Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Griechenlands Geistlichkeit verschafft den Zeugen Jehovas Publicity

Griechenland, namentlich seine orthodoxe Kirche, ist seit jeher als ein Ort der Intoleranz bekannt. Insofern teilt „Erwachet!" in seiner Ausgabe vom 22. 10. 1956 nichts prinzipiell neues mit. Seitens der WTG besteht da ohnehin ein weinendes und ein lachendes Auge; ersichtlich auch an der Artikelüberschrift: „Die Intoleranz der orthodoxen Geistlichkeit - ein Bumerang". Das „lachende Auge" der WTG dabei offenbart sich besonders in dem Aspekt, dass der sich ihr entgegenstellende Widerstand, letztendlich eine Beförderung ihrer „Verkündigung" bewirkte. Es war schon immer so, dass auch eine negative Publicity (wie in diesem Fall) letztendlich doch eben Publicity ist. Das mit dem „tieferhängen" oder einfach zur Tagesordnung übergehen, diesen Publicity-Süchtigen, eigentlich wirkungsvoller begegnet werden könnte. Das hatte sich offenbar bei der Geistlichkeit Griechenlands noch nicht herumgesprochen. Man muss wohl noch hinzufügen. Dieser Blackout lässt sich wohl nicht „nur" im Falle der griechischen Geistlichkeit nachweisen.

Wie denn die griechische Geistlichkeit in die bereit gestellte Falle hineintappte, darüber liest man in der genannten "Erwachet!"-Ausgabe im geschönten WTG-Deutsch:

„Ein hervorragendes Beispiel von religiöser Intoleranz in unserer Zeit lieferte die orthodoxe Geistlichkeit Griechenlands, besonders in der Zeit vom August 1955 bis zum Juni 1956.

Im April 1955 haben Jehovas Zeugen die Broschüre 'Christenheit oder Christentum - was ist 'das Licht der Welt'?' in Millionen Exemplaren auf der ganzen Welt verbreitet. Einige Monate später ließen sie diese Broschüre samt einem Begleitschreiben allen Geistlichen sowie den Redakteuren von Zeitungen und Zeitschriften zukommen. Dies geschah auch in Griechenland, wo 7830 Exemplare an Geistliche und 764 an Redakteure gesandt wurden.

Die Mehrzahl der Redakteure ließ die Broschüre und ihre Botschaft unbeachtet. Ein einziger Redakteur übergab das ihm zugestellte Exemplar der Polizei und erklärte, dies sei ein widerrechtlicher Versuch, Proselyten zu machen. (Proselytenmacherei ist nach dem griechischen Gesetz strafbar). Das Gericht entschied jedoch, daß das Zustellen dieser Broschüre keine Verletzung des Gesetzes über die Proselytenmacherei darstelle und daher nicht gesetzlich zu bestrafen sei.

Die Pfarrer und Prediger der kleineren Sekten Griechenlands unternahmen keine Schritte gegen die Verbreitung dieser Broschüre. Jedoch die Geistlichen der griechisch-orthodoxen Kirche verhielten sich anders. Vom August 1955 bis zum Juni 1956 mußten sich 450 Zeugen Jehovas vor Gericht verantworten, weil sie eine oder mehrere dieser christlichen Broschüre an orthodoxe Geistliche gesandt hatten. Die Unduldsamkeit der orthodoxen Geistlichkeit hat sich auch als Bumerang für sie ausgewirkt, weil durch diese Gerichtsfälle großes Interesse an der Broschüre 'Christenheit oder Christentum' - 'Was ist das Licht der Welt'?' hervorgerufen wurde. Auch konnte vor den Gerichten des Landes und vor Regierungsbeamten ein noch nie dagewesenes Zeugnis gegeben werden. Jehovas Zeugen haben sich sehr gefreut, daß sie dieses Zeugnis geben durften, obschon es sie viel Zeit gekostet hat, sie Mißhandlungen auf sich nehmen und 180.000 Drachmen … für Anwaltskosten und Geldstrafen auslegen mußten."

Allerdings, man sollte auch den aggressiven Grundtenor seitens der Zeugen Jehovas, dabei nicht außer Acht lassen. So, wenn man etwa in der November-Ausgabe 1956 des internen Blattes der Zeugen Jehovas (jetziger Titel „Unser Königreichsdienst") liest:

„Unser Auftrag zu predigen, gilt für alle 24 Stunden des Tages, und zwar an jedem Tag, solange wir leben … Die Zeit, die wir für den Weg zur Arbeit und zurück benötigen, ist unsere Zeit, ebenso die Mittagspause. Benutzt diese Augenblicke, um mit euren Arbeitskollegen zu sprechen, mit euren Mitreisenden zu sprechen. Unterhaltet euch unterwegs mit den Reisegefährten. Sprecht beim Fassen von Treibstoff mit dem Tankwart. Gebt bei euren Einkäufen dem Kolonialwarenhändler Zeugnis, wenn es auch nur ein kurzes sein mag. Überlaßt ihm einen Traktat oder eine Zeitschrift. Predigt, wenn Vertreter vorsprechen. Predigt, wenn der Milchmann kommt. Predigt, wenn Freunde euch besuchen!"

Quasi als „Munition" für diese Strategie, diente nun auch noch die Aktion mit genannter Broschüre.

Schon die gewählte Titelwahl der Broschüre „Christenheit oder Christentum …„ offenbart diese Aggressivität. Durchaus noch in Nachfolgewirkung der Rutherford-These: Religion sei Gimpelfang und Erpressung. Mit eben nur „einer Ausnahme"; eben der Rutherford-Variante von „Religion". Verwiesen sei dabei auch auf das Interne Blatt der Zeugen Jehovas (damals noch „Informator" benannt. Jetzt „Unser Königreichsdienst"). Letzteres schrieb beispielsweise in seiner deutschen Ausgabe für April 1955:

„Grosser Feldzug mit neuer Broschüre beginnt!

Wir haben 15.312.000 in 19 Sprachen 'Christenheit oder Christentum - was ist das Licht der Welt?'

Am Sonntag, dem 3. April, sollten in der ganzen Welt mehr als 10.000 öffentliche Vorträge gehalten werden. Beginnt mit der Verbreitung der Broschüre, sobald sie freigegeben. Gebt die 20 Exemplare, die ihr im Anschluss an den öffentlichen Vortrag am 3. April erhaltet, möglichst schnell ab, und bezieht dann weitere zum Verbreiten. Jeder Verkündiger wird bestrebt sein mindestens 30, und jeder Pionier 100 solcher Broschüren zu verbreiten."

Die Mai-Ausgabe 1955 genannten Blattes jubelt:

„Unsere Pressen drucken weiter neue Broschüre. Täglich treffen Bestellungen für über 100.000 ein!"

Und die August-Ausgabe 1955 bringt dann das eigene Selbstverständnis dergestalt auf den Punkt:

„'Jehovas Zeugen führen Krieg'! Dies mag für einige befremdend klingen, aber nicht für Gottes Diener".

In der Februar-Ausgabe 1956 liest man in einem Rückblick dann:

„Der April-Feldzug des letzten Jahres mit der Broschüre 'Christenheit oder Christentum - was ist 'Das Licht der Welt'?' war ein auffallender Erfolg. Allein im April wurden in der Bundesrepublik mehr als 1.226.000 Exemplare verbreitet, und viele neue Höchstzahlen sowie schöne Zunahmen wurden erzielt."

1956er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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