Er nannte sich „Oberlehrer"

Es ist ein makabres Dokument. Zugleich aber doch bezeichnend, für die Geisteshaltung, die da im NS-Regime dominant war. Hat man von Himmler's Schergen auch nicht viel anderes erwarten können als wie Brutaliät als Weltanschauung. So ist man doch einigermaßen geschockt, einmal das Weltbild jener zur Kenntnis zu nehmen, die sich da Lehrer oder gar Oberlehrer nannten und mit Zeugen Jehovas zu tun bekamen. Zwei berüchtigte Exemplare dieser Gattung sind ja bereits aus der Weimarer Republikzeit bekannt. Einmal der August Fetz, der es bis zum Schulrektor brachte und dann der Karl Weinländer alias „Hans Lienhardt" und noch einer Reihe anderer Aliasse. Sie hatten auch schon Furore gemacht mit wüsten Hetzparolen und mit der Unfähigkeit wirkliches Verständnis entwickeln zu können. Zu diesen Namen muss man noch einen Dritten hinzufügen: K. Herr aus Ichtershauen, der sich in einer Zeitschrift namens: „Monatsblätter für Straffälligenbetreuung und Ermittlungshilfe" (15 Jg. Heft 11/12; August-Septembr 1940) über „Die Bibelforscher in Strafhaft" zu verbreiten wusste. In seinem Erguss konnte man unter anderem lesen:

„Rassische Unterschiede gibt es nicht, da nach Auffassung der Bibelforscher alle Menschen gleichen Blutes und also gleich sind. Gegebenenfalls steht ein Neger oder ein Jude, sofern er Zeuge Jehovas ist, einem Bibelforscher näher als seine eigenen Angehörigen, erst recht näher als Angehörige seines Volkes. Die staats- und volksfeindlichen Bestrebungen der im Ausland sitzenden geistigen Zentralen der IVB gingen in Deutschland im wesentlichen auf folgende Ziele hinaus:

1. Verhinderung der Verbreitung und Anerkennung der Rassengesetze, d. h. Sabotierung der judenfeindlichen Tendenz unserer Weltanschauung durch den Gedanken der Menschengleichheit.
2. Sabotierung unserer Wehrfreiheit, indem dem Zeugen Jehovas aufgegeben wurde, die Wehrpflicht zu verweigern.
3. Unterhöhlung des Vertrauens des Volkes zur Volksführung, insbesondere zur Person des Führers, durch Ablehnung des deutschen Grußes, angeblich, weil das Heil nur von Jehova kommen kann.

Das Wesentliche, was bei ihrer Einlieferung in die Strafvollzugsanstalt auffällt, ist zunächst einmal ihre Unberührtheit durch die Strafe. Sie fühlen sich als Märtyrer und nehmen größtenteils als treue Zeugen Jehovas die Strafe auf sich. Zunächst sind sie allen Versuchen gegenüber, an sie heranzutreten, unzugänglich.

Es muss hier festgestellt werden, dass von aller weltanschaulichen Schulungsarbeit an politischen Gefangenen, die an den Bibelforschern zu den schwierigsten, langwierigsten und undankbarsten gehört.

Zum anderen machte sich eine Furcht vor einer Gottlosigkeit bemerkbar, indem Einzelne der Ansicht waren, dann, wenn sie nicht mehr Zeugen Jehovas wären, gottlos sein zu müssen.

Zur Frage der Rückkehr der Bibelforscher in die Volksgemeinschaft kann nach den hier gemachten Erfahrungen folgendes gesagt werden. Die unbelehrbar bleibenden Bibelforscher sind, soweit sich nicht wie in einem Fall wegen eintretender Geistesstörung die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt notwendig macht, als gemeinschaftsunfähig grundsätzlich an einer Rückkehr in die Volksgemeinschaft zu hindern. Das geschieht durch ihre Unterbringung in den Konzentrationslagern."

