Geschrieben von Drahbeck am 19. Oktober 2003 08:10:16:

Als Antwort auf: Mormonen geschrieben von D. am 03. Oktober 2003 08:06:26:

Die neuen Kreuzritter. So der Titel einer Fernsehreportage (Phönix) über den Bibelgürtel der USA; einschließlich Texas, Heimat des "wiedergeborenen" Herrn Bush. Vorgestellt wurden konservativ-evangelikale Gruppen jener Region. Ein Beispiel. Ein Parlamentsabgeordneter, seine Familie und ihr religiöser Background. Sein Lebensunterhalt verdient er als Inhaber einer Firma, die Ausrüstungen herstellt (für Otto Normalverbraucher) gegen chemische und biologische Angriffsattacken. Nicht im Film ausgeführt, aber ebenso denkbar. Er könnte sich auch als Hersteller privater Bunker und Luftschutzkeller profilieren. So ist das halt in "God's own country".

Seine vier Kinder besuchen keine öffentliche Schule. Schulunterricht erhalten sie zu Hause von ihrer eigenen Mutter. Der Kommentar des Films merkt an, dass dies im "Bibelgürtel" schon zwanzig Prozent aller Familien so handhabt. Die so "Ausgebildeten" müssen lediglich ihre Examina vor staatlichen Schulbehörden absolvieren. Damit ist dann der Schulpflicht genüge getan. Befragt nach ihrer Motivation, geben die Eltern zu Protokoll. Sie möchten nicht, dass ihre Kinder etwas von "Homosexuellen" lernten. Das ist dann ihr "Schreckgespenst" das sie an die Wand malen, als "Begründung" für ihre Entscheidung. Und natürlich, soll die religiöse Ausbildung einen dominanten Platz im Leben ihrer Kinder haben.

Vorgestellt wurde weiter ein Gottesdienst jener Gemeinde, der diese Familie angehört. Der Pastor, zog da eine wahrhafte Theatershow ab. Kennt man hierzulande den Pastor als einen, der hinter dem Altar steht. So nicht in diesem Filmbeispiel. Der ist da durchs "Gelände gesaust" mit emotional-euphorischen Sprüchen um sich werfend. Der hat bestimmt keinen Grund über mangelnde Beweglichkeit zu klagen. Ziel offenbar nur eines: Erzeugen einer euphorischen Stimmung.

Noch eine andere Gruppe wurde vorgestellt. Ein "Bibelinstitut". Gott habe die Türen jetzt im Irak geöffnet; und daher würden sie ihre Missionare gezielt dorthin schicken. Die Vorauskommandos seien schon dort. Alles was sie tun und lassen. Immer wieder ist es "Gott"; der in seiner "wunderbaren Vorsehung" das so arrangiert habe. Der Herr Bush ist in diesem Kontext ihr von Gott gesandter Führer. Wörtlich gesagt Führer. Vielleicht merken die Amis in ihrer Euphorie gar nicht mehr, wie belastet diese Vokabel bereits ist; angesichts eines "Führers" aus deutschen Landen.

Dem äußerten rechten Rand ordnete dieser Filmbericht die vorgestellten Protagonisten zu. Mit der hinzuzufügenden Anmerkung noch, dass der rechte Rand in den USA Majoritätscharakter hat. Mit Bomben wurden die Türen für diese selbsternannten Missionare geöffnet; und das empfinden sie in ihrer Euphorie auch noch als gut und gottgewollt.

In der Tat, in dem deutschen Führerstaat, seinerzeit, hat es auch nicht an Euphorie gemangelt. Die Bilder gleichen sich in der Tat frappierend.

Zweites Schlaglicht.

Um die elf Millionen Mormonen soll es dem Vernehmen nach derzeit weltweit geben. Der Löwenanteil davon in den USA ansässig. Als diese Religionsgemeinschaft neu auf den Plan getreten war, noch vor den Zeugen Jehovas, zog sich alsbald den Hass breiter Kreise zu, die nicht zu ihnen gehörten. Der Gründer Joseph Smith wurde gar im Gefängnis erschossen.

Offenbar bewirkte derartiges "Märtyrertum" nachhaltig ihren weiteren Fortbestand.
Der Nachfolger von Smith, Brigham Young, hatte dann in einem legendären Wüstenmarsch, seine Gruppe zu "neuen Ufern" geführt. Nach Utah im Westen der USA. Damals noch weitgehend Indianergebiet. Auch das sollte sich noch ändern.
Nicht nur durch ihre weitere "heilige Schrift", das Buch Mormon, machten sie von sich reden. Auch und besonders auch durch ihren Grundsatz der Polygamie.
Das wiederum zog ihnen erneute, verschärfte Feindschaft zu.
Die Führung der sich inzwischen etabliert habenden Religionsgemeinschaft stand vor der Frage. Weitere Konflikte diesbezüglich, oder zurückstecken?

In einem mühsamen Prozess entschlossen sie sich zu letzterem. Heute gelten Mormonen vielfach als gut situiert und politisch konservativ orientiert. So konservativ, dass sie selbst in einigen USA-Regierungen Ministerposten besetzten. So konservativ, dass die CIA keinerlei Bedenken hat, auch aus Mormonenkreisen ihr Personal zu rekrutieren. So konservativ, dass ebenfalls konservative Organisationen in den USA, etwa die John Birch Society (Markenzeichen militanter Antikommunismus) sich eben auch stark auf die Mormonen stützen können.

Wer hätte es gedacht? Teil des USA-Establishment; und dennoch in zweifelhafte Schlagzeilen hineinzugeraten, wovon das Buch des Jon Krakauer "Mord im Auftrag Gottes" auch Zeugnis ablegt. Krakauer macht dabei allerdings eine meiner Meinung nach unzulässige Gleichung. "Die" Mormonen gibt es offenbar nicht mehr. Es gibt auch Absplitterungen von ihnen. Analog - um ein anderes Beispiel zu nennen - den Adventisten.

Als die Adventisten im ersten Weltkrieg vor der Frage standen, wie verhalten wir uns denn nun in Sachen Wehrdienst? Da entschied ihre Führung; wir kommen den Forderungen des "Casars" weitgehend nach. Verrat und nochmals Verrat indes schrie eine kleine Gruppe aus ihren Reihen, die das nicht mitmachte und sich in der Konsequenz separierte.

Ähnlichen "Verrat" witterten im Bereich des Mormonismus auch einige. Ihr Kritikpunkt. Die offizielle Aufgabe der Polygamie. Und sie separierten sich auch. Und genau diese Splittergruppen hat nun Krakauer, veranlaßt durch aktuelle Vorgänge, im Blickfeld. Er fällt ein vernichtendes Urteil über sie - zurecht, dass sei bestätigt. Jedoch in einem Punkt mag ich mit ihm nicht konform gehen. Er lastet das "dem" Mormonentum an. Das macht sich zwar Schlagzeilenträchtig, und für ihn ohne Zweifel umsatzfördernd, ist aber in dieser Generalisierung zurückzuweisen.

Erschreckliches fördert Krakauer zutage. Wer da glaubt das Thema Polygamie sei "Geschichte"; der wird von ihm eines besseren belehrt. Da gibt es tatsächlich mormonische Gruppen (mit vorgenannten Einschränkungen), die das noch heute praktizieren. Da mag so mancher, der Krakauers Buch noch nicht gelesen hat, ungläubig zurückfragen: Wirklich? Erlauben das denn überhaupt die Gesetze der USA? Antwort. Die Gesetze erlauben es nicht. Es wird aber de facto dennoch praktiziert. Dazu ein Zitat aus seinen Ausführungen:

"In Utah und Arizona verstößt Polygamie gegen das Gesetz. Um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, heiraten die Männer von Colorado City in der Regel nur die erste ihrer Ehefrauen; deshalb bleiben alle späteren Ehefrauen, obwohl von Onkel Rulon mit ihrem Mann "spirituell getraut", in den Augen des Staates ledige Mütter. Was den zusätzlichen Vorteil hat, daß die riesigen Familien Sozialhilfe und andere Formen öffentlicher Unterstützung erhalten.
Die Fundamentalisten nennen den Betrug am Staat "das Tier ausbluten" und betrachten es als heiligen Akt."

Mehr noch fördert der Autor zutage. So etwa das Fernsehen und Zeitungsbezug in diesen Kreisen verpönt ist; was sie dann letztendlich wieder zum gefügigen Spielball ihrer religiösen Führer macht. Auch der von den Zeugen Jehovas zur genüge bekannte Aspekt, dass Abweichlern von der "reinen Lehre" der Feme verfallen, ist auch hier stark ausgeprägt.

