Annotationen Zu den Zeugen Jehovas

Und willst du nicht mein Bruder sein ...

Die unbändige, den Nazis in diesem Punkt voll vergleichbare Wut der Kommunisten auf die Zeugen Jehovas, offenbart sich auch in einem Presseartikel vom 9. 6. 1956 in der Berliner Tageszeitung "Der Tagesspiegel". Letztendlich reduziert sich das darin Mitgeteilte auf die Frage der Nichtanerkennung der vorgeblichen "Aufrichtung eines Paradieses durch Kommunisten" seitens der Zeugen Jehovas.

Es ist richtig, deren Passivität gesellschaftspolitischen Fragen gegenüber, ging und geht auch so manchen anderen in Vergangenheit und Gegenwart "auf den Keks". Dennoch muss die Rückfrage gestattet sein: Wie reagiert man denn nun auf diese offenkundige Herausforderung?

Auch für die Kommunisten gab es da offenbar nur eine Form der Antwort:

"Und willst du nicht mein Bruder sein - So schlag ich dir den Schädel ein".

In genanntem Artikel las man:

In den letzten Wochen wurden von den Strafverbüßungsanstalten der Sowjetzone in Gruppen politische Gegner nahezu aller Kategorien vorfristig entlassen. Allerdings war eine Kategorie, sie macht 1/15 aller politischen Gefangenen aus, nicht unter den Entlassenen vertreten. Die Zeugen Jehovas. Es erfolgten vielmehr noch im April und Mai in Altenburg, Rostock und Magdeburg neue Verhaftungen.

Obgleich die Zeugen Jehovas jegliche Art konspirativer Tätigkeit ablehnen, wurden sie bezichtigt, Spione, Diversanten und Agenten gewesen zu sein. Außerdem wurde ihnen Vergehen gegen den berüchtigten Art. 6 (Verbreitung tendenziöser Gerüchte, Boykotthetze, Friedensgefährung) vorgehalten - und dies, nachdem Generalstaatsanwalt Melzheimer eine Revision dieses Artikels angekündigt hatte.

Sämtliche Verhandlungen gegen diese Angeklagten fanden bisher unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Weder die Angehörigen noch Entlastungszeugen durften daran teilnehmen. Seit dem 8. August 1950 sind 2814 Verhaftungen erfolgt; 1299 werden noch aufrecht erhalten. Urteilsreduzierungen sind nur in ganz wenigen Fällen vorgekommen. In 73 Fällen ist überhaupt noch kein Urteil erfolgt oder bekannt geworden. 34 Zeugen Jehovas sind in Haftanstalten gestorben oder nach unmenschlicher Behandlungsweise zugrunde gegangen. Die durchschnittliche Strafhöhe liegt bei sechs Jahren und drei Monaten; 14 haben lebenslängliche Strafen.

Bis 1954 durften diese Häftlinge nicht arbeiten. Häufig mußten sie rote Binden an Arm und Bein tragen, und das bedeutet: keine Bücher, keine Erlaubnis Schach zu spielen, keine Teilnahme an den gelegentlichen Filmvorführungen und Einzelzelle. Da die Zeugen Jehovas keine Blutwurst essen, diese aber häufig die einzige Fleischkost ist, sind sie auch, was die Ernährung angeht, benachteiligt.

Grotewohl hat mehrfach erklärt, es gebe in der "DDR" keine Glaubensverfolgungen. Wenn das bewiesen werden soll, müßte sich auch für die Zeugen Jehovas endlich das Tor in die Freiheit öffnen.

Rainer Hildebrandt

Der politische "Marktwert" dieser Meldung kam einige Zeit später (am 19. 7. 1956) erneut zum tragen als der Westberliner Rundfunksender RIAS eigens ein Interview mit dem WTG-Funktionär W. P, in seiner Sendereihe "Die Zeit im Funk" ausstrahlte. Laut einer im Aktenbestand des vormaligen Staatssekretariats für Kirchenfragen der DDR überlieferten Transkription wurde in diesem Interview erklärt:

Pohl:

"Ja, das war im August 1950, wir hatten gerade Vorbereitungen für einen Kongreß getroffen hier in Berlin und dann erfolgte das Verbot auf Grund recht fadenscheiniger Behauptungen bzw. Gründen. Es wurde unsern Mitarbeitern vorgeworfen, daß wir Spione seien und daß sie Kriegshetze betrieben, Boykotthetze wie es in der Ostzone heißt nach Artikel 6. Sie erhielten daraufhin eine harte Verfolgung. Wir haben sehr viele Mitarbeiter, die dadurch ins Gefängnis neben vielen anderen Dingen.

RIAS:
Worauf stützten sich diese Vorwürfe?

Pohl:

Sie stützte sich darauf, daß Jehovas Zeugen nach der Bibel das Königreich Gottes als die einzige Hoffnung der Menschheit predigen, daß aber diese Machthaber meinten, weil das Königreich Gottes diese bestehenden Systeme ablöst, wäre es eine Kriegshetze vom Königreich Gottes zu sprechen.

RIAS:

Bei welcher Gelegenheit wurden nun die Mitglieder verhaftet?

Pohl:

Die meisten wurden verhaftet, wenn sie in ihren Predigten anderen Mitmenschen diese biblischen Wahrheiten im Haus zu Haus-Dienst übermitteln wollten, d. h. sie gingen von Tür zu Tür, um mit den Leuten zu sprechen.

RIAS:

Damals gab es 25.000 Anhänger in der Zone, also im August 1950, und haben Sie ein ungefähres Bild, wieviele Mitglieder in der Zwischenzeit verhaftet worden sind?

Pohl:

Ja, wir können es sagen, ziemlich genau sagen, weil wir über jeden Fall, von dem wir Kenntnis erhielten, eine Kartei angelegt haben, und so haben wir heute eine Kartei von 2835 Namen von Personen, die nicht nur verhaftet wurden, sondern in Haft gehalten wurden. Von diesen Personen sind noch 1436 jetzt in Haft, während 1362 entlassen wurden, 37 sind in der Haft umgekommen oder gestorben wegen Alter oder Krankheit.

RIAS:
Das ist ein Rückblick über die vergangenen 6 Jahre. Hat sich die Situation etwas geändert?

Pohl:

Das kann man wohl sagen, die Verhaftungen im großen Ausmaß hat nachgelassen. Man hat auch nicht mehr das Gefühl, daß der Haß der einzelnen Beamten so stark ist wie in der ersten Zeit, aber trotzdem werden noch weiter Verhaftungen durchgeführt. Die Methode hat sich etwas geändert. Man versucht jetzt den Leuten zu zeigen, daß man gar nichts gegen Jehovas Zeugen hätte, gegen ihren Glauben, man wäre nur nicht damit einverstanden, daß sie zu andern Leuten hingingen und ihnen von ihrem Glauben erzählen, und das ist gegen die Grundlage des Glaubens eines Zeugen Jehovas, daß er nicht für sich selbst genießt, sondern daß er auch anderen davon berichtet, und so kommen wir immer wieder in Konflikt mit ihnen. Sie versuchen, uns Vertrauen einzuflößen, indem sie sagen, wir könnten unter Umständen sogar wieder frei werden, das sehen wir aus den Verhören mit den Leuten. Wir müßten eben unsere Verbindungen untereinander abbrechen. Wir sollten auch nicht so von Haus zu Haus propagieren.

Da nun der Name des Willi P., der auf Seiten der Zeugen Jehovas maßgeblich deren Theorie und Praxis gegenüber den Ostblockstaaten gestaltete, schon angesprochen wurde, sei noch ein anderer Aspekt genannt. Bevor seit Oktober 1965 in der DDR das Blatt "Christliche Verantwortung" zu erscheinen begann, hatte dessen formaler Herausgeber, davor schon einige Jahre sogenannte "Briefe" versandt. Unbestreitbar mit der Stasi im Hintergrund. Letzterer gelang es auch eine Reaktion des P. darauf zu dokumentieren. Der Willy Müller war ja bei weitem nicht der "einzigste" der da an der Leine der Stasi hängend agierte. Er war blos einer der auch in der Öffentlichkeit in Erscheinung trat. Weit bedeutender für die Stasi waren ihre "U-Boote" die selbst in höheren WTG-Funktionärsschichten agierten. Von einem dieser "U-Boote", mit dem damaligen Stasi-Namen "Max", ist eine Reaktion des P. auf die Müller-Briefe dokumentiert. Im Y...'schen "Visier"-Buch wird dieser Aspekt mit zitiert.

Also nicht nur die eigentliche CV, die P.'s Aussage mehrmals zitierte. Nein, auch im Y.-Buch ist das dokumentiert. Nach letzterem spielte sich das wie folgt ab:

G(esellschaftlicher) M(itarbeiter) (damaliger Stasijargon für den späteren Begriff IM) "Max" fuhr schon am 24.7.1959 ... Am 26.7.1959 sprach Pohl, [...] und noch 3 weitere Mitarbeiter der Zentrale mit GM "Max", Thema Versenden der Briefe von Müller und [...] Gera. Hierbei konnte GM "Max" erkennen, daß es der Zentrale nicht angenehm war, daß solche Briefe versendet wurden. Beim Kongreß sowie bei der internen Besprechung der GD ging Pohl auf die Briefe ein, er versuchte den Inhalt zu widerlegen, mußte jedoch über die im Brief angegebenen Stellen [sprechen] wie

l. Der Wachtturm und sein Zweck;

2. Erwachet! - ihre Mission;

3. Information an alle Verkündiger v[om] 25.2.1950 sowie Hetze im WT und Erwachet!;

4. Anweisung des ehemaligen Zweigdieners Erich Frost aus den Jahren 1947, indem der Zentrale berichtet werden soll über plötzliche Vorkommnisse, politische Aufstände, Wahlen, Auseinandersetzungen, Revolutionen, Katastrophen, Flugzeuge und Fliegerei;

5. Anweisung vom Oktober 1958 über Adressensammlung von Staatsfunktionären der DDR. Pohl, Willy sprach auf dem Kongreß 4-5 Mal, und in seinen ganzen Vorträge hauptsächlich in seiner Schlußansprache, beschäftigte er sich mit den Briefen des Müller und [...] und deren Inhalt.

