Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Stammt das aus "Grimm's Märchenbuch"?

Es ist wirklich sehr bedauerlich. In seinem Literaturverzeichnis erwähnt der Herr D. jenes noch näher zu bezeichnendes Buch mit. Inhaltlich indes geht er nirgends näher darauf ein. Und da hätte man sich gerade aus seinem Munde doch eine ins Detail gehende Stellungnahme dazu gewünscht. Wirklich bedauerlich!

Die Rede ist von dem im Jahre 1988 erschienenen Buch von Dieter Gräf mit dem Titel: "Im Namen der Republik. Rechtsalltag in der DDR".

Gräf war in den Jahren 1970 - 1982 als Rechtsanwalt in Weimar tätig. 1984 ist er dann in die alte Bundesrepublik übergesiedelt. In den Jahren 1982-84 war er als Verwaltungsjurist in einer Magdeburger kirchlichen Dienstelle tätig.

Schon diese dürren Daten. (Übersiedlung in die alte BRD vor dem Mauerfall; letzte Berufsjahre in der DDR nur noch im kirchlichen Rahmen möglich), machen deutlich, dass es sich um einen jener sicher nicht wenigen Fälle gehandelt hat, wo jemand im DDR-Regime "aneckte". Hier traf es einen Rechtsanwalt, der dem DDR-Staat zusehends aus politischen Gründen suspekt wurde und schließlich die bittere Konsequenz daraus, dann auch noch ziehen mußte.

Gräf stellt in seinem Buch einige von ihm betreute Fälle vor. Er merkt an, dass er zwar einige Namen usw. abgeändert habe; in der Sache es sich aber um authentische Fälle handelt. Und einer solcher Fälle betrifft auch Jehovas Zeugen. Formal ging es um eine Ehescheidung. De facto kam dabei auch ein gewisser Zeugen Jehovas-Hintergrund mit zur Sprache und übte in wechselnder Konstellation sehr wohl entscheidenden Einfluss aus. "Ehesache Lier. / . Lier" ist das diesbezügliche Kapitel überschrieben.

An einer Stelle in seinem Text räumt dieser Anwalt selbst ein, dass es um seine Kenntnisse in Sachen Zeugen Jehovas nicht zum besten bestellt ist. Das kann man ihm denn ja wohl auch nur bestätigen. Andererseits kann man ihm aber auch nicht unterstellen; dass er das alles "aus den Fingern gesogen" hätte. Also den realen Kern muss man schon zur Kenntnis nehmen. Auch wenn es dabei auch Stellen gibt, wo einem der Vergleich mit Grimms Märchenbuch ankommt.

Wie auch immer.

Eine Ehe kriselt, nachdem sie acht Jahre mehr schlecht als recht Bestand hatte. Die Mutter der Ehefrau eine Zeugin Jehovas. Die Ehefrau selbst aber noch nicht getaufte Zeugin. Die Frau denkt ernsthaft über die Ehescheidung nach. Auch und trotz ihrer zwei Kinder. Ihr Mann ist nach dieser Darstellung SED-Mitglied.

Nun sei zitiert wir Gräf in seinen Worten den Fall darstellt:

"Wenig Trost für meine Tochter, denkt Frau Holz, Anitas Mutter. Ob ich wohl unseren Kreisaufseher fragen sollte, wie ich Anita helfen kann?

'Sag mal, soll ich mit unserem Kreisaufseher sprechen?' Fragt sie spontan.

'Zu unseren Bibelabenden läßt er mich auch nicht', klagt Anita ihr Leid.

'Immer wenn ich dich dazu abholen will, spottet er und beschimpft mich. 'Ihr blöden Bibelforscher, ich bin Kommunist; dir werde ich es austreiben, zu diesen Sektenleuten zu gehen, zu diesen Zeugen Jehovas. Diese Spinner die elenden.' Ich halte mir die Ohren zu, aber er brüllt immer weiter. Da habe ich ihn neulich angeschrien und ihm gesagt, er soll mich und die Kinder freigeben, ich will mich scheiden lassen. Weißt du, was er da gesagt hat?'

Frau Holz schüttelt mit dem Kopf.