Lassen sich denn die Frauen das überhaupt gefallen, mag manch ein ungläubiger Thomas zurückfragen. Im Kontext der vorgenannten fundamentalistischen Erziehung offenbar ja. Dazu ein weiteres Zitat vom genannten Autor:
"Linda Kunz Green, inzwischen achtundzwanzig, war dreizehn, als sie Tom Green heiratete. Sie betont, er habe nichts Unrechtes getan, und sie fühle sich nicht als Opfer. Sie sagt, es gefalle ihr, in einer Vielehe zu leben, und weist darauf hin, daß es ihre Idee gewesen sei, Green zu heiraten. Leavit entgegnet, Linda sei bloß das Opfer eines Phänomens, das Psychologen Stockholm-Syndrom nennen, bei dem Geiseln mit den Geiselnehmern sympathisieren und diese später in Schutz nehmen."

Es ist ein vernichtendes Urteil, dass der Autor über diese Form mormonischen Fundamentalismus fällt. Etwa wenn er ausruft:
"Wie das Fernsehverbot zeigt, hat das Leben in Colorado City unter Rulon Jeffs große Ähnlichkeit mit dem Leben in Kabul unter den Taliban."

Letztendlich möchte Krakauer wohl eine Lanze für den Laizismus brechen.
Symptomatisch auch sein Ausruf:
"Dieses Land wird schließlich von Präsident George W. Bush, einem wiedergeborenen Christen, geführt, der glaubt, er sei ei Werkzeug Gottes, und internationale Beziehungen als biblischen Konflikt zwischen den Mächten von Gut und Böse beschreibt. Der Generalbundesanwalt John Ashcroft, höchster Justizbeamter des Landes, ist eingefleischter Anhänger einer fundamentalistischen christlichen Sekte - der Penetcostal Assemblies of God -, beginnt jeden Tag im Justizministerium mit einer andächtigen Gebetsstunde für seinen Mitarbeiterstab, läßt sich regelmäßig mit geweihtem Öl salben und bejaht eine eindeutig apokalyptische Weltsicht, die mit den wichtigsten millenaristischen Überzeugungen der Lafferty-Brüder und der Einwohner von Colorado City viel gemeinsam hat. Der Präsident, der Generalbundesanwalt und andere nationale Führer beschwören das amerikanische Volk oft, an die Macht des Gebets zu glauben und auf den Willen Gottes zu vertrauen. Genau dasselbe behaupten Dan und Ron Lafferty getan zu haben, als sie am 24. Juli 1984 in American Fork soviel Blut vergossen."

Indes dürfteKrakauer mit seinem Kernanliegen in dem bigotten Staat USA und auch wohl andernorts, keinen sonderlichen Erfolg haben. Gleichwohl wäre auch ich der Meinung. Fundamentalismus, gleich welcher Coleur, verdiente es nicht mit Samthandschuhen angefasst zu werden, wie das in der Praxis doch wohl der Fall ist. Seine persönliche Position bringt denn der Autor mit einem Zitat von Bertrand Russell zum Ausdruck; und mit dessen Wiedergabe sei auch diese Betrachtung beendet:

"Wenn man sich auf der Welt umsieht, so muß man feststellen, daß jedes bißchen Fortschritt im humanen Empfinden, jede Verbesserung der Strafgesetze, jede Maßnahme zur Verminderung der Kriege, jeder Schritt zur besseren Behandlung farbiger Rassen oder jede Milderung der Sklaverei und jeder moralische Fortschritt auf der Erde durchweg von den organisierten Kirchen der Welt bekämpft wurde …
Meine Ansicht über die Religion deckt sich mit der des Lukretius. Ich betrachte sie als Krankheit, die aus Angst entstanden ist, und als Quelle unnennbaren Elends. Ich kann jedoch nicht leugnen, daß sie einige Beiträge zur Zivilisation geleistet hat. In alter Zeit half sie, den Kalender festzulegen, und sie veranlaßte ägyptische Priester, die Sonnenfinsternisse mit solcher Sorgfalt aufzuzeichnen, daß sie mit der Zeit lernten, sie vorauszusagen. Diese beiden Dienste bin ich bereit anzuerkennen, aber andere kenne ich nicht."

Geschrieben von D. am 19. Oktober 2003 08:54:18:

Als Antwort auf: Schlaglichter aus "God's own country" geschrieben von Drahbeck am 19. Oktober 2003 08:10:16:

Der "Waschzettel" der zitierten Fernsehsendung auf der Phönix-Webseite noch:

Das christliche Amerika
George W. Bush, ein Präsident mit göttlichem Auftrag, im Kampf gegen den Terror, im Kampf gegen das Böse - so sieht er sich selbst. Unterstützt wird er besonders durch die christlichen Fundamentalisten in den USA, und die sind vor allem in den Südstaaten zu finden, im sog. "Bible Belt".

Es war der Präsident selbst, der das Wort vom Kreuzzug gegen das Böse in die Welt posaunt hat. Neokonservative think tanks mit imperialistischen und christlich fundamentalistischen Strategien wollen die Welt vom Übel befreien, notfalls mit Krieg, und wer nicht mitmacht, ist kein Patriot. Die christlich protestantischen Vordenker und Eiferer und das puritanische Wahlvolk beflügeln sich gegenseitig in ihrem "Heils- und Befreiungskampf". Ein eisiger Wind weht zur Zeit in den USA zwischen den Kriegsgegnern und den Kriegsbefürwortern, zwischen denen, die ihre demokratischen Rechte verteidigen und denen, die verlangen, sie dem "Patriotismus" zu opfern. Längst hat der Präsident dazu aufgerufen, diesen Patriotismus zu zeigen und freiwillig mitzuarbeiten in Gruppen, die jedes verdächtige Verhalten eines Nachbarn melden. Es sind die protestantischen Fundamentalisten, die ihren Präsidenten mit seiner Politik am stärksten unterstützen. Die wiederum sitzen in den Südstaaten. Der Film macht sich auf ihre Spuren, in Texas und Louisiana, gibt dem Sendungsbewussten an der Basis ein Gesicht.

Geschrieben von Mumpitz am 19. Oktober 2003 09:31:40:

Als Antwort auf: Re: Schlaglichter aus geschrieben von D. am 19. Oktober 2003 08:54:18:

Ausgezeichnete Beiträge und wieder einmal Anlaß, sich Rechenschaft zu geben über den nicht nur auf kulturellem Einfluß der USA. Mit wenigen Ausnahmen sind es die amerikanischen und gut gemanagten Sekten, die missionarisch die Welt überziehen und mit ihnen alte und längst tot geglaubte Gespenster geistiger Reduktion.

Da kann einem schon angst und bang werden.
Mancher mag auch daran erinnert werden, daß Anglo-Amerika mit dem Lamm mit der gespaltenen Zunge identifiziert wurde. Vielleicht doch nicht ganz zu Unrecht. Es scheint aber noch schlimmer zu kommen ...

Geschrieben von Drahbeck am 23. Oktober 2003 12:44:44:

Als Antwort auf: Re:Echt gelebter Faschismus, gutes Vorbild für Zeugen Jehovahs geschrieben von Hans Werner am 23. Oktober 2003 10:59:06:

Meine Meinung zu dem Posting von Hans-Werner.
Die Bibel (so wie sie von den Christen anerkannt wird), besteht aus zwei Teilen. Vereinfacht gesagt dem Alten und dem Neuen Testament. (Die WTG verwendet dafür etwas geschraubtere Formulierungen. Aber darum geht es jetzt hier nicht).
Allgemeiner Konsens unter den Christen; sowohl den Zeugen Jehovas, als auch anderen Richtungen ist; dass "Christus das Gesetz erfüllt habe". Ergo Detailvorschriften aus dem Alten Testament keine verbindliche Geltung mehr haben. Es ist daher falsch und als böswillig zu bewerten, unterstellt man Christen, gleich welcher Richtung, sie würden solche Details aus dem AT als "verbindliche Handlungsanleitung" betrachten.

Geschichtlich allerdings ist Hans-Werner nicht der "erste", der solche Thesen ventiliert. Der gesamte Antisemitismus, schon vor der Hitlerzeit, basiert auf ihnen.
Es gibt Leute, die gehen noch einen Schritt weiter. Der dem Hans-Werner nicht unbekannte "L...", in dessen seinerzeitigen Forum er sich auch darzustellen beliebte, ging in dieser vorgenannten Kontinuität soweit, aus dem Kontext gelöste Talmudzitate als "Handlungsanweisungen für heute" zu verkaufen.

Dem muss widersprochen werden, und auch ich habe das bekanntermaßen getan. Ob jetzt isolierte Passagen aus dem AT oder dem Talmud zitiert werden, stellt in der Sache keinen Unterschied dar. Beides als "aktuelle Handlungsanweisung" zu verkaufen, stellt böswillige Demagogie dar. Es gibt Leute, die sich in bestimmte Theorien verrennen und auch nicht in der Lage sind, die Vorhalte die ihnen gemacht werden, anzuerkennen.

