Kommunismus und Antikommunismus

Man kann sicherlich aus vielerlei Gründen gegen den Kommunismus eingestellt sein. Auch in der Bundesrepublik Deutschland war in den 1950er Jahren Antikommunismus Staatsdoktrin. Es wäre verwunderlich, sollte die WTG nicht in diesem Konzert mitgesungen haben. Man braucht sich aber diesbezüglich nicht zu wundern. Was jedoch darüber hinausgehend beachtenswert ist, stellt de metaphysische Verklärung des Antikommunismus durch die WTG dar. So etwa in einem Grundsatzartikel ihrer Zeitschrift „Erwachet!" in der Ausgabe vom 8. 6. 1955 unter der Überschrift „Kommunismus oder Christentum - was wird triumphieren?"

Auf einen Nenner gebracht, die WTG qualifiziert den Kommunismus zur „Religion, selbstredend einer „falschen Religion". Sicherlich kann man auch in kommunistischen Regimen religionsähnliche Elemente nachweisen; besonders dann, wenn das Prinzip der Staaatsvergottung dominierend ist. Gemäß dieser Logik wäre dann aber auch der Nationalsozialismus eine Religion gewesen. Darüber hinaus wohl auch alle anderen Diktaturen in Vergangenheit und Gegenwart. Selbst in freiheitlichen Ländern, könnte man beispielsweise aktive Fußballfans, diesergestalt zu „Religionsanhängern" abqualifizieren. Damit wird deutlich, dass eine solche Argumentation hinkt. Sie erfasst (bewusst) nicht alle Aspekte der jeweiligen, negativ besetzten Regime. Eine solch vordergründige Argumentation gleicht eher einem Schlag unter der Gürtellinie, als sachgemäßer Gegnerschaft.

Das die WTG mit vollem Bewusstsein unter die Gürtellinie schlägt, wird auch an einigen anderen Beispielen in diesem „Erwachet!"-Jahrgang deutlich. Da gab es in den fünfziger Jahren in dem afrikanischen Staat Kenia, beispielsweise den sogenannten „Mau Mau-Aufstand"

Ein Internettext notiert zu ihm:

„Der Mau-Mau-Aufstand war eine Erhebung der ökonomisch benachteiligten und politisch weitgehend rechtlosen afrikanischen Bevölkerung gegen das britische Kolonialregime. Der Konflikt entzündete sich an der Frage der Landverteilung. Die Mau-Mau-Bewegung, ein Geheimbund, war nicht länger bereit hinzunehmen, daß britische Siedler und das Kolonialregime das für Europäer klimatisch günstige, fruchtbare und ertragreiche Hochland („White Highlands") unter Ausschluß der afrikanischen Bevölkerung nutzten und fast allein von den Verkaufserlösen der Agrarprodukte profitierten (1% der Bevölkerung Kenias - vorwiegend weiße Siedler - besaß 25% der landwirtschaftlich kultivierbaren Fläche). Zudem waren Afrikaner in den Städten vom Geschäftsleben, das Europäer und Inder kontrollierten, weitgehend ausgeschlossen. Die Situation der Unterprivilegierten war durch Arbeitslosigkeit, Not, faktische Rassentrennung und politische Unterdrückung gekennzeichnet. Widerstand organisierte sich politisch zunächst in der Kikuyu Central Organization (Kikuyu waren von der Landnahme durch weiße Siedler am stärksten betroffen gewesen), später in der Kenya African Union, deren Verbindung zur militanten Mau-Mau-Bewegung allerdings unklar blieb. Als Anfang der 50er Jahre der Widerstand gegen die britische Besatzungsmacht wuchs und gewaltförmige Züge annahm, reagierte das Kolonialregime repressiv: Führende politische Köpfe der Afrikaner wurden verhaftet, Schwarze aus den Städten und den „White Highlands" massenhaft deportiert. Damit war die Konflikteskalation vorprogrammiert."

http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/Ipw/Akuf/kriege/029_kenia.htm

Auch die WTG kommt in ihrer „Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 1. 1955 darauf zu sprechen. Auch hierbei bringt sie wieder ihr Rezept in Anwendung, vorgenannte soziale Gegensätze auf den Level „Religion" zusammenzustutzen. Großspurig behauptet sie:

„Jawohl, denn diese Organisation, die lange als eine rein politische Bewegung angesehen wurde, hat sich nun als Religion entpuppt".

Auch hier wieder das gleiche Strickmuster; der Überbewertung religionsähnlicher Elemente, zu lasten des verschweigens der sozialen Komponenten, die diesen Konflikten zugrunde lagen. Aber noch gravierender ist, welche Schlussfolgerungen die WTG daraus glaubt ableiten zu können, wenn sie schreibt:

„Mitten in der Christenheit spielt sich etwas Ähnliches ab. So wie die Kikuja sich vom Christentum abwenden und sich der Mau-Mau-Religion anschließen, so erliegen Tausende von 'Christen' besonders in Ländern wie Italien und Frankreich, der 'roten' Religion des Kommunismus. Und warum? Weil die Masse der 'Christen' dies nur dem Namen nach ist."

Voll im Konzert der antikommunistischen Sänger, singt die WTG auch in ihrer „Erwachet!"-Ausgabe vom 8. 2. 1955 mit. Um ihre Klientel, die ohnehin nichts mit dem Kommunismus „am Hut hat", weiter „moralisch aufzurüsten" belehrt sie:

„Die kommunistische Lehre sagt einen bitteren Kampf an bis zum Ende. Lenin erklärte im Jahre 1919: 'Die gemeinsame Existenz der Sowjetrepubliken Seite an Seite mit den imperialistischen Staaten (d. h. allen nichtkommunistischen Staaten) ist undenkbar. Die eine oder andere Macht muß den Endsieg davontragen. Bevor jenes Ende eintritt, werden eine Reihe furchtbarer Zusammenstöße zwischen der Sowjetrepublik und den bürgerlichen Staaten unvermeidlich sein.'

Im Jahre 1920 sagte er: 'Zuletzt … wird entweder der Sowjetunion oder dem Weltkapitalismus die Totenglocke läuten."

Und dazu der WTG-Kommentar:

„Viele Beobachter sind der Meinung, daß ein harter Kampf unvermeidlich sei. Der Amerikanische Rat Christlicher Kirchen sagte warnend, wenn Rußland kein Widerstand geleistet werde, warte 'der Welt das schrecklichste Blutvergießen und eine Massenvernichtung von unvorstellbarem Ausmaß."

Auch in dem eingangs genannten Artikel „Kommunismus oder Christentum - was wird triumphieren?" lässt die WTG keine Wünsche, der militanten Antikommunisten unerfüllt. Er sei daher nachstehend in einigen seiner wesentlichen Aussagen dokumentiert:

„Was ist der Kommunismus? Was sind seine Ziele? Was veranlaßt intelligente Männer und Frauen ihr Leben für die Sache des Kommunismus hinzugeben? Warum wenden sich sogar sogenannte Christen dem Kommunismus zu? Wie wird die größte Streitfrage des ganzen Universums schließlich entschieden werden?

Woher kommt es, daß Kommunisten oft einen Eifer und eine Begeisterung an den Tag legen, wie sie bei Angehörigen politischer Parteien sonst nicht zu finden sind?

Der Kommunismus wird definiert als eine Anschauung über den Aufbau der Gesellschaft auf Grund einer Wirtschaftsform, in der sämtliche Güter Eigentum der Gesamtheit oder des Staates sind. In der Praxis ist er eine Ordnung, in der die Wirtschaft, Religion und Politik von einem totalitären Staat beherrscht werden. Der moderne Kommunismus hat nicht nur ein philosophisches Ideal, sondern sucht es durch revolutionäre Methoden zu erreichen.

Heute bedroht der mächtige Kommunismus alle Völker. Bereits umschließen der Eiserne und der Bambus-Vorhang der Kommunisten mehr als ein Drittel der Landfläche der Erde und nahezu 1.000.000.000 Menschen! Es besteht kein Zweifel, daß die 'christliche' Religion in Gefahr ist. Der sechste Kongreß der Komintern erklärte: 'Zu den wichtigsten Aufgaben der kulturellen Revolution, die die Massen berührt, zählt der systematische und unnachgiebige Kampf gegen die Religion - das Opium für das Volk.'

Doch wie können wir den Fanatismus kommunistischer Parteigänger erklären? Die Antwort lautet, daß der Kommunismus mehr ist als eine Gesellschaftsordnung; er ist eine Religion.

Der Kommunismus ist demnach eine falsche Religion, die ihre Macht und Gewalt von niemand anderem erhält als vom Drachen, Satan, dem Teufel. …

Die sogenannt christliche Religion wird oft als Bollwerk gegen den Kommunismus bezeichnet. Wie kommt es denn, daß diese vom Teufel inspirierte kommunistische Religion so viele 'Christen' verführen konnte? Die Vereinigten Staaten sind nicht nur bestürzt über ihre Wissenschaftler, sondern auch über ihre Geistlichen! In Frankreich, dessen Bevölkerung zu 85 bis 95% katholisch ist, erhielten die Kommunisten 26,5% der Stimmen. In Italien, wo über 99% der Bevölkerung geborene Katholiken sind, hat der Kommunismus noch größere Erfolge zu verzeichnen.

Ehrliche Geistliche sehen ein, wer die Schuld daran trägt. Ein Presbyterianerprediger in Brooklyn (New York) gab zu, daß der Kommunismus ein 'Werkzeug für die soziale Umwälzung ist, der sich entwickelte aus dem unerträglichen Vakuum, hervorgerufen durch das Versagen der Christen in den vergangenen tausend Jahren ein besseres oder überhaupt ein Werkzeug zu schaffen'. - Newyorker 'Times', 5. Februar 1951.

Demnach hat die falsche 'christliche' Religion den Namen des Christentums entehrt und beschmutzt. Lenins Anklage, die Religion sei 'Opium für das Volk' trifft auf das wahre Christentum nicht zu. …

Die falsche 'christliche' Religion verfehlt nicht nur, den Menschen die Hoffnung auf Gottes Königreich zu bringen, sondern pflegt auch Beziehungen mit der Welt, mischt sich in die Politik ein. Jehovas Zeugen leben das wahre Christentum, indem sie dem Gebot der Bibel gehorchen: 'Wißt ihr nicht, daß die Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ist? Wer irgend daher ein Freund der Welt sein will, macht sich selbst zu einem Feinde Gottes.' 'Liebet nicht die Welt noch die Dinge in der Welt.' …

In kommunistischen Ländern ist das christliche Werk der Zeugen Jehovas verboten. … Aber trotz Ächtung und Gefängnisstrafen werden diese wahren Christen nie aufhören, zu verkünden, daß Gottes Königreich die einzige Hoffnung für die bedrängte Menschheit ist. …

In Gottes Augen verdient die falsche christliche Religion das schwerste Gericht. Ihre Schuld übertrifft die des Kommunismus. Denn der Kommunismus bekennt sich zum Atheismus und hat noch nie vorgegeben, von Gott und Christus auszugehen, wohl aber die falsche 'christliche' Religion. Und deshalb ist sie am tadelnswertesten und wird in Harmagedon zuerst vernichtet werden . …"

Drohend verkündet auch die 1955 erschienene WTG-Broschüre „Weltbesiegung nahe - durch Gottes Königreich"

„Mögen darum alle Nationen Kenntnis nehmen, daß die Weltbesiegung nicht durch den atheistischen Kommunismus, sondern durch Gottes Königreich bevorsteht. Sollte vor dem Ende Harmagedons der Kommunismus oder irgendeine andere radikale oder aggressive Gruppe die Erde erobern, so würden sie ihrerseits von Gottes Königreich besiegt werden."

Und in offensichtlicher inhaltlicher Übereinstimmung zitiert man in der gleichen Broschüre einen Pressebericht wie folgt:

„Ein amerikanischer Generalleutnant a. D. redete der Nation zu, die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion und ihren Satelliten abzubrechen und es abzulehnen, mit diesen Kommunisten Geschäfte zu machen. Wir zitieren aus der Neuyorker Times: 'General Wedemeyer eindringlich betonend, daß es 'sehr spät' - vielleicht 'zu spät' - sei, den sowjetischen Vorstoß aufzuhalten, sagte, die freie Welt könne der Herausforderung nur die Stirne bieten, wenn ihre Führer 'realistisch' vorgingen.' - Neuyorker Times, 11. Juni 1954."

Dem Bereich Drohungen, synchron als Sprachrohr der USA-Politik, ist auch die nachfolgende Aussage in dem 1955 in Deutsch erschienenen WTG-Buch „Neue Himmel und eine neue Erde" zuzuordnen (S. 289):

„Niemand kann behaupten, daß etwa diese Welt nicht im voraus genügend Warnungen zugekommen seien und noch zukommen. Zur Veranschaulichung erinnere man sich, wie im August 1952 die (USA dominierte) Armee der Vereinten Nationen 78 nordkoreanische Städte und Gemeinden wissen ließen, daß sie der Vernichtung durch Bombardierung anheimfallen würden. Nach dieser Warnung, aus der 'Gefahrenzone' zu fliehen, verhielten sich viele Bewohner der zum Untergang verurteilten Städte und Dörfer weise und flohen, ehe die Bombardierung von Flugzeugen aus einsetzte. (New York Times, 5. Aug. 1952)

Die kommunistische Gegenreaktion dagegen äußert sich dann in solchen Passagen wie derjenigen in dem 1955 erschienenen zweiten Band der vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen herausgegebenen Dokumentation „Unrecht als System", in der man in der Begründung eines Zeugen Jehovas-Urteiles unter anderem auch die Sätze liest:

„Wenn beide Angeklagten behaupten, daß sie mit der Spionagetätigkeit ihrer Sekte nichts zu tun hätten, sondern lediglich aus religiöser Überzeugung gehandelt hätten, so muß ihnen entgegengehalten werden, daß es einwandfrei feststeht, daß gerade Menschen, die sich besonders in religiösem Fanatismus begeben, am leichtesten zur Spionageleistung herangezogen werden. Dieses geschieht um so leichter, als sie jeden Überblick über die Hintergründe der vom Imperialismus betriebenen Politik verlieren."

Ein weiterer Beleg ist auch ein Presseartikel in der in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) erschienenen Tageszeitung „Volksstimme" vom 8. 8. 1955. Da berichtet einer, der mit „Schöffe Heinz Meyer" unterschrieben hat (also wohl selbst an einer entsprechenden Gerichtsverhandlung teilnahm) unter anderem:

„Ein Blick in den 'Wachtturm' läßt erkennen, daß sich die Zeugen Jehovas keinesfalls nur mit religiösen Dingen beschäftigen. Da wird gegen den Kommunismus gehetzt, daß tapfere und leidgeprüfte koreanische Volk übel beschimpft und die amerikanischen Imperialisten, die Pest- und Cholerabomben auf die friedliche Bevölkerung abwarfen, werden verherrlicht. Ganz offen verkündet man in brutaler Zynik, daß ein Atomkrieg kommen wird, der Männer, Frauen und Kinder vernichtet und den nur die Zeugen Jehovas überleben. Vornehmlich versuchen sie, einfache Menschen unter dem Deckmantel der Religionsausübung zu beeinflussen."

1955er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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