Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Auf Kriegsfuß mit der Geselligkeit

Joseph Wilting berichtet in seinem Buch "Das Reich das nicht kam. 40 Jahre hinter der prächtigen Fassade der Zeugen Jehovas" auch die nachfolgende Episode:

"Ab und zu organisierte ich eine Fahrt mit der Versammlung, z. B. in einen Vergnügungspark, oder wir unternahmen einen Museumsbesuch. Wir kamen zu einer gemeinsamen Bootsfahrt zusammen oder wir trafen uns um Fußball zu spielen oder zu anderen Freizeitaktivitäten.

Hierdurch war ich wieder ins Fettnäpfchen getreten. Die Gesellschaft hatte solche Treffen nicht empfohlen, sie hatte ganz einfach keine Vorschriften für Extratreffen im Königreichssaal, ganz im Gegenteil. Solche Unternehmen würden der Verkündigungsarbeit schaden. Man räsonierte nämlich bei der Leitung so, dass man ja auf einem Tivoli keine Schriften und Bücher verkaufen könne und zu solch einer Aktivität könne man daher nicht ermuntern. Die Gesellschaft schickte mir daher eine Ermahnung und gab klar und unzweideutig Order, es sei mir nicht erlaubt, andere Treffen als die von der Wachtturmgesellschaft festgesetzten, zu organisieren."

Außenstehende Beobachter werden ob solchen Berichtes verständnislos mit dem Kopf schütteln. Dennoch muss gesagt werden. Es ist die offizielle WTG-Linie! Dem vernehmen nach soll sie zwar verschiedentlich "unterwandert" worden sein. Das mag dann individuell etwas anders aussehen. Aber es gibt auch eindeutig zu registrieren, dass diese WTG-Linie durchaus in etlichen Fällen rigoros durchgezogen wird. Misslich besonders für die davon betroffene Jugend. Kommen dann noch erschwerte Umweltbedingungen hinzu (beispielsweise das DDR-ZJ-Verbot), potenziert sich die Problemlage (Ich weiß wovon ich rede).

Das interne Blatt "Königreichsdienst" zeichnet sich nicht gerade durch "tiefschürfende" Beiträge aus. In der Regel ist seine Tendenz auf das Antreiben zum Literaturverkauf (als diese noch verkauft wurde) und den sogenannten "ach so wichtigen" Predigtdienst ausgerichtet. Wirklich Interessantes findet man in diesem Antreiberblatt selten. Eine herausgehobene Ausnahme von diesem Trend bildete jedoch die Ausgabe vom August 1960, die einen relativ umfänglichen Beitrag zum Thema enthielt. Er sei nachstehend in vollem Wortlaut unkommentiert wiedergegeben.

"Organisierte gesellige Veranstaltungen.

1 Wie man uns berichtet, werden in gewissen Gebieten regelmäßig gesellige Veranstaltungen durchgeführt und zwar nicht im Königreichssaal, da dieser für solche Zwecke nicht benutzt worden darf, sondern in anderen Sälen, die hierzu extra gemietet werden. Zu diesen Veranstaltungen worden nicht nur Brüder aus einer Versammlung eingeladen, sondern aus mehreren Versammlungen in derselben Gegend. Man verfolgt dabei besonders den Zweck, der Jugend der betreffenden Versammlungen Gelegenheit zu geben sich besser kennenzulernen. In einem Bezirk werden diese Veranstaltungen in immer größerem Rahmen durchgeführt, um den Brüdern der verschiedenen Versammlungen angeblich Gelegenheit zu geben, sich näherzukommen und sich einige Stunden gemeinsam zu entspannen, ohne sich dem Einfluß der Welt auszusetzen oder mit weltlichen Elementen in Berührung zu kommen.

