Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Keine Kompromisse

Dies ist das Credo der WTG. Angesichts solcher Härte braucht man dann aber wohl auch nicht darüber verwundert zu sein, wenn die Gegenseite mit der gleichen Härte zurückschlägt.

Diese WTG-Tendenz kommt auch in ihrer Berichterstattung über zeitgenössische Vorgänge, so etwa in Polen zum Ausdruck. Die damalige polnische Situation kommentierte die WTG mit den Worten (Wachtturm 1954 (Wiesbaden) S. 355):

Man beachte die Handlungsweise der polnischen Bischöfe, die im Dezember 1953 einen Eid unterzeichneten, in dem sie der polnischen Volksrepublik Untertanentreue geloben und versprechen, nichts gegen ihre Interessen zu tun. Das Vatikan-Organ 'L' Osservatore' erklärte dazu:

"Die Berichte, daß die polnischen Bischöfe einen Eid geschworen haben, kann man nur beurteilen, wenn das allgemeine Klima berücksichtigt wird, das in den letzten Monaten geschaffen wurde … Gewalttat, Falschheit, Tücke, Heuchelei, Schmeichelei und Erpressung sind eng miteinander verwoben, um die Kirche zu unterdrücken. Ein Eid, der unter solchen Verhältnissen abgelegt wird, ist objektiv gesehen, ungültig …"

Dieser Gedanke des Vatikan-Organs mag vom eigentlichen legalen Standpunkt aus gesehen, wahr sein, aber kann man nicht mit gutem Grund fragen: Wenn die Bischöfe wirklich "diesen Glauben" gehabt hätten, hätten sie dann unter dem Druck von Gewalt und Erpressung nachgegeben? Wären sie dann der kommunistischen Heuchelei, Tücke, Falschheit und den Schmeicheleien erlegen, und hätten sie diesen Kompromißeid unterzeichnet?"

Ähnlich auch ein Parallelbericht in "Erwachet" vom 22. 6. 1954, wo sich die WTG befleissigt einen besonders makabren Vergleich zu ziehen.

Man liest dort: Durch eine Novelle, die ungefähr vor 40 Jahren herauskam und eines der meistgekauften Bücher wurde, erfuhr die Öffentlichkeit von der Verworfenheit und der Korruption, welche in den Schlächtereien von Chikago (Illinois), dem größten amerikanischen Zentrum der Fleischkonservenindustrie, herrschte. Dort arbeitende Mädchen und Frauen mußten sich von ihren Vorgesetzten mißbrauchen lassen, wenn sie ihre Stelle nicht verlieren wollten. Viele Menschen, die sich zum Christentum bekennen, handeln wie eine solche Frau.

Ein Beispiel ist die römisch-katholische Kirche in Polen. Obschon Polen gemäß dem National Catholic Almanac für das Jahr 1953 zu 90% katholisch ist, wählte die Katholische Kirche, unter Druck gesetzt von der atheistischen, kommunistischen Regierung, den Weg des geringsten Widerstandes und ging einen Kompromiß ein. Die Zeitung Star (Kansas) vom 12. Dezember 1953 schrieb in einem Bericht darüber: "Die polnische Kirche gibt nach. Rote erzwingen Treueid. Dem Parlament wird erklärt, daß der Bischof von Lodz gelobt habe, den Interessen des kommunistischen Staates in keiner Weise entgegenzuarbeiten.

London, 19. Dezember … Radio Warschau meldete heute, daß der Bischof von Lodz, Msgr. Michael Klepacz, Vorsitzender des polnischen Episkopats, sich durch eine feierliche Erklärung verpflichtete, alles zu tun, um zu gewährleisten, daß die ihm unterstellte Geistlichkeit 'dem Gesetz und der Staatsbehörde gehorche'. Der Eid endete mit folgenden Worten. 'Ich verspreche, den Interessen der polnischen Volksrepublik in keiner Weise entgegenzuarbeiten und nichts zu unternehmen, was die Sicherheit oder Unverletzbarkeit ihrer Grenzen gefährden könnte'"

Eine solche Handlungsweise wird zweifellos die Gefahr verringern, daß in der polnischen Volksrepublik weitere katholische Kleriker verhaftet werden.

