Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Ein Film über die Zeugen Jehovas aus dem Jahre 1974

In einem 1998 erschienenen Katalog ("Zentrale Filmografie politischer Bildung" A, Band III) ist auch ein 1974 vom Fernsehen ausgestrahlter Film über die Zeugen Jehovas, in inhaltlicher Zusammenfassung (keine wörtlichen Zitate) mit aufgenommen worden.

Diese Zusammenfassung sei auch an dieser Stelle dokumentiert:

Zeugen Jehovas - Herausforderung an die Kirchen

Hans S. Lampe

Bayerischer Rundfunk, München 1974

30 Minuten

Filmbericht über Lehre und Wirken der „Zeugen Jehovas" Dokumentation.

Inhalt. Am Anfang des Berichtes stehen Taufzeremonien, wie sie bei den Großkongressen der Zeugen Jehovas durchgeführt werden. Es handelt sich dabei um „Erwachsenentaufen", bei denen die Täuflinge mit dem ganzen Körper unter Wasser getaucht werden.

Ein Sprecher der Zeugen Jehovas erläutert den Sinn der Taufe.

Das Leben der Zeugen Jehovas ist auf Predigtdienst und auf das Bibel- und „Wachtturm"-Studium ausgerichtet, drei Abende in der Woche sind mit gemeinsamen Bibelstudium ausgefüllt, es gibt eine wöchentliche Predigtdienstschule, zu der die „Zeugen" angehalten sind, auch alle Familienmitglieder mitzubringen, die Wochenenden sind dem „Felddienst" (Straßendienst und Hausbesuche) vorbehalten.

Ein ehemaliger Zeuge Jehovas, der zur römisch-katholischen Kirche konvertierte, sieht in dem "ungeheuren persönlichen Einsatz" der Zeugen Jehovas eine Herausforderung an die Großkirchen. Interviews mit Zeugen Jehovas, die geduldig ausharrend ihr Schrifttum an verkehrsreichen Plätzen ausstellen, vermitteln eine Idee ihres Glaubens: sie glauben an ein diesseitiges Paradies, das nach dem „Harmagedon", der Schlacht Gottes, die sie als einzige überleben werden, beginnen soll.

Auf Massenveranstaltungen, den sog. Großkongressen, werden stets aufs neue genaue Termine für diesen „Weltuntergang" prophezeit.

Der Bericht geht ferner auf die gut funktionierende Organisation der Sekte ein, deren deutscher Sitz sich in Wiesbaden befindet.

Seit 1881, als Charles Russell die Wachtturmgesellschaft gründete, erscheint die Schrift „Der Wachtturm" (seit 1897 in deutscher Sprache, heute in einer Auflage von 8 Millionen Exemplaren in 76 sprachen). Die Sekte hat eine Anhängerschaft von 1,8 Millionen, davon 100.000 in der Bundesrepublik Deutschland.

Notiz. Der Bericht enthält eine Fülle von Informationen über die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die hauptsächlich über den Kommentar vermittelt werden. Die Dienstbereitschaft und das Engagement der Mitglieder wird als Herausforderung an die Kirchen verstanden. Kritische Anmerkungen betreffen die naive und kitschige Selbstdarstellung in den Publikationen und Theaterstücken bei Großkongressen und die mangelnde Kritikfähigkeit der Zeugen („Menschen mit eigenen Vorstellungen sind bei den Zeugen Jehovas nicht gefragt").

Lit.: Manfred Gebhard (Hrsg.): Die Zeugen Jehovas. Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft. Schwerte 1971

- Friedrich W. Haack: Jehovas Zeugen. München 1979

Auch die CV Nr. 64 kam einmal auf diesen Film zu sprechen. Sie zitierte aber aus ihm im wesentlichen nur eine 1975-Aussage:

Man vergleiche dazu auch:

Parsimony.1092

Zu den Kongressen 1974 gaben WTG-Zweigdiener R. Kelsey und sein Vorgänger K. Franke in einem Filmbericht von Hans S. Lampe im BRD-Fernsehen am 10. August 1974, I. Programm um 17.15 Uhr verschiedene Interviews. Von katholischer Seite war das Informationsbüro für Glaubensgemeinschaften und von evangelischen Seite die Zentralstelle für Weltanschauungsfragen vertreten und beteiligt. Es war völlig überraschend, daß R. Kelsey und K. Franke hier mitwirkten.