'Du elende Nutte, kannst gehen wohin du willst, geh doch zu deinen Sektenfreunden und mach Gruppensex, aber die Kinder bleiben bei mir, die bekommst du nie. Wenn du dich scheiden lassen willst, dann gehe doch aufs Gericht, aber als Mitglied deiner elenden Sekte bekommst du die Kinder nicht, die erhalte ich, ich kämpfe um sie! Da habe ich rot gesehen und ihm auch eine runtergehauen. Was macht er, rennt in das Kinderzimmer und schreit dort herum. Er weckt die Kinder auf. 'Simone, Simone, deine böse Mutti hat mich geschlagen.' Holger fing an zu heulen und Simone weinte auch. Mich ließ er nicht in das Kinderzimmer. Er schrie, 'du Sektenluder, verschwinde.' Mutti ich kann nicht mehr."

Der weitere Verlauf. Der Mann seinerseits reicht Scheidungsklage ein. Die Anita und ihre Mutter die Frau Holz, wenden sich darauf in der Konsequenz an den Rechtsanwalt Gräf. Der Mann seinerseits hatte auch einen Rechtsanwalt in der Trauergeschichte mit eingespannt. Zitat:

"Tatsächlich, obwohl Antias Mann bereits genug 'schmutzige Wäsche', bösartige und kleinliche Ehezerrüttungsursachen dargelegt hat, werden die Angriffe gegen Anita immer massiver, mit denen Rechtsanwalt Dr. Damm den Erziehungsrechtsvorschlag seines Mandanten Rudi Lier begründet.

Anita habe, so lese ich, das Erziehungsrecht für beide Kinder verwirkt. Sie sei Zeugin Jehovas, Mitglied einer Sekte, die in der DDR nicht erlaubt sei. Der schlechte Einfluß der Sektenmitglieder auf Frau Lier zeige sich schon in der Erziehung gegenüber Tochter und Sohn. Anita sei dagegen, daß Holger im Kindergarten kleine Soldaten der Nationalen Volksarmee bastele. Bei Simone sei sie gegen den Eintritt in die Pionierorganisation 'Ernst Thälmann' und habe das Kind davon abgehalten, zu Pioniernachmittagen zu gehen. Darüber sei Simone sehr unglücklich; und die Zeugen Jehovas stünden nicht auf dem Boden der DDR-Gesellschaft, würden keine Bluttransfusionen gestatten. So, in diesem Stil geht die Argumentation ihres Mannes weiter.

'Den besten Anwalt hat er sich genommen', unterbricht Anita meine Lektüre …

'Wir zahlen unsere Steuern, sind daher keine Gegner der DDR. Wenn mein Sohn den Wehrdienst in der NVA verweigert und dafür eingesperrt wird, hat das doch nichts mit Anita zu tun. Unser Kreisaufseher hat uns den Rat gegeben, unsere Glaubensfragen möglichst wenig darzustellen.'"

Die nächste Etappe des Trauerspiels. Die gerichtlich anberaumte Aussöhnungsverhandlung. Beide Parteien erklären dort; dass sie dazu nicht bereit sind. Eine gegenseitiges Einvernehmen zur Trennung ist gegeben. Der wesentliche Punkt ist jedoch der: Was wird aus den Kindern?

In der Formulierung von Gräf:

"Herr Lier fragt den Richter:

'Kann mir meine Frau die Kinder vorenthalten?'

'Was macht Ihre Frau?' Fragt Richter Bandemier zurück.

'Sie läßt die Kinder nicht zu mir, wenn ich zu Hause bin. Stattdessen nimmt sie die Kinder mit zu ihren Zeugen Jehovas', antwortet Rudi Lier.

Jetzt ist es heraus - das große Problem.

Ich schaue den Richter an. Sein Kopf rötet sich noch stärker. Er atmet tief ein und es entlädt sich ein Sprachgewitter über meine Mandantin und mich.

'Dazu', so Richter Bandemier, 'wäre ich schon noch gekommen. Doch so sage ich es jetzt.' Immer lauter dröhnt seine Stimme. 'In unserer sozialistischen Gesellschaft ist kein Platz für derartige Sachen. Wo gibt es denn das, die Kinder gegen unsere sozialistische Erziehung zu stellen? Wir wissen doch, was die Zeugen Jehovas vorhaben.'

Ich rede jetzt auch einfach los, um Richter Bandemier abzulenken. Der Nerv dieses Prozesses ist getroffen. Das spüren alle im Verhandlungssaal.

'Also, ich weiß das nicht', beginne ich nun auch laut zu sprechen, 'meine Mandantin stellt sich ja gar nicht gegen die Erziehung in Schule und Kindergarten. Sie ist keine Zeugin Jehovas, so wie es der Kläger behauptet. Das wird bestritten. Außerdem sollte man wohl niemandem Wegen seiner Glaubenshaltung Vorwürfe machen.'