Das vermag dann auch ich nicht zu ändern. Aber ich sage klar. Mein Nervenkostüm ist auch nicht unbegrenzt belastbar. Stecken diejenigen die ich hier vorher angesprochen habe, mit ihren anfechtbaren Thesen an diesem Ort nicht freiwillig zurück, dann muss ich es mir vorbehalten von dem Hausherrenrecht (sprich Löschung ect.) Gebrauch zu machen.

Ich kann und will solche Abzweigungen vom antisemitischem Stammbaum nicht tolerieren.
Damit ist für die WTG überhaupt kein Freibrief erstellt. Sie wird auch weiterhin an diesem Ort kritisiert werden. Die Frage ist nur, in welcher Form.

Geschrieben von D. am 27. Oktober 2003 18:59:14:

Als Antwort auf: Katholisches Votum geschrieben von D. am 22. Oktober 2003 17:16:21:

Laut einer Meldung verbreitetete sich jetzt ein "katholischer Sektenexperte" über die Situation in den Nordbezirken der ehemaligen DDR. Er meint
"Insgesamt, so schätzen die Sektenexperten ein, habe sich der Osten bisher als relativ unempfindlich gegenüber Sekten gezeigt. So sind die Zeugen Jehovas im Nordosten zwar in Gägelow bei Wismar, Schwerin, Rostock und Stavenhagen präsent und auch Mormonen seien etabliert ... Natürlich herrsche Religionsfreiheit und jeder dürfe nach seiner »Fasson« glücklich werden, doch bei »persönlichkeitsverändernden Kursen« müsse der Staat darauf hinweisen dürfen. Insgesamt sei die bisher relative Unempfindlichkeit gegenüber Sekten Ergebnis der Skepsis gegenüber religiösen Angeboten aus der sozialistischen Ära. Doch eine spirituelle Sehnsucht sei unverkennbar. Deshalb seien viele gegenüber esoterischen Angeboten nicht so kritisch, da damit nicht gleich eine Verpflichtung zusammenhänge."

Nichts neues, was dieser Herr da mitteilt, mag man dazu nur sagen. Die "Hochburgen" der Zeugen Jehovas in der seinerzeitigen DDR waren der Bereich um Dresden und das Erzgebirge. Daran hat sich bis heute nichts wesentliches geändert.
Damals versuchte die Stasi allerdings, die Umsiedlung von Zeugen Jehovas in die Nordbezirke zu verhindern. Diese Hürde besteht ja nun nicht mehr. Es steht somit den Zeugen Jehovas frei, ihr Diasporagebiet Nordbezirke verstärkt ins Visier zu nehmen. Offenbar ohne sonderlichen Erfolg, wie man auch aus vorstehender Meldung entnehmen kann.

Geschrieben von Prometeus am 24. Oktober 2003 01:10:24:

Der viel zu lange Sektenausstieg des kleinen Paul

Der Ausstieg des Paul aus der "Wahrheit" begann schon bei seiner Geburt. Der seltene Zufall wollte es so daß seine Eltern beide gläubige Zeugen Jehovas waren und sehnlichst das Ende dieser "bösen Welt" herbeiwünschten. Das alles passierte vor knapp 50 Jahren. Kaum hatte der Präsident der "Neue Welt- Gesellschaft" geheiratet und in zähen Verhandlungen mit dem Gott dieser Organisation eine weitere Schonfrist bis "Harmageddon" ausgehandelt um noch mehr Menschen vor dem "Verderben" zu erretten und in den Schoß der Wachtturm- Gesellschaft zu befördern setzte unter den "Brüdern" und "Schwestern" ein Heiratsboom ein, dem sich auch meine christlichen Eltern nicht entziehen konnten. Die theokratische Mehrung nahm einen so rasanten Verlauf daß in deren Folge die Versammlungen angesichts der vielen Kinderwagen aus den Nähten platzten. In einem der vielen Kinderwagen saß der kleine Paul.

Paul hieß in Wirklichkeit nicht "Paul", aber da er auch x- beliebig anders heißen könnte, nennen wir ihn einfach "Paul". Paul erblickte das "Licht der Wahrheit" in Form einer grellen Kreißsaalbeleuchtung in einem Krankenhaus, deren Ärzte sich seltsamerweise bereit erklärt hatten, seiner Mutter keine Bluttransfusion zu verabreichen, auch auf die Gefahr hin, daß Paul als Halbwaise aufwachsen sollte. Aber Pauls Vater fand das gar nicht so schlimm, würde doch der kleine Paul seine Mutter schon bald wiedersehen, wenn sie nach "Harmageddon" wieder auferstanden sein wird; und diese kurze Zeit sollte ja für Paul und seinen Vater wirklich keine Rolle spielen. Paul allerdings sah das etwas anders und war froh, daß er nicht als Halbwaise aufwachsen sollte, sondern daß seine Mutter ihn stillte und wickelte. Da nahm er dann eben auch in Kauf, daß er drei mal wöchentlich mit in die Zusammenkünfte geschleppt wurde, zuerst in der Tragetasche, dann im Kinderwagen und als er laufen lernte, an der Hand der Eltern.

Der Ausstieg des Paul begann eher unmerklich aber lautstark. Zuerst machte er seine Abneigung gegen die wöchentlichen Gehirnwäscheveranstaltungen durch lautes Brüllen und Schreien während der Zusammenkünfte deutlich. Aber dies schien auf die anderen Anwesenden keinen großen Eindruck zu machen. Paul wurde einfach geschnappt und auf die kalte Toilette verfrachtet bis er sich wieder bereit erklärte der Wachtturm- Beschallung beizuwohnen. Dann entdeckte Paul, wie sich der Ausstieg möglicherweise besser bewerkstelligen ließ. Je mehr die Aufmerksamkeit seiner Mutter durch ständiges Wiederkäuen der "geistigen Fettspeisen" allmählich nachließ, riss der kleine Paul einzelne Seiten aus der Bibel oder dem Liederbuch seiner Mutter um diese durch Knittern und Zerbeissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Die dabei gesammelten Erfahrungen zeigten zwar nicht den gewünschten Erfolg – Paul wurde nämlich mit der "Rute der Zucht" in Form von Schlägen mit der elterlichen Hand auf das nackte Gesäß bekannt gemacht – aber Paul stellte fest, daß die "geistige Speise" weder gut schmeckte noch gut verdaulich war. Deshalb entschied Paul, daß nur der richtige Zeitpunkt für den Absprung noch nicht gekommen war.

Pauls Mutter blieben seine Ausstiegsbemühungen nicht verborgen, zumal er sich weigerte beim Tischgebet still zu sitzen und "Amen" zu sagen. Also wurde Paul indoktriniert. Mit Hilfe des "Paradiesbuches" und den darin enthaltenen Horror- Comics von schrecklichen siebenköpfigen Drachen, einstürzenden Hochhäusern und toten Menschen wurde dem Paul gezeigt, was Gott mit Kindern macht, die ihren Eltern nicht gehorchen und die nicht in den Zusammenkünften still sitzen. Paul musste lernen, daß der vorbildliche Abraham seinen Sohn so sehr liebte, daß er ihn seinem Gott auf einem Altar opfern wollte, daß der gute Prophet Elisa Kinder von Bären auffressen ließ, weil sie ihm einen dummen Streich spielten, und Ananias und Safira wegen einer kleinen Schwindelei tot umfielen. Er lernte daß der brave David dem Goliath den Kopf abschlug und als Trophäe mitnahm und den getöteten Philistern die Vorhaut abschnitt, der brave und starke Simson wegen einer verlorenen Wette seine neuen Verwandten umbrachte, die brave Jael einem Mann mit dem Hammer einen Pflock durch den Schädel rammte, der gute Lot seine eigenen Töchter schwängerte und dass der liebe Gott Jehova wegen einer kleinlichen Wette seinem Freund Hiob alles wegnehmen ließ und zuliess, daß seine Kinder umgebracht wurden. Paul musste diese und andere Geschichten lernen, hoffte man doch Paul vor der Vernichtung in Harmageddon zu retten, die unmittelbar bevorstand.

Es kam noch schlimmer! Paul sollte lernen Jehova zu lieben. Schließlich würde Jehova Paul und alle anderen Kinder, die in die Versammlung gehen und ihren Eltern gehorchten ja so sehr lieben, daß er seinen eigenen Sohn, der Wasser in Wein verwandeln konnte, von bösen Römern umbringen ließ damit der kleine Paul im Paradies mit den Löwen spielen darf. Paul beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Als Paul vier Jahre alt war besuchte er mit seinen Eltern den nahegelegenen Zoo. Dabei schaute er sich die hinter sicheren Gittern eingesperrten Löwen genauer an. Paul stellte fest, daß sie voller Fliegen waren, dazu schmutzig waren, große Kothaufen hinterliessen und stanken. Paul beschloss, daß er im Paradies keine Löwen streicheln wollte. Außerdem würde er Jehova nicht mehr lieben, weil der seine angebliche Liebe dadurch zeigt, daß er andauernd Leute tötet. Aber Paul behielt seine "abtrünnigen" Erkenntnisse für sich und fiel nur durch gelegentliche ketzerische Fragen auf, so z. B. als er seine Eltern fragte, ob Jesus als kleines Kind auch in den Predigtdienst gehen musste und warum Jehova, der doch alles weiß, nicht vorhersehen konnte was Satan mit Adam und Eva machen würde.

Als Paul in die Schule kam, war er bestens vorbereitet. Paul durfte als einziger keine Schultüte haben, die Lehrer wurden informiert daß Paul keine Weihnachtslieder singt, keine Geburtstagstorte ißt, keine Ostereier bemalt, kein Fasching feiert und keine "weltlichen Freunde" hat. Aber Paul war sehr beliebt bei LehrerInnen und MitschülerInnen. Paul überlegte nun warum der doch angeblich liebevolle Gott Jehova denn seine Mitschüler in Harmageddon unbedingt töten will, nur weil deren Eltern keine Zeugen sind. Er fragte seine Eltern danach. Diese meinten, wenn Paul seine Mitschüler retten will müssten diese auch Zeugen werden und Paul solle ihnen predigen und mit ihnen die Bibel studieren. Das tat der kleine Paul dann doch lieber nicht; er hasste diese Familienbibelstudien doch selbst. Er wäre doch viel lieber genau so wie seine geburtstags- und weihnachtsenfeiernden Freunde. Das behielt er aber dann doch lieber für sich. Noch war es ein langer Weg bis zum endgültigen Ausstieg, aber das Ziel hatte Paul vor Augen.

Paul wurde größer und lernte "Zeugnis zu geben", immer in der Hoffnung auf keine Schulkameraden zu treffen; er rauchte heimlich mal Zigaretten, er las mit weißem Hemd und Krawatte bekleidet aus der Bibel in der "Theokratischen Schule", er hoffte auf unerwarteten Unterrichtsausfall, der ihm ermöglichte mit seinen Freunden rumzuziehen ohne daß die Eltern Verdacht schöpften; er verbrachte seine Ferien mit seinen theokratischen Eltern auf Zeugen- Kongressen immer die Gesellschaft von Leidensgenossen suchend, versteckte seine Bravo- Hefte elternsicher, unterstrich hastig die Studienartikel im Wachtturm, schielte nach den Mädchen innerhalb und ausserhalb des Königreichssaals und liess sich schließlich dann irgendwann taufen weil es Gleichaltrige auch taten und 1975 nicht mehr weit weg war.

Paul wollte aber nicht daß 1975 Harmageddon kam. In der Bibel hatte er gelesen, daß niemand Tag und Stunde kenne, nicht mal der regierende König Jesus selber, sondern nur Jehova Gott. Wieso sollte es dann ausgerechnet 1975 kommen, wenn es so viele erwarteten? Paul jedenfalls wollte nicht daß Harmageddon kam. Er wollte erwachsen werden, den Führerschein machen und Auto fahren. Er wollte heiraten und dann machen was er selber will. Die Aussicht daß die Auferstandenen im "neuen System der Dinge" sein sollen wie die Engel, d.h. sie würden nicht mehr heiraten betrübte ihn sehr. Nein, er wollte auf Fernsehen und Kühlschrank, Autos, Fußball und Beatmusik nicht verzichten wollen. Die Aussicht daß im Paradies nur Königreichslieder gespielt werden war für Paul schauderhaft. Kurzum, Paul beschloss, daß 1975 Harmageddon nicht kommen darf und er wollte auch nicht ewig leben in einem Blockhaus am rauschenden Bach mit Streichelzoo und obstessenden Nachbarn, wie in den Bildern der Wachtturm- Literatur abgebildet.

Und 1975 kam nicht! Das heißt 1975 kam wohl und es kam auch 1976 und 1977 usw. Aber offensichtlich hatte Pauls Unglauben das Schlimmste verhindert. Zumindest hoffte Paul das. Wenigstens hatte Gott in diesem Punkt ein Einsehen und vertagte den Vernichtungszeitpunkt auf unbestimmt. Schließlich lebt die 1914- Generation nach noch einige Jahre. Da kann noch viel passieren, der Ausstieg kann vorerst warten.

Paul wurde erwachsen und das Ende rückte immer näher - wenigstens für die anderen. Aber solange sich der Predigtdienst mit Kneipenbesuch, Berufsausbildung und Disco koordinieren ließ war der Ausstieg nicht so dringend. Paul heiratete eine "Schwester" , wurde erfolgreich im Beruf und ernannt zum Dienstamtgehilfen.

Und dann kam er doch – der Ausstieg, der vor über 20 Jahren begonnen hatte. Paul wurde "geistig schwach"! Er hinterfragte nämlich die Zeugenlehre, dann die Bibel, dann diesen angeblich so liebevollen Gott.

Paul hatte sein Ziel erreicht, er war ausgestiegen!

Prometeus

Geschrieben von Prometeus am 24. Oktober 2003 16:57:26:

Als Antwort auf: die etwas andere seite geschrieben von Baba_girl am 24. Oktober 2003 16:31:20:

Ja, du musst dich nur mal ernsthaft mit den zugehörigen Webseiten des Forums vertraut machen. Da gibt es so viel positives zu lesen, daß du für die nächsten Monate beschäftigt bist. Dein Referat musst du allerdings selber schreiben.

Geschrieben von D. am 24. Oktober 2003 18:07:30:

Als Antwort auf: Re: Gibt's denn positives? geschrieben von Baba_girl am 24. Oktober 2003 17:16:51:

Zugegeben, der Text den ich da mal empfehlen möchte, ist für ein Schülerreferat vielleicht nicht optimal. Er ist ja auch nicht im Hinblick darauf speziell konzipiert worden. Aber er bemüht sich meines Erachtens sowohl das Pro als auch das Kontra aufzuzeigen. Denn eine "heile Welt" gibt es sicherlich nicht. Ich empfehle mal die zwölf Seiten im pdf-Format.
Längere Ladezeit für pdf-Dateien beachten.
www.internetboom3.de/freeboard/board/?userid=8690

Geschrieben von D. am 25. Oktober 2003 07:57:28:

Klassenfahrten
Auf einer Tagung für Lehrer, über die ein Blatt berichtet, ging es insbesondere um die Frage der Integrierung der Kinder aus anderen Kulturkreisen. Insbesondere machen gewisse vom Fundamentalismus gespeiste Absonderungstendenzen den Lehrern doch immer wieder zu schaffen.

Man vertrat jedoch allgemein die Auffassung:
"Sigrid F...r (Planck-Gymnasium) weist Eltern unermüdlich gleich bei der Aufnahme darauf hin, dass Klassenfahrten ein unverzichtbarer Bestandteil des Angebotes ihrer Schule sind."

Gerade dieser Punkt erweist sich in der Praxis immer wieder aufs neue als konfliktträchtig.
Und wie kaum anders zu erwarten, fällt in diesem Zusammenhang der Name der Zeugen Jehovas. Zitat:
"Wie andere Schulleiter weist Ruf im übrigen darauf hin, dass die Integrationsprobleme mit Migranten viele Pädagogen an einen Vorläufer erinnern. Die Integration von "Zeugen Jehovas" habe ähnliche Schwierigkeiten bereitet. Immer wieder neu hätten sich Lehrer dafür stark gemacht, "Kinder von Familien dieser Glaubensrichtung, die zum Teil bereits unter schweren seelischen Störungen litten, aus ihrer Isolation zu holen".

Geschrieben von Mumpitz am 25. Oktober 2003 12:33:41:

Als Antwort auf: Klassenfahrten geschrieben von D. am 25. Oktober 2003 07:57:28:

.. die zum Teil bereits unter schweren seelischen Störungen litten, aus ihrer Isolation zu holen".

Sehe ich im Prinzip genauso. Allerdings sind mir gelegentlich Auswüchse von Klassenfahrten zu Ohren gekommen, die mich manchmal nachdenklich machen. Alkoholmißbrauch, sexuelle Nötigungen, Gewalt, manchmal bis zum versehentlichen Totschlag, das war manchmal schon starker Tobak und wirft die berechtigte Frage auf, ob denn die Lehrer ihrer Aufgabe überhaupt noch gewachsen sind, wenn sie sich schon (zutreffenderweise) aufgerufen fühlen, sektengeschädigte Jugendliche aus ihrer Isolation zu holen. Ansonsten kommt man ja mehr als nur vom Regen in die Traufe.

Wie gesagt, das ist kein Plädoyer für die engstirnige Haltung von ZJ. Manchmal aber kann ich sei dennoch verstehen.

Geschrieben von Drahbeck am 25. Oktober 2003 13:31:25:

Als Antwort auf: Re: Klassenfahrten geschrieben von Mumpitz am 25. Oktober 2003 12:33:41:

Es mag in der Tat so sein, wenn man zu der Einsicht gelangt, die WTG-Optionen sind nicht akzeptabel. Das dies dann nicht automatisch im Umkehrschluß bedeutet; die Nicht-WTG-Optionen wären nun die Alternative. Aber ist nicht die Frage von Klassenfahrten nur die Spitze des Eisberges? Ich glaube wohl.

Das fängt doch schon damit an, dass viele Zeugen Jehovas-Familien, unter WTG-Einfluß, es vorziehen, ihre Kinder keine Kindergärten besuchen zu lassen (sofern dies örtlich möglich ist). Sie nehmen dafür auch materielle Opfer in Kauf (etwa in Form der Nichtsberufstätigkeit (bzw. stark reduzierter Berufstätigkeit) der Mutter). Erweisen sie ihren Kindern damit wirklich einen Dienst?

Im Sinne der WTG-Hörigkeitstrimmung wahrscheinlich. In Sinne der Erziehung zu lebenstüchtigen Menschen doch wohl etwas weniger.
Oder die Abkapselung gegenüber allen Außerschulischen Angeboten (Sport, Musik, Theater - was immer man da auch nennen will).

Letztendlich läuft das doch auf eines hinaus. In den USA wird das ja schon praktiziert, wie eine Fernsehfilm über die neuzeitlichen (fundamentalistischen) Kreuzfahrer es auch verdeutlicht hat. Wenn es die Rahmenbedingungen erlauben, gar soweit zu gehen, die Kinder in keine öffentliche Schule zu schicken; auf dass sie bei den Alternativ-Angeboten noch besser fundamentalisch indoktriniert werden können.

Ich weiß, das trifft so für Deutschland, aufgrund der allgemeinen Schulpflicht nicht zu. Um deren Durchlöcherung bemühen sich allerdings etliche Fundamentalistengruppen; auch solche aus dem Großkirchenspektrum, nach Kräften. Es ist letztendlich ein Trauerspiel was sich da offenbart.

Das gab es übrigens schon in früheren Jahrhunderten. Damals allerdings oftmals mit der bitteren Konsequenz gekoppelt, gar die buchstäbliche Auswanderung, die Exilierung ins Auge fassen zu müssen. Zwischenzeitlich ist da vieles milder, liberaler geworden. Nicht "dank" der Fundis, sondern ohne sie oder gar im Kampf gegen sie.

Die Frage Klassenfahrten ist letztendlich ein Zahnrädchen in diesem Getriebe. Man mag den Eindruck haben, dass da beim "Zahnrad Klassenfahrten" vielleicht besonders viel Sand im Getriebe anfällt. Das wäre dann in der Tat eine Frage der Individualwertung und Entscheidung. Aber den Fundis, einschließlich der WTG geht es doch letztendlich um alles (oder nichts). Sie machen ihre Entscheidung doch nicht primär von nicht tolerierbaren örtlichen Einzelbedingungen ab. Es ist doch bei ihnen eine grundsätzliche Entscheidung. Auch dann, wenn die an die Wand gemalten Schreckgespenster, so gar nicht vorhanden sind.

Geschrieben von B am 25. Oktober 2003 12:53:04:

Als Antwort auf: Re: Klassenfahrten geschrieben von Mumpitz am 25. Oktober 2003 12:33:41:

Mir ist das nur immer zu Ohren gekommen, dass so etwas als Geschichte erzählt wurde.

Jehovas Zeugen schreiben in ihren Zeitschriften auch immer gernen wie schlecht die Welt sei. Verbreitung von negativem Denken und Angstmache.

Ich habe von den mir bekannten Kindern keine Probleme von Klassenfahrten gehört.

Alle waren immer ganz froh darüber. Einzig die Anstrengung war es worüber sie klagten. Aber da ist nicht schlimm.

So groß die Anstrengung auch war, so groß oder größer war die Freude an der Klassenfahrt.

>.. die zum Teil bereits unter schweren seelischen Störungen litten, aus ihrer Isolation zu holen".
>Sehe ich im Prinzip genauso. Allerdings sind mir gelegentlich Auswüchse von Klassenfahrten zu Ohren gekommen, die mich manchmal nachdenklich machen. Alkoholmißbrauch, sexuelle Nötigungen, Gewalt, manchmal bis zum versehentlichen Totschlag, das war manchmal schon starker Tobak und wirft die berechtigte Frage auf, ob denn die Lehrer ihrer Aufgabe überhaupt noch gewachsen sind, wenn sie sich schon (zutreffenderweise) aufgerufen fühlen, sektengeschädigte Jugendliche aus ihrer Isolation zu holen. Ansonsten kommt man ja mehr als nur vom Regen in die Traufe.
>Wie gesagt, das ist kein Plädoyer für die engstirnige Haltung von ZJ. Manchmal aber kann ich sei dennoch verstehen.

Geschrieben von Mumpitz am 25. Oktober 2003 14:33:11:

Als Antwort auf: Re: Klassenfahrten geschrieben von B am 25. Oktober 2003 12:53:04:

>Mir ist das nur immer zu Ohren gekommen, dass so etwas als Geschichte erzählt wurde.

*** gerade vor wenigen Tagen habe ich von einer betroffenen Schülerin gehört, daß einem Mitschüler, der an einem Saufgelage nicht teilnehmen wollte (anläßlich solch eines Klassenausfluges) gewaltsam erhebliche Mengen Alkohol eingeflößt wurden - er mußte mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden und hat nur knapp überlebt. Lustig finde ich das nicht.

Was natürlich, wie Drahbeck schreibt, den Umkehrschluß der Sekten nicht besser macht. Dennoch macht man sich Sorgen, gerade wenn man Kinder hat.

Geschrieben von Geliebtes Weib am 25. Oktober 2003 13:12:19:

Als Antwort auf: Re: Klassenfahrten geschrieben von B am 25. Oktober 2003 12:53:04:

auch ich habe nie an klassenfahrten teilgenommen, wobei ich zugestehen muss, dass die konstellation der mitschüler nicht gerade derjenigen entsprach, mit der ich gerne meine freizeit verbracht hätte. im nachhinein kann ich nicht behaupten, etwas verpasst zu haben, jedoch bin ich ohnehin kein angepasster mensch. ich schließe mich nur leuten an, wenn ich das auch will und nicht, weil sie einer bestimmten religion oder einem bestimmten verein oder sonstigen gesinnung zugehörig sind.

doch auch ich würde unter den heutigen zuständen an den schulen mein kind nicht mit auf klassenreise fahren lassen. ich würde es nicht gerade als 'isolation' bezeichnen, wenn ich mein kind vor mobbing schützen möchte. es ist offensichtlich, dass nicht nur kinder von jz an den schulen gemobbt und misshandelt werden.

Geschrieben von D. am 25. Oktober 2003 08:01:24:

Das kennt man schon von dem Fall des Marko Martin; dass es da welche gibt, aus Zeugen Jehovas-Familien stammend, die sich perspektivisch gar als Roman-Schriftsteller versuchen.
Offenbar ist jetzt ein ähnlicher Fall wieder zu registrieren.

Laut "Köllnische Rundschau" stellte der Autor Edgar Noske, auf einer einschlägigen Veranstaltung seine diesbezüglichen Projekte vor.

Zitat:
"Eine doppelte Portion Nervenkitzel bot Edgar Noske bei der vierten Kriminacht im AhrWeinForum. Er verriet zudem einiges über die Entstehung seiner Bücher. Dazu las las nicht nur aus seinem Erfolgsbuch "Hildegard von Bingen", sondern auch aus dem neuen Krimi "Die Eifel ist kälter als der Tod", der zum Teil im Kreis Ahrweiler spielt."

Weiter wird in dem Bericht mit vermerkt:
"Ein bisschen, gestand er den Zuhörern im AhrWeinForum bei Wein und kleinem Imbiss, habe er sich selbst in dieser Rolle beschrieben. Denn Lemberg ist in dem Krimi nicht nur mit dem Mord befasst, sondern auch mit seiner Kindheit und der Rolle seines Vaters als Zeuge Jehovas. Noske selbst ist wie seine Hauptfigur mit 18 Jahren bei den Zeugen Jehovas ausgetreten. "Ich wollte diesen Konflikt eigentlich nicht ansprechen. Doch als ich von der Organisation ,silent lambs' erfuhr, die sich um von Zeugen Jehovas mißbrauchte Kinder kümmert, habe ich diesen Teil eingebaut."

