Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Der Pardel hat seine Flecken nicht geändert

Das Jahr 1955 darf man getrost der Hochphase des kalten Krieges zwischen Ost und West zuordnen. In der Ausgabe vom 1. 6. 1956 des "Wachtturms" hält die WTG Rückschau auf ihre Kongressveranstaltungen des Jahres 1955. Die waren in Deutschland, im wesentlichen auf zwei Örtlichkeiten konzentriert. Alles was sich zusammentrommeln lies (Josy Doyon berichtet als Schweizerin in ihrem Buch „Hirten ohne Erbarmen" davon; dass selbst die Schweizer Zeugen genötigt wurden, zur großen Zeugen Jehovas-Heerschau nach Nürnberg anzureisen). Mit Bedacht wurde jener Kongreßort gewählt, wollte man doch auf dem ehemaligen Hitler'schen Reichparteigelände, sozusagen einen symbolischen Sieg feiern. Da konnte auf individuelle Befindlichkeiten wenig Rücksicht genommen werden. Doyon schildert das auch mit der ihr bleibend haften gebliebenen Erinnerung, dass auf dem Kongreßgelände für sie der Moment kam, sich ihres Widerstandes, auch dorthin zu reisen, zu schämen.

Wurde doch triumphierend bekanntgegeben; dass hochschwangere Frauen dort Kinder zur Welt brachten. Wenn selbst die, in ihrem voraussehbaren Zustand, sich von dieser Reise nicht abhalten ließen, dann so Doyon, empfand sie ihren Widerstand, auch dorthin zu reisen, nunmehr als „kleinkariert!".

Eine indirekte Bestätigung der Aussage von Doyon, begegnet man auch in der "Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 5. 1956, wo ein Pressebericht aus der Zeitung "Die Stadt Nürnberg" vom 11. 8. 1955 zitiert wird. Genannte Zeitung meinte unter anderem notieren zu sollen:

"Vom Kleinkind ... bis zur Großmutter ist jede Altersschicht vertreten. Sogar Kranke in Rollstühlen kann man sehen .."

Wahrlich ein bemerkenswertes Zeugnis, wozu Gruppendruck Menschen alles zu manipulieren vermag. Eigentlich gab es neben der Nürnberger Veranstaltung, im Jahre 1955 nur noch einen zweiten Zeugen Jehovas-Kongreß in Deutschland, in Westberlin. Den gab es auch nur im Hinblick auf die Zeugen Jehovas in Ostdeutschland, die man damit erklärtermaßen, auch noch erreichen wollte. Direkt nach Nürnberg zu fahren, war den wenigsten von ihnen möglich. Jedoch Westberlin, das lag im Rahmen des erreichbaren. Und als „Highlight" hielt es der damalige WTG-Vizepräsident F. W. Franz auch für angemessen, seinen Teil zur „moralischen Aufrüstung" beizutragen. In der genannten WT-Ausgabe liest sich das so:

Es „begab sich der Vizepräsident in die Büros der amerikanischen Radiostation RIAS in Berlin. … Dort ließ er eine 14 ½ Minuten dauernde Ansprache in Deutsch über Gottes Königreich auf Tonband aufnehmen, in deren Schlußworten er sich direkt an die Brüder in Ostdeutschland wandte, um ihnen Mut zuzusprechen, und ihnen zu versichern, daß wir in unseren Gebeten ihrer gedenken."

Ob diese Gebete den in kommunistischen Gefängnissen Einsitzenden real etwas brachten, mag man mehr als bezweifeln. Aber es ist schon klar, fünf Jahre nach offiziellem Verbotsbeginn, hieß für die WTG die Parole, das „ausharren" zu bestärken.

Bestärkt wurden sie in diesem Ausharren auch noch durch einen in positiver Tonlage gehaltenen Presseartikel der amerikanischen Armeezeitung für Europa, mit dem Titel "The Stars and Stripes", worüber "Erwachet!" in seiner Ausgabe vom 22. 3. 1956 hoch erfreut berichtet.

Tja, die kalten Kämpfer (die einen mit buchstäblichen Waffen, die anderen mit Ideologie), schätzen sich halt. Getreu dem Motto. Getrennt marschieren, aber gemeinsam zuschlagen. Ein gemeinsames Feindbild hatten sie ohnehin.

Bereits 1951 waren "The Stars an Stripes" die Zeugen Jehovas einen positiven Bericht wert. Damals berichtete man vom 1951er Kongress der Zeugen Jehovas in Deutschland, bei dem WTG-Präsident N. H. Knorr höchstpersönlich mit anwesend war. Als für die Leser von "Stars and Stripes" notierenswert, wurde diesen in der Ausgabe vom 28. 8. 1951 über diesen Zeugen Jehovas-Kongress mitgeteilt:

(Knorr) predicted the Bible prophesy of a "catastrophe similan to the one in Noah's day" would come true to end to the present cold war stratemate. He said todays critical world situation was not caused by communism or the atom bomb, but by "ungodlines". Jehovah's Witnesses from 24 countries including 800 from the Soviet Zone and 150 from the U. S. attented the meeting here.

Das man jene Jahre wirklich als die Hochphase des kalten Krieges, auch im Falle der Zeugen Jehovas bewerten kann, macht auch eine scharfe Abrechnung im „Wachtturm" vom 15. 10. 1956 deutlich. Da wurde wahrlich kein Blatt vor dem Mund genommen. Einige Zitate daraus noch:

„Heute behauptet der räuberische, blutbefleckte, intolerante, totalitäre Pardel des Kommunismus, er habe seine Flecken geändert".

Schon diese Einleitung macht deutlich. Seitens der WTG wurde den östlichen Regimen auch nichts erspart.

Weiter geht's mit der Aussage:

„In seinen Freundschaftsanträgen gegenüber dem Westen beteuern seine Wortführer laut und oft ihre Reformbestrebungen und schieben die Schuld an allen in der Vergangenheit begangenen Missetaten dem einen Stalin zu. Jene, die geneigt sind, sich auf Wunschträume einzulassen, sind schnell bereit gewesen zu der Folgerung, daß der kommunistische Pardel, so wie er seine Taktik und Propagandalinie geändert habe, sich auch im Herzen geändert haben müsse. Aber Taten sprechen lauter als Worte."

Und zur Belehrung aller eingefleischten Antikommunisten, werden diese dann noch auf den Fall Zeugen Jehovas hingewiesen. Man berichtet:

„Ein auffallender Beweis von der Unaufrichtigkeit der Kommunisten zeigt sich in ihrer Behandlung der Zeugen Jehovas. Sie beschleunigen deren Verhaftungen, obwohl sie andere 'politische' Gefangene freilassen.

Dies geht aus dem Bericht hervor, der im Berliner 'Tagesspiegel' unter dem Datum des 9. Juni 1956 erschienen ist, und zwar unter dem Titel: 'Keine Glaubensverfolgungen in der Sowjetzone?' worin folgendes über die Sachlage in Ostdeutschland zu lesen stand:

'In den letzten Wochen wurden aus den Strafverbüßungsanstalten der Sowjetzone in Gruppen politischer Gefangene nahezu aller Kategorien vorfristig entlassen. Allerdings war eine Kategorie, sie macht 1/15 aller politischen Gefangenen aus, nicht unter den Entlassenen vertreten. Die Zeugen Jehovas. Es erfolgten vielmehr noch im April und Mai in Altenburg, Rostock und Magdeburg neue Verhaftungen. …

Sämtliche Verhandlungen gegen diese Angeklagten fanden bisher unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Weder die Angehörigen noch Entlastungszeugen durften daran teilnehmen. Seit dem 8. August 1950 sind 2814 Verhaftungen erfolgt; 1299 werden noch aufrecht erhalten. Urteilsreduzierungen sind nur in ganz wenigen Fällen vorgekommen. In 73 Fällen ist überhaupt noch kein Urteil erfolgt oder bekanntgeworden. 34 Zeugen Jehovas sind in Haftanstalten gestorben oder nach unmenschlicher Behandlungsweise zugrunde gegangen. Die durchschnittliche Strafhöhe liegt bei sechs Jahren und drei Monaten; 14 haben lebenslängliche Strafen.

Bis 1954 durften diese Häftlinge nicht arbeiten. Häufig mußten sie rote Bänder an Arm und Bein tragen, und das bedeutet, keine Bücher, keine Erlaubnis Schach zu spielen, keine Teilnahme an den gelegentlichen Filmvorführungen und Einzelzelle. Da die Zeugen Jehovas keine Blutwurst essen, diese aber häufig die einzige Fleischkost ist, sind sie auch, was die Ernährung angeht, benachteiligt."

Und kommentierend fügt die WTG zu diesem und ähnlichen Berichten dann noch hinzu:

„Warum ergreift der grimmige, mächtige kommunistische Pardel rücksichtslose Maßnahmen gegen die friedliebenden Zeugen Jehovas innerhalb seiner Grenzen?"

In den dann aufgeführten Ursachenkatalog, aus WTG-Sicht, befindet sich auch die Angabe:

„Ferner vertreten Jehovas Zeugen den biblischen Grundsatz, daß Jehova Gott zuerst kommt und daß der Cäsar nur das haben kann, was nicht Gott verlangt."

Unausgesprochen, aber durchaus deutlich, nimmt dies auf die 1929er Obrigkeitslehre von Rutherford Bezug, die ja auch zu diesem Zeitpunkt, noch voll in Kraft war. Wenn die WTG im nachfolgenden den totalitären Charakter der östlichen Regime herausstellt, dann hat sie damit im Prinzip zwar recht. Das jedoch ist nur die halbe Wahrheit. Ihr eigenes Regime ist in gleicher Weise totalitär. Und hier prallen jetzt zwei Totalitarismen in voller unversöhnlicher Härte aufeinander. Das war schon im Naziregime so. Und das wiederholte sich dann erneut in Ostdeutschland.

Über ihren politischen Marktwert, zumindest in westlichen Gefilden, ist sich die WTG dabei durchaus bewusst. Und so lässt sie denn auch prompt, den erhobenen Zeigefinger präsentierend, den Artikel mit der Aussage ausklingen:

„Solange Jehovas Zeugen zu Tausenden hinter kommunistischen Gefängnisgittern und Stacheldraht schmachten und noch weitere verhaftet werden, müssen Propagandaschlagwörter, wonach der Kommunismus sich im Herzen geändert habe, als lauter Heuchelei gebrandmarkt werden. Die sogenannte freie Welt sollte dankbar sein für das Beispiel, das Jehovas Zeugen geben, denn indem sie furchtlos und ohne auf Kompromisse einzugehen Stellung nehmen gegen das Totalitätsmonstrum, stellen sie die Ruchlosigkeit, die Intoleranz und Heuchelei der Kommunisten ins rechte Licht. Da besteht keine Frage: der kommunistische Pardel hat seine Flecken nicht geändert."

Die WTG unternahm auch allerlei, um diesem ihrem vermeintlichen politischen Marktwert zum Durchbruch zu verhelfen. So veröffentlichte das interne Zeugen Jehovas-Blatt "Informator in der März-Ausgabe 1956 einen Brief des WTG-Präsidenten N. H. Knorr. Letzterer pries besonders eine "Wachtturm"-Ausgabe (die vom 1. 4. 1956) an. Auch im Hinblick auf den darin enthaltenen Artikel: "Kommunistenführer fürchten die Wahrheit der Bibel". Es reichte Knorr aber bei weitem nicht, dass seine Zeugen in diesem Sinne instruiert wurden. Nein, er wollte mehr. Möglichst breite Öffentlichkeitswirksamkeit, so sein Ziel, wofür auch seine Angabe steht:

"Diese Sonderausgabe des 'Wachtturms' vom 1. April ist ein Wegweiser für alle Menschen ... und wird ihnen die Augen öffnen über die Zustände in Rußland. In den sechs Wochen, vom 21. März bis zum 30. April, möchte die Gesellschaft mindestens 10.000.000 Exemplare dieser besonderen Ausgabe verbreiten."

Offensichtlich ist es aber so, dass trotz aller Selbstanpreisung, nicht alle im Westen, den politischen Stellenwert der WTG-Religion in dem Maße zu schätzen wussten, wie sich die WTG das wünschte. Und weil das so ist, legt man dann in der Parallel-Zeitschrift „Erwachet!" noch entsprechend nach. Etwa wenn in dessen Ausgabe vom 22. 1. 1956 die folgende Bestandsaufnahme zu Papier gebracht wird:

„Ein weiterer Antrieb für die religiöse Erweckung ist der Patriotismus. Da der Kommunismus offensichtlich mit der Religion auf Kriegsfuß steht, gilt der Glaube an Gott in nichtkommunistischen Ländern als Beweis der Vaterlandstreue. Die Religion wird als das Mittel gepriesen, mit dem man den Feind schlagen könne."

Missmutig registriert die WTG, dass „Unwürdige" es verhindern, dass ihr politischer Marktwert „angemessen" gewürdigt wird. Es versteht sich daher für die WTG, dass diesen „Unwürdigen" wieder einmal die „Leviten verlesen werden müssen". In der Ausgabe vom 8. 2. 1956 des „Erwachet!" war es wieder mal soweit. Unter der Überschrift:

„Die Katholische Kirche ein Bollwerk gegen den Kommunismus?" liest man:

Immer häufiger hört man sagen, die Römisch-katholische Kirche sei ein 'Bollwerk gegen den Kommunismus'. Kürzlich schmückte der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, Richard Nixon, diesen bekannten Satz noch aus und bezeichnete die Kirche als 'eines der wichtigsten Bollwerke gegen Kommunismus und Diktatur'. Diese Erklärung wurde von der breiten Masse kritiklos hingenommen.

Zu den Ausnahmen, die diesen Ausspruch kommentierten, gehörte auch Dr. John A. Mackay, Präsident des Theologieseminars Princeton, der sagte;

'Ich fühle mich gezwungen, selbst auf die Gefahr hin, der Bigotterie bezichtigt zu werden, festzustellen, daß leider gerade das Gegenteil der Fall ist.'

Nun ist es ja klar, daß nicht beide Erklärungen der Wahrheit entsprechen können. Um herauszufinden, welche richtig ist, unterziehen wir dieses kirchliche Bollwerk am besten einer Prüfung.

Und was stellen wir fest?

Dr. Mackay sagte:

'Vor zwei Jahrzehnten schloß die Römisch-katholische Kirche mit Benito Mussolini, dem Diktator Italiens, und Adolf Hitler dem Diktator Deutschlands, ein Konkordat ab.'

Demnach arbeitete also der Vatikan mit tyrannischen Diktatoren zusammen.

Sozusagen die ganze Welt verurteilte den Überfall auf Abessinien, aber der italienische Klerus leistete im großen und ganzen nicht nur keinen Widerstand gegen den Faschismus, sondern billigte offen Mussolinis Angriff auf Abessinien. 19 Erzbischöfe und 57 Bischöfe gaben folgende Erklärung ab:

'Das katholische Italien dankt Jesus Christus für die erneuerte Größe des Landes, das durch Mussolinis Politik erstarkt ist.'

Jene Politik war eine Diktaturherrschaft.

'Heute', fuhr der Theologe Mackay fort, 'besteht zwischen dem Heiligen Stuhl und dem spanischen Diktator, Francisco Franco, dessen wichtigster Unterstützer er auch ist, ein Konkordat.'

Im Jahre 1954 verlieh der Vatikan Franco den Christusorden, die höchste Auszeichnung des päpstlichen Stuhles. Dabei war es Franco, der sich über die japanische Eroberung der Philippinen freute. Und es war Franco, der mit Schmunzeln die Nachricht aufnahm, daß der Vatikan kurz nach dem Überfall auf Pearl Harbor diplomatische Beziehungen mit Japan aufnahm. Somit reichte der Vatikan nicht nur Franco sowie dem Diktator Nazideutschlands und des faschistischen Italiens die Hand, sondern auch der totalitären Regierung Japans, und er zog sich nur zurück, wenn seinen Partnern das Glück nicht mehr hold war.

Und wie stark ist das Bollwerk, das der Vatikan gegen den Kommunismus aufgerichtet hat?

die katholischen Länder sollten von allen Ländern die größte Widerstandskraft gegen den Kommunismus haben. Ist dies auch der Fall?

Im Gegenteil, Dr. Mackay schreibt, daß die vorwiegend katholischen Länder wahre 'Brutstätten des Kommunismus' sind. Zu diesen gehört Lateinamerika, dessen Bevölkerung zu 90% katholisch ist, und auch Frankreich, wo Priester in die Fabriken arbeiten gingen, um die kommunistisch gewordenen Arbeiter zurück zu gewinnen. Die 'Arbeiterpriester' glaubten jedoch, der Erfolg ihrer Tätigkeit werde sich erst nach mehreren Generationen einstellen.

Andere unerwartete Folgen stellten sich jedoch schon früher ein:

Nicht wenige der Priester fielen selbst der roten Propaganda zum Opfer und entschieden sich für den Kommunismus! Wie stark war das Bollwerk?

Und wo ist die Widerstandskraft in Italien, wo ein Drittel der katholischen Bevölkerung für die Kommunisten stimmt? Trotzdem der Papst mit Exkommunikation gedroht hat, wird die kommunistische Partei immer stärker; im Jahre 1954 strömten ihr 180 000 neue Mitglieder - meistens getaufte Katholiken - zu!

Wie steht es also mit dem Bollwerk der katholischen Kirche? Unsere Prüfung hat gezeigt, daß sie gar kein Bollwerk ist.

Im Zusammenhang mit der Obrigkeits-Diskussion (Römer 13), die Anfang der 1960er Jahre auch die evangelische Kirche erreicht hatte, und in der ein evangelischer Bischof (Lilje) ein vom Osten als "Flinten-Interview" bezeichneten Kommentar abgab. Ursächlich verursacht durch eine Streitschrift eines anderen evangelischen Bischof's (Otto Dibelius).

In diesem Interview wurde der zuerst genannte evang. Bischof gefragt, welche Empfehlungen er denn den Bürgern in "Mitteldeutschland" (Polen wäre in dieser Terminologie dann "Ostdeutschland") geben würde. Ob er wohl den "Mitteldeutschen" raten würde zur "Flinte" zu greifen.

Ziemlich unverblümt dessen Antwort: Direkt aussprechen möchte er es das nicht. Denken aber würde er es wohl.

Hier schon begegnet man zwei Charakteristika. Wer den Polen als "Ostdeutschland" bezeichnet, der plädiert ziemlich rabiat für die Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges.

Wer den "Mitteldeutschen" de facto rät, zur Flinte zu greifen, tut ein gleiches.

Nun war im Jahre 1956 der 17. Juni 1953 noch nicht so übermäßig lange Vergangenheit. Wie der denn ausgegangen; die Erinnerung daran konnte doch wohl noch nicht ganz verblasst sein; nämlich mit der Niederwalzung durch sowjetische Panzer. Und welche Chancen zu jener Zeit jene gehabt hätten, die da tatsächlich mit dem Rat ernst gemacht hätten, in "Mitteldeutschland" zur Flinte zu greifen, ist ziemlich offenkundig.

Als der Osten 1961 seinen Laden dann dicht machte, da zogen selbst die großsprecherischen Amis klammheimlich den "Schwanz ein". Als ihre Panzer an der Berliner Sektorengrenze den sowjetischen Panzern gegenüberstanden. Genau an der Stelle, traten sie aufs Bremspedal. Sie wagten es nicht, ihrerseits zur weiteren Eskalation beizutragen. Und selbst der großsprecherische westdeutsche Bundeskanzler Adenauer, damals noch im Amt, verkroch sich vor der Herausforderung des 13. August 1961.

Weder Adenauer noch die Amis zogen den Schwanz ein, weil sie den Osten "so liebten". Das Gegenteil ist wohl eher der Fall. Aber ihr politischer Instinkt sagte ihnen sehr wohl. Gehen sie jetzt zu weit, hat das unabsehbare Konsequenzen. Unter den gegebenen Umständen ist es - verantwortbar - nicht machbar, den Osten in die Schranken zu verweisen. Wird diese unsichtbare Schranke überschritten, bedeutet sie nichts anderes als die Eskalationsschraube in Richtung tatsächlichem Krieg zu drehen. Diese Verantwortung wollten sie dann doch wohl nicht übernehmen.

Das war die tatsächliche politische Großwetterlage, die es im Blick zu halten gilt.

Wie indes agierten die Zeugen Jehovas im Jahre 1956. Nun sie setzten in jenem Jahre just ihre Variante eines "Flinten-Interviews" in die Welt. Aufhänger für sie dabei die Wahlen in der sogenannten "DDR". Ihre Kommentierung die sie dabei ablieferten war synchron mit jenen, für welche die "DDR" immer noch nur "Mitteldeutschland" war. Und es fehlt am Ende jenes Artikels auch nicht an jenem verklausulierten Aufruf. Direkt die Flinte zu ergreifen. Das möchte man nicht aussprechen. Denken aber tue es man sehr wohl.

Sicherlich war man dabei im weitgehenden Konsens mit westlichen politischen Kreisen. Das ist unstrittig. Man sprach nur aus, was die auch dachten. Indes für eine internationale Organisation, die vorgibt "neutral" zu sein, ist das so nicht hinnehmbar. Wenn man denn im westlichen Mainstream mitschwimmt, mitschwimmen will, lässt sich die Fiktion angeblich "neutral" zu sein, nicht aufrecht erhalten. Das gilt es immer wieder auszusprechen.

In Übereinstimmung mit dem westlichen Mainstream kommentierte "Erwachet!" in seiner Ausgabe vom 8. 6. 1956:

Anlässlich der Außenminister-Konferenz in Genf im November 1955 erklärte Molotow stolz, daß die Ostdeutschen mit ihrer Regierung zufrieden sein müßten, sonst hätte Ministerpräsident Otto Grotewohl wohl nicht 99% aller Wählerstimmen erhalten. Als der britische Außenminister Macmillan darauf entgegnete, die Erfahrung habe gezeigt, daß kein Mensch sondern nur ein "lebendes Wunder" einen solchen Wahlsieg erringen könnte, machte Molotow ein finsteres Gesicht und wandte sich ab.

Wie gelang der kommunistischen Marionettenregierung dieses "Wunder", 99% der ostdeutschen Stimmen für sich zu gewinnen?

Erstens wurde eine Wahlvorbereitungsversammlung der Kommunisten und anderer führender Parteien abgehalten und eine Einheitsliste aufgestellt. Jeder Stimmzettel der in die Urne geworfen wurde, galt als Stimme für diese Liste, ganz gleich wie er ausgefüllt worden war.

Die Wahl wurde an einem Sonntag durchgeführt. Bis zum Mittag hatten alle Treuen und Furchtsamen gestimmt. Dann sprachen kommunistische Agenten bei denen vor, die noch nicht gewählt hatten. Hatte ein Agent keinen Erfolg, so sprach ein Komitee vor und anerbot sich, den zögernden Wähler im Auto zum Wahllokal zu führen. Wenn der Wähler krank war, wurde ein Krankenwagen zur Verfügung gestellt, und konnte er das Bett nicht verlassen, so wurde ihm eine Wahlurne ans Bett gebracht.

Die Arbeiter der verschiedenen Fabriken sowie die Bewohner großer Wohnblocks mußten gemeinsam hinter ihren Fahnen zum Wahllokal marschieren. Die Schulkinder mußten Briefe an ihre Eltern schreiben, in denen sie dringend ersuchten, aus Dankbarkeit für alles, was die Regierung für sie getan hatte, zugunsten des kommunistischen Regimes zu stimmen! Personen, die Wohlfahrtsunterstützung oder Altersrente bezogen, wurde angedroht, daß die Unterstützung gekürzt werde, wenn sie nicht zur Wahl gingen. Es kam auch vor, daß ein widerspenstiger Nichtwähler durchgeprügelt wurde.

Obwohl sich die Kommunisten rühmen, in Ostdeutschland 99% der Stimmen erhalten zu haben, offenbart doch ihre Weigerung, das Volk über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands abstimmen zu lassen, wie wenig dieser 99prozentige Wahlsieg zu sagen hat. Diese Tatsachen stellen nicht nur die Kommunisten als Heuchler bloß, sondern auch viele Ostdeutsche, die aus Menschenfurcht ein Regime begünstigen, das, wie sie selbst wissen, nicht nur gesetzlos ist, sondern auch ihre eigenen Interessen nicht wahrt.

1956er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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