Die Katholische Kirche in Polen hat gleich gehandelt wie jene Fleischkonservenfabrik-Arbeiterinnen, die, um ihre Stelle nicht zu verlieren, ihren Gatten untreu waren.

Im weiteren Verlauf stellt die WTG dann ihre Organisation als diejenige heraus, die da anders agierte. Das alles mag den Herrschaften im Weißen Haus und im Pentagon einen "Freudenschauer" über den Rücken gejagt haben. Ob dies auch für jene gilt, die da vom DDR-Regime 15 Jahre Zuchthaus aufgebrummt bekamen, mag man vielleicht etwas anders sehen. Gleichwohl, in ihrer Verblendung haben jene sich oftmals in einer Trotzreaktion versteift. Das vermag der Psychologe sicherlich schlüssig zu erklären.

Zieht man jedoch Bilanz. Es gab ja auch solche unter den "Fünfzehnjährigen", die bereits im Hitlerregime ein ähnliches Quantum abbekommen haben. Dann wird der nüchterne, Außenstehende Beobachter wohl nur eines zu konstatieren haben. Da wurden Menschenleben verheißt. Für was? Sicherlich für die Interessenlage der US-Politik. Sie folgten einem Köder namens Endzeitlehren. Sie waren letztendlich militärischen Soldaten (im übertragenem Sinne) vergleichbar. Sie standen unter Befehl (der moralischen Art). Sie haben es zugelassen, den eigenen gesunden Menschenverstand deprogrammiert zu bekommen. Und, sie haben einen hohen Preis dafür bezahlt.

Ein Beispiel dafür auch der Artikel "Berlin - eine geteilte Stadt" in der "Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 5. 1954. Sicherlich gehört auch dieser WTG-Artikel zu denjenigen, die dass Mißfallen der Kommunisten erregt haben. Gleichwohl hat man festzustellen. Die Sachlage wurde in diesem Artikel sachlich dargestellt. Etwa; dass ganz Berlin Anfangs russisch besetzt war; dann im Zuge eines Gebietsaustausches, die Russen sich aus den westlichen Bezirken wieder zurückzogen. Kardinalpunkt auch die Einführung der westlichen Separatwährung-DM-Mark; und später im Osten auch eine eigene Währung. Damit waren die Weichen zur Teilung endgültig gestellt. Das Scheitern der Blockade Westberlins mittels der Luftbrücke bewirkt und anderes mehr.

Wesentlich erscheint mir aber doch, wie die WTG die kirchenpolitische Lage in Ostdeutschland, in diesem Artikel einschätzt. Das kommt dann in dem Satz zum Ausdruck:

Zugleich forderte diese Partei (die SED) von der evangelischen und katholischen Geistlichkeit, ihre "Maske der Neutralität" abzulegen, "sich von den amerikanischen und englischen Agenturen" loszusagen. Diese beruhigten ihr schlechtes Gewissen mit dem verdrehten Gedanken, sie seien berufen, eine Mittlerrolle zwischen Ost und West zu spielen.

Auch hierbei wieder die Feststellung. Die Zielstellung der kommunistischen Kirchenpolitik wurde zutreffend definiert. Auch richtig die Feststellung, dass auch die Großkirchen darüber nicht sonderlich glücklich waren. Dann aber die Einschränkung.

Die "Großkirchen" versuchten eine Mittlerrolle zwischen Ost und West zu spielen, und das bezeichnet die WTG als "verdrehten Gedanken"; also eine abwertende Bewertung.

Was aber wäre denn die Alternative dazu, muss man rückfragen. In der WTG-Sicht doch wohl, die "Maske der Neutralität" noch gekonnter zu spielen. Dabei aber tatsächlich nicht neutral zu sein.

In der gleichen "Erwachet!"-Ausgabe preist die WTG auch ihr Traktat "Jehovas Zeugen - Kommunisten oder Christen?" mit an .

Dazu muss man wissen, dass es um die fragliche Zeit, in der McCarty-Ära, in den USA geradezu lebensgefährlich war, auch nur im Geruch zu stehen, irgendwie kommunistisch "angehaucht" zu sein. Die Gegner der Zeugen Jehovas, namentlich aus der katholischen Ecke, meinten eine willkommene Gelegenheit zu haben, auch die Zeugen Jehovas in die kommunistische Ecke stellen zu können. Dagegen wehrt sich die WTG mittels dieses Traktates. Und in der entsprechenden "Erwachet!"-Anpreisung dazu heisst es:

In den Schriften der Zeugen Jehovas wurde schon vom Jahre 1879 an vor dem Kommunismus gewarnt. Das handliche 6seitige Traktat, betitelt "Jehovas Zeugen - Kommunisten oder Christen?", gibt Ihnen hierüber eingehend Aufschluß.

Dieses Traktat wurde aber nicht nur im McCarthy-Amerika verbreitet, wo es einen zeitgeschichtlichen Sinn hatte. Seine Verbreitung fand weltweit statt, nicht zuletzt auch in Deutschland. Damit hatte hierzulande die WTG den Kommunisten frei Haus den Beleg dafür geliefert, schon seit 1879 zu den erklärten Antikommunisten zu zählen. Und um eine Massenverbreitung zu befördern fügt die WTG noch hinzu, dass 200 Stück dieses Traktates für nur 1,25 DM erhältlich seien. Und so fand sich denn in so manchen Briefkasten im kommunistisch beherrschten Teil Deutschlands, besonders bei jenen, die von den Zeugen Jehovas bei ihrem "Predigtdienst" nicht persönlich erreicht wurden, jenes Traktat vor.

Das auch die WTG vor McCarthy zitterte macht ihr Beitrag "Was stimmt nicht bei McCarthy" in "Erwachet!" vom 22. 6. 1954 deutlich. Man liest dort unter anderem:

Natürlich darf eine Nation, wenn sie sich im Kampf mit einer anderen befindet, wie heute die Vereinigten Staaten, die mit Rußland einen kalten Krieg führen, ihre Regierung von Personen säubern, die gemeinsame Sache machen mit dem Feind. Es wäre sogar töricht, es nicht zu tun. Aber dies kann auf eine billige oder unbillige Art geschehen, und kein Politiker besitzt das Recht, aus der Furcht eines Volkes Kapital zu schlagen, Tatsachen zu verdrehen, um bekannt zu werden; oder einem Volke Schaden zuzufügen, um seine eigenen politischen Interessen zu fördern. Hat man sich derartiges zuschulden kommen lassen, dann sind das Methoden, die zu beanstanden sind. Man erreicht die Ziele der Demokratie nicht durch Anwendung totalitärer Methoden. Der Kommunismus ist nicht die einzigste Gefahr, der sich Amerika gegenübersieht. … Doch der Senator von Wisconsin macht sich mit solchen "Heldentaten" nicht verdient um die Freiheit. Man wird die Roten nicht los, indem man McCarthy einsetzt.

Ihr eigenes, ganz auf der Linie des kalten Krieges liegendes Credo, lediglich vorgeblich "neutral" verpackt, kommt auch in ihrer Broschüre aus dem Jahre 1954: "Nach Harmagedon - Gottes neue Welt" zum Ausdruck. Etwa wenn es dort als eine Art Schlüsselsatz (S. 13) heisst:

Von Furcht inspirierte Menschen weisen warnend darauf hin, daß der dritte Weltkrieg unvermeidlich sei, wenn man ein Versagen der Vereinten Nationen zulasse; die zuverlässige Wahrheit aber ist, daß Harmagedon aus dem Grunde unvermeidlich ist, weil man die Vereinten Nationen nicht aufgibt und sie nicht zum alten Eisen wirft und weil ihre Gliedstaaten und alle anderen Nationen nicht 'den Sohn küssen', d. h. dem Erwählten Gottes huldigen, den Gott als König auf seinen heiligen Regierungssitz gesetzt hat.

1954er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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