Richter Bandemiers Zornesader auf der Stirn wächst an, der Kopf wirkt geschwollen.

'Was sagen Sie da so unqualifiziert, Herr Rechtsanwalt? Sie befinden sich hier vor einem Gericht der DDR; wenn Sie nicht wissen, was die Zeugen Jehovas wollen und wie sie auftreten, dann müssen Sie sich informieren. Die Zeugen Jehovas sind nicht von unserer Verfassung - wenn sie den Glauben ansprechen - geschützt. Das ist ja die Höhe. Das sollte Ihr Kollegium erfahren, daß es noch immer Anwälte gibt, die nichts über die Zeugen Jehovas wissen.' Ich weise mit Nachdruck zurück, daß ich mich unqualifiziert geäußert habe, und schicke meine Frage hinterher, was wohl all das mit dem Kollegium der Rechtsanwälte zu tun habe.

'Wahrscheinlich bin ich noch zu jung, um genau über die Prozesse in den frühen fünfziger Jahren informiert zu sein', fahre ich mit lauter Stimme fort. Auf Richter Bandemiers Brüllerei ist nur mit lauter Erwiderung zu reagieren. Dann fängt er sich und wird allmählich ruhiger. Diese Methode habe ich mir bei ihm angewöhnt, denn nachtragend ist er nicht.

Mein Kollege wittert Oberwasser.

In einer Pause, die Richter Bandemier und ich in unserem Disput einlegen, spricht er salbungsvoll.

'Die Zeugen Jehovas werden von der amerikanischen Wachtturmgesellschaft, mit dem Sitz in den USA, in Pennsylvania, gesteuert. Über die ganze Welt sind sie organisiert. Sie lehnen jede staatliche Autorität ab. Stellen Sie sich mal vor, wenn einem der Kinder der Parteien, der Eheleute hier, ein Unfall passiert, dann lehnt Frau Lier eine dringende Bluttransfusion ab. Blutwurst dürfen die Kinder ja auch nicht essen.'

Frau Lier; auch sie ist jetzt sehr erregt; erklärt: 'Es gibt ja Trockenplasma - das kann beim Unfall gegeben werden. Bluttransfusionen sind nicht einmal immer möglich; Trockenplasma, ohne Blutkörperchen, ist oft sogar praktischer!'

Rudi Lier springt auf:

'Sehen Sie, haben Sie gehört, Herr Richter, sie lehnt Bluttransfusionen an sich und an den Kindern ab. Sie ist eben doch eine Zeugin Jehovas.' …"

In diesem Stil geht die turbulente "Aussöhnungsverhandlung" noch eine Weile weiter; ohne erreichen des Zieles des Verhandlungsnamens. Es werden gerichtlicherseits dann noch einige Gutachten angefordert und erst nach deren Vorlage soll dann die Hauptverhandlung stattfinden. In diesen angeforderten Gutachten wird dann - fast hätte man es geahnt - vorgeschlagen, dem Vater das Erziehungsrecht über die Kinder zuzusprechen.

In der öffentlichen Hauptverhandlung findet sich dann auch ein einsamer Zuhörer (außer den direkt Prozeßbeteiligten) mit ein. Fast hätte man es wieder geahnt - genau. Es handelt sich um den Kreisaufseher der Zeugen Jehovas, von dem schon vorher die Rede war. Es zeigt sich bei der Prozeßführung durch den Richter, dass sehr wohl immer wieder auf den Zeugen Jehovas-Aspekt abgestellt wird. Der Richter lässt nicht locker und versucht sie in die Enge zu drängen dergestalt, dass ihr Erziehungsstil nicht mit den von der "sozialistischen" DDR konform gehen würde. Der Anwalt von Frau Lier indes hatte seine Mandantin schon im Vorfeld entsprechend "vergattert" und legte besonderen Wert auf die Betonung, dass Frau Lier, obwohl in aktivem Kontakt zu den Zeugen Jehovas; jedoch noch keine getaufte Zeugin Jehovas sei. Das war der Strohhalm, den die Verteidigung der Frau Lier versuchte die Dimension eines mächtigen Baumstammes anzudichten.

Eine von Gräf dazu wiedergegebene Episode. Der Frau Lier wird ein ellenlanger Text aus dem Familiengesetzbuch der DDR vorgelesen indem es unter anderem heißt. Zitat:

"Die Eltern sollen bei der Erfüllung ihrer Erziehungsaufgaben und zur Gewährleistung einer einheitlichen Erziehung eng und vertrauensvoll mit der Schule, anderen Erziehungs- und Ausbildungseinrichtungen, mit der Pionierorganisation Ernst Thälmann und der Freien Deutschen Jugend zusammenarbeiten und diese unterstützen.'

