Gross, Lucia

"Die 'Zeugen Jehovas': Religionsethnologische Darstellung einer Sekte."

Abschlußarbeit zur Erlangung des Magister Artium im Fachbereich Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Franfurt am Main.

Franfurt/M. 1991. 123 Seiten.

Wie auch andere AutorInnen stützt sich Lucia Gross, neben der geschichtlichen Darstellung auch besonders auf Erkenntnisse, die sie aus den Befragungen von Aussteigern gewonnen hat. Soweit es ihre geschichtliche Darstellung betrifft, fällt der hohe Anteil von Zitaten aus der englischsprachigen Literatur besonders auf. Aber eben auch nur als englische Zitate wiedergegeben, was für diesbezüglich nicht so versierte, die Sache nicht unbedingt leichter macht.

Als Kernsatz ihrer Studie (außerhalb der geschichtlichen Darstellung) kann man die Feststellung ansehen: "Die prägende soziale Erfahrung der Zeugen Jehovas ist der auf das Individuum ausgeübte Gruppendruck." Sie benennt dafür auch Beispiele von den zwei als Veranschaulichung zitiert werden sollen.

Über ihr Interview mit Heike W., einer Ex-Zeugin Jehovas, 49 Jahre alt zum Zeitpunkt der Befragung berichtet sie:

"Sie selbst hat als Kind unter der rigorosen Strenge der Mutter gelitten. Deren Forderungen, in den Predigtdienst zu gehen und den Wachtturm zu studieren, hat sie als Schikane betrachtet. Entsprechend sensibel reagierte sie schließlich auf die Bedürfnisse ihrer eigenen Kinder. Es begann ihr unerträglich zu werden, zuzusehen wie die Zeugen ihre kleinen Kinder zu den zweistündigen Versammlungen mitnehmen und von ihnen verlangen, still und bewegungslos dazusitzen und dem Redner zuzuhören: 'Und da sitzt so'n kleines Mädchen auf'm Stuhl, kriegt noch nicht mal die Füßchen nach unten, hier diesen Knick, wo alles abgeklemmt wird! Wo ich mal gelesen habe, dass das bei einem Kind viermal so lange ist wie bei einem Erwachsenen! Ich hab geglaubt, so, dann ist das für sie dann acht Stunden dasitzen! Und das Blut wird ihr abgeklemmt und die darf nicht mal irgendwie sich umdrehen! … Dann hatte ich mal meiner Tochter was zum Malen mitgebracht, dann guckten sie alle so ganz demonstrativ. Von da an gesehen war ich dann schon eine schwache Schwester.'"

Als zweites Veranschaulichungsbeispiel für diesen Gruppendruck zitiert die Autorin den Fall von Manuela E. Genauer, das Schicksal ihrer Mutter betreffend:

"Im Alter von 48 Jahren erkrankte sie an Krebs und starb an den Folgen der Transfusionsverweigerung. Die Ältesten hatten der Familie die Entscheidung über die medizinische Behandlung der Mutter aus den Händen genommen, indem sie sich ständig am Krankenbett zeigten und die Schwerkranke drängten, ihre Interessen als treue Zeugin Jehovas durchzusetzen. Auf Wunsch der Familie sollte über die Umstände ihres Todes Stillschweigen bewahrt werden. Auch diesmal wurde sie von der Ältestenschaft übergangen, denn der versammelten Gemeinde sollte die Beispielhaftigkeit von Frau E. demonstriert werden: 'Der erzählte dann auf einmal während der Ansprache, dass sie ja Märtyrerin wäre und dass sie ja standgehalten hätte und Blut verweigert hätte …'"

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