„Alle zivilisierten Länder haben Ärger
mit den Sekten.
„In der deutschsprachigen Moskauer Zeitung „Neues Leben" lasen wir bereits
vor einem Jahr einen Bericht mit Fotos über konkrete Fälle, bei denen
Zeugen Jehovas ihre Kinder mißhandelten und blutig schlugen, weil sie in
der Schule der Kinderorganisation angehörten und zu Hause sich nicht den
Riten der Sekte unterwarfen.
Daß in solchen Fällen die Behörde eingreift und die Eltern zur
Verantwortung zieht, ist nicht nur gerechtfertigt, das wird überall auf
der Welt von den erbosten Bürgern geradezu gefordert. Nur dann wollen die
kalten Federkrieger der „Bild"-Zeitung das nicht wahrhaben, wenn aus der
Angelegenheit für sie antikommunistisches Kapital herauszuschlagen ist."
Etwas weniger tendenziös, eben nur in der Form einer
Sachstandsbeschreibung, versuchte es um diese Zeit, die in Köln erscheinende
„Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung" in ihrer Ausgabe vom 11. 2. 1963.
Sie berichtete, unter Bezugnahme auf einen Gerichtsbericht, verhandelt vor dem
Oberlandesgericht in Stuttgart.
Als Titel für jenen Bericht wählte jenes Blatt:
„Schranken der Gewissensfreiheit
Kriegsdienstverweigerer müssen Ersatzdienst leisten."
Berichtet wurde über eine Revisionsverhandlung zweier Angehöriger der Zeugen Jehovas.
„Das Urteil des Oberlandesgerichts stellt fest, daß die staatsbürgerlichen Pflichten einer Gewissensentscheidung übergeordnet sind."
Das wiederum wollten die Zeugen Jehovas anders sehen, und suchten - Gerichtlich erfolglos - ihre Sicht der Dinge durchzuboxen.
„Wollte man, so meint das Urteil, die Gewissensfreiheit für ein höheres Rechtsgut ansehen als den Gleichheitsgrundsatz, so rüttle man an den Fundamenten des Staates."
Zwar befänden sich (zu der Zeit) unter den in der Bundesrepublik
Deutschland anerkannten Wehrdienstverweigern, auch etwa 1000 Zeugen Jehovas.
Das wiederum erspart ihnen nicht, fallweise zum Zivildienst alternativ
einberufen zu werden.
Das wiederum hatte zur Folge das auch etwa 300 Zeugen Jehovas zum zivilen
Ersatzdienst einberufen wurden (um jene Zeit).
„Doch haben nur 70 der Einberufung Folge geleistet."
230 - also die Mehrheit - nicht.
Weiter berichtet jener Artikel:
„80 ... Zeugen Jehovas sind wegen Verweigerung des zivilen Ersatzdienstes zu Gefängnisstrafen verurteilt worden.
Und weiter:
„Sie verlangen die Gleichstellung mit
den katholischen und evangelischen Geistlichen, die vom Wehr- und
Ersatzdienst befreit sind.
Dazu entschied ... das Bundesverwaltungsgericht ...
„Das Verhältnis von Hirt und Herde, wie es bei den christlichen Kirchen
gegeben ist, existiert nicht bei der Struktur der Zeugen Jehovas."
Die Religionsfreiheit der Zeugen Jehovas werde dadurch nicht behindert."
Auch das Fachblatt „Neue Juristische Wochenschrift" ging in seiner Ausgabe Nr. 17/1963 darauf ein. Bezugnehmend auf das Urteil des O(ber)L(andes)G(ericht) Stuttgart vom 8. 2. 1963 wurde vermerkt, einer der Kläger sei vordem wegen „Dienstflucht" bereits zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt worden, und sei nachfolgend, eben in für ihn erfolglose Berufung in der Sache gegangen.
„Der Angekl. habe ... sich darauf berufen, daß die Pflicht, den zivilen Ersatzdienst zu leisten mit seiner religiösen Überzeugung als Angehöriger der „Zeugen Jehovas" nicht zu vereinbaren sei; als Prediger in dieser Gemeinschaft ständen ihm überdies die gleichen Rechte zu wie den Geistlichen der beiden großen Konfessionen, die vom Wehrdienst und damit auch vom Ersatzdienst befreit seien."