Zu der Hetze im WT und Erwachet! sagte er sinngemäß, daß M[üller] angefragt habe, ob Jesus auch Politik betrieben hätte.

Hierauf sagte Pohl, wenn wir Zeugen Jehova uns nicht um die Politik kümmern, so müßten sie einen Spruch nach dem anderen aus der Bibel streichen.

Desweiteren sagte er, daß in den Schriften keine Hetze wäre, es wäre die reine Wahrheit,

er wies auf die Artikel hin, wie das Rote Paradies, und sagte, das wäre ein Tatsachenbericht. "Kommunisten fürchten die Wahrheit der Bibel", hier sagte er auch, dieser Artikel entspräche der Wahrheit, denn sie wüßten, daß Stalin und Bulganin viele Menschen umgebracht hätten und Mörder sind.

Auf den Artikel "Ungarn revoltiert gegen seine Zwingherren" sagte Pohl, wenn bei Vernehmungen den ZJ dieser Artikel vorgeworfen wird, sollen sie sagen. Sie waren nicht dort in Ungarn, ich war auch nicht dort, Sie glauben ihrer Zeitung, ich glaube meinem Wachtturm, denn die Berichterstatter werden nicht bezahlt, sie berichten aus diesem Grunde die Wahrheit. Dann ging Pohl auf die Adressensammlung von Staatsfunktionären ein und sagte, daß am 17.10.1959 [korrekt: 1958] von der Zentrale eine solche Anweisung, daß Adressen von Volkskammerabgeordneten, Bezirkstagsabgeordneten, Kreistagsabgeordneten, Staatsanwalt, Richter sowie Funktionäre der Parteien usw. gegeben worden ist. Auch gab Pohl zu, daß im Jahre 1947 die Zentrale eine Anweisung gegeben habe, wo [über] plötzliche Vorkommnisse, politische Aufstände, Wahlen, Auseinandersetzungen, Revolutionen, Katastrophen, Flugzeuge und Fliegerei berichtet werden mußte. In dieser Anweisung wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt, aus Deutschland Berichte zu erhalten. Wenn diese Probleme den ZJ bei Vernehmungen vorgelegt worden sind, sagten diese, das ist nicht wahr, das machen unsere Brüder nicht, und bei dem Kongreß mußten 14.000 ZJ hören, daß alles das, was bei den Vernehmungen vom MfS ihnen vorgelegt wurde und was sie nicht glauben wollten, die Wahrheit war.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Versendung der Briefe und deren Inhalt der Zentrale großes Kopfzerbrechen bereitet hat. Am ganzen Verlauf des Kongresses [sie!] hat man sich mit diesen Dingen beschäftigt. Desweiteren auch bei der internen Besprechung für Gruppendiener. Pohl brachte nach Meinung des GM "Max" und "Rose" immer wieder zum Ausdruck, daß die "Zeugen Jehova[s]" die Treue zu Jehova halten sollen und ihr ganzes Leben für diese Sache opfern sollen. Sie sollen weiterhin bedingungslos der Organisation gehorchen, sollen fest an den Schriften des "Wacht[t]urm'' oder "Erwachet!" festhalten und sollen vor allen Dingen keine Zeitung lesen usw. In allen Vorträgen, die auf dem Kongreß gehalten wurden, wäre zu erkennen, daß man Sorge und Angst vor einer Spaltung hat.

Vorstehendes stellt die Dokumentierung aus der Feder der Stasi, so wie im Y.-Buch wiedergegeben, dar. Indes die Sachlage als solches, die Konformität mit den Interessen der westlichen Politik, kann kaum in Zweifel gezogen werden.

Noch ein Aspekt, die Forderung des P., sich gegebenenfalls für die WTG-Interessen aufzuopfern, kann nicht in Zweifel gezogen werden.

Schon zur Nazizeit; Jonak hat es im 11. Kapitel seines Buches dokumentiert, überschrieben "Instruktionen für Propaganda und Gerichtsprozesse".

JonakBuch

Schon zu Nazizeiten gab es diesbezüglich detaillierte WTG-Anweisungen. Und so verwundert es denn überhaupt nicht, selbiges auch für die DDR-Zeit zu registrieren.

Als Beispiel sei einmal die erste Seite eines mehrseitigen Textes für die ZJ-Untergrundorganisation in der DDR dokumentiert, dessen Federführung im WTG-Ostbüro lag.

1956er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

ZurIndexseite