Anita Lier schweigt. Ich merke, wie sie mit sich ringt. Ich weiß, lügen darf sie nicht, und ihren Glauben möchte sie nicht verleugnen. Wie gebannt blickt Anita Lier jetzt auf den einzigen Zuschauer im Verhandlungssaal, ihren Glaubensbruder. Richter Bandemier wird unruhig.

'Frau Lier, an was ist denn? Haben Sie die Frage Ihres Anwalts nicht verstanden? Hätte er sie nicht gestellt, hätte ich das auf alle Fälle getan; also bitte!'

Auch ich beobachte den Zuschauer. Er nickt leicht, fast unbemerkbar mit dem Kopf. Jetzt atmet Anita auf und antwortet: 'Ja, natürlich, das will ich. Dazu bin ich bereit.'"

Da war nun also eine Antwort zu Protokoll festgehalten, die nicht so recht in das Bild hineinpasste, dass im Vorfeld der Verhandlung, der Richter in Sachen Zeugen Jehovas, von letzteren hatte. Das alles spiegelte sich dann auch in der Urteilsverkündigung wieder.

Zitat:

"Drei Tage später verkündet er das Urteil.

Das Gericht hat die Ehe geschieden und die Entscheidung über das Erziehungsrecht für die Dauer eines Jahres ausgesetzt. Nun verliest es die Urteilsbegründung. An der Zerrüttung der Ehe Lier hatte das Gericht keine Zweifel. Es konnte sich aber nicht entscheiden, über die Übertragung des Erziehungsrechtes endgültig zu befinden."

Wer diese Ausführungen bis hierher verfolgt hat, der mag sich zu recht fragen. Schön und gut. Aber weshalb ist denn in der Überschrift zu diesem Beitrag die Frage mit enthalten. Ob hier ein neues "Grimms Märchen" erzählt wird? Das was man bisher vernahm, bietet doch so recht keinen Ansatzpunkt dafür. Würde ich auch so sehen wollen. Daher muss nun noch von dem "dicken Ende" in dieser Sache gesprochen werden.

Kurz gefasst. Kurz vor Ende der Jahresfrist von der hier schon die Rede war, bekam der den Prozess führende Richter eine terminliche Aufforderung nach Ostberlin zu reisen und im dortigen Obersten Gericht der DDR vorstellig zu werden. Dazu sei noch abschließend aus den Ausführungen von Gräf zitiert. Nur soviel vorab. Das es ein Happyend in der Gerichtsentscheidung im Sinne für Frau Lier gab, kann man nachvollziehen. Nachvollziehen kann man auch, dass die DRR-Gerichte nunmehr den Zeugen Jehovas-Aspekt in der Sache nicht mehr bewertet wissen wollten.

Nicht nachvollziehen indes kann man die Behauptung von Gräf. Es gäbe da ein stillschweigendes Arrangement zwischen der Wachtturmgesellschaft und der DDR. Dergestalt, auch die WTG subventioniert den maroden DDR-Staat und erkauft sich dafür im Gegenzug dessen Wohlverhalten. Es tut mir leid. Bis zum Beweis des Gegenteiles, ordne ich das weiterhin unter die Rubrik "Grimm's Märchen" ein.

Aber es mag zum Abschluss Märchenerzähler Gräf noch selbst einmal sprechen und es mag sich dann jeder seine eigene Meinung dazu bilden:

"S-Bahn, Littenstraße, Oberstes Gericht der DDR, er steht vor der Pforte.

'Ich habe einen Termin bei Genossen Dr. Weghügel, mein Name ist …'

'Ja, ich weiß Bescheid, Sie werden erwartet', unterbricht ihn der Pförtner. 'Vierter Stock, Zimmer 427.'

Richter Bandemier hastet die Treppen hinauf, läuft eilig den langen Gang entlang, Zimmer 402, 410, der Gang zweigt nach links ab, hier - 427 - Vorzimmer Dr. Weghügel.

Schnell atmend steht er vor der gesuchten Tür, klopft hastig an, die Sekretärin öffnet ihm.

'Genosse Bandemier?'

'Jawohl, der bin ich.'

Er wird angemeldet.

'Bitte treten Sie ein.'

In einem riesigen Zimmer, hinter einem Diplomatenschreibtisch sitzt Dr. Weghügel.