Das 1975 Interview mit R. Kelsey:
Sprecher: "Auf dieses Paradies hatten Sie schon einige Male vergeblich gewartet. Ihre Gesellschaft hatte sich genaue Termine ausgerechnet. Doch jedesmal, wenn das große Ereignis dann nicht stattfand, mußte sie die Irrtümer geschickt in Siege verwandeln. 1975 ist doch ein ganz fixes Datum, das Sie aufgestellt haben. Was passiert, wenn dann nichts geschieht?"

R. Kelsey: "Jehovas Zeugen sagen, daß Mitte der siebziger Jahre etwas geschehen wird, und zwar 6000 Jahre der Menschheitsgeschichte werden ablaufen gemäß der Chronologie der Bibel. Wir glauben, daß die Welt oder die Erde auch nicht dann zu Ende geht, sondern bestehen bleibt.
Wir werden als Zeugen Jehovas Gott dienen jetzt vor 1975 und genauso nach 1975."

Hoffnung und Angst

Ergänzend sei noch ein weiterer Film des "Bayerischen Rundfunks" zum Thema Zeugen Jehovas zitiert. Der wurde allerdings schon im November 1971 ausgestrahlt. In der CV 44 wurde auf seinem Inhalt unter der Überschrift "Hoffnung und Angst" schon einmal etwas eingegangen

Bezugnehmend auf das diesbezügliche Filmskript des "Bayerischen Rundfunks" zu letzterem, hier noch dessen Dokumentation:

"Kommentar zum Film 'Tausend Jahre Frieden nahen'"

1. Nach Anfangstitel Kaulbachstrasse

"Ein Zeuge Jehovas zu sein, heißt, das Königreich Gottes auf Erden zu verkünden, jedem Menschen von der einen großen Hoffnung zu berichten, daß noch innerhalb unserer Generation, etwa 1975, die Erde in ein Paradies verwandelt wird. Die Hoffnung, Bewohner dieses Paradieses zu sein, nicht sterben zu müssen und ewig glücklich zu leben ist die Antriebskraft der Zeugen Jehovas: die andere ist Angst.

Die Angst, in der großen Schlacht, in der Gott zuvor alles Böse vernichten wird nicht zu überleben und den endgültigen Tod zu erleiden.
Hoffnung und Angst beruhen auf einem wörtlichen, von theologischen Abstraktionen ungetrübten Bibelverständnis. Die Heilige Schrift ist ein System sich ständig erfüllender Prophezeiungen. Alle Ereignisse von der Luftverschmutzung bis zu weltpolitischen Spannungen, ja selbst die Existenz der eigenen Organisation, der Wachtturm-Bibel und Traktat-Gesellschaft, werden als erfüllte biblische Voraussagen gedeutet, und damit zu "Beweisen" für das unmittelbar bevorstehende Ende dieser Systeme und den Anfang des Tausendjährigen Reiches des Friedens.

2. Während Herr K. am Schreibtisch sitzt.

Allein im Predigtdienst von Tür zu Tür schenkt Herr Kottmeier der Organisation Jehovas monatlich hundert Stunden. Dazu kommen noch die vielen Versammlungen und Bibelstudien. Da er nur halbtags arbeitet, müssen er und seine Familie auf vieles verzichten. Herr Kottmeier tut dies gern, denn er glaubt zuversichtlich an Jehovas reiche Belohnung.

Inzwischen ist Herr Kottmeier aus der Masse der einfachen Prediger hervorgetreten. Als einer von zehn Dienern, die der Gemeinde vorstehen, gilt er als Beispiel an Reife, Bibelkenntnis und gottgefälligen Leben.

3. Wachtturm-Studium

Gottes Organisation zur Verkündigung des Königreiches hat sich ein Organ geschaffen, das Angst und Hoffnung wachhält und wöchentlich einmal in jeder Versammlung auf der ganzen Welt studiert wird. Da die Organisation gemäß ihrem Selbstverständnis allein weiß, was dem Glauben nützt, bestimmt sie die Artikel, die gemeinsam zu lesen sind und schreibt auch die Fragen vor, die der Gemeindevorsteher seinen Gläubigen zu stellen hat.

Den Inhalt des Wachtturmes zu kennen ist aus zwei Gründen wichtig: einmal, den eigenen Glauben zu stärken, Angst und Hoffnung neue Nahrung zu geben, und dann soll der Wachtturm auch verteilt und sein Inhalt anderen Menschen nahe gebracht werden, was eine gründliche Kenntnis voraussetzt.

Der Wachtturm erscheint in 73 Sprachen und einer Auflage von 6 Millionen Exemplaren alle vierzehn Tage. In ähnlichen Auflagenhöhen erscheinen auch eine Vielzahl von Büchern, Broschüren und Schriften, die alle Gottes Königreich zum Thema haben. Die deutschen Ausgaben werden hier (in Wiesbaden) gedruckt und sind getreue Übersetzungen der amerikanischen Originalausgaben.