2 Die Brüder, die diese geselligen Veranstaltungen großen Stils organisieren, suchen stichhaltige Gründe für deren Durchführung vorzubringen. Vor einiger Zeit wurde sogar angeregt, daß die Gesellschaft in jeder Versammlung einen "Geselligkeitsdiener" ernennen sollte, der für die Organisierung solcher Gesellschaftsabende, die eine Versammlung für sich oder in Verbindung mit anderes Versammlungen durchführen würde, verantwortlich wäre und diese überwachen würde. Die Gesellschaft gab, damals bekannt, daß sie keinen solchen Diener ernennen werde.

3 Die Diener, die in Übereinstimmung mit Gottes Wort eingesetzt sind, sollten den geistigen Bedürfnissen der Brüder dienen. Dasselbe trifft auch auf den Königreichssaal zu. Ja die ganze Versammlungsorganisation dient dem einen Zweck, die Brüder geistig aufzuerbauen und Ihnen zu helfen, das so wichtige Werk zu tun, das Jehova Gott uns aufgetragen hat. Wenn wir uns dieser geistigen Dinge annehmen, wird uns nicht mehr viel Zeit übrigbleiben, um Gesellschaftsabende zu veranstalten.

4 Diese Veranstaltungen sind auch, wenn sie regelmäßig bis spät in die Nacht oder in die frühen Morgenstunden hinein dauern, keine körperliche Entspannung mehr, sondern eher eine Anstrengung, so daß die Teilnehmer am nächsten Tag. an dem sie frisch sein sollten, um ihre geistigen Aufgaben im Felddienst, in den Dienstzentren und im Königreichssaal zu erfüllen, müde sind. Sie sind oft der Ausgangspunkt für Liebschaften und die Ursache von Eheproblemen. Auch besteht die Gefahr, daß sie, wenn sie regelmäßig stattfinden, ausarten.

5 Weltlichgesinnte Personen, die hauptsächlich am Vergnügen und an weltlicher Unterhaltung interessiert sind, nehmen ganz gern an solchen Gesellschaftsabenden teil, aber nicht in erster Linie, um mit geistlichgesinnten Menschen zusammenzukommen und sich von ihrem Geist beeinflussen zu lassen. Manche Brüder laden bei dieser Gelegenheit Personen ein, die kaum als zuverlässige Verkündiger bezeichnet werden können, um diese angeblich zu ermuntern und sie fühlen zu lassen, daß sie zu uns gehören, und um ihnen zu zeigen, daß wir nicht engherzig sind, sondern uns zeitweise auch amüsieren. Es wird uns ferner berichtet, daß es schon vorgekommen ist, daß Teilnehmer, die mit den Dingen, die in dem betreffenden Saal serviert wurden, nicht zufrieden waren, in andere Lokale gingen, um das Gewünschte zu erhalten. Auch sollen einige in letzter Zeit in bezug auf ihr Benehmen und ihren Sprachschatz nachlässig geworden sein, in dem falschen Gedanken, die Entspannung gestatte dies einem Christen.

6 Die Gesellschaft fühlt sich daher verpflichtet, nochmals hervorzuheben, daß sie eine solche Tendenz nicht gutheißt und es ablehnt, so etwas wie einen "Geselligkeitsdiener" zu ernennen, der für solche Veranstaltungen verantwortlich wäre. Wir wissen, daß "der Tag" herannaht. Wir sollten daher, gemäß den Worten des Apostels, um so mehr zusammenkommen, aber nicht zum Vergnügen, sondern, um in geistiger Hinsicht aufeinander achtzugeben und einander zur Liebe anzuspornen, und zwar nicht zu einer sinnlichen Liebe, sondern zur Liebe zu Gott und zu unserem Nächsten, ferner, um uns zu rechten Werken anzuspornen die in Übereinstimmung sind mit unserem christlichen Auftrag, und um ohne Wanken eine öffentliche Erklärung abzugeben, damit auch andere in diesem Glauben und in dieser Hoffnung gestärkt werden und ohne Wanken festzustehen vermögen. Der Ort, an dem wir zusammenkommen sollten - und das um so mehr, als der Tag herannaht -, ist der Königreichssaal, in dem sich alle, die während der Woche die Dienstzentren besuchen, versammeln können.

7 Wer gern mit Brüdern aus anderen Versammlungen bekannt werden möchte, hat dazu Gelegenheit auf den Kreis- und Bezirksversammlungen. Diese Versammlungen dienen nicht der körperlichen und geistigen Entspannung. Obwohl wir bei diesen größeren Zusammenkünften Gelegenheit haben, viele neue Bekanntschaften zu machen, ist das nicht ihr Hauptzweck, sondern sie sollen in erster Linie dazu dienen, uns zu besseren Predigern auszubilden, und das tun sie auch. Bei diesen Anlässen können sich die Brüder in einer gesunden Atmosphäre kennenlernen und in einer Weise betätigen, die nutzbringend und auferbauend ist und ihnen hilft, die Zeit auszukaufen und weise zu wandeln, denn wir leben inmitten dieser Welt, und die Tage sind böse. Gerade weil diesen Versammlungen theokratische Ziele zugrunde liegen, nicht die Geselligkeit, werden wir durch sie erfrischt und gestärkt und vor den vielen Gefahren und den falschen Tendenzen, die in der Welt herrschen, gewarnt, damit wir uns davor in acht nehmen können.

8 Die Aufseher der Versammlung und ihre Gehilfen sind Hirten der Herde. Sie müssen auf ihr eigenes geistiges Wohl und auch auf das der Herde achtgeben. Demzufolge sollten sie sich hauptsächlich darauf konzentrieren, für die geistigen Bedürfnisse der Versammlung zu sorgen, und die Ihnen aufgetragenen Pflichten erfüllen. Sie dürfen sich nicht durch gesellige Veranstaltungen ablenken lassen. Die Neue-Welt-Gesellschaft ist kein geselliger Verein.

9 Laßt uns daher in einer Weise für die neue Welt leben, die sich für Zeugen des höchsten Gottes, Jehova, und für Nachahmer seinen Sohnes, Jesu Christi geziemt."

Da schon der "Königreichsdienst" einmal zitiert wurde, soll gleich noch ein zweites Zitat folgen. Auch wiederum in vollem Wortlaut. Als Kommentar sei lediglich hinzugefügt, dass die Alltagspraxis der örtlichen Zeugen Jehovas-Versammlungen, diese WTG-Anweisung allerdings in nicht seltenen Fällen konterkariert! Der "Königreichsdienst" schrieb in seiner Ausgabe vom Juni 1960:

"Kein Platz für Geschäftemacher

Wie die Gesellschaft erfährt, nutzen einige Brüder ihre Verbindung mit der Neuen-Welt-Gesellschaft dazu aus, den Brüdern und Menschen guten Willens ihre Produkte zu verkaufen. Wie im "Wachtturm" darauf hingewiesen wurde, geht es nicht an, daß Versammlungsdiener, Pioniere oder Verkündiger im Königreichssaal, in den Buchstudien oder auf größeren Versammlungen Verbindungen anknüpfen, um etwas zu verkaufen. Niemand sollte seine Stellung als Diener, Pionier oder Verkündiger dazu benutzen, um andere Brüder oder Menschen guten Willens aufzusuchen und ihnen seine Produkte zu verkaufen. Wenn jemand für seinen Lebensunterhalt etwas verkaufen möchte, dann ist das seine Sache, aber er sollte seine theokratischen Verbindungen und Freundschaften nicht als Absatzmarkt für seine Produkte mißbrauchen. Mit dieser Mitteilung hoffen wir die vielen Anfragen zu beantworten, die bei der Gesellschaft diesbezüglich eingegangen sind, und die Brüder vor solchen Geschäftemachern, die in die theokratische Organisation eindringen mögen, zu warnen."

Joseph Wilting

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