'Guten Tag, Genosse Bandemier', grüßt er.

'Guten Tag, Genosse Dr. Weghügel.'

Bandemier bleibt unschlüssig in der Mitte des Raumes stehen.

'Haben Sie die Gerichtsakte Lier mitgebracht? Geben Sie mir die Akte bitte.' Dr. Weghügel steht energisch auf.

'Ich habe mich schon durch den Genossen Bezirksgerichtsdirektor informieren lassen', beim Sprechen blättert Weghügel in der Akte und liest.

'Sagen Sie, wollen Sie mit Ihrer Entscheidung unsere Volkswirtschaft kaputtmachen?' will Dr. Weghügel plötzlich wissen.

Richter Bandemier blickt ungläubige und erschrocken auf. 'Ich, aber wieso denn? Ich habe doch gar nichts mit der Volkswirtschaft zu tun:'

'Ja glauben Sie denn, Sie können an Ihrem Kreisgericht schalten und walten, wie Sie das für richtig halten?' Dr. Weghügels Stimme wird lauter.

'Hier lesen Sie!' Er zeigt Bandemeier das Protokoll der streitigen Verhandlung in der Ehesache Lier, 'Zeugen Jehovas, hier Zeugin Jehovas, Wachtturmgesellschaft, hier USA, also das Protokoll schlägt ja fast dem Faß den Boden aus!

Genosse Bandemier; wissen Sie denn nicht, daß diese Wachtturmgesellschaft unsere Volkswirtschaft mit Krediten in harter Währung versorgt; dafür sagen wir nichts mehr gegen die Zeugen Jehovas, die es in der DDR gibt. Viele sind es ja doch nicht. Wir haben alles über sie in unseren Dossiers, sie schaden uns nicht mehr, und da machen Sie so ein Theater.

Aber Sie, Genosse, Sie schaden uns. Wenn das bekannt wird, wenn die in den USA das erfahren, was da bei dir los war. Das schädigt unsere Volkswirtschaft, wenn die auf Grund deines Protokolls und deiner Entscheidung ihre Kredite kündigen. Wir sind uns hier einig, daß du sofort die Protokolle zurückzufordern hast, die Anwälte werden und müssen sie dir zurückgeben. Weiter - du verhandelst sofort in dieser Sache … Kein Wort mehr über die Zeugen Jehovas. Sie sind bei uns geduldet und zahlen ja auch ihre Steuern …

Der Sohn des Klägers (aus dessen erster Ehe) ist im Westen, auch das wissen wir. Kurze Verhandlung und kurze Entscheidung. …

In der Verhandlung wollte Rechtsanwalt Dr. Damm die Hinweise gegen die Zeugen Jehovas erneut ausbauen, wurde aber von Richter Bandemier belehrt:

'Diese Angelegenheit spielt hier und jetzt nicht die Rolle, die Sie ihr geben wollen. Es geht nur noch um das Wohl der Kinder, und ich möchte nichts mehr davon hören!'

Die Verhandlung dauerte nur kurz, und zwei Tage später verkündete Richter Bandemier sein Urteil. Das Erziehungsrecht für die Kinder Simone und Holger wurde Anita Lier übertragen.

Anita Lier kann nun ihre Kinder allein erziehen; ob im Sinne ihres Glaubens oder im Sinne der DDR-Gesellschaft, das interessierte Richter Bandemier nicht mehr.

Das Urteil wurde rechtskräftig."

Nachbemerkung:

Hätte Gräf davon gesprochen, dass USA-Kreise (Politik und Wirtschaft) der maroden DDR Kredite gewährten; dass selbige dafür den USA politisch entgegenkam, hätte ich überhaupt keinen Widerspruch anzumelden. Wer beispielsweise die Studie von Gerald Hacke über die Zeugen Jehovas und die DDR gelesen hat, der weiß zum Beispiel, zu welch (früher undenkbarem) Entgegenkommen die DDR bereit war. Siehe auch das von Hacke genannte Beispiel eines amerikanischen jüdischen Rabbiners für die DDR; wohingegen ein jüdischer Rabbiner aus Ungarn, der auch im Gespräch war, das nachsehen hatte.

Der Kritikpunkt ist einzig und allein der, dass bestritten wird, die Wachtturmgesellschaft habe der DDR Kredite gewährt. Diese gewährten Kredite wurden von vielen anderen initiiert. Nur nicht von einem von dem Brooklyner Moloch namens Wachtturmgesellschaft!

Gerald Hacke

ZurIndexseite