4. Druckerei innen

Während der Wachtturm sich vor allem mit der Interpretation der Heiligen Schrift beschäftigt, versucht "Erwachet!", die zweite grosse Zeitschrift der Organisation, dem Gläubigen eine praktische Wegleitung an die Hand zu geben, wie es im Geleitwort heisst:

"Erwachet! bringt tiefschürfende Artikel über soziale Verhältnisse und gibt gesunde Ratschläge für die Lösung von Alltagsproblemen." Die Organisation nimmt so dem Einzelnen die eigene Entscheidung ab und setzt ihn in die Lage, im Predigtdienst die Menschen auf ihre speziellen Probleme anzusprechen.

5.

180 Zeugen Jehovas sind hier in der Druckerei und der Organisation beschäftigt. Sie stellen ihre Arbeitskraft unengeltlich zur Verfügung und erhalten dafür neben Kost und Logis vom Präsidenten oder Druckereiarbeiter ein monatliches Taschengeld von 14 Dollar, umgerechnet 50 Mark.

6. Geschichte, Kongresse, Taufe

Im Jahre 1870 begann der Kaufmann Charles Taze Russell mit einer kleinen Gruppe von Freunden die Bibel zu studieren. Sein Hauptmotiv war die Unzufriedenheit mit den vorhandenen Kirchen und Glaubensgemeinschaften, die seiner Meinung nach die Bibel nicht mehr ins Zentrum des christlichen Glaubens stellten. Aus dieser Keimzelle der Ernsten Bibelforscher bildete sich im Verlaufe der Jahrzehnte nach heftigen Richtungskämpfen und einigen falschen Prophezeiungen die heutige Form der sogenannten Theokratischen Organisation. An der Spitze der 1,5 Millionen Verkündiger steht das Brooklyner Direktorium, das im wesentlichen alle ntscheidungen trifft. Dieses Direktorium, mit Nathan Homer Knorr als dritten Präsidenten seit der Gründung der Gesellschaft, sieht sich als Göttlicher Kanal zwischen Jesus Christus, der seit 1914 als unsichtbarer König die Welt regiert, und dem einzelnen Gläubigen.

Höhere Diener organisieren die vielen Kongresse, die das Predigtwerk ins öffentliche Bewußtsein bringen und dem einzelnen Zeugen die Stärke seiner Organisation bildhaft vor Augen fuhren sollen. Im internationalen Kontakt mit Glaubensbrüdern gewinnt der einzelne neuen Ansporn für seine zermürbende Tätigkeit von Tür zu Tür. Bei den Kongressen findet auch die Taufe statt, mit der jeder Zeuge Jehovas offiziell in die Glaubensgemeinschaft aufgenommen wird.

7. Während der Frauendemonstration

Zeuge Jehovas zu sein, heißt, für seinen Glauben öffentlich einzustehen, die Argumentation mit Andersdenkenden zu suchen und zu überzeugen. In der Predigtdienstschule lernt der Zeuge seine Scheu vor anderen Menschen zu überwinden, hier erfährt er Spielsituationen, wie er anhand der Literatur der Organisation mit den Fragen und der Kritik seiner Gesprächspartner fertig wird.
Ein älterer und erfahrener Zeuge Jehovas, der Schuldiener, beurteilt die einzelnen Darbietungen. Abgesehen von Ratschlägen, wie man es noch besser machen könnte, ist die Bewertung immer gut, denn es geht ja um eine Stärkung des Selbstbewußtseins. Und dieses braucht der kleine Verkündiger, denn für eine Bekehrung müssen durchschnittlich 9500 Predigtstunden aufgewendet werden.

8. Kottmeier

Herr Kottmeier ist das Haupt der Familie, weil es in der Bibel steht. Und aufgrund dieser Rolle hat er auch tiefere Einsicht in die Geheimnisse der Bibel. Während des Heimbibelstudiums lässt er Frau und Kind an dieser Einsicht teilhaben. Herr Kottmeier hat die ganze Bibel drei mal gelesen.

9. Während der Jugendversammlung

Jung oder neu zu sein in Jehovas Organisation heißt, sich der Reife und dem Wissen ihrer sichtbarsten Vertreter zu unterwerfen. Verzicht und Gehorsam - die Organisation nennt es Wertschätzung - isoliert Kinder und Jugendliche beizeiten von den harmlosen Vergnügungen ihrer Altersgenossen um ihnen zu zeigen, worauf es im Leben ankommt ...

