geistlicher tätig, dieweil er in einem festen Arbeitsverhältnis steht, das seine Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt.
Und weiter in der Urteilsbegründung:

„Trotzdem hält der Senat es nicht grundsätzlich für verfehlt, auch bei einem Überzeugungstäter die Uneinsichtigkeit und Unbelehrbarkeit unter Umständen strafschärfend zu verwerten.
Einem Überzeugungstäter ist zum Vorwurf zu machen, daß er seine Gewissensentscheidung bewußt über diejenige der weitaus überwiegenden Mehrheit der Staatsbürger stellt und diese damit mißachtet ... und (bei seiner Entscheidung) gewichtige, gegen seine Auffassung sprechende Gesichtspunkte völlig außer acht läßt oder sich nur oberflächlich mit ihnen befaßt."

Laut „Frankfurter Rundschau" vom 6. 7. 1963, welche über diesen Fall auch berichtete, handelt es sich bei dem Angeklagten um einen 23jährigen, welcher im bürgerlichen Beruf als Bauschlosser tätig sei.

In der Ausgabe der Tageszeitung „Die Welt" vom 8. 3. 1963, gab es dann (soweit sich solche Fälle auch in der Presse-Berichterstattung niederschlugen) den wohl ersten Bericht über die Zweitverurteilung eines Zeugen Jehovas, wegen des gleichen Delikts (Nicht-Antritt des Wehrersatzdienstes), durch ein Amtsgericht. Ob der Fall sich dann noch in weiteren Gerichtsinstanzen weiter fortsetzte, mag denn dahingestellt bleiben. Gleichwohl ist letzteres im Falle von Zweit-Verurteilungen durchaus beobachtbar.
Zum verhängten Strafrahmen notiert die „Stuttgarter Zeitung" vom 19. 11. 1962 in einem Bericht.

„Es gibt Amtsrichter, die sich mit drei oder vier Wochen Gefängnis auf Bewährung begnügen, andere wieder gehen bis zu 16 Monaten Gefängnis und verweigern damit die Strafaussetzung auf Bewährung."

Die „Süddeutsche Zeitung" vom 24. 8. 1962, zitiert in einem Bericht, auch die Motivationsbegründung des Angeklagten gegenüber dem Gericht mit den Worten:

„Die Welt besteht nicht mehr lange, und ich habe die Aufgabe, Menschen zu Gott hinzuführen, sagte er. „Dem könnte ich nicht gerecht werden, wenn ich Ersatzdienst leisten würde."

Urteil in dem Fall: Ein Jahr Gefängnis.

Erst in späteren Jahren entschärfte sich die Situation durch die Einfügung eines § 15a in das Ersatzdienstgesetzes, welcher als „goldene Brücke" auch selbst gesuchte Tätigkeiten etwa in Krankenhäusern, (ein freiwilliges Arbeitsverhältnis in einer Heil- oder Pflegeanstalt) über einen Zeitraum, welcher länger als der reguläre Zivildienst ist, anerkannte.
Trotz diese Kompromisses, war damit „die Kuh keinesfalls vom Eis".
Ein Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 9. 6. 1973 berichtet noch, über eine Verurteilung zu fünf Monaten Gefängnis eines Zeugen Jehovas, der keinen regulären Zivildienst leisten wollte, aber zugleich auch die Option des selbstgewählten Dienstes in der geforderten Form, nicht wahrnahm.

„Zwar hielt er (der Angeklagte) die Tätigkeit in einem Krankenhaus grundsätzlich für etwas Gutes, doch sei es nicht mit seinem Gewissen zu vereinbaren, wenn er dort nur deshalb arbeite, weil der Staat dies von ihm als Ersatz für den verweigerten Kriegsdienst verlange.
„Damit würde ich dem Staat bestätigen", so der 26 Jahre alte Angeklagte „daß er einen Anspruch auf Kriegsdienst hat."

Zu den späten Wandlungen in der Frage der Totalverweigerung (die KdöR-Ambitionen lassen grüßen), siehe, soweit dieser Tatbestand sich auch via Pressemeldungen niederschlug. Etwa den „Spiegel" Nr. 15/1996

www.spiegel.de/spiegel/print/d-8905293.html

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