Geschrieben von Drahbeck am 03. November 2003 15:30:52:

Als Antwort auf: Edgar Noske geschrieben von D. am 25. Oktober 2003 08:01:24:

Einem Pressebericht zufolge ist der 1957 geborene Edgar Noske mit 18 Jahren bei den Zeugen Jehovas ausgetreten. Seine Eltern verblieben aber einstweilen weiter in dieser Religionsgemeinschaft. Noske versuchte sich mit einigen beruflichen Varianten; schließlich gelang es ihm, sich als freiberuflicher Kriminal-Schriftsteller zu etablieren. Ähnliches kennt man bereits von dem Fall des Mike Spillane aus den USA.
Einem seiner neueren Kriminal-Romane gab Noske den Titel "Die Eifel ist kälter als der Tod". Darin baute er auch eine autobiographisch orientierte Szene mit ein; wie sich nach vielen Jahren wieder einmal ein Gespräch zwischen Vater und Sohn mit Religionsbezug ergab.
Seinem Vater lässt er in diesem Dialog sich mit den Worten verbreiten:
»Ich glaube, ich sollte vorausschicken, dass mir nicht mein Glaube abhanden gekommen ist«, sagte er schließlich. »Im Gegenteil, ich fühle mich Gott näher denn je. Ich habe mich nur von der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas getrennt. Meine Ämter hatte ich schon lange zuvor niedergelegt. Ein Mann, dem die Frau weggelaufen ist und der seine Söhne an Polizei und Bundeswehr verloren hat, macht sich nicht gut als Vorbild.« …

»Wir hatten vor zwei Jahren einen Fall von sexuellem Missbrauch in der Versammlung. Der Täter war einer der Ältesten, das Opfer die vierzehnjährige Tochter einer verwitweten
Schwester. Die Schwester wandte sich zunächst an mich, weil sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Zu dritt haben wir den Fall dann dem Rat der Altesten vorgetragen. Der Beschuldigte hat die Tat zunächst vehement bestritten, und der Rat hat Beweise verlangt, mit anderen Worten: zwei Augenzeugen.«

»Zwei Zeugen! Wie wirklichkeitsfremd sind diese Leute? Der einzige verwertbare Beweis wären DNA-Spuren gewesen.« »Die gab es, denn die Mutter hatte die Unterwäsche des Mädchens aufgehoben. Mit einer Laboruntersuchung wäre der Fall jedoch öffentlich geworden, und genau das hat der Rat zu verhindern versucht. Sie haben dem Mädchen ins Gewissen geredet, es sollte bedenken, was es dem Ältesten mit einer Anzeige antäte.«

»So wird das Opfer zum Täter gemacht«, sagte Lemberg. »Es ist nicht das erste Mal, dass ich von einem derartigen Fall höre. Bloß keine Negativschlagzeilen produzieren. Schließlich strebt man ja die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts an.«

»Die Geschichte geht noch weiter«, sagte Arnold Lemberg. »Einige Tage später hat der beschuldigte Älteste die Tat plötzlich zugegeben. Für mich stand zweifelsfrei fest, dass er nun ausgeschlossen und angezeigt werden würde. Weit gefehlt. Dem Rat der Altesten genügte es, dass er die Tat bereute. Er wurde nicht einmal seines Amtes enthoben.«

»Raucher schmeißen sie raus, aber Triebtäter dürfen bleiben.«
»Das Mädchen ist darüber fast verrückt geworden und hat versucht, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Ihre Mutter hat sie gerade noch rechtzeitig gefunden und ins Krankenhaus geschafft. Als ich das erfahren habe, ist mir der Kragen geplatzt, und ich hab den Kreisaufseher eingeschaltet. Der erklärte sich für nicht zuständig, meinte aber mich ermahnen zu müssen, keine unüberlegten Schritte zu tun, die dem Ansehen der Gemeinschaft schaden würden.
Also habe ich nach Selters geschrieben und verlangt, dass der Täter ausgeschlossen und angezeigt wird. Die Antwort war knapp und eindeutig: Der Bruder habe sich einzig vor Gott zu verantworten. Außerdem habe er bereut, und damit sei die Sache erledigt.«

»Silent Lambs. Du hättest dich an Silent Lambs wenden müssen.«
»Was glaubst du, was ich getan habe?« Stolz verlieh Arnold Lembergs Zügen einen gewissen Glanz, und Lemberg zollte ihm still Respekt. »Natürlich nach Abstimmung mit dem Opfer und seiner Mutter. Gleichzeitig bin ich ausgetreten.«

»Es gab mal eine Zeit, da habe ich geglaubt, die Zeugen Jehovas seien wenigstens moralischer als andere Religionsgemeinschaften«, sagte Lemberg. »Heute weiß ich, dass nicht einmal das stimmt. Wobei ich das Gros der Mitläufer nicht für schlechter halte als das Gros der Katholiken und Protestanten. Aber hier wie dort sind es die Karrieristen, die wegen ihrer selbstsüchtigen Ziele die Moral versauen.
Was ist aus dem Täter geworden?«
»Er hat sich das Leben genommen, bevor ihm der Prozess gemacht werden konnte.«
»Hast du deswegen Gewissensbisse?«
»Nein. Nicht eine Sekunde.«
»Wie geht es dem Mädchen und ihrer Mutter?«
»Sie sind weggezogen und wohnen jetzt in Süddeutschland.«
»Kennt dich überhaupt noch jemand?«
»Von den Zeugen niemand mehr. Sie gehen mir aus dem Weg, wechseln die Straßenseite, drehen abrupt um, als sei ihnen eingefallen, dass sie vergessen haben, den Herd auszuschalten. Mir ist das gleichgültig. Ich besuche jetzt den Stammtisch in der Dorfschänke.
Das ist wahrlich nicht dasselbe, aber so komme ich wenigstens hin und wieder unter Leute.

Geschrieben von Pumuckl am 04. November 2003 09:54:15:

Als Antwort auf: Re: Edgar Noske geschrieben von Drahbeck am 03. November 2003 15:30:52:

Finde die Idee gut, den Missbrauch und anderes , wa sman bei ZJ so unter den teppich kehrt und was nicht an die Aussenwelt dringt, in so ein Buch einzubinden. Sein Erfolg ist erfreulich.

Seine Vita habe ich gefunden unter

mitglied.lycos.de/hoerspielkrimi/nautor.html

Ist eine solche frühe Entwurzelung und Orientierungslosigkeit nicht typisch für die damalige Generation von ZJ / xZJ ?

Noske, Edgar

Edgar Noske, geboren am 31.1.1957, stammt auf einer Eifeler Bauernfamilie, die vom 17. Jahrhundert bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts in der Nähe von Irrel an der Prüm ansässig war. Er studierte kurzfristig Italienisch, Geschichte und Philosophie, machte eine Lehre als Industriekaufmann und jobbte als Taxifahrer, Hilfskrankenpfleger, Aushilfskoch und Kellner. Außerdem betrieb er einige Zeit ein Geschäft für Hemden und Krawatten und verkaufte als Vertreter Masten für Flutlichtanlagen. Seit 1991 ist er freier Autor.
Sein erster Kriminalroman "Nacht über Nippes" erschien 1994 und erzählte eine Geschichte aus dem Köln der fünziger Jahre, als der Schwarzmarkt blühte. Mit "Bitte ein Mord" schrieb er einen Eifel-Krimi, der besonders durch seine dichte atmophärische Schilderung des Städtchens Kyllburg und seiner Umgebung besticht.

Kriminalromane:
Nacht über Nippes (1994), Über die Wupper (1995), Bitte ein Mord (1996), Rittemord (1997), Tote Rosen (1997), Der Bastard von Berg (1998), Der Fall Hildegard von Bingen (1999), Lohengrins Grabgesang (2001),

Geschrieben von Drahbeck am 26. Oktober 2003 07:56:46:

Am heutigen Tage soll in der Gedenkstätte Neuengamme die deutschsprachige Version des Buches von Max Liebster "Hoffnungsstrahl im Nazisturm" vorgestellt werden. Und weil es sich Publicity-mäßig gut macht, schreibt Detlef G. auch wieder mal ein Vorwort dazu.
Liebster wurde als Jude in die Nazikonzentrationslager eingeliefert. Dort lernte er dann die Zeugen Jehovas-Religion kennen und nahm sie an. Nur durch einige glückliche Umstände hatte er die Chance zu überleben. Bereits der Journalist Andreas Müller hatte mal versucht in Buchform das Thema Max Liebster abzuhandeln.
Müller muss man allerdings vorhalten, der Gefahr erliegen zu sein, sich als "Selbstdarsteller" zu verkaufen. Er kommt vom "Hundertsten ins Tausendste" und verwässert so das eigentliche Hauptthema. Man kann es aber auch anders sehen. Das dieses Hauptthema eben wohl nicht soviel Substanz enthielt, um daraus ein Buch machen zu können.

Nachdem die Ehefrau des Liebster schon ihre Biographie in Buchform vorgelegt hatte (Allein vor dem Löwen) und die Liebsters eine wohl steuersparende Stiftung ins Leben gerufen haben, in deren Kuratorium unter anderem der Schweizer Zeuge Jehovas Max W. sitzt, soll nun die deutsche Variante (englisch gibt es sie schon) der Biographie des Max Liebster erscheinen. Weiteres dann, wenn jenes Buch dann mal tatsächlich über den Buchhandel lieferbar ist (was derzeit noch nicht der Fall ist).

Auf der Webseite der Gedenkstätte Neuengamme liest man:
Sonntag, 26. Oktober 2003
15.00 Uhr
KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Ausstellungsgebäude
Sonntagsgespräch und Buchvorstellung:
Max Liebster (Aix-les-Bains, Frankreich)
Hoffnungsstrahl im Nazisturm
Max Liebster, geb. in Reichenbach im Odenwald, wurde 1939 auf Grund seiner jüdischen Abstammung verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht. Von dort wurde er am 19. 11. 1941 zusammen mit etwa 30 anderen jüdischen Häftlingen ins KZ Neuengamme überstellt. Die Gruppe wurde in einer Baracke gemeinsam mit "Zeugen Jehovas" untergebracht, die ihn sehr beeindruckten. Im Arbeitskommando "Elbe" musste Liebster den kleinen Hafen in Neuengamme mitaufbauen. Als das KZ Neuengamme auf Befehl Himmlers im Oktober 1942 "judenfrei" gemacht werden sollte, wurde er nach Auschwitz und weiter nach Buna deportiert. Die Befreiung erlebte er im KZ Buchenwald. Heute ist er Mitglied der Glaubensgemeinschaft der "Zeugen Jehovas" und lebt mit seiner Frau Simone in Savoyen.

Geschrieben von Prometeus am 26. Oktober 2003 12:09:50:

Als Antwort auf: Max Liebster geschrieben von Drahbeck am 26. Oktober 2003 07:56:46:

@Drahbeck:

Ich werden mir die Lektüre nicht antun, aber für den Fall daß du das Opus liest: Mir hatte mein Großvater berichtet, daß er mit Max Liebster im KZ Neuengamme "die Bibel studiert" hätte. Ob das stimmt weiß ich nicht, würde mich aber peripher interessieren.

Gruß v. Prometeus

Geschrieben von D. am 26. Oktober 2003 12:43:09:

Als Antwort auf: Re: Max Liebster geschrieben von Prometeus am 26. Oktober 2003 12:09:50:

Im Verzeichnis lieferbarer Bücher taucht der Titel noch nicht auf. Die Möglichkeit ihn zu erhalten, ist somit derzeit noch unbestimmt.
Schau'n wir also mal ...

Geschrieben von Drahbeck am 12. November 2003 15:00:59:

Als Antwort auf: Re: Max Liebster geschrieben von D. am 26. Oktober 2003 12:43:09:

Kürzlich zitierte in einem Leserbrief der WTG-Funktionär L., als isolierte Passage aus dem KZ-Bericht von Kupfer-Koberwitz, wo ein junger tschechischer Jude sich positiv über die Bibelforscher äußerte. Mittels des jetzt vorliegenden Buches von Max Liebster "Hoffnungsstrahl im Nazisturm" bekommt auch jene Aussage ein differenzierteres Gesicht.

Liebster, jüdischer Abkunft, erwischte wie so viele andere Juden, die berüchtigte Progromnacht, von den Nazis verniedlichend "Reichskrisallnacht" genannt, vom 9. 11. 1938 in "kalter Art". Auch das Geschäft seines Arbeitgebers, bei dem Liebster beschäftigt, war zerstört und geplündert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde auch ihm zu grauenhaften Gewissheit. Die Chancen überleben zu können im Naziregime werden zusehends zur Illusion.
Sein Arbeitgeber hoffte noch, nach jenem Zäsur-Datum, emigrieren zu können. Unabdingbare Voraussetzung dafür war: Erstens viel Geld. Zweitens eine eidesstaatliche Erklärung von Angehörigen in den beabsichtigten Emigrationsländern. Sie würden wirtschaftlich für den Emigranten aufkommen. Das waren in der Praxis dann solch hohe Hürden, die für viele unübersteigbar waren. Zudem war nach dem offiziellen Beginn des Zweiten Weltkrieges, auch dieser Ausweg endgültig versperrt.

Liebster stand auch vor der Frage, nachdem der Laden seines Arbeitgebers zerstört, was er jetzt nun tun solle. Er meinte einen "Ausweg" dahingehend zu finden, einen Ortswechsel vorzunehmen. Er hoffte in der neuen Gegend kenne ihn niemand. In seinen Personalpapieren als Jude gekennzeichnet, erwies sich das als Illusion. Und so erwischte Liebster am 11. 9. 1939 die Verhaftung. In der Gefängniszelle lernte er erstmals einen Bibelforscher kennen und äußert sich über ihn positiv.

Die nächste Etappe für Liebster hieß KZ Sachsenhausen, mit all seinen Schrecken.
Inzwischen hatte die Naziführung beschlossen, ein weiteres KZ neu zu errichten, in Neuengamme. Da für seinen weiteren Ausbau Arbeitskräfte benötigt wurden, wurde Liebster zusammen mit 30 weiteren Juden von Sachsenhausen nach Neuengamme verlegt. Hier war eine Besonderheit zu registrieren, die es so in anderen KZ-Lagern nicht gab. Andere KZ-Lager hatten auch ihre "Bibelforscherblocks", und ihre Blocks für die anderen "Kategorien". Eine Mischbelegung gab es eigentlich nur in Ausnahmefällen. Jedoch beschloss der Kommandant von Neuengamme, dass über weite Strecken noch im Aufbau befindlich war, für die 30 neu eingelieferten Juden keinen eigenen Block aufzumachen. Der "Einfachheit" halber, steckte er sie in den Block, der schon mit Bibelforschern belegt war, mit der Begründung: "Sie haben ja den gleichen Gott".

Liest man Liebsters Bericht, drängt sich auch der Eindruck auf, die chronische Überbelegung, ein Kennzeichen vieler KZ-Baracken, war zumindest zu diesem Zeitpunkt, nicht in Neuengamme zu registrieren. Die 30 Neuzugänge konnten zu halbwegs annehmbaren Bedingungen, mit in jene Baracke integriert werden. Dort kam Liebster insbesondere mit dem Ernst Wauer seitens der Bibelforscher in nähere Berührung, über den er sich verschiedentlich positiv äußert, und den er in seiner Buchwidmung ausdrücklich namentlich mit erwähnt.

Das Verbleiben von Liebster in Neuengamme war kein Dauerzustand. Insgesamt lernte er wohl fünf KZs kennen. Zuletzt Buchenwald. Gerade in den kritischen Tagen des Jahres 1945, mit der überhastet angeordneten Lagerräumung, hatte Liebster es nur einigen glücklichen Umständen zu verdanken, zu überleben.

In einem einleitenden Geleitwort von Detlef G. liest man unter anderem:
"Nicht wenige Gefangene anderer Gruppen schlossen sich ihnen (den Bibelforschern) an. Zumeist waren es ausländische Häftlinge und Angehörige nichtpolitischer Kategorien, die sich dem Bibelforscherglauben gegenüber aufgeschlossen zeigten. In Einzelfällen kam es auch zu 'Bekehrungen' jüdischer Häftlinge."

Genau diese Kategorisierung als "nichtpolitische Gruppe" gilt es auch im Falle Liebster zu registrieren. Politische Gegner des Naziregimes, etwa die Kommunisten, waren für die Zeugen Jehovas in den KZs kein Missionsobjekt. Dieweil die eine feste, begründete Meinung hatten. Anders die Schwankenden, die da in der Regel gar nicht immer das tragische Schicksal verstanden, das sie ereilt hatte. Bei denen konnten die Zeugen Jehovas in der Tat "fündig" werden.

Nach 1945 sollte Liebster erneut erfahren, dass er in seiner Geburtsheimat nicht erwünscht ist. Einige seiner "lieben Mitbürger" gaben ihm denn auch unmißverständlich zu verstehen. Es wäre doch wohl "besser", wenn er als Jude im KZ verblieben und nie daraus zurückgekehrt wäre. Als Ihnen, den Bundesrepublikanischen Spießbürgern, nun durch seine erneute Anwesenheit, ihr ach so "reines" Gewissen, nicht mehr ganz so rein erscheinen zu lassen. Kleinstadtmief verstärkte diese Tendenz noch.

Dies alles lässt es schon verstehen, dass Liebster die Konsequenz zog, sich nunmehr den Zeugen Jehovas mit "Haut und Haaren" zu verschreiben. Jenes unwirtliche Land Deutschland sollte denn auch für ihn nicht mehr länger "Heimat" sein. Er wurde, welch große "Karriere" Druckereiarbeiter der WTG in Brooklyn. Über seinen weiteren Weg empfiehlt sich insbesondere auch noch der Bericht über das Buch seiner Frau: "Allein vor dem Löwen".

Am Rande noch mit vermerkt. "Der" Bibelforscher in Buchwald, der letzten KZ-Station von Liebster, war der Willi Töllner, ein charismatisch begabter Redner. Den Fakt, dass Töllner es war, der da diejenigen, die nicht voll auf seiner Linie schwammen, auch exkommunizierte, und das sogar unter den KZ-Bedingungen. Darauf geht Liebster nicht mit ein. Vielleicht hat er es damals auch so noch nicht mitbekommen. Verklärt wird Töllner von ihm mit erwähnt, weil er offenbar, ganz kurze Zeit nach Naziherrschaftsende sein Täufer war. Denn zum Zeugen Jehovas wurde Liebster erst 1945 getauft.

Die Biographie von Max Liebster hatte schon einmal in wenig überzeugender Form, Andreas Müller darzustellen versucht, der da wohl in erster Linie sich selbst dargestellt hat, aber nicht seinen Biographie"gegenstand".
Nun liegt von Liebster auf rund 160 Seiten ähnliches vor. Wer seinen Text aufmerksam liest registriert auch, das Redigierung und Endfassung wesentlich in den Händen von WTG-Funktionären lag. Das Buch seiner Frau hat 448 Seiten. Schon diese unterschiedliche Seitenzahl sagt meines Erachtens auch einiges über seine Aussagekraft aus.
Als thematischer Hinweis vielleicht noch:
Literaturbericht

Geschrieben von D. am 01. November 2003 06:45:17:

Als Antwort auf: Re: Scientology wirbt weiter mit B.-Foto geschrieben von D. am 28. Oktober 2003 09:48:01:

In seiner regelmäßigen Magazinsendung "Kulturzeit" brachte der Fernsehsender 3Sat unter der Überschrift
"Ein Kirchenhistoriker auf Abwegen
Gerhard B. verteidigt Scientology - und gerät in die Kritik" am 31. 10. einen entsprechenden Bericht, der auch auf der Kulturzeit-Webseite von 3Sat dokumentiert ist.

"Kontrolle nach innen, Abschottung nach außen. Scientology verfolgt das Modell einer totalitären Gesellschaft, die schon ihre Kinder in graue Uniformen steckt. Trotzdem ist Scientology in den USA als Religionsgemeinschaft anerkannt - eine Position, die die US-Regierung auch in Deutschland einklagt. Dagegen steht sie bei uns in einigen Bundesländern unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

B., ein streitbarer und umstrittener Religionswissenschaftler, hat sich immer wieder mit kleinen religiösen Minderheiten beschäftigt. ..."

Und dann kommt wohl ein relevanter Satz:
"Doch die Frage bleibt, wie unabhängig kann B.s Forschung nach dem umstrittenen Auftritt in Brüssel noch sein?"

www.3sat.de/kulturzeit/kuz_titel.html

Geschrieben von Prometeus am 28. Oktober 2003 10:54:29:

Als Antwort auf: Re: Scientology wirbt weiter mit B.-Foto geschrieben von D. am 28. Oktober 2003 09:48:01:

>Der Kirchenhistoriker streitet seit langem gegen die staatliche "Sektenhysterie", kritisiert die "religiöse Versorgung durch die Etablierten" und befürwortet eine schrankenlose Religionsfreiheit nach amerikanischem Muster.

Was genau ist denn daran auszusetzen? In Deutschland werden die Großkirchen zusätzlich zur Kirchensteuer mit über 400 € pro Kopf der Bevölkerung subventioniert, egal ob er einer Kirche angehört oder nicht. Auch du, Drahbeck, finanzierst die Kirchen mit. Findest du das in Ordnung?

Und wenn der H. B. sich dagegen wendet, daß angesichts leerer öffentlicher Kassen nicht auch noch die Großkirchen privelegiert werden, sondern gleiches Recht für alle zu gelten habe, was genau ist daran verwerflich?

Zu seiner (bezahlten) Lobbyarbeit kann man stehen wie man will. Ich persönlich finde es eine Unverschämtheit, daß die Kirchen mit einem zweistelligen Milliardenbetrag jährlich subventioniert werden, wobei sie für ihre soziale Arbeit aus eigener Tasche nur minimal beitragen.

Geschrieben von B am 28. Oktober 2003 12:22:39:

Als Antwort auf: Re: Scientology wirbt weiter mit B.-Foto geschrieben von Prometeus am 28. Oktober 2003 10:54:29:

Da möchten Jehvoas Zeugen doch gerne etwas abhaben vom Kuchen.

aber dann sind Jehovas Zeugen bei der Zählung besonders großzügig und wir kennen ja auch andere Zahlen:

bei 220.000 VK wären das bei 400 € = 88 Mio. EUR im Jahr

Da kann dem Verlag nur eines recht sein:

Möglichst viele Anhänge, möglichst einfgache Leute - jeder Kopf zählt. Nützlich sind sie allemal. Selbst diejenigen die nichts spenden und auch sonst nichts tun, bringen Geld ein.

Geschrieben von Prometeus am 28. Oktober 2003 13:08:33:

Als Antwort auf: Steuergelder für Jehovas Zeugen geschrieben von B am 28. Oktober 2003 12:22:39:

>Da möchten Jehvoas Zeugen doch gerne etwas abhaben vom Kuchen.

Ja, Bauer, die wollen alle auch was abhaben! Ist doch klar! Was glaubst du warum sich die Kirchen in der aktuellen KdöR- Debatte nicht zu Wort melden? Weil sie Angst haben, daß dieser fragwürdige Status generell zur Disposition gestellt werden könnte. Und das kann nicht in ihrem Interesse sein. Da nimmt man lieber in Kauf daß die Sekten auch ein paar Milliönchen abbekommen, bevor die eigenen Milliarden flöten gehen.

Geschrieben von Drahbeck am 28. Oktober 2003 11:54:45:

Als Antwort auf: Re: Scientology wirbt weiter mit B.-Foto geschrieben von Prometeus am 28. Oktober 2003 10:54:29:

Lieber Prometeus,
Du rennst da bei mir offene Türen ein, was den Aspekt der Privilegierung der Großkirchen anbelangt.
Der entscheidende Punkt, auch im Falle B., ist doch wohl der. Er möchte (bzw. er läßt sich dazu benutzen), dass die Privilegierungsschraube der Religionszene weiter ausgedehnt wird. Zum Beispiel auf die Zeugen Jehovas als KdöR.
Spätestens nach dem einschlägigen Poppenberg-Video, mit B. als "Hauptstar", kann dass selbst einem Blinden mit Krückstock offenbar werden.

Wir leben in einer Zeit, in der harte Einschnitte auf der Tagesordnung stehen. Jeder der Einigermaßen wach die Lage beurteilt, ist sich darüber im klaren. Und wer diese Klarheit nicht hat, der wird sie vielleicht noch am eigenen Leibe erfahren - wenn er Pech hat.
Ich muss mal sehen, ob ich die URL eines Zeitungsartikels aus der heutigen "Berliner Zeitung" noch heraus bekommen kann. Da wird das am Beispiel eines Arbeitslosen beonders plastisch veranschaulicht.

In dieser politischen Großwetterlage an der Religionssubventionsschraube weiter zu drehen, ist gelinge gesagt eine Frechheit. Und wer sich dafür hergibt, den werte ich auch als inviduellen Feind - wie zum Beispiel Herr B..

Geschrieben von D, am 28. Oktober 2003 09:59:58:

Als Antwort auf: Re: Scientology wirbt weiter mit B.-Foto geschrieben von D. am 28. Oktober 2003 09:48:01:

www.menschenrechtsbuero.de/pics/hrkonf2_180903.jpg

Übrigens, die Dame rechts im Bild auf dem von Scientology im Internet verbreiteten Foto von der Brüssler Veranstaltung.
Besagte Dame soll auf den Namen Gabriele Y. hören

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