Inhaltliches:

Diese Dokumentation will die ZJ nicht als "Sekte", sondern als gesellschaftlich relevante Gruppe betrachten.

1870 gründete Charles Taze Russell mit einigen Freunden zusammen eine Bibelgruppe. In einem historischen Abriss mit Archivfotos und Filmen soll die Entwicklung der ZJ von diesem Zeitpunkt bis heute gezeigt werden.

Die ZJ verstehen sich selbst als Gemeinde im urchristlichen Sinn. Ihre Art und ihre Ideologie sprechen vor allem das Kleinbürgertum an. Der Film soll zeigen, warum das so ist:

Wenn man mit ZJ zusammentrifft, überrascht ihre Herzlichkeit, sie nennen sich Brüder und Schwestern, scheinbar kennen sie keine sozialen und hierarchischen Schranken untereinander.

Die Welt der ZJ ist völlig platt, überschaubar: Ein simples Spiel zwischen Gut und Böse.

In einer hochtechnisierten Welt, die auch in ihren gesellschaftlichen Bewusstsein immer differenzierter und komplexer wird, wo sich selbst Menschen, die auf engstem Raum zusammenwohnen, fremd und unengagiert begegnen, findet man bei den ZJ menschliche Stallwäreme und ein Wertesystem, das völlig unberührt von jeder dofferenzierenden Erkenntnis der Soziologie, Theologie und der andern Wissenschaften, auf simplen Moralprinzipien und kindlichen Bilderbuchvorstellungen ruht.

Die ZJ sind in einem vordergründigen Sinne apolotisch, sie leben auf die Endzeit hin, die 1975 eintreten und die parasiesische Harmonie zwischen Menschen, Tieren und Natur bringen soll: Eine Tarnwelt (vg. Illustrationen im "Wachtturm" und in "Erwachet!"), ohne soziale und politische Struktur.

Was an den ZJ überrascht, ist die Konsequenz, ihre praktizierte Nächstenliebe. So banausig und fantasielos sie sonst sind, hier und in einem weiteren Punkt unterscheiden sie sich vom Kleinbürger: sie genieren sich nicht, vor die Versammlung und sogar vor die Öffentlichkeit zu treten, zu sprechen, zu agieren, zu beten. Ihnen fehlt das spiessige "Ja-nicht-Auffallen", sie bieten ihre absoluten Wahrheiten an, ertragen den Spott und das mitleidige Lächeln ihrer Mitbürger mit dem Wissen, auf dem einzig richtigen Weg zu sein.

Die ZJ kennen, vordergründig gesehen, keine hierarchische Organisation, wie sie die anderen Kirchen prägt: Sie sind Brüder und Schwestern, alle predigen und sind aktiv, es gibt nicht Rezipienten und Kommunikatoren. Ihre Oberprediger heißen "Diener". Die Frage stellt sich, ob dem wirklich so ist, und wer beispielsweise hinter den anonymen Artikeln im "Wachtturm" steht . . . (Ruhe und Ordnung als erste Bürgerpflicht. Achtung vor den Besitzenden und Regierenden. Verunglimpfung von Gewerkschaften und sozialen und politischen Reformen).

Aufbau der Films

Chronologisch oder auch thematisch verfolgt die Kamera den Werdegang eines "Zeugen". Ein Mann, eine frau wird angesprochen, interessiert sich, kommt zu einer Versammlung mit, findet dort was ihm sonst fehlt: Stallwärme und das offene Einstehen für allerlei kleinbürgerliche Idealvorstellungen.

Der Zuschauer soll also seine Schritte mitvollziehen können, er wird stufenweise an das Thema herangeführt. Dieser Prozess wird unterbrochen durch Informationen (die historischen Hintergründe, Entwicklung seit 1870, Archivfotos und -filme), kritische Stellungnahmen von Soziologen, Theologen, Selbstzeugnisse der ZJ und Inserts aus der Geschichte der ZJ, Zitate aus dem "Wachtturm" und "Erwachet!" (Bilder und Texte).

Gezeigt wird also die Praxis eines Zeugen, sein Alltag, die Arbeit im Betrieb, wo er ein Mensch ist wie du und ich, daneben sein zweites Leben in den Versammlungen, beim Verkünden der "Wahrheit" von Tür zu Tür, beim Einzelstudium der Bibel unter Anleitung eines "Dieners", beim Strassenstehen mit dem "Wachtturm".

Gezeigt werden aber auch die strengen puritanischen Sitten, das Ausschlusskomitee, das über sittliches "Fehlverhalten" der Brüder und Schwestern entscheidet.

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