Herbert H. Stroup

Im Jahre 1945 erschien in New York eine Dissertation über die Zeugen Jehovas in Buchform. Sie wurde in späteren Jahren nochmals als Reprint aufgelegt. Rogerson hat aus ihr einiges zitiert. Da Stroup ja noch der Rutherford-Ära ganz nahe stand, kann man einige seiner Wertungen durchaus grundsätzlichere Bedeutung zuerkennen. Aber auch über Russell tätigt er eine interessante Aussage. Bekannt ist ja, dass Russell sich von seiner Frau scheiden lies. Zu diesem Aspekt äußert er sich, im Gegensatz zu katholischen Autoren, die daran interessiert sind, Russell menschlich zu disqualifizieren. Also im Gegensatz zu letztgenannten äußert Stroup, unter Bezugnahme auf einschlägige Unterlagen:

„(Frau) Russell reichte die Scheidungsklage aus vier Gründen ein: 'Seine Eitelkeit, sein Egoismus und sein Herrschsucht machen das Zusammenleben mit ihm für jede empfindsame Frau unmöglich; sein Verhalten anderen Frauen gegenüber sei kompromittierend; in einem Fall habe er vier Wochen lang nicht mit seiner Frau gesprochen und sich nur durch vorwurfsvolle Briefe mit ihr verständigt; er versuche, auf verächtliche Weise seine Frau von der Gesellschaft zu isolieren mit dem Ziel, sie für unzurechnungsfähig zu erklären und sie wegzuschicken.'"

Dazu Stroup: „Wenn man den Prozess heute wieder durchgeht, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Beweise der Anklage nicht so stichhaltig waren, wie die Geschworenen sie anscheinend ansahen. ... Die meisten Zeugenaussagen waren sehr suggestiv, aber niemals stichhaltig. Das weitere Beweismaterial zeigt, dass Mrs. Russell im allgemeinen sehr misstrauisch war, was die Beziehungen ihres Mannes zu anderen Frauen anbetraf, und sie hatte oft keinerlei Verständnis dafür, dass er auf Grund seiner religiösen Überzeugungen keinen Wert auf den äußeren Anschein legte (S. 9, 10).

Über Rutherford äußert er:

„Für die meisten, die ihn erlebten, sah Rutherford 'mehr wie ein Senator aus als die meisten Senatoren.' Er bewegte sich mit gemessener Würde, und sein Auftreten war in gewisser Weise beeindruckend. Er bevorzugte altmodische Kragen und Krawatten, und er trug seine Brille, die er zum Lesen und wirkungsvollen Gestikulieren benötigte, an einem langen schwarzen Nand. Er hatte für Vorträge eine gute Stimme, die manchmal ein tiefes Fortissimo erreichte, was seine Zuhörer zutiefst erregte" (S. 16).

„Wer ihm Widerstand leistete, wurde unbarmherzig behandelt: Der Richter schickt eine Notiz, worauf er angibt, wer gewählt oder abgewählt werden soll, oder was sonst zu geschehen hat. Dies wird sofort einstimmig durchgeführt. Wehe dem, der Widerstand leistet. Wer nur leise widerspricht bekommt beim Essen eine Strafpredigt; wenn der Widerstand ernst ist, oder wenn jemand auf einer unabhängigen Meinung besteht, wird er aus der Organisation entfernt." (S. 22)

„Der Eifer der Zeugen wurde bestimmt noch verstärkt durch die 'Stützen', die während der Veranstaltung verwendet wurden. Die Stöcke zur Verteidigung, die Mr. Rutherford, seine Assistenten und Ordner gewöhnlich zur Hand hatten, schufen eine gewisse Spannung" (S. 29).

Ein Veranschaulichungsbeispiel dazu findet man in dem Rutherford-Buch "Religion" aus dem Jahre 1940. In Ihm wird berichtet, wie Gegner der Zeugen Jehovas versuchten eine 1939 im New Yorker Madison Square Garden durchgeführte Veranstaltung, gewaltsam zu sprengen. Das aufgrund der Rutherfordthesen die Lage sich schon so zugespitzt hatte, war auch den Zeugen Jehovas schon im voraus klar. Und so vermerkt denn das genannte Rutherford-Buch (S. 287):

"Als Kennzeichen trugen die Saalordner im Madison Square Garden leichte Spazierstöcke. Gesetzlose hatten sie bedroht, und es zeigt sich jetzt, daß es gut gewesen war, daß sie zum Schutz ihrer Person gegen solche brutale Angriffe solche Spazierstöcke bei sich hatten."

An anderer Stelle wird die dortige Eskalation der Ereignisse noch mit der Episode beschrieben: "Einer der Aufrührer versetzte einem Saalordner einen fürchterlichen Schlag an den Kopf, und diesem Angriff wurde widerstanden. Darauf eilte die Frau jenes Aufrührers herbei und ergriff den Saalordner bei seiner Scham."

 

In diesem Geschichtsrückblick, wurde (1949) auch dokumentiert, wie seitens der Zeugen Jehovas in den USA eine Art faktischer Rassentrennung betrieben wurde. In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage von Stroup beachtlich:

„In der Geschichte der Bewegung hat der Führer der Gesellschaft einmal farbige Zeugen ausdrücklich aufgefordert, sich nicht um Posten als Pioniere zu bewerben: 'Der Grund dafür ist der, dass nach unserer Erfahrung Farbige weniger gebildet sind als Weiße - viele von ihnen haben nicht genügend Wissen um aus der Lektüre unserer Literatur Nutzen zu ziehen. Unsere Schlussfolgerung basiert daher auf der Annahme, dass Literatur, die an eine Versammlung von Farbigen verteilt wird, weitgehend verschwendet wäre, nur bei einem ganz geringen Prozentsatz wären gute Ergebnisse zu erwarten.' Watchtower vom August 1928" (S. 155).

Auch auf den Fall der dubiosen Beth-Sarim-Villa (vgl. 1948) kommt Stroup zu sprechen:

„Beth-Sarim missfällt vielen Zeugen, da sie glauben, dass Geld extravagant verschwendet wird, dass für produktivere Werke verwendet werden könnte; sie sind auch durch die anfechtbare biblische Auslegung nicht davon überzeugt, dass die Kosten gerechtfertigt sind. Einige drückten mir gegenüber ihre Verwunderung darüber aus, warum Rutherford nicht ein Hauptquartier an der Westküste baute und 'es dabei bewenden ließe'" (S. 42).

Die soziologische Zusammensetzung der Rutherford Zeugen Jehovas stellte sich in der Sicht von Stroup wie folgt dar:

„Obwohl Stanley High sagt, dass die 'Zeugen Jehovas wie durchschnittliche Amerikaner aussehen - was sie auch sind', habe ich auf Grund meiner Beobachtungen den Eindruck gewonnen, dass die große Mehrheit unter dem Durchschnitt liegt, was die soziale und wirtschaftliche Stellung anbetrifft ... Die Mehrzahl der Zeugen, mit denen ich mich beschäftigt habe, waren 'Wohlfahrtsempfänger' und 'Arbeiter'. Natürlich bin ich auch Zeugen begegnet, die über diesem Durchschnitt lagen, aber ihre Zahl - meist handelte es sich um die Leiter der Kompanien - war sehr gering. Die von mir zusammengestellten Ergebnisse können jedoch keinen Anspruch auf statistische Genauigkeit erheben" (S. 77).

Letztere Aussage von Stroup wird man dahingehend relativieren müssen, dass man zu differenzieren hat, zwischen denen, die sich von der Rutherford-Verkündigung in der ersten Generation angesprochen fühlten und ihren Nachkommen der zweiten und dritten Generation, bei denen das soziologische Gefälle in der Regel bereits anders aussieht.

ZurIndexseite

1945er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte