Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Rutherford's Freiheit's-Broschüre

In der Regel wurden die deutschsprachigen Rutherford-Broschüren der zwanziger und dreißiger Jahre in Magdeburg, respektive auch (oder nur - nach dem Hitlerverbot) in Bern gedruckt. Es ist aber durchaus interessant zu registrieren, dass deutschsprachige Exemplare offenbar auch noch zusätzlich in Brooklyn gedruckt wurden.

Einem solchen Beispiel kann man in der 1932 erschienenen Broschüre "Freiheit" begegnen.

Die Magdeburger Edition enthält folgenden, auch in anderen dort gedruckten Rutherford-Schriften enthaltenen Standardtext:

"Dieses Buch wurde in Amerika geschrieben. Der Verfasser beleuchtet die Verhältnisse in Amerika und Groß-Britannien. Das Buch wurde aus dem Original übersetzt, damit das deutsche Volk auch jene Zustände kennenlerne."

Lässt man sich diesen Reverstext mal ruhig auf "der Zunge zergehen", kommt man nicht umhin das als eine Art indirekter Distanzierung zu bewerten. Nach dem Motto. Was da gesagt wird, treffe "nur" in erster Linie für die USA zu. Das alles hat natürlich einen tieferen Sinn. Redet man heute von den Zeugen Jehovas der dreißiger Jahre in Deutschland, so fällt gleich auf Anhieb das Stichwort "Hitlerverbot". Dies jedoch ist eine verkürzte Wertung. Erwähnen muss man auch, dass schon 1931 in Bayern fast alle Rutherfordschriften, in namentlicher Aufzählung, polizeilich verboten worden waren. Nun ist Bayern zwar nicht das gesamte deutsche Reich, aber doch ein relevanter Teil von ihm. Dieses Verbot schmerzte natürlich. Und wie kaum anders zu erwarten setzte die WTG "Himmel und Hölle" in Bewegung, um seine Aufhebung zu erreichen. Erfolglos übrigens, wie man rückblickend zu konstatieren hat. Für diese Erfolglosigkeit war sicherlich mit verantwortlich, dass schon zwei Jahre später, der braune Spuk die Herrschaft über Gesamt-Deutschland an sich gerissen hatte. Das ist unstrittig.

In den diesbezüglichen Verhandlungen bekam den WTG-Syndikus Dollinger auch knallhart ins Gesicht gesagt: Was ihr macht, das ist kommunistische Propaganda. Ihr appelliert an die "untersten Instinkte" der "unteren Schichten" und das sind wir nicht gewillt hinzunehmen. Deshalb dieser "Denkzettel" via Schrifttumsverbot. In der Konsequenz dessen, ist dann der eingangs zitierte Distanzierungsrevers entstanden.

Ein Beleg ist dafür auch, der Fall der das Gesamtdeutsche Zeugenverbot massiv fördernden Broschüre "Die Krise" aus dem Jahre 1933. Über diesen Vorgang meint die WTG in ihrem 1974er Jahrbuch aussagen zu können:

"In Magdeburg hatten Regierungsorgane das Büro wissen lassen, daß das Bild auf der Titelseite der Broschüre (ein Krieger mit einem bluttriefenden Schwert) anstößig sei, und hatten verlangt, daß es entfernt würde. Bruder Balzereit, der wiederholt seine Kompromißbereitschaft gezeigt hatte, befolgte die Anweisung, die farbigen Umschläge von den Broschüren zu entfernen, sofort."

Man vergleiche dazu auch 19332Krise

Um jetzt wider auf die genannte deutschsprachige USA-Ausgabe der Broschüre "Freiheit" zurückzukommen. In ihr findet man den Distanzierungs-Revers nicht. Statt dessen liest man dort an dieser Stelle die Rutherford belobhudelnden Worte:

"Geehrter Richter Rutherford:

'Ihre Bücher sind unvergleichlich und erstaunlich aufschlussreich. Ehe ich die angeführten Schriftstellen nicht selber nachgeprüft hatte, konnte ich nicht glauben, dass die Bibel eine solch befriedigende Erklärung des göttlichen Vorhabens der Menschheit hier auf Erden Leben, Freiheit und Glück zu schenken, enthält.'"

Teil des Titelbildes (vormaliger Besitzstempel abgedeckt)

Inhaltlich wiederholt sich diese Broschüre. Zum nicht mehr zahlbarem Maße meint Rutherford darin darlegen zu sollen, die Menschhheit hätte nur eine "Hoffnung - Gott". Am Sanktnimmerleinstag: dass allerdings vergass der Rattenfänger Rutherford bewusst mit hinzuzufügen. In der geschichtlichen Wertung ist eigentlich nur interessant, in welchem Umfang und mit welchen Worten er gesellschaftskritische Aspekte beschrieb, die wie vorstehend beschrieben, selbst seinen deutschen Satrapen nicht so recht behagten. So eröffnet schon der erste Aufsatz in dieser Broschüre mit der Überschrift: "Die Zivilisation zum Untergang geweiht". Nachstehend einige charakteristische Auszüge daraus:

"Die Reichsten der Reichen nehmen beständig an Macht zu, während auch dieLeiden der Armen im gleichen Verhältnis anwachsen. Noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte war auf der Welt ein so ungeheurer Reichtum an brauchbaren und nützlichen Dingen vorhanden wie heute. Und noch nie zuvor hat es so große Not und soviel Leiden unter denen gegeben, die nichts weiter wollen, als eine Gelegenheit, sich ihren Lebensunterhalt ehrlich zu verdienen. In Amerika ist fast alles Ackerland hypothekarisch belastet durch Geldleute, die selber nichts erzeugen, und die Lasten der Zinsen und Steuern können kaum noch getragen werden.

Durch die Steuern werden Millionen aus dem Volke herausgewunden, die in fruchtlosen Bemühungen und in der Durchführung unvernünftiger Gesetze verschwendet werden. ...

Einer dieser Herren sagte kürzlich auf einem Weltkongreß: 'Nur Gewalt regiert die Welt! Wenn Sie diese Überzeugung nicht ausrotten, ist die Zivilisation dem Untergang geweiht.'

Die Herrscher fürchten, dass der Bolschewismus oder Kommunismus die Zivilisation vernichten werde. Aber darin irren sie. Die herrschenden Mächte sind zu stark und zu fest verschanzt, um je vom Bolschewismus, dem Kommunismus oder ähnlichem Bewegungen überwältigt zu werden. ...

Der Tag der Rache Gottes ist gekommen. Wir leben jetzt in der Zeit, in der er seinem gerechten Zorn gegen die Mächte der Bosheit Ausdruck verleiht ...

Alle wirklich denkenden Menschen müssen erkennen, dass die gegenwärtigen unglücklichen Verhältnisse nicht mehr lange dauern können. Die Lasten, die dem Menschen jetzt aufgebürdet werden, sind zu groß, als dass sie sie tragen könnten, ohne darunter zusammenzubrechen. ..."

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