Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Ostdeutschland (1952)

Eine erste größere politische Reaktion auf das DDR-Zeugen Jehovas-Verbot gibt es im Jahre 1952 zu registrieren. Vom westdeutschen Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen herausgegeben, erschien eine erste Dokumentation unter dem Titel "Unrecht als System", in der zugleich umfänglich der Fall der Zeugen Jehovas mit abgehandelt wurde. Herausragend darin besonders, die WTG-Stellungnahme zu den Verbotsvorwürfen, wie sie in einer von Ernst Wauer verfassten Stellungnahme vom 19. 6. 1952 zum Ausdruck kommt. Zu ihrem Inhalt habe ich an anderer Stelle bereits Stellung genommen und bitte das dort zu entnehmen ("Geschichte der Zeugen Jehovas. Mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte" S. 462f.)

Die Dokumentation des Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen vermerkt:

"Was man in der Sowjetzone unter Boykotthetze, Kriegshetze und friedensgefährdenden Gerüchten versteht, zeigen die Prozesse gegen die 'Zeugen Jehovas', sowie die Verfahren, mit denen eine freie Meinungsäußerung, die auch die Verfassung der sogenannten DDR gewährleistet, nicht nur unterdrückt, sondern mit Zuchthaus bestraft wird."

Damit ist der Kardinalpunkt genannt. Die Zeugen-Prozesse reduzieren sich in der Tat auf den Faktor: Unterdrückung der freien Meinungsäußerung! Im Umkehrschluss bedeutet dies (eine Binsenweisheit aber doch der nochmaligen Feststellung wert), dass das DDR-Regime keine freie Meinungsäußerung ertragen konnte. Es sich somit als Terror- und Unterdrückungssystem erwies. Dies lässt sich auch anhand der in den einschlägigen Gerichtsverfahren gegen die Zeugen vorgetragenen Anklagepunkte erweisen. Sie alle reduzieren sich auf einen Nenner. Die DDR staatliche Unterdrückung freier Meinungsäußerung. Ein hierzu zitiertes, in Potsdam verkündetes Gerichtsurteil vom 23. 11. 1950 belegt auch dies:

"Insbesondere hatten die Richter … den Besitz des 'Wachtturms'… insbesondere dessen Nr. 7 (1950), als erschwerend erachtet, in dem die lapidare Frage stand: 'Glauben die Kommunisten, daß das, was Hitler begonnen hat, von ihnen vollendet werden müßte?' und weiter in bezug auf die Volkspolizei:

'Und jetzt suchen die roten Totalitären das zu vollenden, was die Braunhemden nicht tun konnten.'

Auch der 'Wachtturm' Nr. 21 von 1950 war der sowjetzonalen Justiz ein Dorn im Auge, besonders die Stelle, wo es heißt: 'Im Jahre 1917 brachte Satan in Rußland eine kommunistische oder bolschewistische Regierung hervor, die erste Erscheinung einer Totalitätsherrschaft', und dass Gericht bemerkt dazu:

'Von früh an haben die Wachtturmschriften den Kommunismus als Weltgefahr bloßgestellt und gezeigt, daß er undurchführbar und zum Fehlschlag verurteilt ist.'

Die Wiedergabe des Wachtturm-Inhaltes nennen die Richter 'Mißtrauen gegen die ehrliche Friedensarbeit unserer Regierung' hervorrufen und die Arbeit der Regierung boykottieren.

Auch den Besitz des Jahrbuchs 1950 der Zeugen Jehovas werteten die sowjetzonalen Richter als besonders strafwürdig, da es dort auf Seite 142 heißt, daß 'im Osten Deutschlands die kommunistische Partei alleinherrschend sei' und daß wie es die Urteilsbegründung über diese Stelle ausführt: 'Bei Versammlungen, welche die Zeugen Jehovas abhielten, die Teilnehmer von der anwesenden 'Ostpolizei' mit Gummiknüppeln geschlagen wurden.' 'Die Behauptung', meinen die Richter, 'sollte dazu dienen, die Volkspolizei zu diskreditieren, zu boykottieren. Auch die Volkspolizei ist eine demokratische Einrichtung, gegen diese hat sich in diesem Falle die Boykotthetze der Angeklagten gerichtet.'

Daß die Angeklagten ihre Zuhörer aufforderten, sich nicht an der 'Volkswahl' im Oktober 1950 zu beteiligen, wird ihnen als 'Wahlsabotage' und wiederum Boykotthetze gegen eine demokratische Einrichtung' ausgelegt."

Bezeichnend auch ein Statement des DDR-Generalstatsanwaltes Melsheimer, dass in dieser Dokumentation gleichfalls zitiert wird. Es macht den rechtsbeugerischen Charakter einmal mehr klar. Melsheimer verkündete auf einer Fachtagung vom 25. 9. 1950, analog zu den "Richterbriefen" im NS-Regime, seinen untergeordneten Beamten, um sie auf die von ihm vorgegebene Linie einzuschwören:

"Ein Beispiel dafür, daß mangelndes politisches Verständnis stets zu Mißerfolgen bei unserer Arbeit führt, lieferte die Generalstatsanwaltschaft des Landes Sachsen-Anhalt.

Es saßen dort mehrere Angehörige der Sekte Zeugen Jehovas ein. Ein Sachbearbeiter des Generalstaatsanwaltes des Landes Sachsen Anhalt berichtete in der Sache an mich und gab dabei zu bedenken, ob es nicht falsch sei, die Zeugen Jehovas vor Gericht zu stellen und zu bestrafen, da man dadurch doch möglicherweise Märtyrer aus ihnen machen würde. Dieser Staatsanwalt hat offensichtlich nicht erkannt, daß es sich bei den 'Zeugen Jehovas' nicht um eine religiöse Vereinigung, sondern um eine Agenten- und Spionage-Zentrale des anglo-amerikanischen Imperialismus handelt, und daß hier ein Prozeß nicht gegen kirchliche oder religiöse Auffassungen und Institutionen, sondern gegen verbrecherische Elemente geführt wird."

Weshalb argumentierte der DDR-Staat so? Nun, aus meiner Sicht. Aus dem Bewußtsein seiner eigenen inneren Schwäche. Man fürchtete, dass eigene System könnte wie "ein Kartenhaus" zusammenbrechen und suchte um jeden Preis, schon das erste "Rütteln" daran zu verhindern. Auch hierbei drängt sich der berechtigte Vergleich zum Naziregime auf.

Ohne Zweifel gehörten die Zeugen Jehovas mit zu denen, die am kräftigsten "rüttelten". Das offenbart auch die nachstehend zitierte Passage aus einem Gerichtsurteil:

"Das Gericht konnte den Einwendungen der Angeklagten insoweit folgen, als es ihnen glaubt, daß sie selbst keine Waffe in die Hand nehmen würden und daß sie stets gearbeitet haben. Durch ihre intensive illegale Tätigkeit haben sie jedoch bewiesen, daß sie Gegner unseres friedlichen Aufbaues sind. Sie haben durch ihre Vorträge, wonach ein eintretender Krieg von Gott gewollt sei und demzufolge auch nicht durch Menschen verhindert werden könne, nicht nur einen Teil der Menschen, die sie aufgesucht haben, vom Kampfe um den Frieden abgehalten, sondern sie haben darüber hinaus bei diesen Menschen eine Lethargie erzeugt, die sie davon abgehalten hat, sich an unserer friedlichen Aufbauarbeit zur Erhaltung des Friedens zu beteiligen. Dadurch haben sie sich zu Handlangern der anglo-amerikanischen Kriegstreiber gemacht und die Erhaltung des Friedens gefährdet.

Gleichzeitig stellt die strafbare Handlung der Angeklagten, daß sie die Kriege als von Gott gewollt hinstellen, auch eine Verbreitung tendenziöser Gerüchte dar, welche dazu angetan sind, den Frieden der Welt zu gefährden.... Sie machten sich unter religiöser Bemäntelung zu Sprachrohren der kriegslüsternen Monopolisten, denen jedes Mittel zur Verwirklichung ihrer profitgierigen Kriegspläne recht ist."

Ein letztes Mal, für absehbare Zeit, veröffentlichte der "Wachtturm" auch Zahlenangaben über die Zeugen Jehovas in Ostdeutschland. Es ist allgemeine WTG-Praxis, wenn gewisse Zahlen über einen längeren Zeitraum für sie nicht mehr so günstig sind, dann unterlässt man es, sie überhaupt noch zu nennen. Die Sammelrubrik über die Verbotsländer im Jahrbuch, kündet davon. Nicht einmal die betroffenen Länder werden darin namentlich direkt aufgeführt (bestenfalls indirekt). Für die Jahre 1952-1961 stellte die WTG gar die deutsche Ausgabe ihres Jahrbuches ein. Im Falle Ostdeutschland hingegen glaubte man noch im Jahre 1951, nach dem Verbot, noch Oberwasser zu haben. Dazu der "Wachtturm" (1952 S. 61):

"In der Ostzone nimmt die Zahl derer, welche die Arbeit wiederum aufnehmen oder sich nach dem Verbot neu angeschlossen haben, jeden Monat zu. Beginnend mit 5 500 Verkündigern im September 1950 hat die Ostzone im letzten Dienstjahr eine Höchstzahl von 17 256 Verkündigern erreicht. Obwohl allgemein bekannt ist, das 708 von den Kommunisten Eingesperrte schreckliche Martern und Drangsale erdulden, schliessen sich doch jeden Monat Hunderte dieser Gruppe von Zeugen an und beziehen Stellung für Jehova und sein Königreich.

Jetzt, zu Beginn des neuen Dienstjahres, gibt es 36 997 Verkündiger in Westdeutschland. Wenn wir jene von der Ostzone dazu zählen, haben wir 54 253 Verkündiger … Dies bedeutet 2 000 mehr, als wir letztes Jahr, vor dem Verbot in Ostdeutschland, hatten."

1952er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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