„Dann müssen Sie eben nach Schweden gehen"

Im Kontext der auch hierzulande zeitweise rigoros gehandhabten Praxis gegenüber Wehrdienstverweigerern, ist auch der markige Spruch eines Bundesrepublikanischen Richters gegenüber einen der „Deliquenten" überliefert:

Zitat:

„Nach einem Gerichtsbericht der "Süddeutschen Zeitung" antwortete der Vorsitzende auf den Hinweis des Angeklagten dass die "Zeugen Jehovas" in Schweden auch vom Ersatzdienst befreit seien:

"Dann müssen sie eben nach Schweden gehen - bei uns herrschen andere Gesetze."

http://forum.mysnip.de/read.php?27094,7773,10657#msg-10657

Im Jahre 1967 notierte „Erwachet!" (Ausgabe vom 8. 1.) einmal zu dieser Thematik:

„In Schweden hat man Zeugen Jehovas, die zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden, weil sie den Wehrdienst verweigerten, schon seit einigen Jahren anders behandelt als andere Gefangene. Sie sind in einem Gefängnis untergebracht worden, in dem es weder Wachen noch Mauern, noch Zäune gab und in dem alle Gefangenen Zeugen Jehovas waren."

Also demzufolge erwiesen sich die sprichwörtlichen „Schwedischen Gardinen", als ziemlich durchlässig.

Weiter las man in diesem „Erwachet!"-Artikel:

„Damit der Leser die Lage richtig versteht, möchten wir erwähnen, daß in Schweden allgemeine Wehrpflicht besteht. Jeder Schwede der tauglich ist, ist wehrdienstpflichtig; diese Pflicht dauert vom 18. bis zum 47. Lebensjahr und umfaßt die Grundausbildung und Dienst während einer bestimmten Zeit.

Ist es einer Person aus Gewissensgründen nicht möglich, Wehrdienst mit der Waffe zu leisten, so kann sie sich für den Dienst ohne Waffen, der jetzt "waffenloser" Dienst genannt wird, bewerben. Seit dem Jahre 1943 bestand dieser Dienst vorwiegend in Waldarbeiten oder anderen Arbeiten in Verbindung mit staatlichen Projekten, doch stand eine solche Person immer noch unter Kriegsrecht. Aber Jehovas Zeugen in Schweden lehnten ... nicht nur den Wehrdienst, sondern auch den waffenlosen Dienst als Ersatz für den Wehrdienst ab."

Mit letzterer Aussage ist dann wohl auch deutlich. Auch in Schweden bestand ein entsprechendes Konfliktpotential.

Nach einigem Hin und Her, kam man dann schlußendlich in Schweden zu dem Ergebnis:

"Somit werden Jehovas Zeugen in Zukunft nach einer Untersuchung jedes einzelnen Falles von der Wehrpflicht befreit werden, indem man sie einfach nicht einberuft."

Und siehe da, selbst die späte DDR praktizierte ab 1985 ähnliches. Allerdings, einen wesentlichen Unterschied gibt es dabei schon. In Schweden gab es darüber eine öffentliche Debatte. In der DDR nur die als Geheime Verschlusssache gehandhabte Praxis.

Immerhin gab es auch im Falle Schweden einen längeren „Vorlauf" in der Sache. Über selbigen berichtete auch „Erwachet!" schon in seiner Ausgabe vom 22. 2. 1959. Man erfährt, dass es dazu eigens eine thematische Debatte im Schwedischen Reichstag am 16. 4. 1958 gab.

Allerdings, jene 1958er Debatte brachte den Zeugen Jehovas noch nicht, das für sie günstige, spätere Ergebnis.

Weiter las man in jenem Artikel:

„Ob schon Schweden seit über hundertvierzig Jahren keinen Krieg mehr geführt hat, besteht in diesem Lande seit siebzig Jahren die allgemeine Wehrpflicht. Die Dienstverweigerer aus Gewissensgründen werden, nachdem sie ein Geistlicher verhört hat, zum zivilen Ersatzdienst eingeteilt. Ihre Dienstzeit ist jedoch doppelt so lang wie die Dienstzeit jener, die Wehrdienst tun. Und das alles in Friedenszeiten."

Dann ist offenbar doch das Pendel in Schweden noch umgeschlagen. Auch in Schweden erwies sich ja die Verweigerung auch von Ersatzdiensten, als der wesentliche Knackpunkt.

Zitiert wird bezüglich der Reichstagsdebatte im 1959er „Erwachet!"-Artikel auch noch der nachfolgende Passus:

„Ein Pfarrer von einer Freikirche, der auch Mitglied des Parlaments ist, erklärte, er sei mit der Idee, die im Antrag zum Ausdruck komme, einverstanden; dennoch zitierte er aus dem 'Wachtturm' Stellen, die besagten, daß die Politik zu der alten satanischen Ordnung der Dinge gehöre, und rief dann aus:

'Diese Kammer, in die wir gewählt wurden, gehört also auch zur Organisation des Teufels!' ... Die Abstimmung ergab 127 Neinstimmen und 74 Jastimmen.

Obschon der Antrag (Liberalisierung für die Zeugen Jehovas) durchgefallen war, rief die Sache in der Öffentlichkeit, wie dies aus mehreren Zeitungsartikeln hervorging, ein starkes Echo hervor. ...

Zum weiteren Verständnis mag es „erhellend" sein, auch einen Blick auf die Sachlage in der Bundesrepublik Deutschland, ab etwa 1962 zu tun.

Unter den diesbezüglichen Dokumenten in der Juristischen Literatur, ragt vielleicht besonders der Band 19 der „Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts" hervor (welcher 1966 erschien). Er ragt vielleicht deshalb hervor, weil in ihm auch noch von einem zweiten Zeugen Jehovas-bezüglichen Vorgang mit berichtet wird.

Und zwar das Thema Kongressverpflegung (der Zeugen Jehovas).

Da hatte also verspätet die Finanzbürokratie entdeckt. Die Zeugen Jehovas kaufen die Zutaten für die dann noch selbst hergestellte Kongressverpflegung, zu Großhandelspreisen ein; gäben dann aber die Fertigprodukte mit einem entsprechenden Gewinnaufschlag, dann während der Veranstaltung ab.

Nun soll das ja auch andernorts so üblich sein, was ja nicht zu bestreiten wäre.

Aber, und das war eben der „Knackpunkt" für die Finanzbürokratie. Bei Durchsicht der Steuererklärungen der WTG, wurden diese Gewinne nicht ausgewiesen.

Ergo bekam die WTG eine saftige Nachzahlung (gleich für etliche vorangegangene Jahre mit) aufgebrummt. Und diese Summe war mit Sicherheit nicht klein.

Dieses nun suchte die WTG in mehreren Verfahren, juristisch abzuwenden; mit wenig Erfolg. Schlußendlich landete der ganze Vorgang als Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht im Jahre 1965.

Nun stellte sich insbesondere ein Aspekt mit heraus, auf den die WTG sich auch im besonderen berief.

Die Kirchen mit dem Status als „Körperschaft des öffentlichen Rechts", seien von Abgaben dieser Art befreit; und die WTG begehre daher Gleichbehandlung. Zum Leidwesen der WTG gab auch das Bundesverfassungsgericht diesem Antrag nicht statt. Zwar bestätigte man die Privilegierung der anderen die den KdöR-Status besässen. Bestand aber darauf; solange die WTG diesen nicht hat, könne sie auch nicht an ihm gekoppelte Privilegien in Anspruch nehmen. Und in dem diesbezüglichen Urteilstext las man auch den Satz:

Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie könne die Körperschaftsrechte jederzeit erlangen, lehne es nur aus Gründen des Glaubens und ihrer religiösen Überzeugung ab, einen entsprechenden Antrag zu stellen, der die Verleihung der Körperschaftsrechte und damit die Umsatzsteuerfreiheit zur Folge habe."

Wie man weis hat die WTG erst nach 1990 ihre diesbezügliche Position drastisch verändert.

Warum stellte man solch einen Antrag nicht schon 1965, da man doch schon damals der Meinung war den KdöR-Status jederzeit erlangen zu können, es aber „aus Gründen des Glaubens und ihrer religiösen Überzeugung" ablehne?

Man wird die Antwort auf diese Frage auch dergestalt suchen und finden müssen, indem man die weitverbreitete Beschäftigung Bundesdeutscher Gerichte zu just jener Zeit, mit Zeugen Jehovas-Angelegenheiten, mit in die Betrachtung einbezieht.

Was waren das für Angelegenheiten.

Kurz gesagt. Die Verweigerung von Ersatzdiensten für den Wehrdienst, durch die Zeugen Jehovas. Das waren nicht einzelne „Ausnahmefälle". Das war Juristischer Alltag in jenen Jahren.

Und eben in jenem genannten Band 19 der „Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts" wird solch ein exemplarischer Fall vorgestellt.

Der landete schlußendlich auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Bis es 1965 dann soweit war, gab es allerdings einige Vorstufen.

In diesem Fall die:

Der Fliesenleger G. vor Gericht vertreten durch seine Rechtsanwälte, wurde am 30. Juli 1962 vom Landgericht Memmingen, zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt.

Er war zwar als Wehrdienstverweigerer durch die Prüfungsausschüsse, zuvor ausdrücklich als solcher anerkannt. Dies aber würde ihn nicht automatisch auch dazu berechtigen, verordnete Ersatzdienste gleichfalls ablehnen zu dürfen. In diesem Fall war er aufgefordert worden, seinen Ersatzdienst in dem staatlichen Erziehungsheim Sinsheim anzutreten.

Er kam dieser Aufforderung nicht nach, deshalb die schon genannte gerichtliche Verurteilung als Folge davon.

Offenbar war dem Delinquenten das ganze einen weitergehenden Rechtsstreit wert, denn schon am 26. Oktober 1962 gab es ein weiteres Gerichtsverfahren in der Sache. Diesmal vor dem Landgericht Stuttgart. Auch das entschied wieder zu seinen Ungunsten.

Er wollte es aber immer noch weiter wissen, und schlug auch den nächsten noch möglichen Schritt ein (seine Rechtsanwälte wird es sicherlich gefreut haben, angesichts der damit verbundenen Honorarforderungen für sie).

Diesmal fand die Verhandlung in derselben Sache am 8. Februar 1963 vor dem Oberlandesgerichts Stuttgart statt. Auch das entschied wieder zu seinen Ungunsten.

Damit war dann wohl die juristische Schiene erst mal weitgehend ausgereizt. In Absprache mit seinen Anwälten (und ohne die geht es in dieser Dimension nicht), wurde noch der Weg eingeschlagen, eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, welche am 4. Oktober 1965 zur Verhandlung kam.

Und auch in diesem Verfahren bekam er dann als Ergebnis vom Bundesverfassungsgericht mitgeteilt:

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet, da der Beschwerdeführer nicht zur Verweigerung des Ersatzdienstes berechtigt ist."

Das alles weil ihm der Dienst in einem Erziehungsheim, als Folge der WTG-Doktrinen, nicht zusagte. Wer in etwa eine Vorstellung davon hat, was diese insgesamt vier Gerichtsinstanzen an auch finanziellen Kosten für den Kläger bedeuteten, mag sich dann ja diese Frage noch selbst beantworten.

Einen Auszug (die Buchausgabe ist umfänglicher) des vorzitierten letzten Falles gibt es auch Online:

DFR - BVerfGE 19, 135 - Ersatzdienstverweigerer

1959er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

ZurIndexseite