Das Gericht indes befand:
Das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 kann aber jedenfalls nicht bedeuten, daß die Staatsbürger die Befolgung jeder Norm von einer nicht nachprüfbaren Gewissensentscheidung abhängig machen dürfen. Es würde sich dann jede Ordnung auflösen."
In der Nummer 25/1963 der NJW wurde dann erneut, kommentierend, auf diese Fälle eingegangen.
„Die Bedenken der Revision, er werde „im
Ausmaß seines Bekenntnisses" behindert, wenn er sich zeitweilig nicht als
Sonderpionier betätigen könne, betreffen nicht die Freiheit des
Bekenntnisses und die Ausübung der Religion.
Der Kläger ist nicht wegen seines Bekenntnisses von der Dienstpflicht
nicht befreit, sondern deshalb, weil das Gesetz nur einen mit besonderer
Würde und mit den geistlichen Aufgaben allein betrauten Stand schützen
will."
Und weiter:
„Ihre Ausbreitung zu sichern, wozu der
Sonderpionierverkündiger der Zeugen Jehovas ... durch missionarische
Tätigkeit berufen ist, ist keine Aufgabe des Staates; darauf hätte der
Gesetzgeber deshalb nicht Bedacht zu nehmen.
Der Staat muß auch nicht hinnehmen, daß der Kläger - wie übrigens jeder
andere Zeuge Jehovas - wegen der Heiligkeit seiner religiösen Sendung vom
Wehrdienst und damit vom Ersatzdienst befreit sei."
Ein Bericht der „Stuttgarter Zeitung" vom 3. 8. 1963 ging auch auf diese Problematik ein, und befand, damit befasste Richter hätten sicherlich keine leichte Aufgabe.
„Gleichwohl wird niemand erwarten
wollen, daß die Gerichte der Bundesrepublik einen bestimmten Personenkreis
von den staatsbürgerlichen Pflichten entbinden, wo kämen wir hin, so würde
jedermann mit Recht fragen.
Unter diesem Aspekt wird man auch das ... gefällte Urteil des
Bundesverfassungsgerichts verstehen müssen, das grundsätzlich entschieden
hat:
Die Glaubensfreiheit und der Gleichheitsgrundsatz werden durch die
Einberufung zum Wehrersatzdienst nicht verletzt. Die Richter werden also
in Zukunft keine rechtlichen Bedenken mehr bei ihren Urteílen haben
müssen."
Die Nummer 42/1963 der NJW berichtet dann über einen Fall aus Bremen, wo
man schon mal allgemein attestieren kann. Jetzt „weht ein schärferer Wind."
Auch hier wiederum, der Nichtantritt eines geforderten zivilen Ersatzdienstes
in einem Krankenhaus. Daraufhin Gerichtsverfahren, welche in einem Verfahren
vor dem Oberlandesgericht Bremen dann noch kulminieren, welche der besondere
Berichtsgegenstand ist.
Schon der vorangegangene Amtsgericht sprach eine Gefängnisstrafe von vier
Monaten unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung aus.
Gegen dieses Urteil nun, legte sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch der
Beklagte Berufung ein (versteht sich aus unterschiedlicher Motivation).
Das Verfahren daraufhin vor dem Landgericht endete damit, dass selbiges sagte,
die Strafe wird jetzt auf sechs Monate erhöht, und auch die vordem gewährt
Aussetzung zur Bewährung entfällt.
Das Landgericht bewertete den Angeklagten als „völlig unbelehrbar" was
wiederum zu der genannten Strafverschärfung führte.
Und zur Begründung gibt es neben der bereits genannten Unbelehrbarkeit und
Hartnäckigkeit noch die Angabe, der Angeklagte sei nicht als hauptberuflicher
Geistlicher tätig, dieweil er in einem festen Arbeitsverhältnis steht, das
seine Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt.
Und weiter in der Urteilsbegründung:
„Trotzdem hält der Senat es nicht
grundsätzlich für verfehlt, auch bei einem Überzeugungstäter die
Uneinsichtigkeit und Unbelehrbarkeit unter Umständen strafschärfend zu
verwerten.
Einem Überzeugungstäter ist zum Vorwurf zu machen, daß er seine
Gewissensentscheidung bewußt über diejenige der weitaus überwiegenden
Mehrheit der Staatsbürger stellt und diese damit mißachtet ... und (bei
seiner Entscheidung) gewichtige, gegen seine Auffassung sprechende
Gesichtspunkte völlig außer acht läßt oder sich nur oberflächlich mit
ihnen befaßt."
Laut „Frankfurter Rundschau" vom 6. 7. 1963, welche über diesen Fall auch
berichtete, handelt es sich bei dem Angeklagten um einen 23jährigen, welcher
im bürgerlichen Beruf als Bauschlosser tätig sei.
In der Ausgabe der Tageszeitung „Die Welt" vom 8. 3. 1963, gab es dann (soweit
sich solche Fälle auch in der Presse-Berichterstattung niederschlugen) den
wohl ersten Bericht über die Zweitverurteilung eines Zeugen Jehovas, wegen des
gleichen Delikts (Nicht-Antritt des Wehrersatzdienstes), durch ein
Amtsgericht. Ob der Fall sich dann noch in weiteren Gerichtsinstanzen weiter
fortsetzte, mag denn dahingestellt bleiben. Gleichwohl ist letzteres im Falle
von Zweit-Verurteilungen durchaus beobachtbar.
Zum verhängten Strafrahmen notiert die „Stuttgarter Zeitung" vom 19. 11. 1962
in einem Bericht.
„Es gibt Amtsrichter, die sich mit drei oder vier Wochen Gefängnis auf Bewährung begnügen, andere wieder gehen bis zu 16 Monaten Gefängnis und verweigern damit die Strafaussetzung auf Bewährung."
Die „Süddeutsche Zeitung" vom 24. 8. 1962, zitiert in einem Bericht, auch die Motivationsbegründung des Angeklagten gegenüber dem Gericht mit den Worten:
„Die Welt besteht nicht mehr lange, und ich habe die Aufgabe, Menschen zu Gott hinzuführen, sagte er. „Dem könnte ich nicht gerecht werden, wenn ich Ersatzdienst leisten würde."
Urteil in dem Fall: Ein Jahr Gefängnis.
Erst in späteren Jahren entschärfte sich die Situation durch die Einfügung
eines § 15a in das Ersatzdienstgesetzes, welcher als „goldene Brücke" auch
selbst gesuchte Tätigkeiten etwa in Krankenhäusern, (ein freiwilliges
Arbeitsverhältnis in einer Heil- oder Pflegeanstalt) über einen Zeitraum,
welcher länger als der reguläre Zivildienst ist, anerkannte.
Trotz diese Kompromisses, war damit „die Kuh keinesfalls vom Eis".
Ein Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 9. 6. 1973 berichtet noch, über
eine Verurteilung zu fünf Monaten Gefängnis eines Zeugen Jehovas, der keinen
regulären Zivildienst leisten wollte, aber zugleich auch die Option des
selbstgewählten Dienstes in der geforderten Form, nicht wahrnahm.
„Zwar hielt er (der Angeklagte) die
Tätigkeit in einem Krankenhaus grundsätzlich für etwas Gutes, doch sei es
nicht mit seinem Gewissen zu vereinbaren, wenn er dort nur deshalb
arbeite, weil der Staat dies von ihm als Ersatz für den verweigerten
Kriegsdienst verlange.
„Damit würde ich dem Staat bestätigen", so der 26 Jahre alte Angeklagte „daß
er einen Anspruch auf Kriegsdienst hat."
Zu den späten Wandlungen in der Frage der Totalverweigerung (die
KdöR-Ambitionen lassen grüßen), siehe, soweit dieser Tatbestand sich auch via
Pressemeldungen niederschlug. Etwa den „Spiegel" Nr. 15/1996
www.spiegel.de/spiegel/print/d-8905293.html