Gleichfalls im betont negativem Sinne äußerte sich auch der Strafanstaltsleiter Liesche in seinem Aufsatz "Der Bibelforscher im Strafvollzuge" der in der Nummer 6/1937 der Zeitschrift "Der Deutsche Justizbeamte" erschien. Auch Liesche konstatiert, dass "bei fast allen 'Zeugen Jehovas' (es) sich um Gefangene handelt, die als Fanatiker ihrer Idee zu betrachten sind und sich als Märtyrer bezeichnen. Wenige sind nur unter ihnen, die durch die Strafverbüßung zur Einsicht gelangen. Darum muss der Strafvollzugsbeamte sie in erster Linie als Staatsfeinde betrachten und die Strafe in unerbittlicher Strenge gegen sie zur Anwendung bringen. Irgendwelche Lockerungen würden den Staat nur schädigen."

Liesche setzt sich auch mit der Sachlage auseinander: "Der § 112 Ziffer 5 der Dienst- und Vollzugsordnung besagt: 'Den christlichen Gefangenen sind die von den kirchlichen Behörden eingeführten Gebet- und Gesangbücher zu verabreichen; evangelische Gefangene erhalten ferner ein Neues Testament mit Psalmen, katholische Gefangene den Diözesankatechismus und ein Neues Testament oder die Biblische Geschichte. Jüdische Gefangene erhalten ein Gebetbuch.'"

Sein Kommentar dazu: "Diesen Zeugen Jehovas liegt bei ihren Einlieferungen in die Gefängnisse daran, die Bibel zu bekommen, damit sie ihre staatsfeindliche Einstellung durch planvoll zusammengesetzte Bibelstellen weiter verfolgen und wenn möglich auf andere Insassen der Gefängnisse übertragen können. Sache der Vollzugsbehörden soll es sein, zu verhindern, dass das Studium der Bibel zu Aufzeichnungen führt, die in staatsgefährlicher Weise verwendet werden können. Es ist somit dem pflichtgemäßen Ermessen der Vollzugsbehörden überlassen, wie sie das verhindern; die Hauptsache ist, dass sie es verhindern."

Eine analoge Feststellung wird man zu dem Aufsatz von H. Brandstätter, seines Zeichens Vorstand der Gefängnisse, Eisenach, treffen müssen. Unter der Überschrift „Erfahrungen im Strafvollzug an Gefangenen, die gegen das Verbot der Internationalen Bibelforscher bestraft worden sind", erschienen in den „Blätter für Gefängniskunde" Heft 1/1939, klagt er gleichfalls, dass versuchte Überzeugungsarbeit im Sande verlief:

„Bei der ersten Vorführung, genau wie bei den ersten Zellenrevisionen waren diese Gefangenen ganz ablehnend. Sie taten erhaben. Man spürte ihr inneres Hochgefühl als 'Zeuge Jehovas' gegenüber dem ungläubigen Satansdiener, der an dem demnächst kommenden besseren Zeiten des Tausendjährigen Reich Gottes nicht teilnehmen darf."

Auch Brandstätter klagt: „Nur teilweise, zum Teil gar nicht, gelang es mir, sie zu Überzeugen, dass der Bibelsatz (Du sollst nicht töten) in unserem heutigen Sprachgebrauch richtiger übersetzt sein müsse mit: Du sollst nicht morden."

Seine abschließende Klage kleidet er in die Worte:
„So optimistisch ich bei dem Blick auf die Gefangenen bin, so wenig bin ich es mit Rücksicht auf ihre Familien bei der Rückkehr nach der Entlassung.
Wer im Strafvollzug nicht zu einer Bejahung des Dritten Reiches oder wenigstens von der Bibelforscheridee abgekommen ist, gehört ins Konzentrationslager. Er wird von seiner Idee geleitet weiter ein Staatsfeind bleiben. Hier darf es keinerlei Rücksicht geben."

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1940er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte