Brief an Hitler

In der Ausgabe vom 1. 4. 1937 veröffentlichte das „Goldene Zeitalter" erstmals einen an Hitler adressierten persönlichen Brief eines Zeugen Jehovas. In der Nachfolgezeitschrift „Trost" vom 15. 3. 1945 wurde dieser Brief erneut abgedruckt. Also nicht die unbedeutende Meinung eines Privatmannes kam darin zum Ausdruck, sondern die organisationskonforme Sicht. Der Brief ist vom 11. 1. 1937 datiert, also nach der großen Verhaftungswelle des Jahres 1936. In der Tonlage ist er konziliant gehalten. Hitler wird dort nicht etwa als „Antichrist" angesprochen, sondern mit der förmlichen Anrede: „An den Führer und Reichskanzler. Herrn Adolf Hitler." Auch wird ihm konzediert: „Das wiederholte Studium Ihres Buches 'Mein Kampf' bestärkte mich ... denn ich sagte mir, dieses Buch zeugt von einer Erfahrung und von einem geschichtlichen Wissen, dass der Schreiber desselben meine Ausführungen unbedingt verstehen muss."

Es erscheint allerdings fraglich, ob Hitler jene Zeilen je gelesen hat. Unbeschadet dessen bleibt es als Faktum bestehen, dass es ein Dokument des Selbstverständnisses der Zeugen Jehovas zu jener Zeit ist.

Zur Problematik der Interpretation des Naziverbotes äußert der Briefschreiber:

„Und doch ist der Zeuge Jehovas durchaus nicht ein grundsätzlicher Bekämpfer des Staates an sich, wie so oft behauptet wird ... Was wir von jeher bekämpft haben, waren vor allem die falschen Lehren der Kirchen, die vielfach im Widerspruch zum Wort Gottes stehen. In seinen diesbezüglichen Schriften greift Rosenberg die Kirchen deshalb in einer allerdings oft viel weniger sachlichen Weise an. Wir wurden dafür schon früher vor die Gerichte gestellt. Wenn wir in den letzten Jahren in eine gewisse Opposition dem Staate gegenüber gedrängt worden sind, so geschah dies, weil eben verschiedenes verlangt wurde, worunter wir uns aus Gewissensgründen - nur aus solchen - nicht beugen konnten."

Zur Frage des Hitlergrußes wird darin u. a. geäußert: „Wir werden diesen Gruß nie leisten, nicht weil wir gegen Ihre Person wären, sondern, weil wir jeden Personenkult als für beide Teile gefährlich erachten und auf Grund der Kenntnis der menschlichen Natur ablehnen müssen."

Den Terror des Hitlerregimes als seinem Hauptelement, versucht der Briefschreiber noch „positive" Seiten abzugewinnen. Etwa mit seiner Anmerkung: „Vielleicht mag es Ihnen nicht bekannt sein - ich weiß es gewiss, sonst würde ich es nicht zu sagen wagen, dass im nationalsozialistischen Staat gegen rein religiös eingestellte Menschen im Sinne des alten Wortes vorgegangen wurde: 'Und willst du nicht Genosse sein, so schlagen wir dir den Schädel ein!' Das ist hart gesprochen, aber es ist leider bittere Wahrheit."

Immer wieder kommt in jenem Brief zum Ausdruck, dass man gegenüber dem Hitlerregime durchaus weiterhin kompromissbereit wäre. Etwa in jener Wendung:

„Sie selbst sagen in 'Mein Kampf', dass Sie in ihrer schwersten Zeit am meisten gelernt haben. Genau so ergeht es auch uns. Und doch müssen wir in Ihrem höchsten Interesse und im Interesse des Volkes bitten: Heben Sie diese ungerechten Verbote auf und geben Sie den Menschen, die doch nur nach dem eigenen Gewissen und nach Gottes Wort leben wollen, endlich die Freiheit!"

Der Briefschreiber fordert Hitler dann zu einer (nicht vorhandenen) Differenzierung auf:

„Das Volk hat ein Wort: 'Man darf nicht alles über einen Leisten schlagen!' Man hat uns Bibelforscher mit dem Bolschewismus und Kommunismus in Verbindung gebracht, obwohl in unseren Schriften von jeher und schon lange vor der Machtergreifung die feste Überzeugung vertreten war, dass der Kommunismus ein gründlicher Fehlschlag sein wird."

Was soll man zu diesem Dokument zusammenfassend sagen? Die erneute Neuveröffentlichung zu dem Zeitpunkt, wo das Hitlerregime sich bereits auf dem Müllhaufen der Geschichte befand, unterstreicht die Kompromissbereitschaft der Zeugen Jehovas gegenüber dem Hitlerregime. Wenn daraus nicht „Nägel mit Köpfen" wurden, so lag die Schuld nicht unbedingt bei den Zeugen Jehovas. Indes zu sehen gilt es auch die zaghaften Modifizierungen auf der Gegenseite. Man vergleiche in etwa dazu: „Späte Himmlerpläne" in der „Geschichte der Zeugen Jehovas". Jener zitierte Brief wurde nicht von Rutherford, sondern von einem deutschen Zeugen Jehovas geschrieben. Einem, der nach eigener Aussage schon Bekanntschaft mit den Gefängnissen des Hitlerregimes gemacht hat. Setzt man in Kontext dazu, dass die seinerzeitige deutsche Zeugen Jehovas-Führung um Balzereit und Dollinger, gleichfalls gewisse Kompromissbereitschaft gezeigt hatte. So kann man als Schlusssatz nur eines sagen. „Widerstandskämpfer" wären die Zeugen Jehovas nur dann gewesen, wenn ihr Oberhaupt Rutherford den Mut besessen hätte, in der fraglichen Zeit seinen Wohnsitz nach Deutschland zu verlegen. Diesen Mut indes hatte der Feigling Rutherford nicht!

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1945er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte