Toleranzrekord

Auch in den USA schwappten die Wellen hoch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Dortiger Auslöser war die Frage des Fahnengrußes, der sich insbesondere für Schulkinder von Zeugen Jehovas, zu einem gravierendem Problem ausweitete. So sind denn in den USA, tatsächlich aus diesem Grunde Kinder vom weiteren Schulbesuch ausgeschlossen worden. Im Gegensatz zu anderen autokratisch regierten Ländern, hatten die Zeugen Jehovas dort allerdings die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen und von letzterer Möglichkeit machten sie Gebrauch. Eine Rückspiegelung dieser Sachlage, kann man auch aus der Schweizer Tagespresse entnehmen. So brachte am 2. 7. 1943 die in Basel erscheinende „National-Zeitung" unter der Überschrift „Toleranzrekord" einen Bericht dazu. Liest man ihn aufmerksam, entgeht einem allerdings nicht der kritische Unterton dieser Berichterstattung. Mit anderen Worten. Diejenigen aus säkularen Kreisen, die Jehovas Zeugen in ihrer Haltung unterstützten, waren ziemlich dünn gesät. Die „National-Zeitung" schrieb:

„Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat einen Entscheid gefällt, der als interessantes Dokument einer wirren Zeit festgehalten zu werden verdient. Es handelt sich um die Frage, ob Schulkinder, deren Eltern der Sekte der 'Zeugen Jehovas' angehören, wie sich die sogenannten 'Ernsten Bibelforscher' nennen, dass Recht haben, bei öffentlichen Anlässen der Landesfahne, dem ehrwürdigen Sternenbanner, den Gruß zu verweigern. Das Gericht hatte in einem früheren Fall die Frage verneint, ist aber nun auf die bisherige Spruchpraxis zurückgekommen. Es hat festgestellt, dass die kleinen Obstinaten der Zeugen Jehovas nach dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Gewissensfreiheit die Befugnis zu solcher sonderbaren Respektlosigkeit vor dem Landessymbol tatsächlich besitzen, da diese nun einmal zu ihren eigenartigen religiösen Glaubenspflichten gehöre.

Man muss dabei die überlieferten amerikanischen Verehrungsgefühle für die historische Flagge kennen um ganz zu ermessen, wie unnatürlich und anstößig die Haltung der jungen Sektierer dem allgemeinen Volksempfinden vorkommen muss.

Der Entscheid hat mit seiner unbeirrbaren Duldsamkeit, obwohl diese gewiss nicht überall verstanden wird, in unserer zwangsgläubigen Zeit autoritärer Gleichschaltung und nationaler Empfindlichkeit etwas Imposantes.

Einem querköpfigen Sektenfanatismus, der sogar kleine Kinder um seiner krampfhaften Sondermeinungen willen zu überheblichen und kindlichen Trotzgestalten gegen die Würdezeichen der eigenen Völker anhält, wird nicht mit Gewalt und Zwang, sondern mit einem anderen überlegenen Fanatismus begegnet, einem solchen unbeirrter Rechts- und Freiheitsüberzeugung.

Die sonderbare Protesthaltung der Sekte gegen die Staatsgewalt erscheint vor solcher unbeugsamen Rechtsgesinnung unwillkürlich eigenartig deplaciert und komisch kleinlich. Man meint unter dem Eindruck derartig großzügiger Unbefangenheit der obersten Rechtsinstanz müssten die Zeugen Jehovas, wenn sie Einsicht und Humor hätten, die ihnen vermutlich versagt sind, nun eigentlich schleunigst ihre Kinder umgekehrt von jetzt an geradezu verpflichten dem Flaggenzeichen eines solchen Staatsgebilde feierliche Ehren zu erweisen."

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1943er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte